Brigadegeneral Freuding: „Die ukrainischen Streitkräfte können mit Recht stolz sein“
Brigadegeneral Freuding: „Die ukrainischen Streitkräfte können mit Recht stolz sein“
- Datum:
- Ort:
- Berlin
- Lesedauer:
- 4 MIN
Die ukrainische Gegenoffensive hat beachtliche Erfolge erzielt. In Folge 28 von „Nachgefragt“ erklärt Brigadegeneral Dr. Christian Freuding die Hintergründe der Operation, die Rolle westlicher Waffensysteme sowie die Reaktion Russlands. Er gibt auch einen Ausblick, wie nun weitergehen kann.
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Die ukrainischen Streitkräfte haben in den vergangenen Tagen große Gebiete im Südosten des Landes zurückerobert. Diese waren zu Kriegsbeginn von den russischen Angreifern besetzt worden. Zwar sei die Operation unter Nutzung westlicher Waffensysteme grundsätzlich zu erwarten gewesen, sagt Brigadegeneral Dr. Christian Freuding, Leiter des Sonderstabes Ukraine im Bundesministerium der Verteidigung, doch: „Der Zeitpunkt, der Ort und auch die unglaublichen Erfolge, die die ukrainischen Streitkräfte erzielt haben, waren in der Summe schon überraschend.“
Der Vorstoß erfolgte – parallel zu einer vorgetäuschten Offensive im Süden – so vorbildhaft, dass es wenig Vergleichbares in den Konflikten vergangener Jahrzehnte gegeben habe. Was die beispielhafte Anwendung der Grundsätze der Langkriegsführung angehe, war das „fast etwas fürs Lehrbuch“, so Freuding. Die Euphorie, die die ukrainischen Siege in der Bevölkerung und in den Streitkräften ausgelöst habe, sei groß: „Auf das, was erreicht wurde, können die ukrainischen Streitkräfte mit Recht stolz sein.“
Russische Kräfte: Flucht statt Reorganisation
Der russische Rückzug sei dabei alles andere als eine geplante Reorganisation der Truppen gewesen, wie von russischer Seite behauptet. Die russischen Streitkräfte hätten ihre Stellungen offenbar teils fluchtartig verlassen. Das zeige sich auch an Zahl und Umfang des zurückgelassenen Materials, die ein NATONorth Atlantic Treaty Organization-Verteidigungsminister im Wochenverlauf als „größte Waffenlieferung seit Beginn des Krieges“ bezeichnet habe.
Bei einem geplanten Rückzug wären Waffen, Waffensysteme und Munition mitgenommen oder zumindest zerstört worden. Freuding: „Wir werden sehen, dass die Ukraine diese Waffen für ihre Zwecke, für ihre Streitkräfte nutzbar machen werden.“
Panzerhaubitzen, Taktik und Moral als Erfolgsfaktoren
Westliche Waffensysteme haben dabei erheblich zum Erfolg der ukrainischen Streitkräfte beigetragen, darunter die von der Bundeswehr bereitgestellten MARSMittleres Artillerieraketensystem-Raketenwerfer sowie die Panzerhaubitze 2000. Doch Brigadegeneral Freuding betont: „Den ausschlaggebenden Anteil haben jedoch die ukrainischen Soldaten, die taktisch hervorragend, mit hoher Moral und hoher Kampfkraft dieses Gefecht geführt und gewonnen haben.“
Bei der Panzerhaubitze 2000 – „unter den derzeit eingesetzten Waffensystemen ist sie der Favorit“ – gelte es jetzt, die Durchhaltefähigkeit zu sichern. Denn nach monatelangem Dauereinsatz im Gefecht sind Schäden und Ausfälle unvermeidlich. Die Einsatzbereitschaft der deutschen Panzerhaubitzen solle umgehend wiederhergestellt werden, damit die Ukraine diese wieder schnell zur Wirkung bringen könnten, so der General. Das sei einer der derzeitigen Schwerpunkte der Arbeit des Sonderstabes Ukraine.
Zum weiteren Ausrüstungsbedarf stellte Freuding fest, dass sich die Forderungen der ukrainischen Seite je nach Stand der militärischen Operation in stetigem Wandel befänden. Als Beispiel nennt er den Brückenlegepanzer Biber, mit dem Geländeeinschnitte und schmalere Flüsse überwunden werden können: „Den stellen wir bereit. Wir bilden daran aus. Und in wenigen Wochen werden die ersten Biber die ukrainischen Streitkräfte unterstützen können.“
Ende nur am Verhandlungstisch, aber Ziele unvereinbar
Auch über einen möglichen russischen Einsatz taktischer Nuklearwaffen, die Bedeutung des Eisenbahnknotenpunkts Kupyansk für die Durchhaltefähigkeit der russischen Streitkräfte sowie die überraschend schwachen russischen Luftwaffe spricht der General. Zu einem möglichen Ende des Krieges betont Freuding, dass jeder Krieg am Verhandlungstisch beendet werden. Die Frage sei aber, wann und zu welchem Preis.
Die strategischen Ziele der beiden Kriegsparteien – einerseits das imperiale Ausgreifen Russlands mit dem Ziel, die ukrainische Staatlichkeit zu zerstören, andererseits das ukrainische Streben nach vollständiger Widerherstellung seiner territorialen Integrität – seien jedoch unverändert und „deutlich unvereinbar“. „Jeder Blick in die Kristallkugel wäre deutlich unprofessionell“, so Brigadegeneral Freuding. Aber eines sei klar: „Jeder Tag, den dieser Krieg länger dauert, vergrößert das Leid, das für Menschen entsteht.''