Invictus Games

PTBSPosttraumatische Belastungsstörung-Erkrankte auf Instagram: Raus aus der Tabu-Zone

PTBSPosttraumatische Belastungsstörung-Erkrankte auf Instagram: Raus aus der Tabu-Zone

Datum:
Ort:
Warendorf
Lesedauer:
6 MIN

Die Invictus Games in Den Haag rücken näher, die Aufmerksamkeit wird größer. Doch die Themen Einsatzversehrtheit, Rückkehr in den Dienst und Alltag sind nicht nur während eines Großereignisses relevant. Drei Athleten wollen über Social Media ein Bewusstsein dafür schaffen. Jeder hat dabei seine eigene Philosophie, aber alle haben das gleiche Ziel.

Drei Männer in Sportkleidung stehen zusammen und machen mit einem Selfie-Stick ein Foto

Bitte lächeln: Vocko, Alex und Carsten machen ein Selfie für ihre Instagram-Accounts. Dort treten sie öffentlich als Athleten für die Invictus Games auf und machen sich stark für die Sache.

Bundeswehr/Tom Twardy

Vocko*, Alexander Ulrich und Carsten Stephan treten für das Team Germany bei den Invictus Games 2022 in Den Haag an. Sie sind Soldaten und leisteten Dienst in mehreren Auslandseinsätzen. Irgendwann war das zu viel für ihre Psyche. Es handelt sich um eine Überlastung, also eine Einsatzverwundung, die jedoch niemand auf den ersten Blick sieht. Dabei ist eine solche Posttraumatische Belastungsstörung (PTBSPosttraumatische Belastungsstörung) ebenso gravierend wie eine schwere körperliche Verletzung oder Erkrankung – in einigen Fällen noch schlimmer, weil dauerhafter. Und der Kampf um die Anerkennung einer seelischen Erkrankung ist ein schwerer. Deswegen macht es sich das Trio zur Aufgabe, dieses häufig noch stigmatisierende Thema mehr ins Bewusstsein der Menschen zu rücken. Dazu nutzen sie die Invictus Games. Denn Vocko, Ulrich, Stephan und viele ihrer Kameradinnen und Kameraden haben sich zurück ins Leben gekämpft. Sie möchten anderen Mut machen und ihnen Hilfe bieten. Außerdem wollen sie all denjenigen Fragen beantworten, die noch nie Kontakt mit dem Thema hatten oder betroffen sind. Denn die wissen häufig nicht, wie es weitergehen kann. Die Plattform der drei dafür ist Instagram. Jeder von ihnen hat ein eigenes Profil und postet auf individuelle Art und Weise. Zu Beginn standen sie gemeinsam vor einer anderen Herausforderung: „Erstmal mussten wir verstehen, wie das überhaupt funktioniert. Was ist ein Post, ein Reel, eine Story? Wir haben uns viel ausgetauscht“, berichten sie mit einem Lachen. 

I am Vocko

I am Vocko“ heißt der Account des Hauptmanns. Er gibt sich in seinem Account offen als Athlet der Invictus Games zu erkennen, angelehnt an das hervorgehobene I am im Schriftzug der Invictus Games, und offenbart eine weitere Diagnose: Multiple Sklerose. Ein Blick auf seine Beiträge zeigt sofort, dass Vocko einen großen Teil seines Lebens dem Sport widmet – nicht nur als Vorbereitung für die Spiele in den Niederlanden. Im Kraftraum ist er zuhause. Dort kann er sich auf sich fokussieren, die Umwelt ausblenden. 

Vocko
Ich möchte als Vorbild vorangehen. Ich mache mich nackig und zeige: Mir ist das passiert, aber es geht weiter.

Sein Account hat aber auch einen klaren Militär- und Einsatzbezug. Jeden Montag postet er Fotos aus seinen Auslandseinsätzen und beschreibt seine Aufgaben zu der Zeit. „Ich habe mehr als 1.600 Einsatztage“, so Vocko. In die Gruppe Sporttherapie kam er wegen einer psychischen Einsatzschädigung. Mit dem Instagram-Account will er anderen Mut machen. „Ich möchte als Vorbild vorangehen. Ich mache mich nackig und zeige: Mir ist das passiert, aber es geht weiter.“ Er wolle deutlich machen, dass niemand damit alleine ist. „Es gibt auch andere Betroffene. Und Menschen, die euch helfen.“ Auch als Mann dürfe man dabei keine Scham empfinden. „Es ist normal, etwas mal nicht oder nicht mehr zu können.“ 

Anfangs habe er Instagram als ein Projekt gesehen. „Ich brauche immer ein Ziel. Ich wollte innerhalb eines Monats 1.000 Follower haben.“ Das Ziel hat er weiter übertroffen und mittlerweile folgen mehr als 3.000 Menschen seinem Profil. Content gibt es nahezu jeden Tag. Und dabei neben dem Montag, an dem es Rückblicke in die Einsätze gibt, jeden Morgen ein Reel mit der Kaffeemaschine. „Da begrüße ich alle und sage etwas übers Wetter“, erklärt Vocko mit einem Lächeln. Aber auch Trainingsvideos lädt er hoch und erklärt, was er macht. Mittlerweile ist er schon eine kleine Berühmtheit in militärischen Kreisen. „Im Trainingslager in Warendorf wurde ich schon erkannt und angesprochen. Das ist cool, aber auch ein bisschen weird. Für die Sache ist es geil“, sagt er erfreut. 

Im Dialog mit den Nutzern

Dass seine Mühen nicht umsonst sind, zeige sich auch dadurch, dass er immer mal wieder Nachfragen von Usern erhalte. „Damit habe ich dann schon etwas erreicht.“ Viele Nachfragen bekommt auch Ulrich. Der Stabsfeldwebel ist als „Alexander Ulrich Invictus Games“ auf Instagram unterwegs. Er ist stolz darauf, ein Repräsentant der Invictus Games sein zu dürfen und steht mit Gesicht und Namen dazu. Seine Diagnose steht in seinem öffentlichen Profil: PTBSPosttraumatische Belastungsstörung und Schädelbasistumor. Seine Disziplinen bei den Spielen 2022: Indoorrudern, Diskus werfen und Liegerad. Die Teilnahme an den Spielen sieht er als „eine Wertschätzung für uns, unseren Willen, unsere Disziplin und dafür, wie jeder Einzelne an sich gearbeitet hat“. 

Die Erfolge, die er und seine Kameraden durch die Sporttherapie erzielt haben, möchte er „medial nach außen tragen“. So will er zeigen, „dass Menschen in der Bundeswehr, die erkrankt sind oder Probleme haben, aber nicht wissen, was auf sie zukommt, verschiedene Möglichkeiten der Hilfe und Unterstützung haben“. Dazu gehören unter anderem die Sporttherapie, die Sportmedizin und die psychologische Betreuung. Auf Instagram teilt er Beiträge rund um die Spiele, zeigt den Weg dorthin und die Vorbereitung. Wie auch Vocko wolle er informieren, aufklären und ins Gespräch kommen. Zudem legt er einen Schwerpunkt auf das Thema Inklusion. „Menschen mit einer körperlichen Behinderung sind einfach anders“, sagt Ulrich, der an seinem Standort zur Schwerbehindertenvertretung gehört. 

Darüber zu reden, hilft

Seine Posts richten sich in erster Linie an Familie und Freunde. Die Hashtags seien mit Bedacht gewählt, um so den Adressatenkreis einzugrenzen. Sorge vor Anfeindungen und negativen Beiträgen habe er aber nicht. „Das kann immer passieren, dass jemand einen unangemessenen Kommentar schreibt. Aber das regelt sich in der Community von selbst, die anderen Follower halten dagegen.“

Negative Erfahrungen auf Instagram hat auch Carsten Stephan bisher nicht gemacht. Der Oberstleutnant ist auf der Plattform unter „Carsten Berthold Stephan“ zu finden. Sein erster Beitrag stammt aus dem April 2021: ein Bild zeigt eine Medaille der Invictus Games. Darunter schreibt Stephan: „Verknüpft mit vielen Höhen und Tiefen eines Jahres.“ Und auf den Weg zu den Spielen in Den Haag nimmt der Ruderer und Schwimmer seine Follower mit. Er teilt seine Laufstrecken, Impressionen vom Training, aus dem Schwimmbad und gelegentlich gibt er auch private Einblicke. „Es findet nicht alles auf dem Rudergerät statt, es geht auch mal um Entspannung.“ Wie seine Kameraden will auch er für das Thema Einsatzschädigung und Invictus Games sensibilisieren. Einen strikten Plan verfolge er in den sozialen Medien aber nicht. „Ich mache das nach Lust und Laune. Es ist auch davon abhängig, wie ich mich fühle. Manchmal ist es auch wochenlang still, weil es mir nicht gutgeht.“

Für alle drei ist die offene Kommunikation auch eine Art der Therapie. „Es ist gut, darüber zu reden, sich auszutauschen. Das hilft“, sind sie sich einig. Und sie hoffen, durch ihren Beitrag etwas dazu beitragen zu können, das gesamte Thema mehr in die Öffentlichkeit zu bringen und Verständnis auch für seelisch Verwundete zu fördern. Ihr Wunsch: „Wenn es Fragen gibt, dann einfach fragen, in den Dialog treten.“

In Den Haag werden alle ihre Handys dabeihaben. Welche Posts es gibt und welche Eindrücke sie mit der Community teilen werden, können sie noch nicht sagen und auch nichts versprechen. „Es werden viele Eindrücke auf uns einprasseln. Es wird bestimmt was kommen, aber was, das sehen wir dann.“ Bis zu den Spielen dürfen wir uns aber bestimmt noch auf einige Beiträge von ihnen freuen.


*Der Soldat möchte aus persönlichen Gründen nur beim Spitznamen genannt werden.

von Amina Vieth