Rechtspflege der Bundeswehr

Truppendienstgerichte: Welche Auswirkungen haben Urteile auf Soldatinnen und Soldaten?

Truppendienstgerichte: Welche Auswirkungen haben Urteile auf Soldatinnen und Soldaten?

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
9 MIN

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Im deutschen Wehrrechtssystem gibt es kein Militärgericht: Hat sich eine Soldatin oder ein Soldat strafbar gemacht, unterstehen sie wie jede andere Staatsbürgerin und jeder andere Staatsbürger der staatlichen Gerichtsbarkeit. Handelt es sich zugleich um eine schwerwiegende Dienstpflichtverletzung, müssen sie sich außerdem vor dem Truppendienstgericht verantworten.

Eine Person hält einen Richterhammer in einem Büro. Daneben steht eine Waage auf dem Tisch.

Urteil nach Hauptverhandlung: Den Truppendienstgerichten obliegt die Entscheidung in gerichtlichen Disziplinarverfahren von Soldatinnen und Soldaten

Bundeswehr/stock.adobe.com/Wasan

Ein Kriegsgericht oder einen Militärgerichtshof – so etwas gibt es in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkrieges und den Nürnberger Prozessen am von den Alliierten gegründeten Internationalen Militärgerichtshof nicht mehr. Das deutsche Rechtssystem sieht vor, dass schuldhafte Verletzungen soldatischer Pflichten durch Soldatinnen und Soldaten zu disziplinaren Konsequenzen führen können, die in bestimmten Fällen vor einem der beiden Truppendienstgerichte landen. Aber wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger auch unterstehen sie als „Staatsbürger in Uniform“ der allgemein gültigen Gesetzgebung und damit der staatlichen Gerichtsbarkeit.

Zivile Strafgerichte urteilen über Wehrstraftaten

Die Verfolgung von Straftaten, einschließlich der Wehrstraftaten, erfolgt also durch die ordentlichen Gerichte. Zwar sieht das Grundgesetz gemäß Artikel 96 Absatz 2 Satz 1 vor, dass ein Wehrstrafgericht, welches die Strafgerichtsbarkeit über Angehörige der Streitkräfte ausübt, eingerichtet werden kann. Der Bund hat von dieser Befugnis aber bislang keinen Gebrauch gemacht. „Es gibt derzeit kein Wehrstrafgericht, sondern nur Strafgerichte, die auch die Wehrstraftaten nach dem Wehrstrafgesetz aburteilen,“ bestätigt Tanja H.*, Vorsitzende Richterin am Truppendienstgericht Nord in Münster.

Truppendienstgerichte gehören zu den Wehrdienstgerichten und damit zum Kernbereich der Rechtspflege der Bundeswehr als eigenständiger, von den Streitkräften und der Bundeswehrverwaltung unabhängiger Bereich. Verfassungsrechtlich gründen sie auf Artikel 96 Absatz 4 des Grundgesetzes. Darin heißt es: „Der Bund kann für Personen, die zu ihm in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehen, Bundesgerichte zur Entscheidung in Disziplinarverfahren und Beschwerdeverfahren errichten.“

Truppendienstgerichte urteilen über Disziplinarverfahren, prüfen Beschwerden

Die Truppendienstgerichte urteilen im Wesentlichen über die ihnen nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) zugewiesenen Disziplinarverfahren gegen Soldatinnen und Soldaten. Hierzu gehören in erster Linie die gerichtlichen Disziplinarverfahren. 

In den Zuständigkeitsbereich der Truppendienstgerichte fällt jedoch auch die Prüfung von Beschwerden nach der Wehrbeschwerdeordnung (WBO), die aus der Truppe kommen. Jede Soldatin und jeder Soldat kann nach der WBO nach einem erfolglosen Beschwerdeverfahren einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen, wenn die Beschwerde eine Verletzung seiner Rechte oder eine Verletzung von Pflichten eines Vorgesetzten ihm gegenüber zum Gegenstand hat. 

Auch Rechtssachen, die auf dem Soldatenbeteiligungsgesetz (SBG) oder dem Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz (SGleiG) fußen, fallen in den Zuständigkeitsbereich der Truppendienstgerichte.

Eine Richterin sitzt zwischen zwei Soldaten an einem Tisch vor Unterlagen und Büchern

Die Vorsitzende Richterin Tanja H. hat in einer Hauptverhandlung zwei ehrenamtliche Richterinnen beziehungsweise Richter an ihrer Seite

Bundeswehr

Wehrdisziplinaranwaltschaften erheben die Anschuldigung

Soldatinnen und Soldaten unterliegen den im Soldatengesetz niedergeschriebenen soldatischen Pflichten, die sowohl innerhalb als auch außerhalb des Dienstes und unter bestimmten Voraussetzungen auch über das Dienstzeitende hinaus gelten. Bei schwerwiegenden Dienstpflichtverletzungen von Soldatinnen und Soldaten obliegt es den Truppendienstgerichten, im Rahmen gerichtlicher Disziplinarverfahren zu entscheiden. Solche Disziplinarverfahren bringen die Wehrdisziplinaranwaltschaften der Bundeswehr ins Spiel: Diese schuldigen die betreffende Soldatin oder den Soldaten bei Gericht an.

Nach einer Anschuldigung sieht das Disziplinarrecht zwei Möglichkeiten vor, wie eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme verhängt werden kann: Entweder, so H., werde sie im schriftlichen Verfahren durch einen Disziplinargerichtsbescheid oder nach Durchführung einer Hauptverhandlung im Urteil ausgesprochen. 

Ein Disziplinargerichtsbescheid, der bis zur Disziplinarmaßnahme eines Beförderungsverbotes – gegebenenfalls mit Kürzung der Dienstbezüge – möglich ist, kann jedoch nur ergehen, wenn kein Verfahrensbeteiligter widerspricht. Im Falle eines Widerspruches oder „ab einer möglichen Dienstgradherabsetzung muss eine Hauptverhandlung stattfinden“, erklärt die Richterin, die einer der insgesamt 20 Truppendienstkammern innerhalb der Bundeswehr vorsitzt.

„Es geht ums Erziehen – nicht ums Bestrafen“

Bei leichteren Vergehen können jedoch auch die Disziplinarvorgesetzten sogenannte einfache Disziplinarmaßnahmen verhängen. Dazu zählen zum Beispiel der strenge Verweis, der unter bestimmten Voraussetzungen vor der Truppe vollstreckt wird, oder die Disziplinarbuße bis zur Höhe der Dienstbezüge eines Monats.

Eine Möglichkeit der gerichtlichen Disziplinierung sei auch die Dienstgradherabsetzung. Dazu komme es etwa bei kürzerer unerlaubter Abwesenheit oder bei Verhaltensweisen, die auf eine Bagatellisierung des Nationalsozialismus abzielten, wenn sie keine nationalsozialistische Gesinnung zum Ausdruck bringen würden. Bei niedrigschwelligeren, bagatellisierenden Verhaltensweisen kann es zu einem Beförderungsverbot kommen – zum Beispiel, „wenn jemand meint, witzig den Hitlergruß machen zu müssen“, sagt die Juristin. Bis zu 48 Monate Beförderungsverbot könne die Konsequenz sein. Die härteste Disziplinarmaßnahme sei die Entfernung aus dem Dienstverhältnis.

„Das ist besonders für Berufssoldatinnen und -soldaten bitter“, sagt die Richterin. Denn nach einer Übergangszeit von sechs Monaten bekämen diese keine Dienstbezüge mehr. Verstöße gegen die politische Treuepflicht, also beispielsweise rechtsextremistische Verhaltensweisen, längere oder wiederholte eigenmächtige Abwesenheiten könnten so geahndet werden. Auch bei schweren entwürdigenden Behandlungen oder Misshandlungen von Untergebenen oder bei Delikten im Sexualbereich wie zum Beispiel beim Zugänglichmachen kinderpornografischer Dateien oder Kindesmissbrauch sei eine Entfernung aus dem Dienstverhältnis letzte Konsequenz.

Disziplinierung trotz zivilen Urteils

In diesen Fällen kommt es zur Hauptverhandlung“, so die Vorsitzende. Verhängt das zivile Strafgericht im Prozess gegen eine angeschuldigte Soldatin oder einen Soldaten eine Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr, heißt das automatisch für sie oder ihn, dass der Dienst in der Truppe beendet ist. „Alles ab einem Jahr Freiheitsstrafe für eine vorsätzlich begangene Straftat bedeutet nach dem Soldatengesetz: Man ist raus“, fasst die Juristin zusammen. 

Die disziplinarrechtliche Verfolgung eines Dienstvergehens und die zivile strafrechtliche Verfolgung einer Straftat laufen sonst jedoch parallel – zum Beispiel bei Veruntreuung. Dabei handele es sich sowohl um ein Dienstvergehen als auch um eine Straftat, über die ein ordentliches ziviles Gericht urteilt. Liegt in einer Disziplinar- oder einer Strafsache bereits das Urteil des zivilen Strafgerichtes vor, würde dieses zusammen mit der Beweisführung vom Truppendienstgericht übernommen, erklärt H. So müsse die Justiz nicht zweimal in derselben Sache einen Sachverhalt feststellen und zum Beispiel zweimal dieselben Zeuginnen und Zeugen laden. Möglich sei nach Paragraf 83 WDO die Aussetzung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens bis zum Abschluss des sachgleichen Strafverfahrens. So verhindere man sich widersprechende Urteile.

Warum gibt es dann zusätzlich die Truppendienstgerichte – ist nicht das Urteil des zivilen Gerichtes ausreichend? Die betreffende Soldatin oder der betreffende Soldat seien zwar bereits zivil bestraft worden, räumt Hoch ein. Trotzdem werde sie oder er noch vom Truppendienstgericht diszipliniert. Das Disziplinarverfahren diene der Erziehung. „Die Truppe muss einfach funktionieren“, begründet Hoch dieses Vorgehen. 

Die Betroffenen seien sich jedoch häufig der bleibenden Auswirkungen ziviler Gerichtsurteile auf ihren persönlichen Werdegang als Soldatin oder Soldat nicht bewusst, so die Richterin. Viele wollten einfach Ruhe haben und das Ganze schnell zum Ende bringen – ohne schlussendlich die Konsequenzen für ihr Soldatin- oder Soldatsein zu bedenken. Ein rechtskräftiges Urteil bedeute jedoch, dass ein Sachverhalt „bindend festgestellt“ worden sei. Das abschließende Strafurteil begleite die Betreffenden daher auch dienstlich ein Leben lang.

Ein Soldat steht vor einem Soldaten und ließt aus dem Buch "Disziplinarrecht der Bundeswehr"

Bei leichten Vergehen: Die oder der Disziplinarvorgesetzte kann eine Soldatin oder einen Soldaten mittels einfacher Disziplinarmaßnahmen erziehen – etwa durch Verweis bis hin zu 21-tägigem Disziplinarrest, dem ein Truppendienstgericht zustimmen muss

Bundeswehr/Torsten Kraatz

Ehrenamtliche Richterinnen und Richter aus der Truppe

2023 sind bei den Truppendienstgerichten insgesamt 495 gerichtliche Disziplinarverfahren eingegangen, davon beim Truppendienstgericht Nord 256 Verfahren. Grundsätzlich soll ein Verfahren binnen eines Jahres abgeschlossen werden, nachdem es beim Truppendienstgericht eingegangen ist. Es gibt aber auch Verfahren, die fünf Jahre oder länger dauern. „Wir nehmen Fahrt auf“, betont die Richterin. Fast alle Kammern der Truppendienstgerichte seien inzwischen vollständig mit Richterinnen und Richtern besetzt. Schneller geht es auch, wenn unter bestimmten Voraussetzungen eine gerichtliche Entscheidung von der Truppendienstrichterin oder dem Truppendienstrichter allein getroffen werden kann – zum Beispiel, wenn die Richterin oder der Richter ohne Hauptverhandlung einen Disziplinarbescheid erlässt.

In der Hauptverhandlung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens jedoch sind der Richterin oder dem Richter als Vorsitzende oder Vorsitzender zwei beisitzende Soldatinnen und Soldaten als ehrenamtliche Richterinnen und Richter zur Seite gestellt. Einer der Beisitzenden gehört dabei der Dienstgradgruppe der Soldatin oder des Soldaten an, in deren oder in dessen Sache verhandelt wird. 

Der andere ehrenamtliche Richter oder die andere ehrenamtliche Richterin muss Stabsoffizierin oder -offizier sein und im Dienstgrad über der Soldatin oder dem Soldaten stehen. Laut Tanja H. ist die zivile Bekleidung des hauptamtlichen Richteramtes historisch so gewachsen: „Wir haben eine zivile Gerichtsbarkeit. Die Soldatenbeisitzenden können mich aber überstimmen,“ sagt H., die als Rechtsberaterin und Wehrdisziplinaranwältin bei der Truppe angefangen hat.

Per Losverfahren für ein Jahr berufen

Vergleichbar sind die Aufgaben dieser ehrenamtlichen Richterinnen und Richter mit denen einer Schöffin oder eines Schöffen an einem zivilen Strafgericht. Normalerweise gehören Soldatinnen und Soldaten der Exekutive, also der vollziehenden Gewalt an. In ihrer Tätigkeit für das Truppendienstgericht sind sie Teil der rechtsprechenden Gewalt. Oberstleutnant Michael K.*, Angehöriger des Corpsstabes des I. Deutsch-Niederländischen Corps in Münster, ist per Losverfahren für dieses Jahr in eine der Kammern in das ehrenamtliche Richteramt berufen worden. 

Mit einem Augenzwinkern erzählt er, dass er seine Berufung erst als nur „pro forma“ bewertet habe. Damit lag er offensichtlich falsch: „In derselben Woche meiner Berufung klingelte das Telefon und das Truppendienstgericht Nord war dran“, so der Oberstleutnant. In der Vergangenheit als Kompaniechef in zwei Verwendungen tätig, stand ihm als Vorgesetzten selbst eine eigene Disziplinarbefugnis zu. Schon mehrfach habe er erlebt, wenn Rechtssachen an das Truppendienstgericht übergeben worden seien. Aber weder als Angeklagter noch als Zeuge habe er je vor einem Truppendienstgericht erscheinen müssen.

Als „super spannend“ beschreibt der Stabsoffizier die Tätigkeit des ehrenamtlichen Richters in der Hauptverhandlung: „Man geht da völlig unvoreingenommen rein.“ Erst beim Verlesen der Anschuldigungsschrift erfahre man, worum es in der Sache gehe. Als beisitzender Richter habe man sogar ein Befragungsrecht. „Die eigene Erfahrung, der persönliche Hintergrund: Da bringt man unheimlich viel mit, was der hauptamtliche Richter nicht hat“, sagt K. Nach 26 Jahren aktiver Dienstzeit als Soldat habe er mit einem „breiten Spektrum an Menschen mit unterschiedlichem Bildungsstand“ zu tun gehabt. „Das hilft bei der Situation vor Gericht“, betont er. Und was nimmt man mit für den Dienstalltag? „Dass Leute generell vorverurteilt werden können. Es gilt aber die Unschuldsvermutung“, betont K.

Der Rechtsbeistand durch eine Anwältin oder einen Anwalt während einer Verhandlung vor dem Truppendienstgericht ist nicht zwingend vorgeschrieben, aber eigentlich der Regelfall. Ist eine Soldatin oder ein Soldat nicht verteidigt, kann in bestimmten Fällen, insbesondere wenn die Höchstmaßnahme im Raum steht, durch die Vorsitzende oder den Vorsitzenden der Gerichtskammer sogar einen Pflichtverteidiger oder eine Pflichtverteidigerin bestellt werden. Somit können sich Soldatinnen und Soldaten „in jeder Lage des Verfahrens des Beistands eines Verteidigers bedienen“ – so ist es in Paragraf 90 Satz 1 WDO nachzulesen. Vergleichbar ist dies also mit einer Verhandlung vor einem zivilen Gericht. Auch hier ist es grundsätzlich zulässig, dass die Angeklagten ohne Verteidigerin oder Verteidiger erscheinen.

Wehrdienstsenate entscheiden in letzter Instanz

Um rund um die Uhr erreichbar zu sein, gibt es bei den Truppendienstgerichten für die Disziplinarvorgesetzten einen richterlichen Rufbereitschaftsdienst, der sowohl nachts als auch an Wochenenden und Feiertagen erreichbar ist. Das sei wichtig, falls beispielsweise ein Beschluss für Durchsuchungen gebraucht werde, so die Richterin.

Gegen das Urteil des Truppendienstgerichtes ist – wie bei der Rechtsprechung ziviler Gerichte auch – die Berufung zulässig. In diesem Fall kommt der zweite Wehrdienstsenat beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zum Zuge, der wie die Truppendienstgerichte Nord und Süd auch zu den Wehrdienstgerichten gehört. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet abschließend.

*Namen zum Schutz der Personen abgekürzt.

von Evelyn Schönsee

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