Tarnen und Täuschen

„Bei der Bundeswehr dienen unsere Attrappen zur realitätsnahen Ausbildung.“

„Bei der Bundeswehr dienen unsere Attrappen zur realitätsnahen Ausbildung.“

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
4 MIN

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Beim Technologiestützpunkt Tarnen und Täuschen bauen Spezialisten Panzertürme und Kleinkampfmittel realitätsnah aus Kunststoff nach. All diese Attrappen werden heute bei der Ausbildung in der Bundeswehr eingesetzt. Die Geschichte des Standortes birgt darüber hinaus interessante Aspekte der deutsch-deutschen Militärgeschichte.

Attrappen von Militärfahrzeugen stehen in einer Halle. Im Vordergrund ein Schützenpanzer Marder.

Hätten Sie es erkannt? Was wie ein Schützenpanzer Marder aussieht, ist in Wahrheit nur Kunststoff und innen hohl. Der Marder entstand erst nach der Wende. Üblicherweise wurden für die NVANationale Volksarmee-Attrappen sowjetischer Fahrzeuge gebaut.

Bundeswehr/Jana Neumann

Es quietscht ziemlich laut, als Hauptmann Fabian W.* mit einem Ruck die Tür zum Hangar aufstößt. „Könnte etwas Öl vertragen“, sagt er lächelnd und tritt in das dunkle Gebäude. Als die betagte Neonbeleuchtung dann klackernd anspringt, sieht man seinen Atem kondensieren. Es ist lausig kalt an diesem Januartag und die alten Hangars auf dem Gelände des Technologiestandortes Tarnen und Täuschen sind ungeheizt. Dafür dürfte das hier gelagerte Material so manches Herz erwärmen. Gleich an der Tür steht etwa eine mobile Abschussrampe für eine sowjetische Kurzstreckenrakete des Typs Scud. Die Rakete in Transportposition, scheinbar abmarschbereit. Oder doch nicht?

Bei näherem Hinschauen zeigt sich, dass das Chassis des Transporters etwas merkwürdig aussieht. Tatsächlich sind die großen Räder nur Attrappen, die das richtige Fahrwerk verbergen. Hauptmann W., der Dienststellenleiter, kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Da steckt ein Tatra-Vierachser aus NVANationale Volksarmee-Beständen drunter. Die Attrappe ist fahrbereit, aber die Fake-Räder dienen nur der Optik. Aus größerer Entfernung merkt kein Mensch den Unterschied zum originalen Start- und Transportfahrzeug“, sagt W. 

Fabian W., Hauptmann
Bei den Armeen des Warschauer Vertrages gehörte das Vortäuschen von Truppenkonzentrationen zum taktischen Standardrepertoire.

Und genau darum ging es Jahrzehnte zuvor, als die Pseudo-Abschussrampe konstruiert wurde. Hier am Standort baute eine Einheit der Nationalen Volksarmee (NVANationale Volksarmee) bis 1990 Attrappen aller möglichen Gefechtsfahrzeuge und Waffensysteme des Ostblocks. Optisch sehr dicht am Original und damit perfekt geeignet, um den Gegner zu täuschen. Mitunter wurden auch Kupferdrähte in die Modelle eingezogen, die bei Erwärmung sogar die Wärmesignatur der Originalfahrzeuge nachahmten. „Bei den Armeen des Warschauer Vertrages gehörte das Vortäuschen von Truppenkonzentrationen zum taktischen Standardrepertoire“, sagt W., der selbst aus der Aufklärungstruppe kommt.

Ein Mann arbeitet an einer Drehmaschine in einer Werkstatt

Wenn Detailtreue Programm ist: Ein zivil angestellter Facharbeiter bei der Herstellung von Nebelwurftöpfen für die Attrappe des Turms vom russischen Schützenpanzer BMP-3 an der Drehbank. Rohmaterial sind einfache Plastikrohre aus dem Baumarkt.

Bundeswehr/Jana Neumann
Attrappen von verschiedenen Sprengkörpern und Sprengmitteln liegen auf einem Tisch

Waffenschau der besonderen Art: Am Technologiestützpunkt Tarnen und Täuschen werden auch viele Attrappen von Kleinkampfmitteln wie Handgranaten oder Minen zur realitätsnahen Ausbildung der Truppe hergestellt

Bundeswehr/Jana Neumann

Irakische Erfolge mit Attrappen im Golfkrieg 1991

„Solche Phantomtruppen sollten wahlweise eine große Übermacht vortäuschen oder als Scheinziele dazu dienen, Ressourcen des Gegners zu binden“, erklärt der Hauptmann weiter. Angeblich haben während des Zweiten Golfkrieges 1991 ähnliche Täuschungsmaßnahmen der irakischen Armee die USUnited States-Streitkräfte dazu gebracht, reihenweise Dummys zu bombardieren. Genau das soll den Standort nach der Auflösung der NVANationale Volksarmee gerettet haben, erzählt man sich bis heute. NATO-Spezialisten zeigten sich demnach beeindruckt vom Know-how der Belegschaft und den vielen verschiedenen Modellen, die unter anderem auch Flugabwehrsysteme abbildeten.

In der Folge übernahm die Bundeswehr den Stützpunkt. Allerdings verschoben sich nach Ende des Kalten Krieges die inhaltlichen Schwerpunkte deutlich. Das Täuschen eines Gegners über die eigene Stärke oder das Aufstellen von Scheinzielen wird bei der Bundeswehr so nicht praktiziert. Immerhin entstanden noch einige Vollattrappen, etwa vom Schützenpanzer Marder oder vom inzwischen ausgemusterten Flugabwehrsystem Roland. Aber der Trend ging zum Bau von Gefechtstürmen ex-sowjetischer oder neuerdings auch russischer Kampffahrzeuge.

Panzertürme aus glasfaserverstärktem Kunststoff

„Bei der Bundeswehr dienen unsere Attrappen zur realitätsnahen Ausbildung“, betont W. „Vor allem bei der Infanterie und bei den Aufklärern.“ Der vergleichsweise kleine Turm des Schützenpanzers BTR-70 ist so ein Beispiel. „Hergestellt aus glasfaserverstärktem Kunststoff hier in unseren eigenen Werkstätten“, erklärt Hauptmann W. Wobei der BTR-70-Turm schon länger nicht mehr gebaut werde. „Vor einiger Zeit haben wir mit dem Bau vom Turm des modernen russischen Schützenpanzers BMP-3 begonnen.“ Vorläufig sollen etwa 30 Stück davon entstehen. Die Attrappen werden regelmäßig an die Truppe verliehen.

Bei Übungen werden die Dummys in überschaubar viele Einzelteile zerlegt mitgeführt und können dann im Gelände „eingebaut“ werden. Fachmännisch getarnt ist die Illusion eines eingegrabenen Schützenpanzers beinahe perfekt. Werden zusätzlich noch die Umrisse eines Gefechtsfahrzeuges mit Tarnmatten oder -netzen simuliert, lässt sich sogar Luftaufklärung in die Irre führen. 

Das neueste Projekt der Täuschungsspezialisten ist die Modernisierung alter T-72-Türme aus NVANationale Volksarmee-Zeiten. „Die sind noch auf dem Stand der Achtzigerjahre und wir werden sie optisch an die neueste russische Variante des T-72B3 anpassen“, sagt W.

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Einsatzorientierte Dummys von Minen und Streumunition

Die ganz überwiegend zivilen Mitarbeiter des Standortes üben ihr Handwerk hier oft schon seit Jahrzehnten aus, allerdings mit einigen Neuerungen. Mit den immer häufigeren Out-of-area-Einsätzen der Bundeswehr habe man auch neue Wege beschritten, sagt Hauptmann W. „Die großen Attrappen wichen zunehmend solchen von Minen, Handgranaten oder Submunitionstypen – also genau den Kampfmitteln, die in den Einsatzgebieten der Bundeswehr immer mehr an Bedeutung gewannen.“ Bis heute werden am Standort viele verschiedene Kampfmittel aus Kunststoff nachgebaut. „Auch diese Attrappen werden dann im Ausbildungsbetrieb verwendet“, so W.

Außerdem unterstützt der Standort die Erprobung neuartiger Tarnmittel, egal, ob Uniformen oder Fabrikate zur Reduzierung der Wärmesignatur von Fahrzeugen. Als Wappen führt die Dienststelle übrigens ganz offiziell das Chamäleon – den Meister der Tarnung schlechthin im Tierreich. „Das charakterisiert uns eigentlich ganz gut“, sagt W.

*Name zum Schutz des Soldaten abgekürzt.

von Markus Tiedke

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