Im Fokus des Gegners
Im Fokus des Gegners
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- Litauen
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Wo gegnerische Staaten direkt aneinandergrenzen, ist die Spionagetätigkeit besonders hoch. Y hat einen Stabsfeldwebel der Brigade Litauen einen Tag lang begleitet. Wie schützt sich der Soldat vor Ausspähung durch Russland, das nur wenige Kilometer entfernt liegt?
Es ist ein eiskalter Morgen. Minusgrade in der Nacht haben einen Frostfilm auf den Fahrzeugen hinterlassen. Für Heinrich Erkner* beginnt der Arbeitstag mit Scheibenfreikratzen. Einige Minuten später fährt er mit seinem Auto aus der Stadt und durch einen großen Wald. Sein Ziel: der Standort des Aufstellungsstabs der Brigade Litauen. Der Stabsfeldwebel ist seit Anfang September 2024 als Informationsfeldwebel Teil des Stabs. Neben der Begleitung von Pressevertreterinnen und -vertretern und Koordinierungsaufgaben hält er vor allem seinem Presseoffizier den Rücken frei. Erkner war schon von August bis Dezember 2023 bei der damaligen eFPenhanced Forward Presence-Battlegroup in Rukla eingesetzt, also kurz nachdem Verteidigungsminister Boris Pistorius die dauerhafte Stationierung einer Brigade in Litauen angekündigt hatte. Für Erkner war schnell klar, dass ein Dienstposten in der Brigade eine große Chance bietet. „Nicht nur, um hier Pionierarbeit zu leisten, sondern auch für uns als Familie sind diese Erfahrungen unbezahlbar”, sagt der 52-Jährige. Ein knappes Jahr später zog Erkner mit seiner Frau Steffi und den beiden Töchtern Charly (12) und Lilie-Marleen (11) nach Bukčiai, einen Vorort von Vilnius.
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Litauen steht durch seine direkte Grenze zu Russland und Belarus besonders im Fokus.
Im Autoradio laufen die Nachrichten: „Ein Frachtflugzeug, das im Auftrag von DHL in Leipzig gestartet war, ist beim Anflug auf Vilnius über einem Wohngebiet abgestürzt. Mindestens ein Mensch kam ums Leben.” Die Ursache für den Flugzeugabsturz ist zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Da es bereits im Juni zu Paketbränden in DHL-Luftfrachtzentren kam, unter anderem in Leipzig, kommt Erkner unweigerlich kurz der Gedanke, dass es sich vielleicht um einen Sabotageakt handeln könnte. Spätere Auswertungen des Flugschreibers konnten dies ausschließen. „Natürlich haben wir uns im Vorfeld auch Gedanken über mögliche Bedrohungen gemacht”, sagt er. „Litauen steht durch seine direkte Grenze zu Russland und Belarus besonders im Fokus.” Regelmäßig erfährt er aus den Medien von Sabotage- und Spionagevorfällen in Litauen. Im September 2024 wurde ein litauischer Anwalt zu neun Jahren Haft wegen Spionage verurteilt. Anfang November kam es zur Festnahme von Verdächtigen, die im Zusammenhang mit den Paketbrandsätzen stehen sollen.
Angst hat der Stabsfeldwebel aus Niedersachsen aber nicht: „Natürlich kann jederzeit etwas passieren, aber das kann es theoretisch auch in Deutschland – und wir werden hier sehr gut vorbereitet.” Erkner und seine Kameradinnen und Kameraden haben Einweisungen und Tipps für ihre Sicherheit bekommen. Litauen ist ein hoch digitalisiertes Land. Neben dem dienstlichen Umgang mit vertraulichen Informationen werden sie deshalb auch darin geschult, wie sie sich privat schützen können. Dazu gehört auch der bewusste Umgang mit dem Smartphone.
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Verantwortlich für die Sicherheit: Neben dem militärischen Nachrichtenwesen und der Beratung des Kommandeurs berät Major Christian Friedmann (l.) mit der G2-Abteilung die Soldatinnen und Soldaten im sicheren Umgang mit Smartphones und Social Media.
Bundeswehr/Jörg Hüttenhölscher
Sichere Kommunikation: Es gibt drei verschiedene Verschlüsselungsmethoden, um Daten vor Spionage zu schützen. Die sicherste ist, den Schlüssel im Vorfeld auszutauschen – beispielsweise durch gegenseitiges Abfotografieren eines QR-Codes.
Bundeswehr/Jörg HüttenhölscherSicherheit durch Selbstreflexion
Erkner fährt vorbei an Wohnhäusern. Immer wieder sieht man wehende litauische und ukrainische Flaggen. Über eine Brücke kreuzt er die Neris, den zweitgrößten Fluss Litauens. Kurz dahinter ist derzeit der Aufstellungsstab der Bundeswehr stationiert. Überall sind Schranken und Schleusen, die nur mit Zugangskarte geöffnet werden können – selbst für den Fahrstuhl braucht man eine Karte. In der siebten Etage sitzen zwei bewaffnete litauische Soldaten. Sie kontrollieren, wer Zugang zu den Kameradinnen und Kameraden aus Deutschland erhält. Für die Sicherheit der Bundeswehrkräfte ist Major Christian Friedmann* aus der G2-Abteilung zuständig.
„Wir kümmern uns um alles, was die Sicherheit der Truppe betrifft”, erklärt Friedmann, Dezernatsleiter Nachrichtenlage. Alle Truppenteile sollen ihren Auftrag trotz der möglichen Bedrohung durch Spionage, Sabotage, Subversion, Terrorismus oder organisierte Kriminalität erfüllen können. „Um die Soldatinnen und Soldaten zu sensibilisieren, bitten wir sie als Allererstes, eine persönliche Risikoanalyse zu machen”, so der 38-Jährige. Die Analyse beinhaltet Fragen wie: Wie schütze ich mich und mein Umfeld? Wer braucht besonderen Schutz? „Wir wollen, dass sich jeder ehrlich einschätzt, wie gefährdet er ist und welche Informationen er hat, die für andere von Interesse sein könnten”, sagt Friedmann.
Für ausländische Nachrichtendienste sind zum Beispiel Verschlusssachen, die Einblicke in den Aufstellungsstab liefern, besonders interessant. „Außerdem sollte man reflektieren, welche Angriffsfläche man bietet, also welches mögliche Kompromat”, so der Major. Der Begriff stammt vom früheren sowjetischen Geheimdienst KGB. Schulden, eine Affäre, Unzufriedenheit im Job – was ist geeignet, um eine Person zu erpressen, ein Amtsgeheimnis preiszugeben oder die eigenen Kräfte zu sabotieren? Hier setzen die Sicherheitsvorschriften und Sensibilisierungstipps der G2-Abteilung an. „Natürlich sind das Aspekte, die auch in Deutschland beachtet werden sollten, denn auch da kam es bereits zu Vorfällen”, so Friedmann. „In Litauen zeigt sich, was im Inland gepredigt wird.”
Gefahrenquelle Smartphone
Stabsfeldwebel Erkner hat einen Termin mit Major Friedmann. Er geht den Gang entlang, vorbei an Bürotüren und einer Druckerstation. Im Besprechungsraum wartet Friedmann bereits auf ihn. Erkner hat sich ein neues Smartphone gekauft und braucht nun Unterstützung bei der Verschlüsselung. Das ist wichtig, denn vieles läuft in Litauen nur noch übers Smartphone – sei es beim Bezahlen im Geschäft, beim Parken per App oder beim Mieten eines Fahrrads. Auch als Übersetzungshilfe ist das Smartphone Gold wert, zum Beispiel für die Kommunikation mit dem Vermieter oder diversen Dienstleistern.
So hilfreich das Smartphone ist, es ist auch immer ein Einfallstor für Spionage. „Heutzutage sind fast alle Menschen gläsern”, erklärt Friedmann. „Mit einigen wenigen Tricks kann man seinen Schutz aber maßgeblich erhöhen.” Einer der Tricks: ein neues Handy mit litauischer SIM-Karte kaufen. Jedes Smartphone hat eine International Mobile Station Equipment Identity (IMEIInternational Mobile Station Equipment Identity), das ist eine eindeutig zuordenbare 15-stellige Seriennummer. Wenn diese bereits in Deutschland im Mobilfunknetz aufgetaucht ist und dann in Litauen, wird man schnell als Deutscher identifiziert. Sollte diese Nummer zusätzlich auf dem Truppenübungsplatz Pabradė oder Gaižiūnai getrackt werden, ist es klar, dass es sich um einen deutschen Soldaten handeln muss, und man kann in den Fokus eines Spions rücken.
Mit einer litauischen SIM-Karte und bestenfalls einem günstigen neuen Telefon, dem sogenannten Burner Phone, schützt man sich davor. „Wir beraten die Soldatinnen und Soldaten, was sie tun können. Die Entscheidung, was sie davon umsetzen, liegt im privaten Bereich bei ihnen selbst”, so Friedmann. Zusätzlich ist es wichtig, ein virtuelles privates Netzwerk (VPNVirtual Private Network) zu nutzen, um seine Daten zu schützen. „Bei einer unverschlüsselten Kommunikation kann jeder, der zwischen Absender und Empfänger in einem Funkmast ist, leicht mithören”, sagt der Major. Eine Methode, um Daten zu schützen: einen Schlüssel mit Beginn der Kommunikation austauschen. Hierbei hat nur derjenige die Möglichkeit, auf die Informationen zuzugreifen, der auch im Besitz des passenden Schlüssels ist. Dieser kann zwar unter Umständen auch abgegriffen werden, aber nur einmal – ganz am Anfang beim Austausch. Das reduziert das Risiko eines Mithörers oder Mitlesers bereits erheblich. Bei einer weiteren Verschlüsselungsmethode wird der Schlüssel im Vorfeld ausgetauscht.
Eine Messenger-App, bei der dies möglich ist, ist beispielsweise Threema. Erkner ist genau hierfür heute bei Major Friedmann. Er zückt sein Smartphone und fotografiert einen vorher generierten QR-Code vom Display des Offiziers ab. „Danach fotografiere ich noch seinen Code und dann haben wir ausgetauschte Schlüssel”, erläutert Friedmann. „Das nutzen wir alle in der Abteilung G2 für die private Kommunikation über Chats – das ist der sicherste Weg.” Wichtig sei aber auch, die dienstliche Kommunikation von der privaten zu trennen.
Hört jemand mit?
Mittlerweile ist es mittags. Auf den Gängen im Aufstellungsstab herrscht reges Treiben. Viele der rund 150 deutschen Soldatinnen und Soldaten sind auf dem Weg zum Mittagessen. Erkner und seine Presseabteilung gehen in das Schnellrestaurant im Erdgeschoss. Auch hier ist alles digital: An fünf Terminals wird per Touchpad das Essen bestellt. Erkner wählt einen Salat, Sparerips mit Pommes und eine Cola. Die Preise für eine Mahlzeit belaufen sich auf knapp unter zehn Euro. Bezahlt wird direkt am Terminal – mit dem Smartphone. „Bevor ich in Litauen war, habe ich nie mit dem Smartphone bezahlt”, sagt Erkner. „Aber es ist einfach und schnell.”
Der Stabsfeldwebel achtet darauf, dass die Bezahlfunktion NFC nur aktiv ist, wenn er sie braucht. „Wenn ich mit dem Smartphone bezahle, schalte ich die Funktion ein und danach direkt wieder aus.” Die Umstellung aufs mobile Bezahlen ist in Litauen zwingend: Nicht nur in Restaurants und Bars, auch in vielen Geschäften sowie beim Busfahren gibt es gar nicht mehr die Möglichkeit, in bar zu zahlen. Das Schnellrestaurant ist im Übrigen ein öffentlicher Ort. Man weiß nie, wer am Nebentisch sitzt. Deshalb gilt für Erkner und sein Team: Über dienstliche Themen zu reden, ist ein unnötiges Risiko.
„Alles, was unsere Arbeit betrifft und sogar eingestuft sein könnte, hat nichts in der Öffentlichkeit zu suchen”, sagt der Stabsfeldwebel. Auch Debatten und Meinungsverschiedenheiten gehören hier nicht hin: „Nach außen sollten wir uns immer als eine Einheit präsentieren.” Nach dem Essen geht es in die Stadt. Erkner soll für einen Onlineartikel seiner Abteilung Sehenswürdigkeiten von Vilnius fotografieren. Auf dem Weg zum Kathedralenplatz fallen die vielen Sicherheitskameras in der Stadt auf. Am Anfang sei es etwas befremdlich gewesen, überall gefilmt zu werden. Mittlerweile interessiere es ihn nicht mehr. „Das ist ähnlich wie bei meiner Verwendung in Sizilien. Da haben wir in der Nähe des Vulkans Ätna gewohnt. Anfangs waren wir noch ängstlich, wenn die Erde bebte und der Vulkan ausbrach. Irgendwann war es nichts Besonderes mehr. „Man gewöhnt sich an alles”, erzählt Erkner.
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Das Restaurant ist öffentlich zugänglich. Man sollte sich bewusst sein, dass jemand zuhören könnte. Es ist wichtig, sich genau zu überlegen, worüber man spricht.
Am Ende ist es auch eine Frage der Perspektive: Die vielen Kameras in der Innenstadt sind ein Eingriff in die Privatsphäre, aber sie bieten auch einen gewissen Schutz. Als Soldat fällt Erkner in der Stadt auf und wird auch ab und zu freundlich angesprochen. Er fühlt sich in Litauen sehr willkommen. „Als Informationsarbeiter weiß ich natürlich, was ich über meine Arbeit sagen darf und was nicht.” Informationen, die von der Bundeswehr selbst aktiv an die Medien gegeben werden, kann man jederzeit preisgeben. Diese Informationen sind öffentlich, zum Beispiel die künftige Größe der Brigade Litauen mit rund 5.000 Soldatinnen und Soldaten. Oder wie viele deutsche Kräfte bereits vor Ort sind. „Informationen, die tiefer in die Materie gehen, Interna, Namen oder Dienstgrade, lasse ich komplett weg”, so Erkner.
Verschwiegenheit auch im Privaten
Nach knapp einer Stunde sind alle Fotos im Kasten und es geht zurück ins Büro zur Nachbereitung. Um 15 Uhr hat Erkner heute Dienstschluss. Mit seinem Auto fährt er zur AISV, der American International School of Vilnius. Hier gehen seine beiden Töchter zur Schule, die Erkner heute abholt. Die Einrichtung ist sehr modern: Die Schülerinnen und Schüler nutzen Tablets und für die Eltern läuft alles über eine App – von der Kommunikation mit der Schulleitung bis zur Krankmeldung der Kinder. Da ist Deutschland noch weit hinterher.
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Wir haben die Chance, ein anderes Land intensiv kennenzulernen und unseren Blickwinkel zu erweitern.
Auch bei der Schulwahl der Kinder war das Thema Sicherheit für Erkner und seine Frau wichtig. In die AISV gehen auch einige Diplomatenkinder und Kinder deutscher Partnernationen. Für deren Sicherheit sorgen neben Schranken, Kameras und einer Wache am Eingang auch ein Sicherheitsdienst. Am Abend sitzen Erkner und seine Familie oft zusammen und sprechen über den Tag. „Wir sehen es als Privileg und Chance, andere Länder kennenzulernen”, sagt Ehefrau Steffi. „Die Kinder haben dadurch die Möglichkeit, weltoffen aufzuwachsen und ihre Sprachfähigkeiten zu verbessern.”
Für den Stabsfeldwebel gilt auch zu Hause, dass man nicht alles erzählen muss, was auf der Arbeit passiert. „Abgesehen davon, dass eingestufte Informationen zu Hause sowieso nichts zu suchen haben, dient es auch dem Schutz meiner Familie, dass ich nicht zu viel erzähle”, so der Stabsfeldwebel. Erkner schwärmt von Litauen: Kein Bundeswehrangehöriger müsse Angst haben, hierher zu kommen. Einiges laufe hier sogar besser,und die Menschen seien oft entspannter. Für die eigene Sicherheit und die der Bundeswehr sei es natürlich wichtig, sensibilisiert zu sein und achtsam mit Informationen umzugehen. Aber das sollten alle Bundeswehrangehörigen auch in Deutschland.
*Alle Namen zum Schutz der Soldaten und ihrer Angehörigen geändert.