Nachgefragt

Krise, Krieg und Konflikte

Bürger fragen, Führungskräfte aus Bundeswehr und Verteidigungsministerium antworten: Das ist die Idee von „Nachgefragt“. Die Reihe wurde mit Beginn des Ukrainekrieges gestartet. Alle zwei Wochen gibt es eine neue Folge mit wechselnden Gästen. Sie vermitteln sicherheitspolitische Informationen aus erster Hand.

Eine Soldatin interviewt eine Frau an einem Tisch vor einem Monitor

Investitionen in Europas Sicherheit: „Der Bedarf ist fast uferlos“

Mindestens 500 Milliarden Euro: So viel Geld muss laut EUEuropäische Union-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in die Hand genommen werden, um Russland glaubwürdig abzuschrecken. Gleichzeitig gilt es, die Ukraine in die künftige EUEuropäische Union-Sicherheitsarchitektur einzubinden. Wie das funktionieren kann, skizziert eine EUEuropäische Union-Diplomatin aus Deutschland.

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Ministerialrätin Dr. Benedikta Freiin von Seherr-Thoß ist Generaldirektorin beim Auswärtigen Dienst der EUEuropäische Union. Mit „Nachgefragt“-Moderatorin Frau Hauptmann Maria Schönemann spricht sie über die Sicherheit in Europa und die Rolle der Ukraine.

Dr. Benedikta Freiin von Seherr-Thoß arbeitet im Europäischen Auswärtigen Dienst. Dieser ist „quasi das Außen- und Verteidigungsministerium der EUEuropäische Union“, erklärt die Ministerialrätin. Die Generaldirektorin für Frieden, Sicherheit und Verteidigung und ihre 250 Mitarbeitenden kümmern sich um die zivilen und die militärischen Missionen der Europäischen Union, verwalten mit der europäische Friedensfaszilität einen Fonds zur Kofinanzierung von Rüstungsprojekten und pflegen die Beziehungen zu den internationalen Partnern. „Ganz oben steht die Unterstützung der Ukraine und die Frage, wie stellen wir uns als Europa besser auf?“, so die Diplomatin zur Moderatorin von „Nachgefragt“, Frau Hauptmann Maria Schönemann.

124 Milliarden Euro für die Ukraine

Russlands Überfall auf die Ukraine habe die Europäische Union völlig verändert, konstatiert von Seherr-Thoß. „Wer hätte sich vor fast drei Jahren vorstellen können, dass die EUEuropäische Union finanziell die Mitgliedstaaten unterstützt, um Waffen in ein Kriegsgebiet zu senden?“ Insbesondere in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik habe der Staatenbund einen Riesensprung gemacht, so die Generaldirektorin. So sei die Ukraine mit bisher 124 Milliarden Euro unterstützt worden, wovon 45 Milliarden Euro für konkrete militärische Fähigkeiten aufgewandt worden seien. Hinzu komme die Ausbildungsmission EUMAM UAEuropean Union Military Assistance Mission Ukraine, durch die bislang 65.000 ukrainische Soldatinnen und Soldaten für die Verteidigung ihres Landes ausgebildet wurden.

EUMAM UAEuropean Union Military Assistance Mission Ukraine sei schon jetzt die größte Ausbildungsmission in der EUEuropäische Union-Geschichte, so die Diplomatin. Bis Ende des Winters solle die Zahl der in Europa ausgebildeten ukrainischen Truppen auf insgesamt 75.000 Männer und Frauen gesteigert werden. Etwa 1.300 unterschiedliche Module würden unterrichtet: Von der Grundausbildung von Rekrutinnen und Rekruten über die Ausbildung für den Dienst in militärischen Stäben bis hin zum Training von Kampfpiloten.

Russisches Geld für ukrainische Rüstung

Die Mittel zur Unterstützung der Ukraine würden aus verschiedenen Budgets finanziert. „Ein Teil kommt aus dem EUEuropäische Union-Haushalt. Ein Teil kommt aus einem Topf, in den die Mitgliedstaaten einzahlen: der europäischen Friedensfaszilität“, so von Seherr-Thoß. Diese umfasse inzwischen rund 20 Milliarden Euro. Entschließe sich ein EUEuropäische Union-Mitgliedstaat zur Lieferung von Waffen oder Munition an die Ukraine, könne ihm durch die Friedensfaszilität etwa die Hälfte der Kosten zurückerstattet werden.

Bei der Unterstützung der Ukraine richte sich die EUEuropäische Union danach, was dort am nötigsten gebraucht werde. „Die Ukraine sagt: Das sind unsere Prioritäten. Wir geben die an die Mitgliedstaaten weiter. Die Mitgliedstaaten sagen uns, was sie in diesen Prioritäten liefern können – also zum Beispiel bestimmte Waffensysteme oder Munition“, skizziert von Seherr-Thoß das Verfahren. Dann werde eine Liste zusammengestellt, aus der die Ukraine auswählen könne. „Sobald wir die Antwort von den Ukrainern haben, erstellen wir die Verträge mit den Mitgliedstaaten und überweisen ihnen das Geld, damit sie das dann beschaffen und an die Ukraine liefern können.“

Auch würden inzwischen die Zinsen aus den von der EUEuropäische Union eingefrorenen russischen Konten zur Unterstützung der Ukraine verwendet. „Das ist Teil der Sanktionen der EUEuropäische Union, und die geben uns auch noch einmal ganz neue Möglichkeiten, wie wir die Ukraine unterstützen können“, sagt die EUEuropäische Union-Diplomatin. Mit den Zinsen würden zum Beispiel Direktinvestitionen in die ukrainische Rüstungsindustrie getätigt, die ihre Produktion seit Kriegsbeginn verachtzehnfacht habe.

Neue Schulden für die Verteidigung?

Der Krieg in der Ukraine habe gezeigt, dass die EUEuropäische Union zu wenig militärische Fähigkeiten habe, um die Ukraine ausreichend zu unterstützen, so die Spitzenbeamte aus Deutschland. Auch reichten die Fähigkeiten nicht aus, um Europa aus eigener Kraft zu verteidigen. Die Interoperabilität der Waffensysteme müsse ebenso verbessert werden wie die Zusammenarbeit der EUEuropäische Union-Mitgliedstaaten in der Rüstung. „Deswegen versucht die EUEuropäische Union Anreize zu bieten, dass man schon von der Forschung über die Entwicklung, Beschaffung und so weiter, über den gesamten Zyklus eben, kooperiert“, sagt von Seherr-Thoß. Es brauche mehr Produktionsstraßen für Rüstungsgüter. Auch müssten die Lieferketten verbessert werden.

Die Gretchenfrage sei die Finanzierung des Ganzen, räumt die EUEuropäische Union-Diplomatin ein. „Wir wissen, wir haben 30 Jahre zu wenig investiert – sprich, wir müssen jetzt einiges nachholen.“  EUEuropäische Union-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe den Investitionsbedarf auf 500 Milliarden Euro beziffert, gibt von Seherr-Thoß zu bedenken: „Das ist eine sehr konservative Rechnung. Der Bedarf ist fast uferlos.“

Finanziert werden müsse das Ganze zunächst aus dem EUEuropäische Union-Haushalt selber, bei der Aufstellung des nächsten Haushaltes für 2028 werde man „sicherlich einen signifikanten Anteil für den Bereich Verteidigung“ einplanen. Auch müsse die Frage beantwortet werden, ob man für die Verteidigung zu einer gemeinsamen Schuldenaufnahme in Form sogenannter „Defense Bonds“ bereit sei, so die Generaldirektorin.

Ukraine langfristig in EUEuropäische Union einbinden

Viele drängende Fragen sollen in einem sogenannten „Weißbuch“ für die Sicherheit Europas beantwortet werden, dass derzeit von EUEuropäische Union-Chefdiplomatin Kaja Kallas und dem neuen EUEuropäische Union-Verteidigungskommissar Andrius Kubilius erarbeitet wird. Auf Basis einer Bedrohungsanalyse werde eine Strategie erarbeitet, wie militärische Fähigkeitslücken der EUEuropäische Union-Mitgliedstaaten zu schließen seien, führt von Seherr-Thoß aus. Auch solle aus dem kommenden „Weißbuch“ hervorgehen, wie die anstehenden Investitionen am besten zu stemmen seien.

Bei allen strategischen Erwägungen werde die Ukraine immer mitgedacht, betont die EUEuropäische Union-Diplomatin. „Da geht es nicht nur um die Unterstützung der Ukraine, sondern es geht um die langfristige Einbindung der Ukraine in die EUEuropäische Union und damit auch der ukrainischen Rüstungsindustrie in die Rüstungsindustrie der EUEuropäische Union“, sagt die Generaldirektorin für Frieden, Sicherheit und Verteidigung beim Auswärtigen Dienst der EUEuropäische Union.

von Timo Kather

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