„Nachgefragt“

„Ein richtiger Mutmacher für die ukrainische Bevölkerung“

„Ein richtiger Mutmacher für die ukrainische Bevölkerung“

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
4 MIN

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Gepanzerte Verbände der ukrainischen Streitkräfte haben die Grenze zur russischen Region Kursk überquert und im Handstreich Dutzende Ortschaften besetzt. Russland gelingt es bislang nicht, die Truppen zu vertreiben – dreht die Ukraine den Spieß nun um? Generalmajor Dr. Christian Freuding aus dem Verteidigungsministerium zur Lage an den Fronten. 

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Generalmajor Dr. Christian Freuding leitet den Sonderstab Ukraine im Verteidigungsministerium. Mit „Nachgefragt“-Moderator Hauptmann Jan Czarnitzki spricht er über den Vorstoß der ukrainischen Streitkräfte nach Russland.

Zweieinhalb Jahre nach Beginn des russischen Angriffskrieges hat die Ukraine erstmals eine Offensive auf russischem Boden gestartet. „Seit vergangenem Dienstag, 6. August, greifen ukrainische Streitkräfte auf vier Achsen in die Region Kursk an“, sagt Generalmajor Dr. Christian Freuding zum neuen „Nachgefragt“-Moderator, Hauptmann Jan Czarnitzki.

Bis zu 6.000 Ukrainer in Russland im Einsatz

Für die Offensive hatte die Ukraine einen großen Angriffsverband zusammengezogen. „Die Stärke der ukrainischen Streitkräfte für diese Angriffsoperation sind vier Brigaden – das sind vier- bis sechstausend Soldatinnen und Soldaten“, so der Leiter des Sonderstabs Ukraine im Verteidigungsministerium.

Die Truppen würden in einem rund 1.000 Quadratkilometer großen Bereich operieren, der sich bis zu 30 Kilometer nach Russland hinein erstrecke. „Das ist deshalb interessant, weil das in etwa die Größenordnung ist, die die ukrainischen Streitkräfte verloren haben gegen die russischen Streitkräfte seit Jahresbeginn“, so Freuding. Weitere 2.000 ukrainische Truppen würden die Offensive mit Logistik und Luftverteidigung aus dem Grenzgebiet heraus unterstützen.

Es geht um Entlastung – und um Hoffnung

Die Ukraine verfolge mit ihrem Angriff mehrere Ziele, so Freuding. „Der erste Punkt ist: Man will natürlich Entlastung schaffen. Die ukrainische Verteidigung im Donbas ist ja unter ungeheurem Druck. Das ist also ein gezielter Entlastungsangriff.“ Zweitens solle die russische Öffentlichkeit verunsichert werden, indem der Krieg ins russische Kernland getragen werde, so der Generalmajor. Drittens werde der ukrainischen Bevölkerung vermittelt, dass die Landesverteidiger nach wie vor die Initiative ergreifen könnten. Die Offensive sei somit „ein richtiger Mutmacher für die ukrainische Bevölkerung“, so Freuding. Wenn es gelänge, die Gebiete länger zu halten, könnten diese in der Zukunft auch als politisches Faustpfand eingesetzt werden.

Russland sammelt Kräfte für Gegenangriff

Die Ukraine habe die Offensive sehr gut vorbereitet, so der Generalmajor: „Sie wussten, dass in diesem Raum das Gelände für eine Angriffsoperation günstig ist, dass es dort zu einer Truppenmassierung gekommen war von schlecht ausgebildeten Kräften, und dass dort wichtige logistische Einrichtungen und Verbindungslinien waren.“ Bisherige Versuche Russlands, das umkämpfte Gebiet wieder unter Kontrolle zu bringen, seien abgewehrt worden.

Russland ziehe derzeit weitere Kräfte heran, so Freuding. „Das sind nach dem, was wir erkennen können, ungebundene Kräfte“, sagt der Generalmajor. So seien Truppen aus Kaliningrad an der Ostsee in die Region verlegt worden. „Es ist schon damit zu rechnen, dass die russischen Kräfte Gegenangriffe vorbereiten“, sagt Freuding. „Vorbereitet sind aber auch die ukrainischen Kräfte, um darauf zu reagieren.“

Lage im Donbas kritisch

Auch wenn sich das öffentliche Interesse derzeit auf den Vorstoß in Kursk konzentriere, liege der Schwerpunkt der Kämpfe im Ukrainekrieg nach wie vor im Donbas, so Freuding. Dort werde unverändert „am meisten geschossen und gestorben“, so der Generalmajor.

Beide Kriegsparteien hätten darauf verzichtet, Kräfte aus dem Donbas abzuziehen und nach Kursk zu schicken. Insbesondere der Frontabschnitt um die Städte Awdiiwka und Chasiv Yar sei hart umkämpft. „Dort gelingt es den Russen, jeden Tag durch kleine, aber stetige Geländegewinne vorwärts zu kommen“, kommentiert Freuding. Die Invasoren hätten den Siwerskyj-Donez-Kanal an mehreren Stellen überwinden und kleine Brückenköpfe bilden können. „Das ist durchaus eine kritische Situation in dem Raum“, stellt Freuding fest. „Wenn es den Russen gelingt, Chasiv Yar zu nehmen, dann öffnet das gewissermaßen das Tor auch weiter zum Westen.“

Natürlich berge die Offensive der ukrainischen Streitkräfte in Kursk Risiken, so Freuding. Dass wisse auch die ukrainische Führung. „Aber es kann eben zu einer erheblichen Dynamik kommen, wenn diese Operation erfolgreich durchgeführt wird. Und deshalb kann ich gut nachvollziehen, dass man sich trotz des Risikos zum Beginn dieser Operation entschlossen hat.“ Die Ukrainer wüssten schon jetzt, dass durch Geschwindigkeit und Überraschung Erfolge gegen Russland erzielt werden könnten, so Freuding. Es sei zu erwarten, dass die ukrainischen Landesverteidiger „in ihrer Operationsplanung weitere Optionen vergleichbarer Art vorsehen werden“.

von Timo Kather

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