Zwischen Idylle und Lebensgefahr: Warum Übungsplätze nicht betreten werden dürfen
Zwischen Idylle und Lebensgefahr: Warum Übungsplätze nicht betreten werden dürfen
- Datum:
- Ort:
- Berlin
- Lesedauer:
- 5 MIN
Unberührte Natur, leckere Pilze, scheue Wolfsrudel: Übungsplätze der Bundeswehr locken mit Erlebnissen, die selten geworden sind in Deutschland. Der Reiz, einen Ausflug in die militärischen Sperrgebiete zu wagen, ist hoch. Doch das Betreten der Übungsplätze ist Unbefugten aus guten Gründen streng verboten. Zwei Soldaten erklären, warum das so ist.
131 Bundeswehrstandorte mit einem zugehörigen Standortübungsplatz gibt es in Deutschland. Außerdem stehen den Soldatinnen und Soldaten 17 Truppenübungsplätze zur Verfügung, um den Kampf im scharfen Schuss zu üben. Nicht nur Handwaffen wie das Sturmgewehr G36 oder das Maschinengewehr MG3 werden eingesetzt. Waffensysteme wie der Kampfpanzer Leopard, der Schützenpanzer Marder oder die Panzerhaubitze 2000 bewegen sich mit hoher Geschwindigkeit durch Wald und Heide. Oftmals auch mit Unterstützung aus der Luft: Kampfhubschrauber Tiger oder Transporthubschrauber CH-53 bekämpfen Bodenziele oder setzen Bodentruppen für den Kampf ab.
Viel Betrieb auf den Übungsplätzen
„Der Bedarf der Truppe ist so hoch wie lange nicht“, sagt Hauptmann Tom P.*, der für die Schießsicherheit auf den Truppenübungsplätzen in Ostdeutschland zuständig ist. Das liege zum einen am Nachholbedarf nach der COVID-Pandemie, so der Hauptmann. Aber auch die Refokussierung auf die Landes- und Bündnisverteidigung seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine spiele eine große Rolle. „Die Truppe will ihre Verteidigungsbereitschaft erhöhen. Und das heißt: üben, üben, üben“, so P.
Allein auf den 17 Truppenübungsplätzen steht der Truppe mit insgesamt rund 1.800 Quadratkilometern eine Fläche zur Verfügung, die etwa doppelt so groß ist wie das Land Berlin. Das sei grundsätzlich nicht schlecht, meint der Hauptmann. Gleichzeitig komme es aber vor allem in den Sommermonaten und pünktlich zur Pilzsaison immer wieder zu gefährlichen Situationen mit Zivilistinnen und Zivilisten, berichtet P. weiter. Manchmal müsse deswegen sogar der Übungsbetrieb unterbrochen werden.
Klare Regeln für den Zutritt
Dabei ist die Rechtslage eindeutig, wie an den Schildern zu erkennen ist, die entlang der Grenzen der Übungsplätze im Abstand von etwa 50 Metern und immer in Sichtweite zueinander aufgestellt sind. „Unbefugtes Betreten verboten“, steht auf jedem einzelnen dieser Schilder. Etwaige Ausnahmen sind vor Ort durch Aushänge klar beschrieben oder beruhen auf individuellen Nutzungsverträgen, die die Bundeswehr etwa mit Jagdpächtern oder Schäfern abschließt. Sie können sich in fest zugewiesenen Räumen auf den Übungsplätzen bewegen, müssen sich aber streng an die Sicherheitsanweisungen der Verantwortlichen halten.
Doch nicht jeder Bürgerin und jedem Bürger ist das bewusst, wie Hauptmann P. regelmäßig feststellen muss. Dabei sind die Betretungsverbote notwendig und einleuchtend, wenn man die Gefahren berücksichtigt, denen Spaziergänger und Jogger auf den Übungsplätzen der Bundeswehr ausgesetzt wären.
Spaziergänger im Schussfeld
Tauchen unerwartet Personen auf einer Schießbahn auf, besteht für sie akute Lebensgefahr. Entsprechend streng sind die Vorgaben an die übende Truppe. Auf das Kommando „Stopfen!“ wird das Schießen sofort eingestellt. Die Übung ist unterbrochen, bis die Personen aus der Gefahrenzone gebracht sind. Die Truppe kostet die Unterbrechung wertvolle Übungszeit – das unerwartete Auftauchen auf der Schießbahn im schlimmsten Fall Menschenleben.
Begegnungen mit 62 Tonnen Stahl
Auch ohne den scharfen Schuss kann eine Begegnung mit der übenden Truppe gefährlich sein. Denn solche Begegnungen kommen oft unerwartet. Getarnt und versteckt sind die Soldatinnen und Soldaten und ihre Waffensysteme schwer zu entdecken. Umgekehrt kann auch die Truppe unbefugte Personen leicht übersehen: „Das Sichtfeld in einem Panzer ist nicht das gleiche wie in einem handelsüblichen Auto“, sagt Hauptmann Tom P. Rollt ein 62 Tonnen schwerer Kampfpanzer Leopard 2 plötzlich aus einem Versteck im Wald in seine Feuerstellung, kann es für Personen oder Autos, die dort nicht hingehören, schon zu spät sein, sich aus der Gefahrenzone zu bringen.
Doch auch die vermeintlich sichere – aber dennoch verbotene – Tour auf den ausgebauten Straßen der Übungsplätze kann gefährlich sein. Ein Kampfpanzer könne trotz voller Fahrt fast augenblicklich stoppen, warnt der Hauptmann. „Bei Tempo 68 beträgt der Bremsweg eines Kampfpanzers Leopard gerade einmal zehn Meter, wenn der Fahrer voll auf die Eisen geht. Das schafft ein dahinter fahrendes ziviles Auto nicht.“
Explosive Gefahren im Boden
Hinzu kommt eine Gefahr, die unsichtbar im Boden lauert: Die Umweltschutzstandards der Bundeswehr sind zwar hoch. Das gilt auch für Munition oder Munitionsreste. Doch selbst wenn alle Überbleibsel von Munition nach einem Gefechtsschießen beseitigt werden, ist kein Übungsplatz frei von Altmunition: Auf vielen Übungsplätzen wird nämlich bereits seit 100 Jahren und mehr geschossen.
So auch der Standortübungsplatz Döberitzer Heide bei Berlin, der seit rund 350 Jahren militärisch genutzt wird. Stabsfeldwebel Oliver Z.* warnt: „Auch wenn ein Gebiet bis auf eine Tiefe von einem Meter von Munition geräumt wurde, sorgt die Bodenerosion dafür, dass Weltkriegsmunition und Munition der sowjetischen Besatzungstruppen immer wieder auftaucht.“ Ob die Truppe scharf geschossen oder mit Manövermunition geübt hat, ist dabei unerheblich: Auch Manövermunition und Darstellungsmittel wie Nebeltöpfe und Leuchtkörper beinhalteten explosive Stoffe. Das sei für arglose Spaziergänger nicht ungefährlich, warnt Stabsfeldwebel Z., der am Landeskommando Berlin für Standortangelegenheiten zuständig ist.
Es kann teuer werden
Um einen sicheren Übungsbetrieb zu gewährleisten, greifen die Verantwortlichen der Übungsplätze streng durch. Wer auf einem Übungsplatz unbefugt angetroffen wird, wird sofort des Feldes verwiesen. Auch kann es vorkommen, dass die Personen an Polizei oder Feldjäger, die Militärpolizei der Bundeswehr, übergeben werden. Und dann kann es teuer werden. „Wer erstmals ordnungswidrig einen Übungsplatz betritt, muss mit 50 Euro Ordnungsgeld rechnen. Im Wiederholungsfall stehen 250 Euro und schließlich 1.000 Euro zu Buche“, sagt Stabsfeldwebel Z. Auch könne ein Strafverfahren wegen Haus- oder Landfriedensbruch eingeleitet werden. Muss wegen eines solchen Vorfalls eine Übung unterbrochen werden, drohen weitere strafrechtliche Konsequenzen.
Dass es so weit kommt, sei nicht im Sinne der Truppe und des für den Übungsplatz zuständigen Standortältesten, so Stabsfeldwebel Oliver Z. Seinetwegen könne es gern bei den rund 400 Personen bleiben, die in den letzten vier Jahren beim Standortältesten für Berlin registriert und angezeigt werden mussten. Um die Zahl der Verstöße zu reduzieren, informieren die Standortältesten aller Übungsplätze in Deutschland halbjährlich die Öffentlichkeit über die geltenden Regeln. Örtliche Medien veröffentlichen die Informationen regelmäßig.
*Namen zum Schutz der Soldaten abgekürzt.