Ein starkes Krisenunterstützungsteam beim Schnellen Adler
Ein starkes Krisenunterstützungsteam beim Schnellen Adler
- Datum:
- Ort:
- Sassnitz
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- 4 MIN
Eine schnelle militärische Evakuierung über See setzt auch eine Komponente zivil-militärischer Zusammenarbeit voraus. In den Krisenunterstützungsteams arbeiten Beschäftigte des Auswärtigen Amtes Hand in Hand mit Bundeswehrangehörigen zusammen. Jeder auf seinem Gebiet, aber alle mit dem gleichen Ziel: die Schutzbefohlenen unversehrt rauszubringen.
Der Stadthafen von Sassnitz wird am Samstagmorgen zum Schauplatz ungewohnter Szenen. Wo sonst Urlauber spazieren gehen, patrouillieren heute schwerbewaffnete Soldaten mit Sturmgewehren. Vor der Küste liegt das niederländische Docklandeschiff „Rotterdam“, hin und wieder hämmern Transporthubschrauber über den Hafen und zwei Kampfhubschrauber „Tiger“ kreisen in einiger Entfernung. Hintergrund ist die militärische Evakuierungsübung „Schneller Adler 22“, bei der Bundeswehr und niederländische Streitkräfte gemeinsam die Rettung von Schutzberechtigten aus Krisenregionen üben. Der heutige Tag steht im Zeichen der schnellen Seeevakuierung.
Verzweifelte Szenen am Zutritt zum Sammelpunkt
Am Eingang der Fischhalle hat sich früh am Morgen eine Menschenmenge eingefunden. Vielstimmig und mehrsprachig verlangen die Personen Einlass, wedeln mit Papieren zweifelhafter Herkunft, die Stimmung ist angespannt. Feldjäger und zwei Männer mit roten Warnwesten versperren ihnen energisch den Zutritt. Die Signalwesten zeigen, dass ihre Träger zum Krisenunterstützungsteam (KUTKrisenunterstützungsteam) gehören. Dessen Leiter ist Michael Schmidmayr. Vor der Brust trägt er griffbereit ein blaues Motorola. Das kleine Walkie-Talkie krächzt und knackt die ganze Zeit. Eben hat Schmidmayr seinen Leuten leise ein paar Hinweise gegeben. Dann wendet er sich wieder ins Innere der Fischhalle.
„Unser KUTKrisenunterstützungsteam ist im Grunde eine gemischte Einheit“, erklärt er. Etwa 30 Personen gehören dazu. Zehn von ihnen sind wie Schmidmayr beim Auswärtigen Amt (AAAuswärtiges Amt) beschäftigt, die übrigen sind Bundeswehrangehörige – Feldjäger, Sanitäter und andere Spezialisten. Viele der Soldaten haben Erfahrung aus den Einsatzgebieten der Bundeswehr. Er selbst arbeite in der Abteilung Stabilisierung des AAAuswärtiges Amt, sagt Schmidmayr weiter. „Aber wir bilden bei der Übung verschiedene Laufbahngruppen und Fähigkeiten ab. Unsere Hauptaufgabe besteht darin, die Sammelpunkte einzurichten und zu betreiben. Das sind jene Orte, wo sich die Schutzbefohlenen zur Evakuierung einfinden.“
Der Auftrag ist ziemlich komplex. Zunächst werden deutsche Staatsbürger und sonstige Schutzbefohlene über die eingerichteten Sammelpunkte informiert. „Das kann im einfachsten Fall über die Homepage des Auswärtigen Amtes geschehen“, sagt Schmidmayr. „Alternativ werden die Menschen aber auch auf anderen Wegen kontaktiert.“ Wenn es die Leute dann zum Sammelpunkt geschafft haben, müssen sich die Retter davon überzeugen, dass auch alle die Schutzvoraussetzungen erfüllen. Das kann Konflikte bergen, denn wer sich nicht identifizieren kann, darf unter Umständen nicht mit.
KUTKrisenunterstützungsteam: Helfer mit Spezialkenntnissen
Schmidmayr verschwindet unvermittelt im Gebäude, das Funkgerät am Ohr. Am Eingang dürfen derweil die ersten Personen passieren und laufen durch ein Gewirr von Flatterbändern zur Registrierung. Nach einer gründlichen Durchsuchung müssen sie sich an einem Tisch vor KUTKrisenunterstützungsteam-Mitgliedern ausweisen. Hier kommt zum Beispiel die Expertise von AAAuswärtiges Amt-Mitarbeitenden zum Tragen, die im Konsularwesen ausgebildet sind. Marie Seyler arbeitet normalerweise in der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes. Auch sie hat sich auf einer Liste registrieren lassen, anhand derer ihre Behörde in Notsituationen Krisenreaktionsteams zusammenstellt. „Die Teilnahme ist freiwillig. Ausschlaggebend sind etwa Fach- oder Sprachkenntnisse“, sagt Seyler. Für sie ist es die erste Evakuierungsübung und nach einigen Tagen mit verschiedenen Szenaren sei das KUTKrisenunterstützungsteam zusammengewachsen, sagt sie. Gerade die Zusammenarbeit mit den Bundeswehrangehörigen sei gut.
„Anfangs waren uns die militärischen Begriffe noch fremd. Wir mussten auch erst einmal die Funksprache lernen.“ Kein Problem. Inzwischen wisse sie, dass mit „Echos“ die Schutzbefohlenen gemeint seien. Die enge Verzahnung mit den Soldatinnen und Soldaten des KUTKrisenunterstützungsteam sei insgesamt hilfreich gewesen. „Wenn man gemeinsam mit einem anfangs völlig unbekannten Feldjäger am Zutritt vor der Menge steht und der Pulk drängt heran, muss man zusammenarbeiten. Aber es funktioniert“, sagt Seyler lächelnd. Auch wenn die Echos hier in Sassnitz Rollenspieler sind, fühlt sich Seyler in das Szenario hineingezogen. Gerade bei den Situationen an den Zutritten gehe es emotional zu. „Dem kann man sich nicht entziehen.“
Marineinfanterie sichert Evakuierung über den Hafen
Knapp 200 Menschen werden am Ende in der Fischhalle auf ihre Evakuierung zum Hafen warten. Unter ihnen auch ein nicht gehfähiger Verletzter. Am späten Vormittag fahren die ersten Busse vor und bringen die Schutzbefohlenen durch die Checkpoints niederländischer und deutscher Marineinfanteristen zur Mole. In Gruppen von sechs bis sieben Personen werden die Echos schließlich mit Speedbooten zur „Rotterdam“ gebracht, die etwa zweieinhalb Seemeilen vor Sassnitz liegt. Mit der Evakuierung der Menschen ist auch der Auftrag des Krisenunterstützungsteams erfüllt. Der Sammelpunkt wird geräumt und einigermaßen erschöpft verlassen die Angehörigen des Teams den Hafenbereich. Zivilisten und Militärs – zusammen unentbehrlich.