„Wer Kontrolle über Syrien hat, hat Einfluss im Nahen Osten“
„Wer Kontrolle über Syrien hat, hat Einfluss im Nahen Osten“
- Datum:
- Ort:
- Berlin
- Lesedauer:
- 4 MIN
Der Syrienkonflikt gehört zu den schwersten politischen und humanitären Krisen unserer Zeit. Seit März 2011 tobte in dem Land im Nahen Osten ein Bürgerkrieg, der unzählige Menschenleben kostete und Hunderttausende zur Flucht zwang. Könnte der Sturz des Assad-Regimes nun die Ära des Krieges dort beenden?
Passen Sie jetzt Ihre Datenschutzeinstellungen an, um dieses Video zu sehen
Islamistische Milizen haben Anfang Dezember 2024 das seit über 50 Jahren herrschende Assad-Regime gestürzt und binnen weniger Tage viele syrischen Städte unter ihre Kontrolle gebracht. Während die syrische Bevölkerung das Ende der Assad-Diktatur feiert, schaut die Welt gespannt darauf, wie es dort zukünftig weitergehen kann. „Es gibt nur wenige Optionen, wie sich die Lage entwickeln könnte“, sagt Professor Carlo Masala zu „Nachgefragt“-Moderatorin Frau Hauptmann Janet Watson. Er ist Dekan der Fakultät für Staats- und Sozialwissenschaften an der Universität der Bundeswehr München und ein bundesweit gefragter sicherheitspolitischer Experte.
Die Gruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS), die nun die Macht in Syrien übernommen hat, gelte zwar als Terrororganisation, so Masala, aber ihr Anführer Abu Muhammad al-Dschaulani sei ein gemäßigter Islamist. Früher habe die Gruppe einen globalen Dschihadismus gefordert, jetzt wolle sie lediglich nur noch ein islamistisches Syrien. Sollte HTS eine Regierung etablieren können, die Minderheitenrechte akzeptiert und respektiert, könnte dies dazu führen, dass sich ein Teil der Nahost-Problematik reguliere. „Das würde Syrien aus dem Würgegriff des Irans entziehen“, beschreibt Masala eine der möglichen zukünftigen Optionen. Syrien könne aber auch erneut in einem Bürgerkrieg versinken. Dies könnte wiederum Flüchtlingsbewegungen in Richtung Europa auslösen. Wie es weitergehe, das könne nur die Zukunft zeigen, so der Experte für Sicherheitspolitik.
Russlands Rolle in Syrien
Die Assad-Regierung habe auch deshalb so lange bestehen können, weil Syrien von Russland und dem Iran unterstützt worden sei, erklärt Masala. Russland habe den Sturz des Regimes wohl deshalb nicht verhindert, weil sein Schwerpunkt aktuell im Ukraine-Krieg liege. Russland habe aber keinesfalls an Gefährlichkeit eingebüßt. Ganz im Gegenteil: Ein Rückzug aus Syrien könne für Russland vor allem bedeuten, dass das Land sich nun mit gebündelter Härte gegen die Ukraine stellen könne.
Unklar ist laut Masala momentan, wie die neue Regierung in Syrien mit den russischen Militärstützpunkten im Land umgehen wolle. Ein Abzug würde Russland einen geostrategisch wichtigen Zugang zum Mittelmeer kosten und damit auch einen Zugang zur Südflanke der NATONorth Atlantic Treaty Organization. „Ein Verlegung dieser Stützpunkte nach Libyen macht die Bedrohung für die NATONorth Atlantic Treaty Organization allerdings noch stärker“, erklärt der Politikwissenschaftler. Russland benötige aber eine Präsenz am Mittelmeer, um die ehemalige Wagnergruppe in Ländern wie Mali, Niger oder eben Libyen versorgen zu können.
Deutschland engagiert sich zusammen mit weiteren Länder nach wie vor im Anti-IS„Islamischer Staat“-Einsatz im Nahen Osten. Deutsche Soldatinnen und Soldaten befinden sich unter anderem im Irak. Auch in Jordanien stellt Deutschland bei dieser Operation namens Counter Daesh Unterstützungsleistungen bereit, die internationale Partner beispielsweise für Aufklärungsflüge über Syrien nutzen. Masala kann sich vorstellen, dass diese Einsätze nicht nur weitergeführt werden, sondern eventuell auch ausgeweitet werden müssten: „Sollte Syrien in einen Bürgerkrieg abgleiten, dann könnte das negativerweise eine Ausstrahlung auf Dschihadisten weltweit haben, wieder nach Syrien zu gehen und an der Seite des sogenannten IS„Islamischer Staat“ zu kämpfen“, erklärt Masala. „Das würde bedeuten, dass die Aufgaben der Anti-IS„Islamischer Staat“-Koalition noch wachsen würden.“
Im Epizentrum des Nahostkonfliktes
Eine stabile Regierung hingegen könne eine Beruhigung des Nahostkonflikts herbeiführen. „Sollte es gelingen, zu einer stabilen Regierung zu kommen, die gute Beziehungen zu ihren Nachbarn haben will, dann ist das ein Gewinn für Israel“, erklärt Masala. Syrien befinde sich im Epizentrum des Nahostkonflikts. Mit seinen Grenzen zu Israel, dem Libanon und der Nähe zum Iran komme Syrien eine besondere Rolle dabei zu, ob der Konflikt sich weiter aufheize oder beruhige. Sicher sei aber: Mit dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien und der systematischen Schwächung von Hamas und Hisbollah durch Israel schwinde der Einfluss des Irans im Nahen Osten erheblich, so Masala.