„Weniger Zeit für große Konzepte, mehr Zeit für konkretes Handeln“
„Weniger Zeit für große Konzepte, mehr Zeit für konkretes Handeln“
- Datum:
- Ort:
- Berlin
- Lesedauer:
- 4 MIN
Russland, China, deutsch-amerikanische Freundschaft: Die neue Regierung wird sich einigen Herausforderungen stellen müssen. Prof. Dr. Carlo Masala ist Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Der sicherheitspolitische Experte erklärt die außen- und sicherheitspolitische Lage nach der Bundestagswahl.
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Deutschland hat gewählt. Nun muss eine neue Regierung gebildet werden. Spätestens am 25. März 2025 muss der neue Bundestag zum ersten Mal zusammentreten. Und auch sicherheitspolitisch ist der Zeitdruck schon jetzt hoch. Außen- und sicherheitspolitisch stehe die neue Regierungskoalition nämlich vor fundamentalen Herausforderungen, warnt Masala. „Wir haben transatlantische Beziehungen, die sich jetzt unter dieser Trump-Administration möglicherweise nachhaltig verändern. Wir haben einen Gegner Russland, der die europäische Sicherheitsordnung militärisch bedroht, und wir haben dann, weit weg in Asien, mit China einen Akteur, der die internationale Ordnung auf den Kopf stellen will.“ Gegenüber „Nachgefragt“-Moderatorin Frau Hauptmann Beate Schöne betont er, dass man angesichts des NATONorth Atlantic Treaty Organization-Gipfels im Juni und des EUEuropäische Union-Gipfels im Mai keine Zeit für lange Koalitionsverhandlungen habe. „Wir brauchen sehr schnell eine handlungsfähige Regierung. Wir können nicht bis zum Frühsommer warten, bis wir eine solche haben“, so der Sicherheitsexperte.
Ein wichtiges Instrument, um Deutschland außen- und sicherheitspolitisch positionieren zu können, ist für Masala dabei die Bundeswehr. Diese sei aber unterfinanziert und personell nicht gut ausgestattet. Aber eine nachhaltige Finanzierung der Streitkräfte koste viel Geld und auch die Unterstützung der Ukraine sei teuer. Eine Erhöhung des Verteidigungshaushalts sei nötig, reiche dafür allein aber nicht aus. Masala nennt unter anderem die Einführung eines zusätzlichen Solidaritätszuschlags für Verteidigung und ein Aussetzen der Schuldenbremse als Lösungsansätze. „Ich glaube, wir müssen alle Instrumente nutzen, um diesen enormen Finanzbedarf, der auf uns zukommt, auch decken zu können.“
Dazu müsse sich auch die Einstellung der Bevölkerung zu sicherheits- und außenpolitischen Themen ändern, sagt Masala. Die politische Führung müsse den Deutschen erklären, warum es wichtig sei, sich außen- und sicherheitspolitisch neu auf- und einzustellen sowie die Bundeswehr nachhaltig zu finanzieren und auszustatten. Der Sicherheitsexperte betont: „Wenn die Bevölkerung nicht mitgeht, dann wird es schwierig.“
„Es ist an der Zeit, auszuziehen“
Nicht nur Deutschland, sondern auch Europa müsse schnell handeln, macht der Professor für Internationale Politik deutlich. Angesichts der russischen Bedrohung und des Drucks der Trump-Administration habe man nicht viel Zeit und es sei notwendig, „vom Reden ins Handeln [zu] kommen.“ Man müsse jetzt konkret Fähigkeiten beschaffen, die die möglicherweise wegfallenden Fähigkeiten der Amerikaner ersetzen könnten. Masala wählt einen Vergleich:
„Europa ist so ein bisschen wie der 49-jährige junge Mann oder die junge Frau, die noch immer bei den Eltern wohnt, aber sehr gut verdient, aber sozusagen die Eltern noch die Wäsche waschen lässt und kochen lässt. Das heißt, es ist an der Zeit, auszuziehen, ohne den Kontakt zu den Eltern abzubrechen.“
Es sei nun nötig, eine breite Koalition europäischer Staaten zu bilden, sagt Masala. Diese müsse dann einen konkreten Zeitplan zum Aufbau von Fähigkeiten zur Abschreckung und Verteidigung erarbeiten. Auch müsse dabei eine Anschlussfähigkeit für Nicht-EUEuropäische Union-Staaten wie Großbritannien oder Türkei mitgedacht werden, ergänzt der Experte. „Also weniger Zeit für große Konzepte, mehr Zeit für konkretes Handeln.“
Masala blickt dennoch optimistisch in die Zukunft, denn die europäischen Staaten seien sich der Dringlichkeit der derzeitigen Situation wohl bewusst. Es gebe viel Bewegung in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Er hoffe, dass nun „der Selbstbehauptungswille Europas erwacht“.