„Nachgefragt“

„Der Ukraine steht ein harter Winter bevor“

„Der Ukraine steht ein harter Winter bevor“

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
5 MIN

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Die Ukraine beschießt Ziele in Russland mit Raketen aus westlicher Produktion. Russland greift die Großstadt Dnipro mit einer bislang unbekannten Mittelstreckenrakete an. Im Donbas und in Kursk wird heftiger gekämpft denn je. Tritt der Krieg in der Ukraine nach fast drei Jahren nun in seine entscheidende Phase ein?

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Generalmajor Dr. Christian Freuding leitet den Führungsstab im Verteidigungsministerium. Mit „Nachgefragt“-Moderatorin Frau Major Caroline Grosse analysiert er die Lage nach mehr als 1.000 Tagen Krieg in der Ukraine.

„Wir wollen nichts schönreden“, sagt Generalmajor Dr. Christian Freuding zur Lage im Ukrainekrieg. „Russland ist an allen Fronten, in allen Bereichen derzeit militärisch in der Initiative.“ Das gelte besonders für den Donbas, der seit Monaten Schwerpunkt der Kämpfe ist. „Russland greift dort mit einem für uns fast nicht vorstellbaren Einsatz an Menschen und Material an“, sagt Freuding. Die russischen Streitkräfte verlören derzeit bis zu 2.000 Mann am Tag im Donbas und dennoch könnten diese Verluste ausgeglichen werden. Russland erziele in der Folge kontinuierliche Geländegewinne, so der General.

Insbesondere in der Gegend um die Stadt Pokrovsk sei die Lage kritisch, so der Leiter des Planungs- und Führungsstabes im Verteidigungsministerium. Dort hätten die ukrainischen Landesverteidiger ausweichen müssen, um der Zerschlagung zu entgehen. „Pokrovsk ist von großer Bedeutung für die ukrainische Gefechtsführung“, sagt Freuding. Der Verkehrsknotenpunkt für Truppen und Nachschub könne nun von der russischen Artillerie beschossen werden. „Ich rechne damit, dass um den Jahreswechsel oder früh in 2025 Pokrovsk aufgegeben werden muss“, sagt Freuding zu Frau Major Caroline Grosse, der Nachgefragt-Moderatorin.

Druck im Donbas und in Kursk

Auch in der Region Kursk in Russland sei die Lage angespannt, so der Generalmajor. Ukrainische Truppen hatten sich nach einem spektakulären Vorstoß im August dort festgesetzt. Doch nun habe Russland bis zu 60.000 Soldaten zur Rückeroberung des Gebietes zusammengezogen. „Die Ukraine musste bereits Raum preisgeben“, sagt Freuding. Die Verteidigung der Ukraine sei zwar sehr stabil, so der Generalleutnant. „Aber sie werden auch hier in den nächsten Wochen und Monaten zunehmend unter Druck geraten.“

Etwa zehn- bis zwölftausend Soldaten aus Nordkorea sollen Russland dabei helfen, die Ukrainer aus Kursk zu vertreiben. „Wir wissen auch, dass es Ambitionen gibt, diese Zahlen noch einmal erheblich zu steigern“, sagt Freuding. Er gehe aber davon aus, dass die Kampfkraft und der Einsatzwert der nordkoreanischen Truppen begrenzt sei. „Alles weist darauf hin, dass sowohl nach Quantität als auch nach Qualität der Effekt dieser nordkoreanischen Soldaten überschaubar bleibt und der politische Effekt eine wesentlich größere Rolle spielt“, so der Generalmajor.

Neben den Kämpfen entlang der Frontlinie setzt Russland auch seine Angriffe auf die Energie-Infrastruktur der Ukraine weiter fort. „Der Ukraine steht ein harter Winter bevor“, sagt Freuding. Für die Landesverteidiger werde es zunehmend schwerer, die Energieversorgung am Laufen zu halten. Es gebe Berechnungen, wonach der Strom in der Ukraine in diesem Winter für bis zu 20 Stunden am Tag abgeschaltet werden könnte. „Das hat erhebliche Auswirkungen natürlich auf die Bevölkerung, natürlich auf die Wirtschaft, auf die Produktion, auch auf die Rüstungsindustrie“, so Freuding.

Raketen gegen Hochwertziele in Russland

Um der Ukraine zu helfen, hatte der scheidende USUnited States-Präsident Biden vor kurzem den Einsatz weitreichender USUnited States-Waffensysteme auch gegen Ziele auf russischem Boden gestattet. Kurz darauf setzte die Ukraine dort ATACMS-Raketen ein. „Die Ukrainer haben sie eingesetzt gegen Gefechtsstände, gegen logistische Umschlagpunkte und Versorgungspunkte, gegen Flugplätze, gegen Verfügungsräume von Truppenteilen, die ihrerseits mit weitreichenden Waffen bisher nahezu ungehindert gegen ukrainische Kräfte haben wirken können“, sagt Freuding. Die Wirkung der Waffen sei massiv gewesen – nun müsse man sehen, inwieweit die Angriffe fortgesetzt werden könnten.

Russland hatte die Großstadt Dnipro kurz darauf mit einer Rakete beschossen, die bisher unbekannt gewesen war. „Das ist ein neues Waffensystem, das die Russen zum Einsatz gebracht haben“, sagt Freuding. Es sei schnell, trage mehrere Sprengkörper und könne wegen seiner Flugbahn nur schwer abgewehrt werden. „Wenn es keine Abwehrmöglichkeiten direkt gibt, dann müssen wir die ukrainischen Streitkräfte in die Lage versetzen, gegen diese Wirkmittel vorzugehen, noch ehe sie zum Einsatz kommen“, schlägt Freuding vor.

Auf Europa bleibt Verlass

Der anstehende Regierungswechsel in den USA werde an der Unterstützung des Westens für die Ukraine nichts ändern, so der Generalmajor: „Ich glaube nicht, dass am 21. Januar 2025 die Welt auf dem Kopf steht.“ Er gehe davon aus, dass Europa künftig mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen müsse, so Freuding. Auch könne es sein, dass Europa mehr für die Ukraine leisten müsse. „Wir sind bereit, hier mehr Verantwortung zu übernehmen und werden das auch mit einer künftigen amerikanischen Regierung so abstimmen, dass die Ukraine sich auf ihre Partner – als Gruppe gesprochen – weiter wird verlassen können.“ 

von Timo Kather

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