Aus der Truppe für die Truppe: Start-up-Ideen für die Bundeswehr-Logistik
Aus der Truppe für die Truppe: Start-up-Ideen für die Bundeswehr-Logistik
- Datum:
- Ort:
- Berlin
- Lesedauer:
- 5 MIN
Eine Routen-App für Bundeswehrfahrzeuge, digital überwachte Materialcontainer und ein automatisierter „NATONorth Atlantic Treaty Organization-Parkplatz“: Unter dem Motto „Innovation? Rollt!“ hat der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr mit dem Logistikkommando und der Logistikschule innovative Ideen aus der Truppe gesucht. Die acht besten wurden in Berlin vorgestellt.
„Innovation ist kein Zufall“, sagt Sven Weizenegger, der seit Mitte 2020 den Cyber Innovation Hub der Bundeswehr (CIHBwCyber Innovation Hub der Bundeswehr) leitet. „Wir gehen methodisch vor. Denn vielleicht eine von 100 Ideen ist umsetzbar. Die entwickeln wir hier.“ Dabei liege der Fokus immer auf Praxisbezug und Umsetzbarkeit: „Aus der Truppe, für die Truppe, mit der Truppe: Es gibt kein Projekt ohne Soldatin oder ohne Soldaten. Wir lösen nur echte Probleme. Und die Truppe sagt uns, ob Lösungen funktionieren.“
Coachingwoche: Von der Kaffee-Ecken-Idee zum Prototyp
So waren auch bei der Innovation-Challenge-Logistik im Frühjahr 2022 die Praktiker aus der Truppe aufgerufen, ihre Vorschläge einzureichen. Gesucht waren vor allem Innovationsideen mit hohem digitalem Anteil, denn der Hub hat die Aufgabe, die digitale Transformation der Bundeswehr voranzutreiben.
Innerhalb weniger Wochen wurden bis Mitte Mai 86 Ideen aus sieben Verbänden eingereicht. Acht kamen in die nähere Auswahl. Die 27 Ideengeberinnen und -geber wurden eingeladen, innerhalb in einer Coaching-Woche im CIHBwCyber Innovation Hub der Bundeswehr in Berlin gemeinsam mit ITInformationstechnik-, Design- und Marketing-Experten aus „Kaffee-Ecken-Ideen“ erste Prototypen zu entwickeln.
Am 15. Juni 2022 präsentierten die Teams ihre Innovationsideen einer Jury aus Logistikexperten der Bundeswehr und zivilen Start-up-Unternehmern.
Brigadegeneral Robert Wilhelm, stellvertretender Kommandeur des Logistikkommandos der Bundeswehr und Schirmherr von Challenge, sagte zu Beginn der Präsentationen: „Die digitale Transformation in der Logistik der Bundeswehr steht erst am Anfang.“ Er betonte: „Wir brauchen neue Waffensysteme, neue Technik wie zum Beispiel einen neuen schweren Transporthubschrauber. Aber es sind oft kleine Dinge, die den Dienstalltag erleichtern. Pragmatische Lösungen, die aus der Truppe kommen und für die man nicht 100 Milliarden braucht, um sie umsetzen.“
Bundeswehr-Navi und digitale Containerüberwachung
Mehrere Ideen zielten auf intuitive Anwendungen für mobile Endgeräte. So schwebt Stabsfeldwebel Alexander Krauß, Prüfer für Kraftfahrzeugverkehr, und seinen Kameradinnen und Kameraden im Logistikbataillon 161, Delmenhorst, eine bundeswehrspezifische Routen-App vor. Er sagt: „Wir wollen eine einfache, intuitive Lösung für Handy oder Tablet, um unsere Routenplanung optimieren. Für gemischte Konvois vom Pkw bis zum gepanzerten Mobilkran. Beim Abschleppen auf der Landstraße. Bei Stau und Straßensperrung.“
Denn speziell auf den Schwerlastverkehr ausgelegte Systeme sind zwar im neuen Schwerlasttransporter Scania eingebaut. Doch in allen älteren Fahrzeugen fehlen sie. Außerdem decken zivile Systeme keine Gefechtsfahrzeuge wie Panzer ab, die sich ebenfalls im Straßenverkehr bewegen. Im Bundeswehr-Navi ROLLT (Routen-Leit-Lenk-Tool) sollen die Nutzenden schnell und unkompliziert alle Fahrzeuge eines geplanten Konvois auswählen und dann das Ziel eingeben können. Die App nimmt das größte, schwerste oder breiteste Fahrzeug als Ausgangspunkt und berechnet fahrzeugangepasst Fahrtzeit und Route – zur Not auch unterwegs, wenn die geplante Strecke nicht befahrbar sein sollte.
Weniger auf den Transport als auf das transportierte Material zielt KUB, ein Sensor zur digitalen Containerüberwachung. Oberstleutnant Peter Bienert, Stabsoffizier Logistische Operationen in der Einsatzzentrale Logistik im Logistikbataillon 461 in Walldürn, bringt es auf den Punkt: „Wir müssen nicht nur wissen, wo unser Material ist. Wir müssen wissen, wie es ihm geht.“ Ob Waffen, Munition oder Ersatzteile: Die Einsatzbereitschaft des Materials müsse jederzeit sichergestellt sein.
Bei Transport und Lagerhaltung sei es jedoch hohen Belastungen ausgesetzt. KUB kontrolliert laufend Temperatur und Feuchtigkeit im Container, registriert Rauch, Erschütterung und Fremdzugriff durch Öffnen des Containers – eine Innovationsidee, die bereits am Tag der Vorstellung so viel Anklang gefunden hat, dass der CIHBwCyber Innovation Hub der Bundeswehr eine Umsetzungszusage gemacht hat.
500 Fahrzeuge und 2.500 Tonnen Material – am Tag
In den Kontext der Refokussierung auf die Landes- und Bündnisverteidigung sind zwei weitere Ideen einzuordnen.
Die Innovationsidee zum NATONorth Atlantic Treaty Organization-Parkplatz YARDED stammt aus dem Logistikbataillon 163 RSOMReception, Staging, Onward Movement in Delmenhorst. Das erst im September 2020 aufgestellte Bataillon wird im Bündnisfall der NATONorth Atlantic Treaty Organization unterstellt und koordiniert Aufnahme (Reception) und Zusammenführung von Einsatzkräften und Material (Staging) sowie den Weitertransport (Onward Movement) in einem Einsatzraum.
Eine fordernde Aufgabe: Laut NATONorth Atlantic Treaty Organization-Vorgabe müssen pro Tag 500 Fahrzeuge und 2.500 Tonnen Material pro so genannter Marshalling Area umgeschlagen werden – auf einem fünf Hektar großen Gebiet mit verschiedenen Bereichen und einem Team von nur sechs Soldatinnen und Soldaten. Bisher muss das ohne digitale Unterstützung erfolgen.
Frau Oberleutnant Anna Thumer aus der Einsatzzentrale RSOMReception, Staging, Onward Movement des Bataillons erklärt: „Natürlich gibt es zivile Lösungen zum Parking- und Containermanagement. Anwendungen wie sie beispielsweise in Containerhäfen eingesetzt werden, sind auf unseren Bereich jedoch nicht übertragbar. Ein Tracking, in dem jeder alles weiß, wäre ein Sicherheitsrisiko. Außerdem ist unser Material nicht sortenrein. Vom Kampfpanzer bis zum Kühlcontainer kann alles dabei sein.“ Die Idee von Thumer und ihres Kameraden, Oberleutnant zur See Eric Lindner, soll dabei helfen, Material- und Fahrzeugströme effizient zu planen und steuern, ohne die Auftragserfüllung durch Sicherheitsrisiken in der Datenübermittlung zu gefährden.
Digitale Erkundung neuer Einsatzräume, nicht aufklärbar
Auch die Idee für DARTBw (Digital Area Reconnaissance Tool), ein Augmented Reality Tool für mobile Endgeräte, geht auf die veränderten Anforderungen in der Landes- und Bündnisverteidigung zurück. Brigadegeneral Wilhelm sagt: „Im internationalen Konflikt- und Krisenmanagement wurde einmal erkundet und dann ein Feldlager gebaut und betrieben. Im mobilen Gefecht der Landes- und Bündnisverteidigung muss auch die Logistik schnell verlegefähig sein und immer wieder neue Räume erkunden, um ihren Versorgungsauftrag zu erfüllen.“ Denn bei Verlegezeiten von 48 bis 72 Stunden müssen immer neue logistische Einsatzräume schnell und einfach zu erkunden sein.
DARTBw kombiniert die dreidimensionale Vermessung von Gebäuden und Geländen mit den abzustellenden Fahrzeugen und dem zu lagernden Material. Für die Instandsetzung kann zudem vermessen werden, ob die Höhe einer Werkstatt genügt, um eine Panzergetriebe zu ziehen oder eine Haubitze auseinander zu bauen. Kapitänleutnant Alexander Schoppen, Kompanieeinsatzoffizier beim Logistikbataillon 172 in Beelitz, erklärt: „Die App nimmt mir nicht das taktische Denken ab. Sie prüft die Umsetzbarkeit meiner Ideen im erkundeten Raum und dokumentiert die Ergebnisse für eine mögliche spätere Nutzung.“ Die Besonderheit: Sie soll auch ohne GPSGlobal Positioning System und Netzanbindung funktionieren: „Je dichter ich mich am Gefechtsstreifen befinde, desto mehr arbeite ich offline, um nicht vom Feind aufgeklärt zu werden.“
Noch befindet sich die Idee wie die meisten anderen Innovationsvorschläge in der Projektierungsphase. Doch der Bedarf ist da. Jetzt geht es an die Umsetzung, um zu prüfen, ob die Ideen auch in der Praxis Bestand haben.