Schwarzer Keiler: Zwei Ergänzungstruppenteile machen mobil
Schwarzer Keiler: Zwei Ergänzungstruppenteile machen mobil
- Datum:
- Ort:
- Berlin
- Lesedauer:
- 4 MIN
Staub und Dreck fliegt den geduckten Soldaten im Gras entgegen. Eine NHNATO-Helicopter-90 im Landeanflug wirbelt alles auf. Die Tarnschminke verläuft im Schweiß der angespannten Gesichter. Die Helmtarnung wackelt bedrohlich auf ihren Köpfen. Ein Zeichen von der Hubschrauberbesatzung und die Soldaten springen auf. Mit gekrümmten Rücken laufen sie unter den laufenden Rotorblättern hindurch.
Für den Beobachter sind das ganz normale Soldaten bei einer Übung. Erst beim genauen Hinschauen fällt der hohe Altersschnitt der Soldaten auf. Es sind Reservistinnen und Reservisten von zwei Verbänden, die hier üben. Das Unterstützungsbataillon Einsatz 1 und das schwere Pionierbataillon 901 unterstützen sich gegenseitig mit Material und Personal.
Reservisten sind in der Regel Staatsbürger ohne Uniform, die bei der Bundeswehr häufig nur in komplizierten Organigrammen auftauchen. In gestrichelten Kästchen und grau hinterlegt. Meistens übersieht man sie auf überfüllten Power-Point-Folien. Sie werden wie das Unterstützungsbataillon Einsatz 1 in Ergänzungstruppenteile gegliedert, die nur für den Ernstfall aktiviert werden. „Das ist alles graue Kästchenkunde. Wir sind eigentlich die Partner der Bundeswehr in der Heimat, die im Ernstfall mit ihren Fähigkeiten unterstützen„, sagt Marco Wolfermann. Er ist Kommandeur des zur Ergänzung für den Ernstfall gedachten Bataillons aus Oldenburg und hat seine Frauen und Männer zu einer Übung bei Münster zusammengerufen. Der Oberstleutnant der Reserve will die Menschen sehen, die sonst nur auf dem Papier existieren. Namen, hinter denen sich Lehramtsstudenten, Selbstständige und Geschäftsführer verbergen. Aus ihnen werden für kurze Zeit Staatsbürger in Uniform. Sie sind unersetzlich für eine Armee, die ihre Einsätze immer in Verbindung mit Partnern denkt. Das geht entweder multinational wie in den Einsätzen oder in der Heimat mit der Reserve.
Die Reserve ist eine Notwendigkeit
Die Reserve ist eine Notwendigkeit, die durch die Einsätze der Bundeswehr in den Hintergrund getreten ist - obwohl sie bis zu zehn Prozent der Einsatzsoldatinnen und -soldaten stellt. In Krisensituationen hat sich ihre Unterstützung bewährt. Bei Hochwasser oder Schneekatastrophen - wenn alle Stricke reißen, sind sie da. Mit dem stärkeren Fokus auf Landes- und Bündnisverteidigung wächst auch die Bedeutung der Reserve wieder. Die Bundeswehr hat seit einigen Jahren wieder mehr Ergänzungstruppenteile aufgestellt - wie einst im Kalten Krieg. Dazu gehören auch das Einsatzbataillon Unterstützung 1 und das schwere Pionierbataillon 901.
Einer, der sich auf den Ernstfall vorbereiten will, ist Niels Beutestahl. Der Fallschirmjäger und ehemalige Wehrpflichtige aus Oldenburg ist ein echtes Nordlicht. Der Oberstabsgefreite macht mit bei der Übung von Oberstleutnant Wolfermann, die unter dem Namen Schwarzer Keiler läuft. Er spricht mit tiefer Stimme und plattdeutscher Einfärbung: „Für mich bedeutet der Reservedienst eine Mischung aus Kick und der Überzeugung am Dienen.“ Im zivilen Leben leitet er eine physiotherapeutische Praxis. Ein Mann, der mit seinen 45 Jahren mitten im Leben steht und trotzdem den Bezug zur Bundeswehr nie ganz verloren hat. „Wer hier an Schlauchbootfahrten und gesellige Bierseligkeit denkt, der liegt falsch„, sagt der überzeugte Infanterist. Für ihn und seine Kameradinnen und Kameraden ist die Übung die Vorbereitung für einen Ernstfall, der die Sicherung des Divisionstabes der 1. Panzerdivision und seiner zugehörigen Truppenteile erfordern würde.
Sie müssen sich häufig rechtfertigen
Für die Reservisten sind die Übungen stets ein heikler Spagat. Sie müssen ihrem Umfeld erklären, dass sie sich vorbereiten auf einen Einsatz, den sich keiner wünscht. Ihr Selbstverständnis, das in regelmäßigen Übungen seinen Ausdruck findet, ist verbunden mit einem Rechtfertigungsdruck gegenüber ihrem Umfeld. Für die meisten von ihnen vor allem gegenüber ihren Arbeitgebern. „Mein wissenschaftlicher Projektleiter ist, glaube ich, sogar Wehrdienstverweigerer„, sagt Alina Esfahani. Die 28-jährige Hauptgefreite ist Physikerin und promoviert an der Bergischen Universität Wuppertal. Ihr Projektleiter hat zwar nichts gegen ihr Vorhaben gehabt, trotzdem ist sie unruhig. Von ihr hängt der Fortschritt eines Forschungsprojektes ab. Daher checkt sie ihre Mails morgens und abends - auch nach einem anstrengenden Tag im Gefechtsdienst. Für die Physikerin, die sonst in kosmischer Hintergrundstrahlung nach den großen Fragen des Lebens forscht, ist der Reservedienst eine willkommene Abwechslung. Sie ist, nachdem sie 2012 ihren freiwilligen Wehrdienst abgeschlossen hatte, wieder in die Truppe gekommen: „Weil es sich sinnvoll anfühlt.“ Es sind Menschen wie sie, die Wolfermann sucht. „Sie senkt einerseits deutlich unseren Altersschnitt“, sagt er mit einem Schmunzeln, „andererseits ist es dieser vielfältige berufliche Hintergrund, den unsere Truppe bereichert.“
Der Hubschrauber landet wieder und bringt die Reservisten von ihrem Auftrag zurück. Darunter Esfahani, die zierliche Frau mit Kurzhaarschnitt. Ein Lächeln geht über ihr von Staub und Tarnschminke verdrecktes Gesicht. Nächste Woche steht die Physikerin wieder im Labor und sucht weiter in den Tiefen des Alls nach Antworten. Doch daran denkt sie im Moment nicht.