Ministerin bedankt sich bei Soldatinnen und Soldaten für Afghanistan-Einsatz

Ministerin bedankt sich bei Soldatinnen und Soldaten für Afghanistan-Einsatz

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
9 MIN

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Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer würdigte in einer Rede in Berlin die in Afghanistan eingesetzten Soldatinnen und Soldaten. Sie fasste das fast 20-jährige Engagement der Bundeswehr zusammen. Kramp-Karrenbauer sprach den Angehörigen der Bundeswehr ihren Dank aus, unterstrich aber auch die Grenzen des militärischen Einsatzes.

Annegret Kramp-Karrenbauer am Rednerpult

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer: „Kein Einsatz zuvor hat die Bundeswehr so sehr geprägt wie dieser. Kein Einsatz zuvor war so intensiv, so gefährlich.“

Sebastian Wilke/Bundeswehr

Es gilt das gesprochene Wort.

Heute ist nicht der Tag, das Kapitel Afghanistan zu schließen. Das verbietet alleine die Situation in Afghanistan. Das verbietet die Tatsache, dass Menschen, die an unserer Seite unterstützt und gekämpft haben als Ortskräfte, noch in Afghanistan sind. Und dass alle unseren politischen und diplomatischen Bemühungen darauf gerichtet sein müssen, für diese Menschen eine sichere Ausreise aus Afghanistan zu ermöglichen. Das gebietet die humanitäre Situation in Afghanistan und das gebietet auch die politische Situation.

Und heute ist auch nicht der Tag der Politik. Wir stehen heute nicht im Mittelpunkt, nicht die Debatten, nicht der Streit über den Sinn, über den Ablauf, über Erfolg oder Nicht-Erfolg des Afghanistan-Einsatzes.

Wir stehen heute im Hintergrund, um den Blick freizumachen: Auf Sie, die diesen Einsatz in zwanzig Jahren getragen haben. Auf Sie, die Sie vor Ort, manche mehrmals, über viele Monate und Tage, in Afghanistan waren.

Auf Ihre Kameraden, die in Afghanistan gefallen sind oder im Zusammenhang mit dem Einsatz ums Leben gekommen sind. Auf Ihre Familien und die Hinterbliebenen, die diese Last gemeinsam mit Ihnen getragen haben und bis zum heutigen Tag tragen.

Heute ist Ihr Tag; ist der Tag Ihrer Würdigung; ist der Tag, um Danke zu sagen und Respekt zu zollen.

Wir würdigen heute unsere Soldatinnen und Soldaten aller 76 Kontingente, die in den vergangenen 20 Jahren in Afghanistan im Einsatz waren. Sie, Ihre Familien, Freunde und Kameraden, die Ihnen stets zur Seite standen, Sie stehen heute im Mittelpunkt.

Kein Einsatz zuvor hat die Bundeswehr so sehr geprägt wie dieser. Kein Einsatz zuvor war so intensiv, so gefährlich. Vor 7.224 Tagen landeten die ersten deutschen Soldaten in Afghanistan. Sie fanden sich in einer anderen Welt wieder: In Hitze und Staub, einer Stadt, die aussah wie Berlin nach dem Ende des 2. Weltkrieges, wie der erste deutsche Kontingentführer General von Butler von seinen ersten Tagen in Kabul berichtete.

Was in offenen, ungeschützten Jeeps und mit dem Verteilen von Süßigkeiten in Kabul begann, wurde einige Jahre später zu einem anderen Einsatz, in der unsere Soldatinnen und Soldaten morgens beim Verlassen des OP North nicht wussten, ob alle abends wieder zurückkehren werden.

Diese Sorge war dabei nicht nur im Einsatzgebiet oder in der Bundeswehr präsent – sie war auch in Deutschland spürbar, in vielen kleinen Orten, hinter unzähligen Wohnungstüren. Denn hinter jeder Soldatin, hinter jedem Soldaten standen – und stehen – Familien und Freunde in der Heimat, die Sorge hatten, dass im Radio wieder von neuen Gefechten in Afghanistan berichtet wird, dass es an der Tür klingelt, dass jemand in Uniform mit der unvorstellbaren Nachricht vor der Tür steht.

In den vergangenen Jahren haben wir uns auf die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte fokussiert. Wir wollten sie in die Lage versetzen später – in der Zeit ohne uns – für ihre Sicherheit und die Sicherheit ihres Landes selbst sorgen zu können. Handwerklich haben wir die Armee gut ausgebildet.

Aber: Eine Armee muss wissen, wofür sie kämpft, sie braucht Rückhalt und Zusammenhalt. Beides – und das ist eine bittere Lektion – kann man von außen kaum ausbilden.

Heute, 20 Jahre später ist die Bundeswehr eine gänzlich andere Armee – im Selbstverständnis, Ausrüstung und Ausbildung. Wir mussten, Sie mussten schmerzlich erfahren, was Krieg und Gefecht bedeuten. Viele Soldatinnen und Soldaten wurden verletzt oder verwundet, an Leib und Seele. Und 59 Kameraden haben im Afghanistan-Einsatz ihr Leben verloren. Ihr Einsatz ist niemals vergessen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit dem heutigen 13. Oktober stellen wir 20 Jahre Afghanistan in den Fokus der Öffentlichkeit. Das ist richtig so, denn eine Beobachtung aus 20 Jahren Einsatz ist auch, dass zu lange zu wenig über diesen Einsatz gesprochen wurde:

Während Sie, die Soldatinnen und Soldaten, vor Ort in Afghanistan waren, über Jahre und Monate die Auseinandersetzung vor Ort als Krieg erlebt haben, haben wir uns in Deutschland in der öffentlichen Debatte vor allem darum Gedanken gemacht, ob man diesen Zustand beim Namen nennen darf oder nicht.

Deswegen gehört zum heutigen Tag auch Ehrlichkeit.
Und zu dieser Ehrlichkeit gehört auch ein Sich-ehrlich-machen.
Ein Sich-ehrlich-machen zu der Frage:

Was kann Deutschland von der Bundeswehr erwarten?
Was können Soldatinnen und Soldaten in einem Konflikt wie Afghanistan leisten?
Und was können sie wiederum von ihrem Land, von Deutschland erwarten?

Denn eines können – ja müssen – wir feststellen:

Deutschlands Anspruch in Afghanistan war größer als das, was die Bundeswehr hätte leisten können.

Unsere Bundeswehr ist vielen Herausforderungen gewachsen, sie kann eine ganze Menge: Sie hat es gerade in den vergangenen Monaten gezeigt: in der Amtshilfe bei Corona, in der Fluthilfe im Ahrtal und in Nordrhein-Westfalen, aber auch bei der militärischen Evakuierungsoperation vor wenigen Wochen.

Sie kann vor allem eines: mit ihren militärischen Mitteln ein Fundament an Sicherheit und einen Raum für andere Akteure schaffen.

Diesen Auftrag – ein Auftrag, den ihr das Parlament immer wieder gegeben hat – hat die Bundeswehr erfüllt: von Afghanistan ging 20 Jahre lang keine terroristische Bedrohung für das Bündnis aus, sie hat quasi aus dem Nichts die afghanischen Sicherheitskräfte zusammen mit den internationalen Partnern aufgebaut, eine Generation Frauen und Männern konnte freier, sicherer und besser aufwachsen als jemals zuvor.

Doch es gibt auch einiges, was die Bundeswehr als Armee nicht kann: Der Aufbau einer Zivilgesellschaft, das Errichten einer Demokratie oder der Aufbau einer Wirtschaft sind nicht der Auftrag von bewaffneten Streitkräften.

Es ist deshalb ein Fehler der Diskussion, das militärische Engagement stellvertretend für das gesamte Handeln Deutschlands zu verstehen. Dabei war immer klar und es muss auch klar sein, dass das Militärische nur ein Teil unseres Engagements für Afghanistan war. Dass es nie ein Selbstzweck war, sondern immer Mittel, um andere Entwicklungen möglich zu machen.

Unsere Soldatinnen und Soldaten, Sie alle, verdienen es deshalb, dass ihre Leistung an ihrem Auftrag gemessen wird. Dieser Auftrag muss der ehrliche Maßstab für Erfolg und Misserfolg unserer Bundeswehr sein. Ihr Auftrag muss auf klarem Mandat und realistischen Zielen basieren. Und sie verdienen es, dass wir in Regierung, Parlament und in der Öffentlichkeit eben diese Frage mit dem nötigen Maß an Selbstkritik und Reflexion debattieren:

  • Was ist denn das Ziel?
  • Haben wir es jemals deutlich genug politisch definiert?
  • Was war denn die Wirkung, die erzielt werden soll?
  • Was waren denn die Mittel, die wir ihnen an die Hand gegeben haben?

Und haben diese Mittel eigentlich ausgereicht, um das, was wir von ihnen erwartet habe, auch umzusetzen?

Soldatinnen und Soldaten!

Mir ist gerade heute im Beisein der höchsten Repräsentanten unseres Landes wichtig zu betonen: Sie haben in 76 Einsatzkontingenten das erreicht, was unter den gegebenen Umständen möglich war – unter Einsatz von Leib und Leben. Und viele von Ihnen und auch Ihre Familien, leiden bis zu eben dieser Minute unter den Folgen dieses Einsatzes.

Ich bin überzeugt: Wir werden dem Einsatz der Bundeswehr, dem Land Afghanistan und auch denen in Afghanistan, die Leib und Leben riskiert haben, um ein besseres Land aufzubauen, nicht gerecht, wenn wir pauschal – und manche auch sehr leichtfertig – 20 Jahre Engagement als Desaster und Katastrophe abkanzeln.

Und all diejenigen, die das tun, bitte ich, einmal einen kurzen Moment zu überlegen, was ein solch schnelles Urteil für die bedeutet, die Angehörige, die Söhne, die Ehemänner in Afghanistan verloren haben, die sie bis zum heutigen Tag vermissen, die Lücken gerissen haben, die sie nicht füllen können. Was das für diejenigen bedeutet, die bis heute von diesem Einsatz gezeichnet sind, an Leib und Seele.

In Verantwortung für das, was Sie für dieses Land, für uns alle eingesetzt und gegeben haben, habe wir die Verantwortung mit der notwendigen Reflexion und Sorgfalt zu formulieren und zu debattieren.

Aber natürlich: Nach all den Jahren, nach all den Opfern, aber auch nach all den Errungenschaften hat es nun für die kommende oberste Priorität, dass wir offen und ehrlich Lehren ziehen – in Verantwortungen für unsere Kameradinnen und Kameraden, die in diesem Moment ihren Dienst im Einsatz leisten.

Mit der Bilanzveranstaltung vergangene Wochen haben wir dazu einen Auftakt gegeben.

Und dieser Auftakt hat gezeigt, dass viele Fragen offen sind. Das sind unbequeme Fragen, auf die wir aber Antworten finden
müssen:

  • Haben wir uns in Afghanistan tatsächlich realistische Ziele gesetzt?
  • Wie weit sind wir grundsätzlich bereit zu gehen, um unsere Werte und Errungenschaften zu stärken, zu schützen und zu verteidigen?
  • Mit welchen Mitteln? Unter Inkaufnahme welcher Kosten und Opfer?

Diese Fragen müssen wir konkret beantworten. Die Antworten darauf sind das beste Gedenken an diejenigen, die in diesem Einsatz geblieben sind.

Wir dürfen – und werden – nicht vergessen, was wir gelernt haben und was Sie, was die Bundeswehr, in 20 Jahren geleistet haben. Und wir werden genauso fragen, was nicht gut lief und was besser werden muss, wie wir Erreichtes langfristig bewahren.

In meinen Gesprächen mit Soldatinnen und Soldaten über 20 Jahre Afghanistan, geht es viel um diese Fragen. Es geht aber auch um die Geschichten, die oftmals in der Öffentlichkeit zu kurz kommen:

  • von der erlebten Kameradschaft,
  • von der Gewissheit, dass unsere Ausbildung und unser
  • soldatisches Selbstverständnis auch im Gefecht
  • bestanden hat und
  • von der Faszination der Aufgabe, für das Land und die Menschen dort.

Afghanistan hat jeden verändert, der damit zu tun hatte. Niemand, der in den zwanzig Jahren Verantwortung trug, der dort im Einsatz war, vergisst diese Zeit. Niemand hat seinen Einsatz so beendet, wie er ihn begonnen hat.

Afghanistan muss uns weiter verändern. Muss uns verändern mit Blick auf die Lektionen, die wir lernen müssen, um diejenigen, die jetzt im Einsatz sind und die in Zukunft in den Einsatz gehen noch besser auszustatten, noch besser vorzubereiten. Und um die Frage der Verbindung zwischen Politik und Armee besser zu beantworten, als wir das vielleicht in den letzten zwanzig Jahren getan haben. Und auch mit Blick auf die Lektion, die Einsätze lebendig in der Mitte zu halten, nicht wegzudrängen und nicht denjenigen, die bereit sind, ihren Kopf hinzuhalten, das Gefühl zu geben, das seien sie selbst schuld und das würde in Deutschland niemanden interessieren.

Der heutige Tag, der mit der Kranzniederlegung begann und später mit einem Großen Zapfenstreich enden wird, ist ein besonderer Tag.

Es ist der Tag, an dem alle Verfassungsorgane und die Tatsache, dass bei einem Zapfenstreich eben nicht diese Verfassungsorgane in der ersten Reihe, auf dem Podest stehen, sondern Soldatinnen und Soldaten der Einsatzkontingente, der deutlich macht, dass es um Sie geht.

Um Ihren Einsatz. Um den Preis, den Sie gezahlt haben.

Diese Abfolge macht deutlich, dass heute ein Tag ist, an dem wir

  • Ihnen Respekt zollen,
  • Ihnen Dank sagen und
  • Ihnen alle Ehre erweisen.

Soldatinnen und Soldaten,

Sie dürfen stolz sein, auf das, was Sie geleistet haben, auf das,
was Sie erreicht haben – und Sie können stolz darauf sein. Und ich hoffe und wünsche Ihnen, dass Sie diesen Stolz, diesen Respekt, den Sie heute an diesem Tag erfahren, tief in Ihrem Herzen bewahren werden.

Und dass er Ihnen helfen wird in der Zeit, die vor Ihnen liegt, dann wenn der Alltag wieder beginnt, die Bürden, die Sie aus dem Einsatz mitgenommen haben, leichter tragen zu können.

Das ist mein großer Wunsch für Sie.

Vielen herzlichen Dank.

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