„Nachgefragt“

Drei Jahre Krieg in der Ukraine – eine Analyse und ein Ausblick

Drei Jahre Krieg in der Ukraine – eine Analyse und ein Ausblick

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
8 MIN

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Am 24. Februar 2022, acht Jahre nach der rechtswidrigen russischen Annexion der Krim 2014, begann am frühen Morgen Russlands Angriff auf die Ukraine. Seitdem herrscht Krieg in Europa, kaum zwei Flugstunden von Berlin entfernt. Generalmajor Dr. Christian Freuding ordnet die bisherigen drei Kriegsjahre ein.

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Generalmajor Dr. Christian Freuding leitet den Planungs- und Führungsstab im Verteidigungsministerium. Mit „Nachgefragt“-Moderatorin Frau Major Caroline Grosse analysiert er die Lage um den dritten Jahrestag des Kriegs in der Ukraine.

Der General ist erst kürzlich von seinem jüngsten Besuch in der Ukraine zurückgekehrt. Es sind aktuell nicht nur militärisch, sondern auch politisch bewegte Zeiten für die Ukraine – nach den Ankündigungen der neuen amerikanischen Regierung, nach der Münchner Sicherheitskonferenz vor zehn Tagen, dem vergangenen EUEuropäische Union-Gipfel und mit Blick auf das Treffen der USA mit Russland im saudi-arabischen Riad zur Lage im Ukrainekrieg vor wenigen Tagen.

Die Entwicklungen aber würden im Land nahezu gelassen aufgenommen, so Freuding, man wolle diesen Krieg weiterhin erfolgreich führen: „Die ukrainische Gesellschaft ist bereit, weiter Opfer auf sich zu nehmen, um die Freiheit zu wahren.“ Alle sehnten sich nach Frieden, niemand wohl mehr als die Ukrainerinnen und Ukrainer. „Wir müssen alles daransetzen, dass es einen dauerhaften, gerechten Frieden geben kann. Einen Frieden, in dem die Ukraine selbstbestimmt ihren Weg geht“, so Freuding.  „Und dieser Friede muss ein Fanal sein, dass Frieden und Freiheit untrennbar miteinander verbunden sind. Er muss die Freiheit für die Ukraine sichern.“

Verlauf nach russischem Angriffsbeginn 2022

Zurückblickend beschreibt Freuding die vergangenen drei Kriegsjahre und die Veränderungen des Kriegsgeschehens in drei Phasen, orientiert an den drei Kalenderjahren 2022, 2023 und 2024:

Die russische Vollinvasion begann mit dem Angriff am Morgen des 24. Februars 2022 und vier großen Vorstößen: Im Norden in Richtung der Hauptstadt Kyjiw, im Nordosten in Richtung Charkiw, in den Zentral-Donbass, in dem Russland die zuvor ausgerufenen selbstständigen Republiken bereits als Brücke hatte, und im Süden mit dem Versuch, aus der bereits 2014 völkerrechtswidrig annektierten Krim den Landschluss zu Moldawien und in den Zentral-Donbass zu schaffen. Dies kennzeichnete laut Freuding die ersten Kriegsmonate, wobei die russischen Streitkräfte ihren Angriff auf Kyjiw nach rund acht Wochen endgültig hätten abbrechen müssen und sich zurückzogen. Auch im Süden in der Region Cherson hätten die russischen Streitkräfte aufgrund des großen Drucks der ukrainischen Truppen ihre Position nicht halten können. In einer Sommeroffensive hätten die ukrainischen Truppen im Nordosten in der Region Charkiw in wenigen Tagen große Gebiete zurückerobert.

Aus diesen Erfolgen sei eine Art Herbsteuphorie entstanden: Die Ukrainer hätten geglaubt, die russische Aggression über den Winter beenden zu können und in 2023 Russland vollständig aus den besetzten Gebieten zu vertreiben, so Freuding zur Nachgefragt-Moderatorin, Frau Major Caroline Grosse. Dazu seien erste westliche Lieferungen von Waffensystemen und der Beginn der Ausbildung ukrainischer Soldaten durch westliche Staaten gekommen. Aber die Vorbereitungen hätten gedauert, die russischen Streitkräfte hätten sich insbesondere im Zentral-Donbass stark eingerichtet und die Ukrainer hätten kein Mittel im Angriff gegen die immensen russischen Minenfelder gefunden. „Minenfelder eines Ausmaßes und einer Dichte, wie auch wir sie uns nicht hätten vorstellen können“, erklärt Freuding.

Frontlinie über 1.000 Kilometer

Das Jahr 2023 sei auch durch den Übergang zu einem starken Abnutzungskrieges gekennzeichnet gewesen. Der General nennt ein Beispiel: „In Bachmut war über Monate Haus für Haus, Straßenzug für Straßenzug umkämpft.“ Im Mai dann sei die Stadt gefallen. Auch in Awdijiwka, zehn Kilometer südlich in der Region Donezk, habe sich der Kampf Straße für Straße fortgesetzt. Auch in den Folgemonaten habe sich dieser Verlauf fortgesetzt. Die russischen Landgewinne unter hohen Verlusten beträgen im Norden und Süden ein bis zwei Prozent, in der Gesamtukraine sei die Fläche der von Russland besetzten Gebiete von 18 auf 20 Prozent gestiegen. Im Jahr 2024 sei dann insbesondere dem Drohnenkrieg eine gestiegene Bedeutung zugekommen – mit sehr raschen Entwicklungen auf ukrainischer Seite, „die – bei aller Tragik – die eigenen Verluste begrenzen konnten“, stellt Freuding fest.

Aktuell sei die Ukraine in der Defensive, der Schwerpunkt der russischen Offensive läge nach wie vor im Zentral-Donbass. Hier käme es den russischen Truppen insbesondere darauf an, den ukrainischen Logistikknotenpunkt Pokrowsk auszuschalten. Im Norden und im Süden seien kaum Veränderungen festzustellen, so Freuding. In der russischen Region Kursk, in die ukrainische Kräfte seit August 2024 vorgestoßen waren, hätten die russischen Truppen im vergangenen Quartal die größten Fortschritte erzielt. Hier zeichne sich aber mit Jahresbeginn 2025 eine Trendumkehr ab, die insbesondere auf die geschickte Verteidigung der Ukrainer zurückzuführen sei. Vor Ort würden aktuell rund 60.000 russische Soldaten gebunden. Zudem sei davon auszugehen, dass trotz großer Verluste rund elf -bis zwölftausend nordkoreanische Soldaten in die russischen Verbände bei Kursk eingegliedert seien.  

Dieser Krieg als große menschliche Tragödie

Offiziell gäbe es von ukrainischer Seite keine Opferzahlen, so der General, aber man gehe davon aus, dass die Ukraine bislang eine wahrscheinlich sechsstellige Zahl an Soldaten verloren habe. Bei den russischen Verlusten gehe man von rund 800.000 aus. Im Schnitt fielen aktuell 1.000 russische Soldaten am Tag. Die russischen Landgewinne hingegen hätten in 2024 nur ein bis zwei Prozent betragen: Hier sähe man das Missverhältnis der russischen Angriffsoperationen. Die Vereinten Nationen sprächen von mindestens 20.000 zivilen Opfern in der Ukraine, man gehe zudem von mehreren zehntausend ukrainischen Kriegsgefangenen aus.  Die personellen Verluste könnten auf ukrainischer Seite kaum aufgefüllt werden – trotz eines neuen Rekrutierungsgesetzes und der in diesen Tagen aufgesetzten Freiwilligenkampagne. Russland hingegen, so Freuding, könne seine Verluste überkompensieren: mit diversen Vergünstigungen für neue Rekruten – aber auch mit der Ausübung entsprechenden Zwanges, wie es in einer Diktatur erwartbar gewesen sei.

Weitere Unterstützung durch Deutschland

Die Unterstützung der Ukraine durch den Westen sei enorm. Über 400 Milliarden Euro habe die Ukraine bislang erhalten, davon rund 44 Milliarden aus Deutschland. Von den militärischen Unterstützungsleistung in Höhe von rund 164 Milliarden Euro kommen circa 28 Milliarden aus Deutschland: Deutschland sei der größte militärische Unterstützer der Ukraine in Europa. Insbesondere im Bereich der Luftverteidigung mit PatriotPhased Array Tracking Radar to Intercept on Target- und IRIS-TInfra-Red Imaging System–Tail/Thrust Vector-Controlled-Systemen, aber auch an Großgerät und Fahrzeugen habe allein Deutschland bisher das Äquivalent von fünf mechanisierten Brigaden geliefert. Dazu zählten allein 140 Schützenpanzer und 120 Kampfpanzer. Mit fast 60 Flugabwehrkanonenpanzern komme das Äquivalent von mehr als drei Flugabwehrbataillonen dazu und mit 25 Panzerhaubitzen 2000 sowie Mehrfachraketenwerfern das Äquivalent von zwei Artilleriebataillonen.

Auch die von Deutschland gelieferte Artilleriemunition sei dabei auch ein entscheidendes Asset, erklärt Freuding. Nach 340.000 Schuss im vergangenen Jahr werde in 2025 die Lieferung von 370.000 Schuss erwartet. Darüber hinaus sollen die ersten sechs neuen Radhaubitzen geliefert werden, für die gerade die Ausbildung der ukrainischen Soldaten laufe. Insgesamt sollen in diesem Jahr 10.000 ukrainische Soldatinnen und Soldaten, vom Sanitäter bis zum Scharfschützen, in Deutschland ausgebildet werden. Von Beginn an sei es die Philosophie gewesen, nicht nur Gerät an die Ukraine zu liefern, sondern ein Gesamtpaket: Neben den Waffensystemen an sich, den Ersatzteilen und der Instandsetzung zählten dazu auch die Munition und insbesondere die Ausbildung der künftigen ukrainischen Besatzungen.

Was wird aus der Ukraine Defense Contact Group?

Im Jahr 2022 entstand die Ukraine Defense Contact Group, eine Allianz aus 57 Ländern und der Europäischen Union, die sich zur Unterstützung der Ukraine formiert hat. Was wird gebraucht in der Ukraine und wer aus der Gruppe kann was dazu beitragen? Das nach dem Tagungsort benannte Ramstein-Format werde auch in Zukunft weitergeführt werden, prognostiziert Freuding. Deutschland und das Vereinigte Königreich würden der Gruppe künftig in einer Doppelspitze vorstehen. Ziel sei es, dass die Ukraine in zwei Phasen bis 2027 und 2031 verteidigungs- und abschreckungsfähige Streitkräfte haben werde. Auch der Regierungswechsel in den USA werde an der Unterstützung des Westens für die Ukraine nichts ändern.

„Ich rate in erster Linie zur Gelassenheit“, so Freuding. Er gehe davon aus, dass die unter der Vorgängerregierung Joe Bidens bewilligten Unterstützungsleistungen weiterliefen. „Wir werden dann versuchen, den Dialog mit unseren amerikanischen Partnern wieder zu versachlichen und einen Weg finden, wie wir gemeinsam die Ukraine weiter unterstützen wollen.“ Als Europäer dürfe man auch selbstbewusst sein: Über 60 Prozent der Unterstützungsleistungen der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Partner seien 2024 aus Europa und Kanada gekommen, sogar 80 Prozent der kritischen Munition. „Wir werden zumindest ein Gutteil der amerikanischen Unterstützung – wenn es darauf ankommt und wir den politischen Willen haben – durch die Europäer kompensieren.“

von Sebastian Bangert

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