Unentbehrlich für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr
Übungen sind unentbehrlich für die Befähigung von Streitkräften und damit Voraussetzung für glaubwürdige Abschreckung und Verteidigung.
Einsatzbereite Streitkräfte sind die Voraussetzung für eine glaubwürdige Abschreckung und wirksame Verteidigung. Militärische Übungen sind notwendig, um die dafür erforderlichen Fähigkeiten zu trainieren. Ein Einblick in die nationale Übungsplanung der Bundeswehr, den Einfluss des Ukrainekrieges und die Nachwirkungen der Corona-Pandemie.
Militärische Fähigkeiten in einsatznahen Szenarien zu entwickeln und zu trainieren: Das ist die Funktion militärischer Übungen. Entsprechend groß ist die Bedeutung der nationalen Übungsplanung in der Bundeswehr – für die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte, aber auch mit Blick auf internationale Bündnisverpflichtungen wie die schnellen Eingreiftruppen NATONorth Atlantic Treaty Organization Response Force (NRFNATO Response Force) und EUEuropäische Union-Battlegroup oder die NATONorth Atlantic Treaty Organization-Mission enhanced Forward Presence (eFPenhanced Forward Presence) zur Rückversicherung der baltischen Staaten. Denn hierfür gemeldete Einheiten müssen die geforderten Fähigkeiten nicht nur üben, sondern ihre Einsatzfähigkeit und Einsatzbereitschaft muss nach NATONorth Atlantic Treaty Organization-Vorgaben zertifiziert werden.
Oberstleutnant i. G. Felix Harder, Referent Übungen in der Abteilung Führung Streitkräfte, Militärische Übungen (FüSK I 3) im Bundesministerium der Verteidigung, sagt: „Ausgangspunkt der nationalen Übungsplanung sind der Fähigkeitsaufbau und -erhalt der Bundeswehr entlang den Erfordernissen der Landes- und Bündnisverteidigung und den Fähigkeitsvorgaben der NATONorth Atlantic Treaty Organization – zur Steigerung der Abschreckungs-, Handlungs- und Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und der Allianz.“
Übungsplanung: Eigenständig, aber synchronisiert
Die einzelnen Teilstreitkräfte und militärischen Organisationsbereiche wie Heer, Luftwaffe und Marine, aber auch der Zentrale Sanitätsdienst, die Streitkräftebasis und das Kommando Cyber- und Informationsraum planen dabei eigenständig die Übungen, die sie zum Erhalt und Nachweis ihrer Fähigkeiten und ihrer Einsatzbereitschaft benötigen. Das gilt auch für Zertifizierungsübungen, bei denen die Einsatzbereitschaft für NRFNATO Response Force, eFPenhanced Forward Presence und andere unter Beweis gestellt wird. Für die Abstimmung, Koordinierung und Synchronisierung der Übungen auf nationaler, bi- und multinationaler Ebene ist jedoch die Koordinierungsgruppe Übungen der Bundeswehr unter Federführung der Abteilung FüSK I 3 verantwortlich.
Die Koordinierungsgruppe Übungen tagt alljährlich im Frühling und im Herbst, so auch im März 2022. Neben FüSK I 3 und den Teilstreitkräften und Organisationsbereichen nahmen unter anderem das Einsatzführungskommando der Bundeswehr, das Multinationale Kommando Operative Führung sowie multinationale Vertreter und Verbindungsoffiziere aus Großbritannien, Frankreich, Österreich, Litauen und der USUnited States-amerikanischen Streitkräfte in Europa teil.
Multinationale Übungen: Zeichen der Stärke
Der Planungshorizont liegt bei fünf Jahren, die aktuelle Übungsplanung läuft somit bis Ende 2027. „Mittelfristige Planungen sind natürlich Änderungen unterworfen – durch sicherheitspolitische Entwicklungen, aber auch durch finanzielle Mittel. Wir wissen heute noch nicht, welche Gelder wir 2025 für Übungen in der Bundeswehr zur Verfügung haben“, erklärt Harder.
Doch gerade im multinationalen Kontext sei der längere Planungshorizont sinnvoll, um zum Beispiel anderen Nationen die Möglichkeit zu bieten, an einer deutschen Übung teilzunehmen oder eigene Übungen binational zu verknüpfen. Denn insbesondere kleinere Nationen suchten Übungsmöglichkeiten für ihre Fähigkeiten, die allein auf nationaler Ebene nicht in gleicher Tiefe beübt werden können. Das gelte auch für die Bundeswehr, wenn sie beispielsweise gemeinsam mit den USUnited States-Streitkräften auf Divisionsebene mit mehreren Tausenden Teilnehmenden üben wolle.
Zugleich müssten größere Übungsvorhaben, die zeitgleich in demselben Raum stattfinden, synchronisiert werden. Harder nennt ein Beispiel: Wenn im Rahmen der NATONorth Atlantic Treaty Organization die USA, Polen, Großbritannien, Norwegen, Deutschland und andere Nationen parallel mehrere Großübungen wie Cold Response oder die Defender-Übungsserie ausrichten, ist nicht nur eine enge Abstimmung der beteiligten Nationen für einen erfolgreichen Übungsverlauf erforderlich. „Die Verknüpfung mehrerer Großübungen demonstriert zugleich die Stärke und Verteidigungsbereitschaft der NATONorth Atlantic Treaty Organization und trägt so zur glaubwürdigen Abschreckung bei“, sagt der Oberstleutnant. Das bedeute, dass Übungsplanung immer auch gleichzeitig strategische Kommunikation umfasse: ein Signal an potenzielle Aggressoren.
Aktuelle Lage: Stärkung der Verteidigungsfähigkeit
Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine fand bei der jüngsten Tagung der Koordinierungsgruppe Übungen keinen tiefgreifenden Widerhall in der kurzfristigen Übungsplanung. Der Grund: Bereits seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim im Jahr 2014 liegt der Fokus der Bundeswehr wieder stärker auf der Landes- und Bündnisverteidigung. Die dafür benötigten Fähigkeiten stehen im Mittelpunkt der Übungsplanung, und zwar nicht erst seit Kriegsbeginn in der Ukraine. Harder ist überzeugt: „Die aktuelle sicherheitspolitische Lage bestätigt, dass wir die richtigen Dinge planen und tun: die Stärkung der durch die Befähigung unserer Streitkräfte zur Landes- und Bündnisverteidigung im Rahmen von NATONorth Atlantic Treaty Organization und Europäischer Union.“
Der Krieg in der Ukraine könne jedoch mittelbar Auswirkungen auf Übungen haben. „Werden Truppenteile nun zur Rückversicherung und Abschreckung beispielsweise nach Litauen oder in die Slowakei verlegt, fehlen diese unter Umständen an anderer Stelle in zuvor geplanten Übungsvorhaben“, so Harder. Hier gelte es durch sorgfältige Ressourcenplanung und Abstimmung mit den Verbündeten beides in Einklang zu bringen.
Nachholbedarf: Ausbildungslücken durch Corona-Pandemie
Zugleich sei es nach zwei Jahren Corona-Pandemie unabdingbar, alle Übungen auch wie geplant durchzuführen, um die gesetzten Fähigkeitsziele zu erreichen und entstandene Lücken zu schließen. Harder erläutert: „Pandemiebedingt wurden auch noch im vergangenen Jahr etwa 30 Prozent der geplanten Übungen abgesagt. Andere fanden nur mit verringerter Stärke oder ohne multinationale Beteiligung statt.“
Auch die umfassende Amtshilfe durch die Truppe hat den nun anstehenden Ausbildungs- und Übungsbedarf verstärkt: „Jeder Tag in der Amtshilfe war sinnvoll zur Bewältigung der Pandemie, zugleich aber ein fehlender Tag im Sinne der Einsatzbereitschaft der Streitkräfte für ihren verfassungsmäßigen Verteidigungsauftrag.“
Bündnisverteidigung: Mehr Übungen im öffentlichen Raum
Das bedeute, dass die vermehrte Übungstätigkeit der Bundeswehr und ihrer internationalen Partner in den nächsten Monaten und Jahren auch im öffentlichem Raum stärker wahrnehmbar sein werde. „Die Fähigkeit und Bereitschaft zum hochintensiven Gefecht ist nur ein Aspekt. Denn Landes- und Bündnisverteidigung findet in der Regel nicht im Heimatland statt“, erklärt Oberstleutnant i. G. Harder. Die rechtzeitige Alarmierung, zügige Verlegung und nahtlose Zusammenführung Mensch und Material im Einsatzgebiet sei von ebenso großer Bedeutung für eine erfolgreiche Auftragserfüllung und damit eine Kernfähigkeit, die trainiert werden muss.
„Internationales Krisenmanagement oder auch hochintensives Gefecht kann die Truppe in begrenzten Szenarien auf einem Truppenübungsplatz üben. Verlegeübungen durch das gesamte europäische Bündnisgebiet der NATONorth Atlantic Treaty Organization finden zwangsläufig im öffentlichen Raum statt – in der Landes- und Bündnisverteidigung durch die Bundeswehr ebenso wie im Rahmen der gesamtstaatlichen Unterstützung von Streitkräften verbündeter Staaten bei ihren Verlegeübungen, bei denen Deutschland als logistische Drehscheibe fungiert wie zum Beispiel in Defender Europe 2022“, sagt Harder.