Warum auch Funker und Versorger Nahkampftechniken beherrschen sollen
Warum auch Funker und Versorger Nahkampftechniken beherrschen sollen
- Datum:
- Ort:
- Hammelburg
- Lesedauer:
- 4 MIN
Soldatinnen und Soldaten müssen bereit sein zu kämpfen. Im Einsatz oder Krieg können sie jederzeit in eine Situation geraten, aus der sie sich nur mit Nahkampftechniken befreien können. Deshalb soll die Nahkampfausbildung langfristig in den Gefechtsdienst implementiert werden. Dazu gab es jetzt einen Pilotlehrgang in Hammelburg.
„Die Wenigsten haben schon mal einen Schlag ins Gesicht bekommen. Das ist für die eine ganz neue Erfahrung“, erklärt Oberstabsfeldwebel Andreas M.* Als Hörsaalleiter an der Infanterieschule in Hammelburg ist er verantwortlich für den Pilotlehrgang Nahkampflehrer. Zu Beginn des Kurses lässt er nur mit Gefühl schlagen. Die angehenden Ausbilder üben so, ihre Kraft dosiert einzusetzen. „Erst mal nur 20 Prozent“, ist die Vorgabe. Im Laufe des Kurses wird dann immer mehr Kraft eingesetzt.
Oberst Andreas S.* ist einer der 17 Teilnehmer am Lehrer-Lehrgang „Nahkampf“ an der Infanterieschule. Die Soldaten im Alter zwischen 24 und 60 Jahren haben alle neben dem Basislehrgang bereits den Ausbilderlehrgang im Nahkampf absolviert. In dem dreiwöchigen Pilotlehrgang werden sie nun darauf vorbereitet, ihrerseits künftige Nahkampfausbilder auszubilden.
Pilotlehrgang eröffnet neuen Ausbildungsweg
Trainiert wird in der Boxhalle, auf der Schießbahn im scharfen Schuss, in der Trainingshalle der Vereinten Nationen, im Schießsimulator und sogar nachts im Bunker mit Nachtsichtbrille. Ziel der intensiven Ausbildung ist es, den Teilnehmern möglichst viele Settings zu zeigen, in denen man Nahkampf unterrichten kann. Am Standort in ihren Einheiten sollen sie dann anhand der dort vorhandenen Möglichkeiten ihre Ausbildung gestalten.
Neben dem Aufbau der Trainingsumgebung und den Vorschlägen, wie Nahkampf in andere Ausbildungsinhalte eingefügt werden kann, geht es dem Hörsaalleiter, Oberstabsfeldwebel Andreas M., auch um psychologische Aspekte. „Von euch Nahkampflehrern verlange ich, dass ihr die Teilnehmer zum Kämpfen motiviert, und nicht, dass ihr die erlegt“, warnt er vor zu hohen Anforderungen.
Beim Sparring im Ring bricht der Hörsaalleiter den Kampf deshalb auch dann nicht ab, wenn einer der Kontrahenten zu Boden geht. Er gibt ihm die Zeit, wieder auf die Füße zu kommen, und lässt den Kampf für einen kurzen Schlagabtausch weiterlaufen. „Unser Ziel ist immer, dass nach der Übung jeder mit einem gestärkten Selbstbewusstsein aus dieser Halle rausgeht.“
Veränderte politische Rahmenbedingungen
Anders als noch vor wenigen Jahren, wo internationale Einsätze im Fokus der Bundeswehr standen, ist die Kernaufgabe heute die Landes- und Bündnisverteidigung. Darauf konzentriert sich die Ausbildung und dazu soll in Zukunft der militärische Nahkampf gehören. „Wenn man in Richtung Osten schaut, insbesondere in Richtung Russland, sieht man sehr deutlich, dass sich der Kampf in den urbanen Raum verlagert hat, wo es jederzeit zu Nahkampfsituationen kommen kann“, sagt Oberstleutnant Andreas W.*, Kommandeur der Lehrgruppe B der Infanterieschule in Hammelburg. Dem müsse die moderne Nahkampfausbildung Rechnung tragen.
Zwar habe es in der Bundeswehr schon immer Nahkampfausbildung gegeben, allerdings vor allem bei der Einzelkämpferausbildung und mit deutlichem Kampfsportcharakter. Die Erfahrungen aus der Zeit des Kalten Krieges und aus den Einsätzen müssten angepasst werden auf moderne Erfordernisse, Ausrüstung und Verfahren.
Deshalb, so W., müsse die Nahkampfausbildung in den Gefechtsdienst eingebunden werden. Das bedeute auch Training mit voller Ausrüstung: Helm, Weste, Waffe, denn dies habe erheblichen Einfluss auf die Nahkampftechnik.
Nahkampf aller Truppen
Infanteristen, Aufklärer oder Fallschirmjäger laufen immer Gefahr, dass sie in einem Kampfgraben, beim Orts- und Häuserkampf oder in einem dicht bewaldeten Gebiet auf Feindkräfte treffen. Aber auch im rückwärtigen Raum könne ein Fernmelder, der seine Funkstelle sichere, oder eine Logistikerin, die ihren Nachschubpunkt bewache, von regulären oder irregulären Truppen angegriffen und zum Nahkampf gezwungen werden.
Man müsse zwar verstehen, dass nicht jeder Soldat oder jede Soldatin nahkampfaffin sei. Dennoch müsse die Nahkampfausbildung zur Jedermann-Befähigung werden mit dem gleichen Stellenwert wie die Sanitätsausbildung, die ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehr oder die Fliegerabwehr. Das Ziel sei, auch Personen, die noch nie mit Nahkampf zu tun hatten, mit einfachen Techniken so auszubilden, dass sie sich im Ernstfall ihrer Haut wehren könnten.
Ich behaupte, dass wir mit dieser Nahkampfausbildung im Verlauf der nächsten Jahre eine echte Lücke im Gefechtsdienst schließen können.
Ein weiteres Argument für die Nahkampfausbildung aller Truppen ist nach Einschätzung von W. der psychologische Vorteil. „Man darf nicht vergessen, dass eine solche Ausbildung auch charakterbildend ist“, erklärt der Oberstleutnant. „Wir brauchen als Soldaten auch eine gesunde Aggressivität.“ Voraussetzung dafür seien neben einer Grundfitness vor allem Robustheit und körperliche Leidensfähigkeit. Außerdem stärke das Wissen: „Ich kann kämpfen, wenn ich kämpfen muss, sogar mit den Händen“, das Selbstbewusstsein und fördere das Selbstvertrauen.
Oberst Andreas S. vom Kommando Heer, Inspizient Offz/UffZ, sieht das genauso: „Ich bin der tiefen Überzeugung, dass Militärischer Nahkampf notwendig ist, um ein ,Combat Mindset‘ zu entwickeln.“ Der Drang nach vorn und der Wille, immer wieder aufzustehen, seien eine unabdingbare Voraussetzung, um im Einsatz und Krieg bestehen zu können.
Der Lehrerlehrgang endet mit einer Lehrprobe, in der alle Teilnehmer zeigen, wie sie ihr Nahkampfwissen weiter vermitteln wollen und erklären, welche technischen und didaktischen Mittel sie dafür nutzen.
*Name zum Schutz des Soldaten abgekürzt.