„Nachgefragt“

Herr General, wird Deutschland nun doch zur Kriegspartei? „Eindeutig nein“

Herr General, wird Deutschland nun doch zur Kriegspartei? „Eindeutig nein“

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
4 MIN

Russland greift die grenznahe ukrainische Region Charkiw auch von russischem Boden an. Deshalb wurde der Ukraine unter anderem von Deutschland erlaubt, die gelieferten Waffensysteme auch für Gegenschläge jenseits der Grenze zu nutzen. Warum diese Entscheidung gefällt wurde, weiß der Leiter des Sonderstabs Ukraine im Verteidigungsministerium, Generalmajor Dr. Christian Freuding.

Passen Sie jetzt Ihre Datenschutzeinstellungen an, um dieses Video zu sehen

Generalmajor Dr. Christian Freuding leitet den Sonderstab Ukraine im Verteidigungsministerium. Zusammen mit „Nachgefragt“-Moderatorin Frau Hauptmann Janet Watson analysiert er die Entwicklungen im Kriegsgebiet.

„Wir haben von Beginn an gesagt: Wir handeln immer lageangepasst und in engster Abstimmung mit unseren Verbündeten und Partnern. Genau das haben wir jetzt getan“, sagt Generalmajor Freuding zur jüngsten Entscheidung der Bundesregierung.

Russland habe Stellungen der ukrainischen Streitkräfte von jenseits der Grenze mit Artillerie, Flugzeugen und Hubschraubern angegriffen. „Das ist militärisch und moralisch in keiner Weise vertretbar“, so der Leiter des Sonderstabs Ukraine im Verteidigungsministerium. Deshalb könnten sämtliche von Deutschland an die Ukraine gelieferten Waffensysteme nun auch gegen völkerrechtlich legitime Ziele auf russischem Boden und im russischen Luftraum eingesetzt werden.

Dennoch werde Deutschland dadurch nicht zur Kriegspartei, so Freuding auf die Frage von „Nachgefragt“-Moderatorin Frau Hauptmann Janet Watson. „Die Antwort ist ein eindeutiges Nein. Erstens sind das ja Waffensysteme der Ukrainer. Zweitens werden sie von ukrainischen Soldatinnen und Soldaten bedient. Und drittens wird Kriegspartei nur derjenige, der eine zurechenbare Schädigungshandlung unternimmt. Und das ist mit Blick auf Deutschland in keiner Weise der Fall“, so der Generalmajor.

Russische Politiker hatten nach der Entscheidung unter anderem mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht – und das nicht zum ersten Mal. Er halte dieses „nukleare Säbelrasseln“ Russlands für unverantwortlich, so Freuding. „Wir müssen jetzt darauf achten, dass wir uns davon in keiner Weise in unserem Verhalten, in unseren Handlungen, in unserer Haltung beeinflussen lassen.“ Zusammen mit den Alliierten werde die Lage ganz genau beobachtet, so der Generalmajor. „Wir wissen, was da passiert und was da nicht passiert.“

Ukrainische Verteidigung hält Russland stand

Die russischen Streitkräfte seien derzeit unverändert in der Initiative, so Freuding – insbesondere in der Grenzregion um Charkiw und Belgorod. „Dort haben in den ersten Maitagen die russischen Streitkräfte einen Vorstoß auf das ukrainische Gebiet vorgetragen und haben relativ rasch größere Geländegewinne erzielen können.“ Zehn bis 17 Kilometer seien die russischen Truppen vorgestoßen, bevor ihr Angriff von den ukrainischen Landesverteidigern aufgefangen worden sei.

Insgesamt hätte Russland seit Jahresanfang Geländegewinne von 700 bis 750 Quadratkilometern erzielen können, sagt Freuding – dies entspräche der Größe der Stadt Hamburg. „Der operative Ansatz der russischen Streitkräfte zielt darauf ab, die Front weiter auszudehnen, zu überdehnen“, so der Generalmajor. Der Angriffsschwerpunkt liege aber nach wie vor weiter südlich im zentralen Donbas, bei Bachmut und Avdiivka. „Die Russen versuchen, die ukrainischen Reserven in den Norden zu ziehen, um einen Einbruch oder einen Durchbruch gar in diesem zentralen Donbas zu erzielen“, sagt Freuding. Bislang sei dies aber nicht gelungen.

Eine Million Ukrainer für Kriegsdienst registriert

Nach mehr als zwei Jahren Krieg haben beide Seiten enorme Verluste zu verkraften. Manche Truppenteile der Ukraine stünden seit zwei Jahren an der Front, berichtet Freuding. Die ukrainische Regierung hatte deshalb vor kurzem ein Gesetz erlassen, um mehr Rekruten zu gewinnen. „Wir sprechen da von einer Million Ukrainern, die sich haben registrieren lassen“, so Freuding. Nach Musterung, Einberufung und Ausbildung werde dies „hoffentlich dazu beitragen, die ukrainische Personalsituation nachhaltig zu verbessern.“

Russland hingegen könne seine Verluste – Schätzungen zufolge gab es bereits 500.000 Tote und Verwundete – mit einem Mix aus Repression und finanziellen Anreizen teilweise sogar überkompensieren, so der Generalmajor. „Die personelle Regeneration der russischen Streitkräfte funktioniert aus russischer Sicht gut.“

Er sei weiter überzeugt, dass die Ukraine den Krieg gewinnen könne, sagt Freuding – Kriegsziel sei nach wie vor die Wiederherstellung ihrer territorialen Integrität und Souveränität. „Alles andere käme ja einer Akzeptanz des flagranten Rechtsbruches Russlands, der Aggression Russlands gleich, die in keiner Weise hinzunehmen ist“, sagt der Leiter des Sonderstabs Ukraine im Verteidigungsministerium.

von Timo Kather

Weitere Folgen