Moral im Krieg

Militärische Gewalt: Im Spannungsfeld von Notwendigkeit, Recht und Moral

Gewaltanwendung ist ein gesellschaftliches Tabu und kann zugleich überlebenswichtig sein. Für den Einzelnen und für Nationen, um sich selbst zu verteidigen. Doch militärische Konflikte bergen Eskalationsgefahren in Extremsituationen. Die Bundeswehr beugt Grenzüberschreitungen vor – durch sorgfältige Vorbereitung und politische Bildung der Truppe.

Ein Soldat schneidet mit einem Bolzenschneider einen Stacheldraht durch. Im Hintergrund knied ein Soldat mit Waffe im Anschlag.

Grundkonsens aufgeklärter Gesellschaften ist, dass sich Konflikte am besten in konstruktivem Austausch, respektvoll und gewaltfrei, lösen lassen. Doch es gibt Situationen, in denen Strafrecht und Völkerrecht Gewalt explizit erlauben: Notwehr,  nämlich das Recht, Angriffen auf die eigene Person, die Familie und Kinder oder einfach einen Menschen, der Hilfe benötigt, notfalls mit Gewalt zu begegnen, ist nicht nur zulässig, sondern gesellschaftlich akzeptiert.

Auch Nationen haben das Recht, ihre Bürgerinnen und Bürger sowie ihr Staatsgebiet gegen Aggressoren zu verteidigen. Das Völkerrecht erlaubt zudem in bestimmten Fällen militärische Interventionen aus humanitären Gründen und schafft damit eine der wesentlichen Grundlagen für das internationale Konflikt- und Krisenmanagement. 

Kriegsrecht: Militärische Gewalt hat Grenzen

Doch das Recht auf Selbstverteidigung ist nicht gleichbedeutend mit grenzenloser Gewaltausübung. Auch der Krieg kennt völkerrechtliche Regeln. Militärische Gewalt, die diese Regeln verletzt, kann zum Kriegsverbrechen werden. In der Bundeswehr kennen jede Soldatin und jeder Soldat die Grenzen erlaubter militärischer Gewalt. Staatsbürgerliche Bildung und rechtskundlicher Unterricht zu Menschenrechten, Staats- und Völkerrecht sowie Befehls- und Soldatenrecht haben in allen Dienstgradgruppen einen hohen Stellenwert. 

Denn Einsatzkräfte, deren Werte- und Demokratieverständnis fest im Grundgesetz verankert ist, verhalten sich auch in Extremsituationen menschenrechtskonform. Die gezielte, missionsbezogene Einsatzlandvor- und -nachbereitung, die auch auf psychologische Aspekte abhebt, sorgt parallel für kulturelle Sensibilität und Toleranz. 

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Gräueltaten: Entmenschlichung als Voraussetzung

Dennoch: Stark ideologisch geprägte Konflikte, die mit einer Entmenschlichung des Gegners einhergehen, können den Boden für Kriegsverbrechen bieten. Gräueltaten gegenüber Schwachen, Hilflosen und Unbewaffneten wie derzeit im Ukrainekrieg führen dabei immer zu der Frage nach dem Warum. Frau Oberstabsarzt Alexandra von Stülpnagel hat eine Erklärung darin gesucht, dass Kämpfer in Gewaltspiralen geraten können, weil sie Freude an Gewalt empfinden und eine Art Suchtverhalten entwickeln, die sogenannte appetitive Gewalt.

Einsatzkräfte: Schuld- statt Glücksgefühle

Die Diskussion um appetitive Gewalt birgt jedoch nach Bewertung des Psychotraumazentrums der Bundeswehr ein hohes Risiko an Missverständnissen und Deutungsschwierigkeiten. Begriffe wie Glücksgefühle, Lust oder Freude an Gewalt suggerieren, dass ein echtes menschliches Befriedigungsgefühl bei der Gewaltausübung einsetzt. Zwar ist die Ausübung von Gewalt mit sehr hohen Hormonspiegeln – Adrenalin und Noradrenalin – verbunden, die in der subjektiven Wahrnehmung ein Glücksgefühl vorspiegeln können.

Diese Empfindung ist mit einer harmonischen Glückserfahrung jedoch nicht vergleichbar. Echtes Glück ist ein an Spiritualität grenzendes Erlebnis, das nicht durch Gewalt auslösbar ist. Vielmehr kann ein solcher Adrenalinschub, so die Erfahrung der Therapeutinnen und Therapeuten am Psychotraumazentrum, im Nachhinein schwerwiegende Schuld- und Schamgefühle hervorrufen. Bis hin zu suizidalem Verhalten.

Der Drang, selbst Gewalt anzuwenden, entstehe vor allem, wenn junge Soldatinnen und Soldaten ohne gefestigte Führung in Ländern mit zerrütteten moralischen Standards kämpfen. Aufgrund mangelnder Reife dienten diese Standards zur Rechtfertigung des eigenen moralischen Fehlverhaltens. Dieser Mechanismus greife insbesondere dann, wenn auch die militärischen Vorgesetzten jung und unreif seien und gewalttätige Tendenzen nicht durch gutes Vorbild auffangen könnten. Auf die Einsatzrealität der Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten treffe dieses jedoch nicht zu und sei im klinischen Alltag des Psychotraumazentrums ohne Relevanz.