Seebataillon trainiert in Norwegen: Auf der Jagd nach dem röhrenden Hirsch

Seebataillon trainiert in Norwegen: Auf der Jagd nach dem röhrenden Hirsch

Datum:
Ort:
Norwegen
Lesedauer:
5 MIN

Die Stiefel saugen sich im morastigen Boden fest. Der Atem geht stoßweise. Schultern und Rücken sind taub, die Hüften blau vom Gurt. Rund 40 Kilo wiegen die Rucksäcke, mit denen die Truppe sich durch Nordnorwegens Berge quält. „Wer damit umkippt, bleibt auf dem Rücken liegen wie ein Maikäfer“, sagt ein Kamerad. Eindrücke eines harten Trainings.

Soldaten marschieren mit Gepäck im freien Gelände einen Berg hinunter

22 Soldaten und eine Soldatin sind von ursprünglich 31 Teilnehmenden noch übrig. Es ist Woche zwei des Joint Mountain Trainings. Viel Wildnis, anspruchsvolle Aufgaben und höchste physische Anforderungen prägen diese Ausbildung.

Bundeswehr/Jana Neumann

Blaubeeren, wohin man blickt. Doch die Soldaten sind zu erschöpft, um die Früchte zu genießen. Lieber bedienen sie sich in den Pausen am EPaEinpersonenpackung, der Einmannpackung mit Einsatzverpflegung. Rund 7.000 Kalorien verbrauchen die Männer und Frauen pro Tag beim Joint Mountain Training. Ein Teil dieses Trainings ist der gerade laufende Mountain Movement and Survival Course. Die Teilnehmenden sollen lernen, im Gebirge zu überleben und zu kämpfen.

Bergaufschießen gegen das Licht

Das Ziel liegt etwa 150 Meter oberhalb der Marineinfanteristen. Mit G36, MG3, MG4 und MG5 schießen sie auf eine Kampfentfernung von 600 Metern und in einem Höhenwinkel. Eine zusätzliche Schwierigkeit ist die Südausrichtung der Schießbahn. Die Sonne scheint den Schützen direkt in die Augen.

„Das ist schon herausfordernd für Soldaten, die normalerweise im Norden von Schleswig-Holstein schießen“, sagt Korvettenkapitän Clemens Staffelt. Er ist der Leiter der Gruppe Amphibischer Einsatz im Seebataillon und hat bereits das Joint Arctic Training absolviert wie elf seiner Kameraden. Wer zusätzlich das Joint Mountain Training erfolgreich hinter sich bringt, erhält am Ende das begehrte Abzeichen ,,Hijgend Hert'', zu Deutsch ,,Röhrender Hirsch''.

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Die Marineinfanteristen schießen mit G 36, MG 3, MG 4 und MG 5 auf eine Kampfentfernung von 600 Metern. Besondere Schwierigkeit: das Ziel liegt 150 Meter über ihnen und die Sonne scheint den Schützen direkt in die Augen.

Beide Lehrgänge werden vom niederländischen Korps Mariniers geleitet. Seit 2016 arbeiten die deutsche und die niederländische Marine eng zusammen. Kräfte des deutschen Seebataillons sollen in eine gemeinsame amphibische Einsatzgruppe unter Führung der Niederländer integriert werden. Die Ausbilder, hier Mountain Leader, bringen den Deutschen die niederländischen Verfahren bei.

Die Vorstufe zum Krieg

Irreguläre Kräfte – von den Soldaten ,,grüne Männchen'' genannt – sind über die Grenze gekommen. Sie versuchen, das Land zu destabilisieren und nachfolgenden regulären Truppen den Weg zu ebnen. Die Marineinfanteristen sollen diesen Plan vereiteln. So sieht es das Trainingsszenario vor.

„Wir marschieren durchs Gebirge, schlagen in einem bestimmten Raum unsere Zelte auf und suchen dort dann nach Feindkräften“, erklärt der Zugführer, Hauptbootsmann Benjamin, den Auftrag für die kommenden Tage. Eine Trainingswoche hat der Zug bereits hinter sich. Dabei hat er geübt, sich bei Tag und Nacht mit Kompass und Karte in der Berglandschaft zu orientieren, Notunterkünfte zu bauen, Feuer zu machen, Wasser aufzubereiten und sich 60 Meter tief abzuseilen. Die zweite Trainingswoche beginnt mit einem Marsch in die Berge Richtung Feindkräfte, der sogenannten Infiltration.

Aus acht werden 15 Stunden Marsch

„Verdammter Mist“, flucht ein Soldat. Die Plastikschnalle an seinem Rucksack ist direkt vorm Abmarsch gebrochen. Die Rucksäcke sind brandneu und sollen hier mit extremer Last getragen werden. Vorsorglich hat das Seebataillon zehn Reserverucksäcke parat. In aller Eile packt der Soldat seine Ausrüstung um.

Zusätzlich zur persönlichen Waffe, Munition, Ausrüstung, Kleidung, Nahrung und Wasser trägt jeder gemeinsam genutzte Ausrüstung. Je drei Mann teilen Zelt, Brenner und Brennstoff unter sich auf. Einige Soldaten tragen dazu noch ein Maschinengewehr. Um die 40 Kilo wiegt der Rucksack zum Schluss. „Es tut einfach weh“, sagt ein Zwei-Meter-Mann. Um mit dieser Last bergauf zu gehen, muss man weit in Vorlage gehen, „mit der Stirn den Berg berühren“, wie sein Kamerad es nennt.

Das Gelände ist uneben. Teils moosig-weich, teils tief morastig, dann wieder steile Geröllfelder. Es fällt schwer, mit der brutalen Last im Rücken die Balance zu halten. Einige Stunden bergauf, weit abseits jeglicher Pfade, stolpert ein Soldat unglücklich, verdreht sich Fuß und Knie. An Weitergehen ist nicht zu denken. Weil die Kameraden den Verletzten selbst evakuieren, endet ihr langer Marsch statt um 22 Uhr erst im Morgengrauen.

Keine Brücke, nirgends

Gurgelnd und strudelnd rauscht der Fluss zu Tal. Dieses Gewässer müssen die Soldatinnen und Soldaten an einer anderen Ausbildungsstation überqueren. Dazu wird ein Seil gespannt, an dem sich abwechselnd Menschen hangeln oder Gepäck gezogen wird. „Der Doc geht als Erstes“, beschließt die Gruppe. Auch medizinisches Personal nimmt an dem Training teil, ein Arzt und ein Sanitäter. Der Doc nimmt die Herausforderung an. Sein Job ist es, sich mit dem Seil durch das Gewässer zu tasten, um es auf der anderen Seite festzumachen. Dann können die Kameraden den Fluss überqueren, ohne nass zu werden. 

An beiden Seiten stehen Mountain Leader, die ganz genau hinschauen, ob die Lehrgangsteilnehmer ihre Knoten richtig stecken. Unten im Wasser ist eine Sicherungsleine gespannt, an der abstürzende Soldaten sich festhalten könnten, um nicht vom Wasser mitgerissen zu werden. Auf der Zielseite gibt es ein Zelt, in dem durchnässte Soldaten sich aufwärmen können. Sicherheit hat höchste Priorität bei der Gewässerüberquerung. Der Doc hat es geschafft. Seine Gruppe kommt drüben an.

Gefecht bei Sonnenaufgang

Vor ein paar Stunden haben sie noch seinen 29. Geburtstag gefeiert. Von unten aus dem Tal hatten die Versorger etwas Schokokuchen und für jeden einen Schluck heiße Schokolade nach oben gekarrt. „Wirkt Wunder, das geht durch den ganzen Körper“, hatte sich das Geburtstagskind gefreut. Jetzt reißt es sein MG4 hoch und stürzt mit Dauerfeuer nach vorn. Beim Exfiltrationsmarsch ist seine Gruppe in einen Hinterhalt geraten. Sie hatte den Feindkontakt erwartet, kann sich behaupten.

„Wie Puzzleteile fügen sich alle Lerninhalte im Laufe der Wochen zusammen, bis ein vollständiges Bild entsteht“, erklärt der ranghöchste Offizier, Clemens Staffelt. In den folgenden Wochen wird das Seebataillon noch amphibische Landungen an steilen Küstenabschnitten üben. Schließlich exerzieren sie in der Abschlussübung über zehn Tage im Gelände eine komplexe Lage durch. Danach ist der Körper ein einziger Schmerz.  Der Lohn der Schinderei: der begehrte ,,Röhrende Hirsch''. Acht deutsche Seesoldaten können sich nach dem Joint Mountain Training den Hijgend Hert anheften.

von Barbara Gantenbein