ORION 23 – französische Großübung zählt auf deutsche Beteiligung
Bei Frankreichs größter teilstreitkraftübergreifender Militärübung seit über 30 Jahren probten französische und verbündete Streitkräfte die Abwehr eines feindlichen Großangriffes auf ein befreundetes Land. Auch die Deutsch-Französische Brigade war mit rund 1.200 Soldatinnen und Soldaten in Ostfrankreich dabei. Sie übernahm den Part des Angreifers.
Am 19. April wurde es ernst. Die vierte und letzte Phase der französischen Großübung ORION (Operation de grande envergure pour des armées résilientes, interopérables, orientées vers le combat de haute intensité et novatrices) 23 begann. Frankreichs Armee hatte dafür alle Teilstreitkräfte mobilisiert.
Zusammen mit Alliierten aus mehreren NATONorth Atlantic Treaty Organization-Staaten standen rund 12.000 Soldatinnen und Soldaten für ORION bereit. Dazu Tausende Fahrzeuge und hunderte Gefechtsfahrzeuge. Auch Dutzende Kampfflugzeuge, Drohnen und Hubschrauber sowie Einheiten der französischen Marine nahmen an dem Manöver teil. Es war das größte in Frankreich seit mehr als 30 Jahren.
Zuletzt hatten die Franzosen 1987 eine vergleichbare Zahl von Soldaten für eine freilaufende Übung mobilisiert. Geografischer Schwerpunkt der Übung: Die Region Grand-Est in Ostfrankreich und dort vor allem der Raum um Reims.
Szenar zur Übung probt Abwehr einer Invasion
Das Szenar von ORION 23 drehte sich um die Abwehr einer Invasion. Die Beteiligten: Arnland war früher mit Mercure und Botnia in einer Staatenunion konföderiert. Nach dem Auseinanderbrechen des Staatenbundes wurden die Länder unabhängig. Während das neutrale und blockfreie Arnland nach Westen strebt, will Mercure die alte Union wiederherstellen und unterstützt Separatisten in Arnland. Dieser Anteil von ORION 23 wurde seit Ende Februar mit Manövern in Südfrankreich abgebildet. Nach vergeblichen Verhandlungen marschierten Mercures Truppen dann im April in Arnland ein. Frankreich und seine NATONorth Atlantic Treaty Organization-Verbündeten stellten sich gemeinsam mit Arnlands Truppen der Aggression entgegen.
Die beteiligten Angehörigen der Deutsch-Französischen Brigade (DF-Brigade) stellten die „Kräfte Rot“ dar. Am 19. April begannen etwa 1.200 Soldatinnen und Soldaten, von der Gemeinde Chaumont aus nach Norden vorzurücken. Eine der beteiligten deutschen Einheiten war die 2. Kompanie des Jägerbataillons 292. Ihr Auftrag: Vormarsch nach Nordwesten und den Aisne-Kanal forcieren.
Bald nach Überschreiten der Ablauflinie lagen hinter Major Thomas Bschorr und seiner Kompanie aufreibende Tage in der Hochphase der Großübung. „Viel marschieren und aufklären, dazwischen immer wieder Gefechte mit gegnerischen Kräften“, fasst Bschorr zusammen. Bei den Ortschaften Mailly-le-Camp und Mourmelon lieferten sich die Gegner in den ersten Tagen der Konfrontation größere Gefechte.
Dabei schlugen sich die Soldatinnen und Soldaten von Bschorrs Kompanie gut. „Ganz ohne Übungskünstlichkeit ging es nicht. Das hatte vor allem mit den verfügbaren Kräften zu tun.“ Mit seiner Kompanie musste der Major nämlich je nach Lage mitunter ein Bataillon abbilden. Die bei ORION 23 als „Kräfte Rot“ eingesetzten Teile der Deutsch-Französischen Brigade spielten einmal sogar eine Division. „Als Angreifer hätten wir dem Feind zahlenmäßig überlegen sein müssen. Davon waren wir aber weit entfernt.“ Immerhin: Nach Gefechten und Scharmützeln durften die Opposing Forces ausgefallene eigene Kräfte „wiederbeleben“. Dieses Privileg hatten die Verteidiger nicht.
Hoch intensive Gefechte wechseln mit Alltagsstrapazen
Die Gefechtsarten Angriff und Verzögerung waren wichtige, aber nicht die einzigen Herausforderungen, auf die sich die Übungstruppe auf beiden Seiten einstellen musste. „Hoch intensive Gefechte mit gepanzerten Einheiten, Infanterie und allen Aspekten der modernen Aufklärungsmittel spielten eine wichtige Rolle. Ebenso taktische Luftnahunterstützung.“
Daneben seien aber auch vermeintlich selbstverständliche Routinejobs zu erledigen gewesen. „Märsche über viele Kilometer durch feindbesetztes Gebiet sind so eine Sache. Da ist Aufklärung wichtig, weil man sonst plötzlich im Hinterhalt aufwacht.“ Auf häufig frequentierten Truppenübungsplätzen seien die Einheitsführer meist mit dem Gelände vertraut. „Die kennen die besten Spots auf dem Platz. Aber dieser Vorteil entfällt bei einer freilaufenden Übung im Nachbarland.“ Dort durften zur Orientierung erst einmal Karten zusammengeklebt werden.
Außerdem habe permanent die Logistik berücksichtigt werden müssen. Sprit und Verpflegung, Munition und Ersatzteile waren nachzuführen. Auch die Frage der Unterkunft wirkte sich aus, weil es keine festen Truppenlager gab. „Wo ziehen wir unter? Haben die Männer und Frauen heute Abend eine Dusche oder nicht? Solche Fragen mussten wir neben den taktischen Aufträgen auch klären.“
Der Spieß der 2. Kompanie sei all die Tage der Truppe voraus gewesen, um Quartiere zu finden. „Und er war sehr erfolgreich dabei“, sagt Bschorr. Zum Glück seien sowohl die französischen Gemeindevertreter als auch die Bevölkerung gastfreundlich gegenüber den Deutschen aufgetreten. Turnhallen oder andere kommunale Einrichtungen wurden unbürokratisch aufgeschlossen. „Ich war positiv überrascht über die Freundlichkeit“, so Bschorr.
Schulterschluss mit französischen Kameraden
Nach zehn Tagen hatten die Angreifer am 28. April mit dem Forcieren des Aisne-Kanals bei Villeneuve-sur-Aisne beinahe ihren weitesten Vorstoß erreicht. Hier richteten sie einen Brückenkopf ein und rückten noch einige Kilometer weiter nördlich bis zur Ortschaft Sissonne vor. Dann war „Blau“ am Drücker und die „Kräfte Rot“ gingen zur Verteidigung über. So wollte es das Szenar. „Nach den Kämpfen bei Sissonne mussten wir nach Süden ausweichen, während der Gegner nachstieß“, erläutert Bschorr später.
Art und Umfang der Übung lobt der Kompaniechef im Nachhinein. „Unsere Soldatinnen und Soldaten haben neben fordernden taktischen Aufträgen auch ganz alltägliche Strapazen erlebt. Ständig unterwegs, wenig Schlaf und dennoch höchste Aufmerksamkeit. Das gehört zum Soldatenleben dazu“, sagt Bschorr. Selten sei es möglich, dies so realitätsnah und komprimiert abzubilden.
Auch die Zusammenarbeit mit den französischen Kameraden der DF-Brigade habe gut geklappt. „Beim Angriff auf Mailly hatten wir zum Beispiel Flankensicherung durch die Radspähpanzer AMX-10 RC der 3. Husaren und haben dann den Schulterschluss mit der 2. Kompanie des Infanterieregimentes 1 gesucht.“ Deutsche und Franzosen hätten ihre Gefechtsaufträge zwar nicht „in gemischten Einheiten“ wahrgenommen, so Bschorr. „Aber die binationale Kooperation hat gut funktioniert. Und das ist ein gutes Gefühl.“
Interview
Oberst Philipp Leyde ist seit Juli 2021 stellvertretender Kommandeur der Deutsch-Französischen Brigade.
7 Fragen an Oberst Philipp Leyde
Welchen Stellenwert hatte ORION 23 für die Deutsch-Französische Brigade?
Einen sehr hohen! ORION 23 ist eine der wenigen Volltruppenübungen in diesem Jahr und noch dazu eine freilaufende Übung. 150 Kilometer Vormarsch auf 40 Kilometer Breite, später wieder zurück. Viele der jüngeren Brigade-Angehörigen hatten so etwas zuvor noch nie erlebt.
Wie genau lautete der Auftrag?
Die Brigade hat mit etwa 1.200 Soldatinnen und Soldaten die Übungskräfte Rot dargestellt. Unser Auftrag war es, die Hauptkräfte Blau der Franzosen zu beüben. Und zwar, indem wir sie als Gegner im hochintensiven Gefecht vor taktische Herausforderungen stellen.
Fragen und Antworten
ORION 23 war die größte französische Volltruppenübung seit über 30 Jahren. Mehr als ein halbes Dutzend Nationen nahm daran teil, geübt wurde in sämtlichen Dimensionen. Der rote Faden der Übung orientiert sich an aktuellen Krisenszenarien und fokussiert auf die Abwehr einer großangelegten Invasion. Die wichtigsten Fakten zu ORION 23 im Überblick.
ORION 23 ist eine teilstreitkraftübergreifende Großübung der französischen Streitkräfte, an der auch Angehörige verbündeter Armeen teilgenommen haben. Neben Briten, Niederländern, Belgiern, Spaniern und USUnited States-Amerikanern waren auch deutsche Soldatinnen und Soldaten beteiligt, und zwar Angehörige der Deutsch-Französischen Brigade (DF-Brigade).
Als Aufklärungseinheit nahmen Teile der 4./ Jägerbataillon 291 aus Illkirch an ORION 23 teil. Zudem waren Jäger der 2./Jägerbataillon 292 aus Donaueschingen sowie Kampfunterstützer der Panzerpionierkompanie 550 aus Stetten am kalten Markt in Frankreich dabei.
Die Planungsphase erstreckte sich von Mai 2022 bis Februar 2023. Die erste Phase der Übung mit realer Übungstruppe begann Ende Februar in Südfrankreich und zog sich bis in den März hin. Daran schloss sich eine Zeit simulierter politischer Aktivitäten an. Die vierte und letzte Phase startete am 19. April und endete zum 5. Mai. Schauplatz war die Region Grand-Est im Osten Frankreichs, zu der das Elsass, Lothringen und die Champagne gehören.
ORION 23 ist die größte Übung in Frankreich seit Ende der 80er-Jahre. In der Spitze nehmen 12.000 Angehörige verschiedener Nationen teil. Hinzu kommen Tausende Fahrzeuge und sonstiges militärisches Großgerät bis hin zu Kampfflugzeugen, Drohnen und Kriegsschiffen.
ORION ist ein Akronym und steht für „Operation de grande envergure pour des armées résilientes, interopérables, orientées vers le haute intensité et novatrices“. Das lässt sich in etwa mit „Groß angelegte Operation für widerstandsfähige, interoperable, auf den Kampf mit hoher Intensität ausgerichtete und innovative Armeen“ übersetzen.
Bei ORION 23 geht es im Kern um Bündnisverteidigung und zwar in allen Dimensionen. Im Szenar versucht der aggressive Staat Marcure sein blockfreies Nachbarland Arnland zu überrennen. Zunächst gibt es ein Destabilisierungsphase durch die Unterstützung einheimischer Separatisten. Deren Aufstand kann durch eine von Framland geführte multinationale Eingreiftruppe unterdrückt werden. Anschließend greift Mercure das geschwächte Arnland mit regulären Einheiten an. Die Verbündeten unterstützen Arnland bei der Abwehr der Invasion.
Die Deutschen stellten in der finalen Phase von ORION ab Mitte April die Angreifer dar. Gemeinsam mit französischen Kameraden von der DF-Brigade rückten sie aus dem Osten zunächst Richtung Westen vor, bevor sie von den Koalitionstruppen wieder zurückgeworfen wurden.
Impressionen
Groß angelegte freilaufende Übungen sind seit Jahrzehnten in Europa eher die Ausnahme. Dabei schult die Bewegung der Truppe im öffentlichen Raum eine Menge Fähigkeiten, die auf dem Truppenübungsplatz eher weniger zum Tragen kommen. Außerdem vermittelt so eine Übung deutlich engere Kontakte zur Zivilbevölkerung.