NRFNATO Response Force-Logistik: Auf der Schiene in den Einsatz, doch der Auftrag beginnt erst vor Ort

NRFNATO Response Force-Logistik: Auf der Schiene in den Einsatz, doch der Auftrag beginnt erst vor Ort

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Truppen- und Materialtransporte auf der Schiene werden wieder wichtiger – für die Landes- und Bündnisverteidigung und vor allem in einem möglichen Einsatz der NATO Response Force (NRFNATO Response Force), der schnellen Eingreiftruppe des Bündnisses. Das Ergebnis: Bei den Logistikspezialisten in der Streitkräftebasis sind Bahnverladungsübungen wieder Pflichtprogramm.

Ein Lkw der Bundeswehr fährt auf einen Bahnwaggon auf. Soldat im Vordergrund weist ein.

Auf der Schiene in den Einsatz – ressourcenschonender als der Landmarsch: Das Logistikbataillon 171 übt die Bahnverladung als Unterstützungsverband der NATO Response Force 2022 bis 2024

Bundeswehr/Tom Twardy

Eine Gleisanlage zwischen Ackerflächen unweit von Trauen/Munster, Niedersachsen: Seit dem frühen Morgen ist die 2. Kompanie des Logistikbataillons 171 vor Ort. Ihre Aufgabe heute: Nach drei Wochen Übung werden die Fahrzeuge der Kompanie – überwiegend Lkw und das Wechselladerfahrzeug MULTIMechanisierte Umschlag-Lagerung-Transport-Integration (Mechanisierte Umschlag-Lagerung-Transport-Integration) mit Wechselladepritschen, aber auch Führungs- und Funktionsfahrzeuge – verladen. Ziel ist die Heimatkaserne des Bataillons in Burg, Sachsen-Anhalt. Am Vortag hat bereits die 5. Kompanie des Bataillons ihren Fuhrpark auf die Reise nach Hause geschickt und am Nachmittag steht die Bahnverladung für die 1. Kompanie an.

Zwei Stunden für 20 Fahrzeuge

Der Ablauf ist Routine. Als erstes werden die Fahrzeuge abgerüstet. Das bedeutet, alles Gerät, das beispielsweise außen befestigt ist, aber leicht zu entfernen wäre, wenn der Zug einmal irgendwo zum Stehen kommt, wird abgenommen und sicher verstaut. Im Anschluss fahren die Kraftfahrer ihr Fahrzeug auf den ihnen zugewiesenen Waggon. Zuletzt wird gesichert, bei neueren Tiefbettwaggons über eingebettete Keile, bei älteren Flachbettwagen, indem Bohlen mit Nägeln eingeschlagen werden. Für mögliche Unfälle stehen immer ein Sanitäter und ein Bergekran bereit.

„Funkgeräte und anderes sicherheitsempfindliches Material dürfen nicht im Fahrzeug bleiben. Auch die persönliche Ausrüstung muss raus. Zuletzt wird das Fahrerhaus möglichst einbruchssicher gemacht“, erklärt Hauptbootsmann Daniel Paschke. Der Nachschubstaffelfeldwebel, der außerdem Soldaten als Kraftfahrer ausbildet, unterstützt heute den Verladeoffizier und sorgt unter anderem dafür, dass alle Fahrzeuge mit Ketten und Keilen ausgestattet sind.

Soldatin mit Helm und Warnweste weist Lkw zum Auffahren auf den Waggon ein

Nicht ohne meinen Einweiser: Es werden keine Streichhölzer gezogen, wer bis nach vorn durchfahren muss

Bundeswehr/Tom Twardy
Soldat mit Helm und Warnweste steht neben Waggon und weist Lkw per Handzeichen ein

Alles im Blick: Auch wenn es eng wird, passiert ist nichts. Ein Bergekran und ein Sanitäter stehen jedoch für den Notfall immer bereit.

Bundeswehr/Tom Twardy

Mit einem Zeitansatz von zwei bis drei Stunden rechnet Paschke an diesem Vormittag, bis die wartenden 20 Fahrzeuge seiner Kompanie auf den Waggons sind. „Das klingt erst einmal zeitaufwendig. Aber wenn das Material erst einmal verladen ist, kann es 1.000 oder 3.000 Kilometer weit transportiert werden – das macht kaum einen Unterschied. 3.000 Kilometer auf der eigenen Achse dagegen sind ganz schön anstrengend für die Soldaten und eine hohe Belastung für die Fahrzeuge.“

„Jeder Kraftfahrer muss Bahnverladung können“

Nachdem ein Mitarbeiter der Deutschen Bahn AGAktiengesellschaft die Gleisanlage für die Beladung freigegeben hat, geht es zügig voran. Lkw für Lkw rollt auf die Waggons. Bestimmte Fahrzeuge dürfen nur auf bestimmten Waggons stehen. Umrangiert werden muss – diesmal – nicht, denn die Wagenreihenfolge stimmt mit den Vorabinformationen der Bahn überein. Das Marschband steht bereits wartend in der richtigen Reihenfolge.

Eine Hand hält einen Zollstock und misst den Abstand von der Fracht zum Rand des Waggons

Maßarbeit: Die Abstände müssen passen. Die Containerladung vom MULTIMechanisierte Umschlag-Lagerung-Transport-Integration muss mittig auf dem Bahnwaggon fixiert werden.

Bundeswehr/Tom Twardy

Bei nur 35 Zentimetern Platz rechts und links zum Rand des Waggons ist Augenmerk gefragt beim Überfahren der Waggons. „Einer muss der Erste sein und bis ganz nach vorn durchfahren. Aber wir ziehen keine Streichhölzer. Das entscheidet die Führung. Und wir haben gute Einweiser. Da macht es keinen Unterschied, ob man vorn oder in der Mitte fährt. Nur als Letzter auf den Waggon – das ist einfach“, sagt Obermaat Sebastian Rudolph, der mit seinem MULTIMechanisierte Umschlag-Lagerung-Transport-Integration auf einem der Waggons ganz vorn zum Halten kommt. Er ist überzeugt: „Jeder Kraftfahrer in der Bundeswehr muss Bahnverladung können.“

NRFNATO Response Force: Dauer unbestimmt und nichts vor Ort

Für Rudolph ist es die dritte Bahnverladung, für Paschke die fünfte – und doch ist es diesmal anders. Denn das Logistikbataillon 171 in Burg ist als Unterstützungsverband für die schnelle Eingreiftruppe der NATO geplant: die NATO Response Force 2022 bis 2024 einschließlich der Very High Readiness Joint Task Force 2023. Die Bahnverladungsübung dient der Vorbereitung auf ein mögliches Einsatzszenario in der Landes- und Bündnisverteidigung.

Rudolph, Unteroffizier in der Nachschubgruppe 2 des Bataillons, sagt: „Das ist ein reeller Auftrag, den wir üben. So könnte es wirklich ablaufen, wenn der Marschbefehl kommt. Das fühlt sich schon anders an als auf dem Übungsplatz.“

Paschke ergänzt: „Die Einplanung für die NRFNATO Response Force ist kein Auftrag wie jeder andere auch. Es kann überall hingehen. Wir wissen nicht, wie lange es dauert, und vor allem: Es ist nichts da, wenn wir ankommen.“ Er erklärt: „In Afghanistan gab es alles vor Ort. Als Logistiker hat man einfach das Lager von seinem Vorgänger übernommen. In der NRFNATO Response Force muss man alles selbst mitbringen. Da gibt es kein Shuttle wie auf dem Übungsplatz für einen Gefechtshelm und ein Paar neue Schnürsenkel – das muss jedem Soldaten bewusst sein.“

Soldatin mit Klemmbrett in der Hand steht in Lager mit vollen Regalen

Marketender-Warenlager in Camp Marmal: In Afghanistan konnten die Logistiker nach Jahren des Einsatzes auf eine umfassende Infrastruktur zurückgreifen. Nicht so bei einer NRFNATO Response Force-Alarmierung: Was man nicht mitnimmt, hat man vorerst auch nicht.

Bundeswehr/Sebastian Wilke

Zivile Anlagen nutzen: Schützenhaus bis Schrottplatz

Major Sebastian Nannt, Kompaniechef der 2. Kompanie des Logistikbataillons 171, will das Bewusstsein seiner Soldatinnen und Soldaten für genau diese veränderte Einsatzrealität schärfen. Bisher seien häufig dieselben Kräfte regelmäßig in Einsätze gegangen. Jetzt müsse seine gesamte Kompanie einsatzbereit sein.

Porträt von einem Soldaten
Major Sebastian Nannt, Kompaniechef der 2./LogBtl 171 Bundeswehr/Tom Twardy
„Bei NRFNATO Response Force gehen wirklich jeder Mann und jede Frau in den Einsatz. Innerhalb weniger Tage und auf unbestimmte Zeit.“

Die laufende Übung, die mit der Bahnverladung in Trauen ihren Abschluss findet, sei dabei bewusst so konzipiert worden, dass im Wesentlichen zivile Infrastruktur genutzt wird – so wie in einem möglichen Einsatzland auch. „Statt in einer Kaserne, die doch einen gewissen Komfort bietet, hat das Bataillon teils in Zelten, teils in Hallen auf dem Feldbett übernachtet. Das konnte der Festsaal des Dorfgasthofes oder das Schützenhaus sein, aber auch in einer Lagerhalle und auf dem Schrottplatz haben manche Soldatinnen und Soldaten übernachtet,“ blickt der Kompaniechef auf die Übung zurück.

Eigentlicher Auftrag beginnt im Einsatzgebiet

Letztlich ist die Bahnverladung jedoch nur ein Mittel zum Zweck. „Wir verladen heute nur uns selbst“, sagt Nannt. Doch der eigentliche Auftrag der Logistiker fängt im Einsatzgebiet an. Im Ernstfall verlegen alle Soldatinnen und Soldaten des Logistikbataillons 171 gemeinsam mit Fahrzeugen, Material und Vorräten – auf der Schiene, soweit wie es geht, dann im ressourcenintensiveren Landmarsch auf der eigenen Achse. Nannt: „Wir nehmen alles mit, was wir für unseren Auftrag brauchen. Und wir gehören nach den Spezialkräften und den Pionieren zu den ersten Einsatzkräften vor Ort.“

Denn die Unterstützungsverbände schaffen die Voraussetzung dafür, dass die  Kampfverbände der NRFNATO Response Force durchhaltefähig ausgestattet und versorgt werden können. „Die Versorgungsbataillone im Heer, die direkt den Kampfverbänden zugeordnet sind, haben immer nur eine gewisse Reichweite. Ihre Lager- und Transportkapazitäten sind begrenzt, da sie sehr beweglich sein müssen“, erläutert der Kompaniechef. Anders die Logistiker aus der Streitkräftebasis: „Wir sind im Einsatzgebiet Zentrallager und Umschlagplatz für sämtliche Versorgungsgüter wie Munition und Treibstoff, Verpflegung und Bekleidung, aber auch Ersatzteile und Austauschgerät. Wir nehmen an und verteilen weiter.“

Mehrere Fahrzeuge der Bundeswehr fahren in einer Kolonne

Eine Kolonne der Bundeswehr ist zum Abmarsch aufgefahren

Bundeswehr/Maximilian Schulz

NRFNATO Response Force-Gefechtsverbände durchhaltefähig versorgen

Die Versorgung mit allem, was benötigt wird, und die Instandsetzung von beschädigtem oder defektem Gerät oder Waffensystemen in allen Phasen der Operationsführung – das sei der Kernauftrag der logistischen Unterstützungskräfte in der NRFNATO Response Force. Kompaniechef Nannt ist überzeugt: „Wir leisten einen wesentlichen Beitrag, dass Gefechtsverbände kampffähig sind und bleiben – für eine gemeinsame, erfolgreiche Auftragserfüllung.“

von Simona Boyer

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