Nachgefragt

Krise, Krieg und Konflikte

Bürger fragen, Führungskräfte aus Bundeswehr und Verteidigungsministerium antworten: Das ist die Idee von „Nachgefragt“. Die Reihe wurde mit Beginn des Ukrainekrieges gestartet. Einmal wöchentlich gibt es eine neue Folge mit wechselnden Gästen. Sie vermitteln sicherheitspolitische Informationen aus erster Hand.

Ein Soldat und eine Soldatin stehen sich während eines Interviews in einem Studio gegenüber

„Wenn Russland die NATO angreifen würde, werden wir einen anderen Krieg sehen“

Die NATO ist das mächtigste Militärbündnis der Welt: 32 Staaten sorgen mit vereinten Kräften für kollektive Sicherheit. Doch Russland stellt die Machtposition der NATO insbesondere in Osteuropa infrage. Wie die Alliierten zur Abschreckung Russlands zusammenarbeiten, erklärt NATO-Experte Oberst i. G. Ralph Meyer aus dem Verteidigungsministerium.

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Oberst i. G. Ralph Meyer leitet im Verteidigungsministerium das Referat für militärpolitische Grundlagen. Mit „Nachgefragt“-Moderatorin, Frau Major Caroline Grosse, spricht er über die NATO und die Abschreckung Russlands.

Das transatlantische Verteidigungsbündnis hat vor kurzem seinen 75. Gründungstag begangen. Zwölf Staaten hatten sich 1949 zur NATO zusammengeschlossen. „Sie wurde gegründet gegen eine weitere Expansion der Sowjetunion in Europa, und sie wurde gegründet für eine Stärkung von Sicherheit und Freiheit in Westeuropa“, sagt Oberst i. G. Ralph Meyer.

Deutschland wurde 1955 in die NATO aufgenommen. Heute hat sie 32 Mitglieder und ist damit die mit Abstand stärkste Militärallianz der Welt. Finanziert wird sie aus den Beiträgen der Mitgliedstaaten. „Deutschland ist mit 16,3 Prozent auf Augenhöhe mit den USA der zweitgrößte Zahler“, so Meyer zur „Nachgefragt“-Moderatorin, Frau Major Caroline Grosse.

Darüber hinaus brächten alle NATO-Mitglieder militärische Fähigkeiten und Truppen in das Bündnis ein. „Es ist also nicht nur Geld, es ist nicht nur ein Versicherungsbeitrag oder ein Mitgliedsbeitrag, für den man mehr Sicherheit bekommt“, sagt Meyer. „Es kommt auf alle Nationen an: mit den Beiträgen, mit denen sie Kräfte, Fähigkeiten und Soldaten einbringen.“

Entschieden wird im Konsens

Entschieden werde ausschließlich einstimmig, so Meyer. „Das Konsensprinzip steht über allem. Insofern wird am Tisch – egal, ob im NATO-Rat oder im Militärausschuss – diskutiert, bis Einigkeit erzielt wird.“ Das gelte auch für die USA, den größten und stärksten NATO-Staat. „Sie bringen am meisten und sehr moderne Fähigkeiten mit ein. Doch am Ende gilt es, bei jedem Vorhaben, das man hat, Konsens zu erzielen.“ Auch die Taktgeber des Bündnisses müssten ihre Partner stets überzeugen, um eine Entscheidung herbeizuführen.

Die NATO habe drei Kernaufgaben, so der Oberst weiter: „Kollektive Verteidigung, Krisenmanagement und kooperative Sicherheit.“ Um diese Aufgaben zu erfüllen, brauche es die militärischen Fähigkeiten der Mitgliedstaaten. Abhängig von der Bedrohungslage und den politischen Vorgaben der Mitgliedstaaten erarbeite die NATO alle vier Jahre einen Plan, wer welche militärischen Fähigkeiten wann und wo zur Verfügung stellen müsse. Diese Fähigkeitsziele würden dann in die Planungen der einzelnen Staaten übernommen: „Auch wir Deutschen richten unsere eigene Fähigkeitsplanung darauf aus, was wir jetzt haben, was wir zukünftig brauchen und was wir bis dahin entwickeln müssen“, führt Meyer aus.

Was passiert im Bündnisfall?

Im Verbund sei die NATO in der Lage, Abschreckung und Verteidigung in Mitteleuropa zu gewährleisten, so der Oberst. „Wir verlassen uns unbedingt aufeinander. Die Idee ist, dass ein Angriff auf einen Alliierten immer auch ein Angriff auf alle Alliierten ist.“

Trete dieser Fall ein, kämen die Alliierten zunächst zu Konsultationen im NATO-Hauptquartier zusammen. „Der Artikel 5 würde wahrscheinlich ausgerufen werden, die gegenseitige Beistandsverpflichtung“, sagt der Oberst. Gleichzeitig würde der NATO-Oberbefehlshaber die schnellen Eingreifkräfte der NATO mobilisieren und in die Krisenregion verlegen. „Und dann werden die Regionalpläne ausgelöst zusammen mit den nationalen Verteidigungsplänen der jeweiligen Bündnispartner.“ 

Als Drehscheibe für die Verlegung der NATO-Truppen Richtung Osteuropa werde Deutschland dabei eine entscheidende Rolle zukommen, so Meyer weiter.

Abschreckung durch Stärke

Damit es nicht so weit kommt, demonstriert die NATO insbesondere in Osteuropa an der Grenze zu Russland ihre Stärke. „Wir üben Abschreckung und Verteidigung in allen Regionen, in allen Dimensionen, 360 Grad. Wir üben genau die Verteidigungsfähigkeit, die wir brauchen“, sagt Meyer. Dies sei mitnichten als Provokation Russlands zu verstehen, so der Oberst. „Im Übrigen soll Russland ruhig zuschauen, wie wir üben, damit es nicht zu einer Fehleinschätzung kommt, die vielleicht dann doch einen russischen Angriff auf NATO-Territorium bedeuten könnte.“

Denn schon in ein paar Jahren könnte Russland zu mehr in der Lage zu sein, als nur die Ukraine anzugreifen, warnt Meyer. „Wenn Russland die NATO oder einen Alliierten angreifen würde, dann werden wir einen anderen Krieg sehen: Dann werden wir einen Krieg sehen mit modernen Luftstreitkräften, mit modernen Seestreitkräften, in allen Dimensionen – vielleicht sogar im Weltraum.“ 

Um dem vorzubeugen, müsse die NATO aus den militärischen Entwicklungen im Krieg in der Ukraine und anderen Konflikten lernen und ihre Fähigkeiten auf dem neuesten Stand halten. „Damit es keinem Angreifer möglich ist, die NATO anzugreifen“, so der NATO-Experte aus dem Verteidigungsministerium.

von Timo Kather

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