Spezialisten bei den Grenadieren

Scharfschütze bei den Grenadieren: „Der Scharfschütze ist das Skalpell des Gefechtes“

Scharfschütze bei den Grenadieren: „Der Scharfschütze ist das Skalpell des Gefechtes“

Datum:
Ort:
Marienberg
Lesedauer:
3 MIN

Scharfschützen müssen treffsicher schießen können. Doch ein guter Scharfschütze muss noch viel mehr mitbringen: körperliche Leistungsfähigkeit, Geduld, Beobachtungsgabe. Ein Einblick in Ausbildung, Anforderungen und Auftrag der Scharfschützen in der Panzergrenadiertruppe.

Ein Scharfschütze liegt gut getarnt am Waldboden

Nahezu unsichtbar: Mitunter stundenlang verharren Scharfschützen in ihrer Feuerposition, bevor sie einen Schuss abgeben können

Bundeswehr/Jana Neumann

Ein Waldstück in der Oberlausitz. Herbstlaub, Moos und Zweige auf dem Waldboden erwecken den Anschein unberührter Natur. Doch plötzlich löst sich etwas aus dem Grün heraus. Die unberührte Natur entpuppt sich als zwei Soldaten. Sie sind Scharfschützen des Panzergrenadierbataillons 371 aus Marienberg. Beide tragen Ghillie-Suits: Tarnanzüge, die sie mit ihrer Umgebung verschmelzen lassen und die die Soldaten bei jedem Auftrag neu an das jeweilige Gelände anpassen, in dem sie sich bewegen, im Zweifel mehrmals am Tag.

Die Kunst des Scharfschützen liegt in der unentdeckten Annäherung. Ein Schütze, der nicht zur Schussabgabe kommt, ist militärisch ohne Wert“, sagt Hauptfeldwebel Jan B.* Selbst Scharfschütze, führt er einen der drei Scharfschützentrupps des Bataillons und bildet sie auch seit mehr als zehn Jahren aus. Entsprechend hoch ist der Stellenwert, den die Annäherung an die Feuerposition in der Ausbildung und bei Übungen einnimmt, sowohl im Bataillon in Marienberg als auch an der Infanterieschule in Hammelburg. Dort durchlaufen alle Scharfschützen des Heeres ihren abschließenden Verwendungslehrgang. Die Vorausbildung findet am Heimatstandort statt.

Bei der Abschlussprüfung müssen sich die Soldaten unerkannt innerhalb einer bestimmten Zeit einem Zielobjekt nähern, einen Schuss abgeben – und danach auch wieder möglichst unerkannt ausweichen, alles unter ständiger Beobachtung der Prüfer. „Man darf Fehler machen, gerade am Anfang. Aber wer mehrfach aufgeklärt wird, fällt durch“, stellt B. fest. 

Zwei Soldaten knien am Waldboden und bearbeiten ihre Tarnkleidung

Für jedes Gelände: Jeder Scharfschütze verfügt über einen Ghillie-Suit, den er – je nach Auftrag – mehrmals am Tag an die Umgebung anpasst

Bundeswehr/Jana Neumann
Ein getarnter Scharfschütze mit Gewehr G22 im Anschlag in Nahaufnahme

Geduldsprobe: Einmal in Feuerposition, können bis zur Schussabgabe mehrere Stunden vergehen

Bundeswehr/Jana Neumann

Geduld, Beobachtungsgabe – und Zeichentalent 

Wer Scharfschütze werden möchte, muss gut schießen können – am Ende der Ausbildung treffgenau auf 1.000 Meter Entfernung. Doch gute Schießfertigkeiten sind nicht die wichtigste Voraussetzung, um die Ausbildung erfolgreich abzuschließen. Scharfschützen müssen viel Geduld und Gelassenheit bringen, so der Hauptfeldwebel: „Eine Annäherung kann acht, zehn oder mehr Stunden dauern, dazu kommt die Wartezeit bis zur Schussabgabe.“

Außerdem müssen sie genau beobachten können: Was ist natürliche Vegetation? Wo könnte sich ein feindlicher Schütze verbergen, wo eine Sprengfalle abgetarnt sein? Wie weit ist das Ziel entfernt? Welchen Einfluss haben Sonne, Wind und Luftdruck? „Das alles muss ein Scharfschütze erkennen und einschätzen können.“ Ebenso wichtig sei die Fähigkeit, sich als Teil eines Teams zu bewegen. Denn Scharfschützen sind immer zu zweit unterwegs. „In feindlichem Gebiet kommt John Rambo nicht weit“, ist der Hauptfeldwebel überzeugt.

Passen Sie jetzt Ihre Datenschutzeinstellungen an, um dieses Video zu sehen

Der Scharfschützentrupp arbeitet als Zweierteam und ist oft auf sich allein gestellt. Hier sind selbstständiges Arbeiten und Mitdenken gefragt. Zu körperlicher Fitness gehört auch eine geistige Einstellung, um die Aufgaben bewältigen zu können.

Ebenfalls Teil der Ausbildung ist das detaillierte Zeichnen von Geländeskizzen. Hierbei werden auf einer Entfernung von 100 bis 1.000 Metern zehn Gegenstände versteckt, die aufgeklärt und präzise in eine selbst anzufertigende Geländeskizze eingetragen werden müssen. „Die Skizze muss dem Schützen und seinem Spotter, der das Ziel zuweist, als alleinige Arbeitsgrundlage dienen können“, erklärt Oberstabsgefreiter Daniel K.*

Der junge Soldat hat das Auswahlverfahren direkt nach der Spezialgrundausbildung bestanden und ist bereits seit vier Jahren Scharfschütze in Marienberg. K. sagt: „Wir deutschen Scharfschützen werden so ausgebildet, dass wir immer ein Back-up haben. Wenn die Elektronik ausfällt, greifen wir auf die Basics zurück.“ Das bedeute, Karte und Kompass statt GPSGlobal Positioning System, Bleistift und Papier statt Kamera: „Wir müssen immer arbeitsfähig bleiben.“ 

Überwachungsaufgaben und Einzelaufträge 

Im Gefecht werden Scharfschützen direkt von den Kompaniechefs geführt. Sobald sie ihren Auftrag erhalten haben, bewegen sich die Soldaten autark in ihrem Einsatzgebiet. Bis zu 72 Stunden sind sie dabei von ihrer Einheit getrennt unterwegs – mit bis zu 45 Kilogramm Gepäck. Neben Gewehr, Handgranaten und Munition und Funkgeräten müssen die Scharfschützen auch Wasser und Nahrung mitnehmen, und zwar geräuschlos und getarnt. Denn wer aufgeklärt wird, wird selbst zum Ziel.

Spotter und Scharfschütze mit dem Gewehr G22 liegen getarnt im Gelände.

Teamarbeit: Schütze und Spotter erfüllen ihren Auftrag immer gemeinsam

Bundeswehr/Jana Neumann

Anders als in der Jäger- oder Fallschirmjägertruppe übernehmen die Scharfschützen der Grenadiere im Schwerpunkt Überwachungsaufgaben, indem sie beispielsweise feindliche Pionierkräfte daran hindern, Panzersperren zu sprengen. Aber auch gegnerische Scharfschützen und militärische Führer der Feindkräfte schalten sie aus.

Der Hauptfeldwebel erklärt: „Das muss kein hochrangiger Offizier sein.“ Ein gezielter Schuss auf den Gruppenführer sorge erst mal für Verwirrung. Dann sei es nicht mehr nötig, alle zu bekämpfen: „Der Scharfschütze kann mit sehr geringem Personaleinsatz extrem weit extrem effizient Feindkräfte bekämpfen. Er ist das Skalpell des Gefechts.“

*Namen zum Schutz der Soldaten abgekürzt.

von Simona Boyer