Zusammenrücken nach der Katastrophe: Internationale Mediziner vernetzen sich
Zusammenrücken nach der Katastrophe: Internationale Mediziner vernetzen sich
- Datum:
- Ort:
- Türkei
- Lesedauer:
- 4 MIN
Bevor das mobile Rettungszentrum öffnen kann, sind viele Absprachen notwendig – mit dem Regionalgouverneur, dem Bürgermeister und der Polizei ebenso wie mit dem Zivilkrankenhaus und der WHOWorld Health Organization-Repräsentantin, die die internationalen Helfer im Erdbebengebiet koordiniert. Der wichtigste Ansprechpartner jedoch ist das türkische Gesundheitsministerium.
„Grünes Licht vom türkischen Gesundheitsministerium“, freut sich Oberstarzt Dr. Kai Schlolaut beim Betreten des Bürozeltes im mobilen Rettungszentrums der Bundeswehr. Jetzt kann die Hilfe in Altınözü anlaufen wie geplant.
Internationale Mediziner vernetzen sich
Am Vortag hat sich bereits der Lokalgouverneur ein Bild vom Fortgang der Aufbauarbeiten im Camp gemacht. Das Rettungszentrum der Bundeswehr, das derzeit entsteht, wird temporär das vom Erdbeben zerstörte Krankenhaus der Stadt unterstützen.
Zu den Aufgaben des deutschen Kontingentführers beim Einsatz Humanitäre Hilfe Türkei gehört die enge Abstimmung mit allen nationalen und internationalen Beteiligten. Deshalb hat er auch gleich in den ersten Tagen Verbindung mit anderen Hilfsorganisationen aufgenommen und deren mobile Einrichtungen besucht. Dazu gehört UMKE, die staatliche türkische Katastrophenschutzorganisation, ebenso wie spanische, amerikanische und italienische Behandlungseinrichtungen. „Die sind jetzt alle fünf, sechs Wochen hier im Einsatz, das war wichtig für den Erfahrungsaustausch.“
Voneinander lernen, gemeinsam helfen
Die meisten internationalen Helfer ziehen derzeit ab und übergeben ihre Einrichtungen an türkische Mediziner. Mit diesen möchte der deutsche Kontingentführer in Zukunft eng zusammenarbeiten. Für ihn ist es wichtig, möglichst viel über die Bedürfnisse der Patienten im Erdbebengebiet und die Anforderungen an die Ärztinnen und Ärzte zu erfahren. „Am Anfang hatten sie zum Beispiel erwartet, noch deutlich mehr traumatologische Patienten durch das Erdbeben zu sehen. Das war aber nur eine ganz kurze Phase, dann sind sie übergegangen zu einer Grundversorgung der Bevölkerung.“
Interessant ist auch die Anzahl der Patienten, die zu den mobilen Krankenhäusern kommen. Zwar sind die Bedingungen regional unterschiedlich, dennoch gibt es vergleichbare Muster: „Wir vermuten, dass wir 100 bis 200 Patienten am Tag sehen, von denen fast 90 Prozent ambulant behandelt werden können, mit vielen Infektionskrankheiten, Hautkrankheiten und Folgeerkrankungen von nicht behandeltem Bluthochdruck oder Diabetes. Chirurgisch erwarten wir Dinge wie eine Blinddarmentzündung oder einen Leistenbruch.“ Zu den Patienten werden vermutlich viele Kinder gehören, für deren Behandlung türkische Kinderärzte das deutsche Personal verstärken.
Da das deutsche Rettungszentrum keine Gynäkologie oder Geburtshilfe bietet, werden Schwangere in die Behandlungszelte des ehemaligen Stadtkrankenhauses weiter überwiesen. Die Öffnungszeiten orientieren sich an regionalen Gewohnheiten und liegen voraussichtlich zwischen 9 und 21 Uhr. Akute Fälle wie Opfer von Verkehrsunfällen werden aber auch mitten in der Nacht versorgt.
Blut, Briefe und Pillen
In bestimmten Bereichen berät der Kontingentführer mit seinen Gesprächspartnern, inwiefern man Kapazitäten anderer Einrichtungen mitnutzen kann. So haben beispielsweise die italienischen Mediziner angeboten, dass die Deutschen deren Sterilisator für chirurgisches Besteck mitnutzen dürfen. Dieses schwere und komplizierte Gerät aufwendig aus Deutschland einzufliegen wäre damit überflüssig. Für Blutkonserven gibt es eine Blutbank in der nahegelegenen Stadt Antakya. „Um auf Notfälle vorbereitet zu sein, werden wir aber kleinen Vorrat anlegen“, sagt Schlolaut. Größere Mengen an Medikamenten und Verbandsmaterial lagert bei örtlichen Apothekern, die gern damit aushelfen möchten.
Eine andere noch offene Frage betrifft Dokumentation sowie Arztbriefe. Schon für die Anamnese brauchen die deutschen Mediziner einen Übersetzer. „Wenn ich dann einen Befund erstellt habe und weiß, was ich medizinisch machen möchte, ist es eine Sache, das für uns zu dokumentieren, andererseits wollen wir den Patienten natürlich etwas mitgeben, insbesondere, wenn sie noch einmal nachbehandelt werden müssen“, erklärt der Oberstarzt. Dafür müssen die deutschen Notizen wieder in ein türkisches Schriftstück übersetzt werden, eine Aufgabe, für die sich die Bundeswehr Unterstützung durch türkische Arztschreiber erhofft.
Kind mit Bauchweh statt Soldat mit Steckschuss
Das deutsche Rettungszentrum ist luftverlegbar und damit klein, leicht und schnell. Es ist an sich darauf ausgelegt, für einen beschränkten Zeitraum Soldatinnen und Soldaten mit Schuss- oder Minenverletzungen zu versorgen und transportfähig zu machen.
In Altınözü soll es nun für einen längeren Zeitraum die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleisten. Entsprechend ändern sich Aufbau, benötigte Geräte und Anforderungen an das medizinische Personal. „Wir brauchen hier viel mehr Antibiotika als Nahtmaterial“, gibt Schlolaut ein Beispiel. „Und wenn ich einen Zugang legen und Flüssigkeit zuführen will, bringt es bei einem kleinen Kind nichts, einen Zugang für einen Erwachsenen zu haben.“
Der Oberstarzt ist aber überzeugt davon, mit seiner Truppe bestens gewappnet zu sein: „Weil unsere Bundeswehrkrankenhäuser in Deutschland ins zivile Gesundheitssystem integriert sind und mit ihren zentralen Notaufnahmen genauso Anlaufpunkt sind für Alltägliches vom Unfall über Rückenschmerzen bis hin zu Dingen, die am Wochenende nicht vom kassenärztlichen Notdienst abgedeckt werden können.“ Durch diese Vernetzung sind die Ärztinnen und Ärzte ebenso wie das Pflegepersonal gut vorbereitet auf die Aufgaben, die sie nun im Erdbebengebiet in der Türkei erwarten.