Kameradschaft, Führung, Seemannschaft: Die neue militärische Segelausbildung
Kameradschaft, Führung, Seemannschaft: Die neue militärische Segelausbildung
- Datum:
- Ort:
- Flensburg
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Dass angehende Marineoffiziere segeln lernen, ist kein Überbleibsel vergangener Tage, sondern notwendiger Ausbildungsbestandteil: um seemännisches Können zu erwerben, aber auch um Führung zu lernen. Die erste Crew hat nun die neue militärische Segelausbildung abgeschlossen. Ein Blick auf die Erfahrungen der Seekadetten und ihrer Ausbilder.
,,Ich möchte zur See fahren und auf der Brücke stehen“, sagt Seekadett Stefanie Schock strahlend, das Steuer des Dienstsegelbootes „Asta“ in der Hand. Die Stuttgarterin gehört zur ersten Offizieranwärter-Crew, die die neue militärische Segelausbildung an der Marineschule Mürwik durchlaufen hat. Die Segelausbildung hat sie darin bestätigt, dass die Marine die richtige Wahl für sie ist – und dass sie weiterhin segeln will.
Stabskapitänleutnant Marten Sommerfeld seit 1977 bei der Marine – seit 2018 außer Dienst, aber noch regelmäßig als Ausbilder aktiv – freut die Begeisterung. Doch er ergänzt: „Militärisches Segeln ist nicht einfach Freizeitspaß in Uniform. Wind und Wetter, Wellen und Strömungen bergen Gefahren in sich, die ein Marineoffizier einschätzen können muss. Das lernt man am allerbesten, wenn man nah dran ist. Auf einem Fregatte ist man nicht nah dran. Beim Segeln schon.“
Auch Hauptbootsmann Magnus Hillenberg, seit 2006 Marinesoldat und passionierter Regattasegler, betont: „Fingerspitzengefühl lernt man am besten auf einem kleinen Boot, bei dem man jede Welle und jede Böe spürt.“
Sieben neue Segeljachten – mit weniger Komfort
Segeln zu lernen, hat Tradition an der Marineschule Mürwik – und zwar nicht nur auf dem Segelschulschiff „Gorch Fock“. Insgesamt umfasst die Flotte der Dienstsegelboote 25 Ausbildungsjachten. Erst 2020 sind sieben neue Elf-Meter-Jachten des Typs Sunbeam 36.2 hinzugekommen. Die bisherigen – 40 Jahre alten – Ausbildungsjachten vom Typ Hanseat 70 B und Nadine 24 bleiben weiter im Einsatz.
Gebaut hat die Boote die österreichische Schöchl-Werft, allerdings mit einigen Abwandlungen zur Standardausführung. Auf Komfort wie Rollreff zum einhändigen Verkleinern des Vorsegels, eine elektrische Ankerwinsch und Lazy-Bags, die das Falten und Festbinden des Großsegels überflüssig machen, müssen die Seekadetten verzichten.
Teamfähigkeit – Truppenalltag – Seemannschaft
Den Ausbildungsanteil auf der „Gorch Fock“ sollen die neuen Dienstsegelboote nicht ersetzen, ebenso wenig das Truppenpraktikum auf den grauen Einheiten, also den Fregatten, Korvetten und Minenjagdbooten der Marine. „Die ‚Gorch Fock‘ lehrt Teamfähigkeit und Kameradschaft. Auf den grauen Einheiten erfahren die Offizieranwärter und -anwärterinnen den Truppenalltag“, erklären die Segelausbilder Sommerfeld und Hillenberg.
Auch wenn es kalt, nass und dunkel ist, müssen die Seekadetten ihr Boot sicher in den Hafen bringen: mit Disziplin, Durchhaltevermögen und Verantwortungsbereitschaft im Team – Eigenschaften, die sie später brauchen, um als Offiziere die ihnen anvertrauten Männer und Frauen glaubhaft zu führen.
Doch auf den kleinen Segelbooten – nah am Wasser und immer im Team – lasse sich Seemannschaft am besten lernen: Segelhandwerk, Wetterkunde, Navigieren mit Karte und Kompass.
Auch ihre erste Führungserfahrung sammeln die zukünftigen Marineoffiziere und -offizierinnen auf den Dienstsegelbooten. Und sie kommen hier oft erstmals mit militärischen Abläufen auf See in Berührung – Standards der Flotte, die im Kleinen gelernt und später auf den großen Schiffen wiedererkannt werden.
Segelausbildung militärisch machen
Genau das ist das Ziel des überarbeiteten Ausbildungskonzeptes für die militärische Segelausbildung, das nicht allein Segeln, sondern militärisches Segeln ins Zentrum rückt. Wie zuvor liegt ein Schwerpunkt der Ausbildung darauf, die Grundbegriffe des Segelns zu lehren: Segel setzen, Wenden und Halsen, Steuern, An- und Ablegen und im letzten Schritt Fahrtensegeln mit Etappen- und Routenplanung.
Neu hinzugekommen ist der zweite Schwerpunkt: das Militärische. In der Segelausbildung sollen erste Prozesse und Standards der Marine gelernt werden: Seeklarbesichtigung, Manöveranpfiff und -abpfiff, Aufstellung auf der Manöverstation beim Ein- und Auslaufen, Flaggedippen, Schleppen und Geschleppt werden.
Hillenberg sagt: „Früher wurde vor allem Wert auf gutes Segeln gelegt. Jetzt wollen wir mehr: seglerisches Können und Standardverfahren der fahrenden Flotte vermitteln.“ Als Beispiel nennt er das Postbeutelmanöver, bei dem auf See über eine Leinenverbindung zwischen zwei Booten Ersatzteile oder Briefe ausgetauscht werden. „Bei unruhiger See mit gleichmäßiger Geschwindigkeit und gleichbleibendem Abstand nebeneinander herzufahren, ist durchaus eine Herausforderung“, erklärt er. „Und das Postbeutelmanöver mag auf den grauen Einheiten ‚Replenishment at Sea‘ heißen. Das Prinzip ist aber dasselbe. Und das lernen die Kadetten beim Segeln.“
Der erste Schritt in die Seefahrt
Ausbilder Sommerfeld nutzt die zweiwöchigen Ausbildungstörns am Ende der Segelausbildung gezielt dazu, die Offizieranwärterinnen und -anwärter mit den verschiedenen Funktionen an Bord vertraut zu machen: Welche Aufgaben hat ein Navigationsoffizier? Wie bereitet der Decksoffizier das Auslaufen vor? Er sagt: „Die Einsatzbelastung der Marine ist in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen – bei einer historisch niedrigen Zahl an Schiffen. Damit sinkt die Zahl der Gelegenheiten, die Offizieranwärter auf die See zu prägen und ihnen die Gepflogenheiten der Marine zu vermitteln. Diese zu kennen, ist aber wichtig für ihre berufliche Zukunft und ihre Bereitschaft, tatsächlich auch zur See zu fahren.“
Denn die Mehrheit der Seekadetten muss erst einmal mit dem Meer vertraut gemacht werden. Offizieranwärter und -anwärterinnen aus traditionellen Marine- oder Seefahrerfamilien sind eine Seltenheit. Verbindungen zur Seefahrt oder auch nur zum Wassersport haben die wenigsten. „Ich schwimme gern“, antwortet Schock auf die Frage, ob sie vor ihrem Dienstantritt schon mal auf einem Segelboot war.
Die ersten Segelerfahrungen sorgen dann schnell für Angstmomente. Hillenberg: „Wenn die Kadetten das erste Mal bei etwas mehr Wind die Segel setzen und sich das Boot krängt, denken sie, es kentert, nur weil das Wasser etwas über die Bordwand schwappt.“
Angstmomente und Aha-Erlebnisse
Eine andere Offizieranwärterin erzählt: „Wir hatten sehr schlechtes Wetter mit viel Wind und Hagel. Die anderen Boote waren schon in den Hafen zurückgekehrt. Ich stand am Ruder und nichts funktionierte. Der Ausbilder hat dann kurz selbst das Steuer übernommen und mir einen Moment zum Durchatmen gegeben. Erst habe ich mich nicht getraut, aber dann habe ich mich überwunden – und hatte einen Aha-Moment. Ich hatte plötzlich mehr Gefühl fürs Boot und für Segeln und dachte: Ich kann´s.“
Seekadett Philipp Bächer ist einer der wenigen mit Segelerfahrung – auf dem Boot der Familie und bei regelmäßigen Segelurlauben im Mittelmeer. Doch auch er kam an seine Grenzen: „Beim Fahrtensegeln lässt man es lieber, wenn der Wind zu stark wird oder das Wetter zu schlecht. Hier heißt es: Spring über deine Schwelle. Und dann macht man einfach.“ Seekadett Schock ergänzt: „Am Anfang waren Wasser, Wind und Wetter schon sehr überwältigend. Ich dachte, das schaffe ich nie. Doch am Ende der ersten Woche stand ich im Ölanzug bis zu den Knien im Wasser, weil das Boot so sehr in Schräglage war, und fand es einfach toll.“
Wer steuern will, muss führen lernen
Zwei Wochen auf einer Segeljacht bei jedem Wetter schulen nicht nur nautisches und seemännisches Können, sondern auch Kameradschaft und Führungsfähigkeit. Das Zusammenleben auf engem Raum erfordert Toleranz und Rücksichtnahme. Zugleich treten die Charaktereigenschaften der Seekadetten gerade in Stresssituationen deutlich zu Tage.
Auf einem Segelboot merkt ein junger Seekadett erstmals, dass seine Befehle unmittelbare Folgen haben – auf die Kameraden, die er führt, auf das Boot, für das er verantwortlich ist, und auf den Auftrag, den er zu erfüllen hat.
„Navigieren, Steuern, Kochen oder Putzen – jeder macht alles auf einem Boot“, sagt Bächer. „Mich hat das Segeln seemännisch und kameradschaftlich weitergebracht. Denn auch wenn man das Steuer in der Hand hält, man kommt nur gemeinsam ans Ziel.“ Schock ergänzt: „Man lernt Führen und Teamfähigkeit zugleich. Einer muss die Führung übernehmen. Sonst rennen alle durcheinander und nichts klappt. Diskutieren kann man später. Aber Kommandos werden erstmal ausgeführt.“
Hillenberg stimmt zu: „Wer steuert, muss führen. Er oder sie muss wissen, was zu tun ist und klar sagen, was das Team machen soll.“ Stabskapitänleutnant Sommerfeld schlägt einen größeren Bogen: „Entscheidungsfreude, Führungsbereitschaft, Teamfähigkeit, allgemein die persönliche Reife sind auf einem Segelboot leichter zu erkennen als auf einer großen Einheit, aber die militärische Segelausbildung ist nur ein kleiner Schritt auf dem langen Weg zum Marineoffizier.“
In einem sind sich beide Ausbilder einig: Jedes Boot fährt nur so gut wie sein Team. Und jedes Schiff auch.