Wertorientierung im Kampf

Militärische Gewalt: Resilienz schützt vor Grenzüberschreitungen

Militärische Gewalt: Resilienz schützt vor Grenzüberschreitungen

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
4 MIN

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Soldaten müssen kämpfen, um ihren Auftrag zu erfüllen. Doch auch notwendige Gewalt kann zu inneren Konflikten führen. In der Bundeswehr sind daher politische und ethische Bildung sowie die realitätsnahe Einsatzvorbereitung von großer Bedeutung. Denn gefestigte Grundwerte und soldatische Professionalität schaffen Resilienz in Stresssituationen.

Ein Soldat beobachtet die Umgebung durch sein Gewehr.

Um ihren Verteidigungsauftrag zu erfüllen, müssen Soldatinnen und Soldaten Gewalt ausüben. Dies kann zu moralischen Konflikten führen.

Bundeswehr/Pascal Warner

Der Soldatenberuf ist besonders. Auch Feuerwehrleute, Rettungskräfte und Polizeibeamte haben einen potenziell lebensgefährlichen Auftrag. Doch nur Soldatinnen und Soldaten verpflichten sich, für ihr Land, wenn nötig, ihr Leben zu geben. Im Ernstfall gehört Gewalt gleich in doppelter Hinsicht zu ihrem Alltag. Denn im Zweifel müssen sie Gewalt ausüben, um ihren Auftrag zu erfüllen.

Zugleich erfahren sie selbst auch Gewalt – gegen sich, gegen ihre Kameradinnen und Kameraden, gegen Hilfebedürftige. Nicht immer dürfen sie dabei eingreifen. Wenn beispielsweise ein Kind misshandelt oder eine Frau geschlagen wird, kann dies nach dem in einem Einsatzland herrschenden Rechtssystem erlaubt sein. Mit den moralischen Überzeugungen der Einsatzsoldatinnen und -soldaten ist das dennoch unvereinbar. 

Soldatinnen und Soldaten bewegen sich somit immer in einem Spannungsfeld zwischen der für die Auftragserfüllung notwendigen Gewalt und den eigenen Grundwerten. Leitbild der Bundeswehr seit ihrer Gründung ist daher der Staatsbürger in Uniform: ein persönlich gefestigter Mensch, der in seinen Überzeugungen im Grundgesetz verankert und vom Auftrag als Soldatin oder Soldat überzeugt ist. Der militärische Gewalt als das sieht, was sie sein sollte: notwendig als letztes Mittel gegen einen Aggressor, endend, sobald der Grund für die Gewaltausübung entfällt. So wird Fehlverhalten auch in Extremsituationen vorgebeugt.

Vor diesem Hintergrund misst die Bundeswehr der kontinuierlichen Persönlichkeitsbildung im Rahmen der Inneren Führung und der sorgfältigen Ausbildung, Einsatzvor- und -nachbereitung in der Truppe eine besondere Bedeutung zu.

Mehrere Soldaten sitzen an Tischen im Unterricht.

Rechtskundlicher Unterricht, hier an der Offizierschule des Heeres in Dresden, ist in allen Dienstgradgruppen verpflichtend und legt die Grundlage für rechtssicheres Handeln im täglichen Dienst und im Einsatz

Bundeswehr/Carsten Vennemann

Innere Führung heißt Resilienzen schaffen

Rechtskundlicher Unterricht sowie ethische, historische und politische Bildung sind fester Bestandteil der soldatischen Aus- und Weiterbildung in allen Dienstgradgruppen. „Deutsche Soldatinnen und Soldaten werden zum gewissensgeleiteten Gehorsam ausgebildet“, sagt Oberleutnant Uwe Hildenbeutel von der Zentralen Ansprechstelle für ethische Bildung im Zentrum Innere Führung, Koblenz.

Um überzeugt angemessene Entscheidungen zu treffen, müssten Soldatinnen und Soldaten entsprechend ausgebildet und moralisch in ihrer Weltsicht gefestigt sein: also Staatsbürger in Uniform. Denn die Auftragstaktik der Bundeswehr, nach der der Auftrag vorgegeben ist, die Art der Umsetzung aber von der Soldatin oder dem Soldaten gewählt werden, lässt der oder dem Einzelnen viel Entscheidungsspielraum, bedeutet aber auch viel Verantwortung

Die Innere Führung schaffe die Grundlagen dafür, dass Soldatinnen und Soldaten auch in Grenzsituationen handlungssicher agierten. Sie ziele auf Reflexionsvermögen und Verantwortungsbereitschaft, also die Erkenntnis, welches Handeln erforderlich ist und zugleich die Akzeptanz, dass es erforderlich ist – auch wenn es zu Nachteilen einer beteiligten Partei führt. Dieses Bewusstsein helfe aus solchen Situationen resultierende Gewissenskonflikte zu lösen und trage so zur Resilienz bei, der Widerstandsfähigkeit gegen langfristige Folgen traumatisierender Erfahrungen.

Doch nicht immer seien schädliche Einflüsse zu vermeiden. „Menschen entwickeln sich im Laufe ihres Lebens“, so Hildenbeutel. Das Konzept der Inneren Führung umfasst daher nicht nur die Persönlichkeitsbildung, sondern auch Betreuung und Fürsorge. Das heißt: Wenn die individuelle Resilienz an ihre Grenzen stößt, gibt es Strukturen und Mittel, den betroffenen Personen nachhaltig Hilfe anzubieten. Die Innere Führung dient damit nicht nur der individuellen Unterstützung und Persönlichkeitsbildung, sondern trägt – auftragsorientiert weiterentwickelt - zur Einsatzbereitschaft der Streitkräfte bei.

Zwei bewaffnete Soldaten gehen in Deckung in einer Nebelwand.

In der einsatzlandunspezifischen Ausbildung (ELUSAeinsatzlandunspezifische Ausbildung) werden militärische Grundfertigkeiten in einsatznahen Szenarien geübt, damit die Soldatinnen und Soldaten im Ernstfall bedrohungsangemessen reagieren

Bundeswehr/Jörg Koch
Ein Soldat spricht mit zwei Männern sitzend auf einer Decke.

Kulturelle Sensibilisierung – hier ein Soldat im Austausch mit einem Einheimischen mit Hilfe eines Sprachmittlers – beugt Überreaktionen in Stresssituationen vor

Bundeswehr

Professionalität schützt vor Fehlverhalten

Nicht nur Völkerrechtsunterricht und Persönlichkeitsbildung, auch die militärische Ausbildung und das beständige Üben militärischer Grundfertigkeiten dienen dazu, Fehlverhalten in Einsatzszenarien vorzubeugen. „Wir sind heute achtsamer und sensibler als noch vor 50 Jahren, was Gewalt gegen uns selbst und andere angeht“, erklärt Stefan Schanze, Leitender Psychologe des Heeres. In der Bundeswehr gebe es kein Problem mit „Gewaltorgien“. Im Gegenteil: Die Hemmschwelle zu töten, sei so hoch, dass auch militärisch notwendige und völkerrechtlich zulässige Gewaltausübung zu psychische Überlastungsreaktionen führen könnten. 

Die beste Prävention sei hier eine hohe Professionalität im Kampf. Drillmäßige Ausbildung und regelmäßiges Üben bilde nicht nur die Grundlage für die Fähigkeit, Recht und Freiheit „tapfer zu verteidigen“, wie es im Soldatengesetz steht. Konsequent erlernte Abläufe, die unter extremem Stress abrufbar bleiben, machen Menschen nicht zu Kampfmaschinen. Sie mindern aber die Wahrscheinlichkeit, dass Soldatinnen und Soldaten unter Bedrohung überreagieren oder auch gar nicht handeln. „Professionelle Soldaten neigen nicht zu Gräueltaten. Sie sind auf den Kampf vorbereitet und kennen auch die Grenzen“, betont Schanze.

Im Einsatz sei es daher wichtig, belastende Situationen zu erkennen und dafür Lösungen zu finden, um Durchhaltefähigkeit und Kampfbereitschaft zu erhalten, so Schanze. Eine wichtige Rolle spielt hier die Einsatzvor- und -nachbereitung, die alle Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten durchlaufen. Denn wer weiß, welche möglichen Herausforderungen ihn erwarten, kann sich darauf einstellen. In der Einsatzvorbereitung geht es um den sicherheitspolitischen Hintergrund einer Mission ebenso wie um die Vermittlung interkultureller Kompetenzen und die mandatsabhängigen rechtlichen Vorgaben.

Diese rules of engagement stecken den Handlungsrahmen ab, beispielsweise, ob zur Zielerreichung Waffengewalt eingesetzt werden darf oder ob es sich um eine reine Ausbildungsmission handelt. Aber auch Fragen nach möglichen Verletzungen und Verwundungen oder zur Kommunikation mit Familie und Freunden in der Heimat werden thematisiert. 

Nach Einsatzende werden die Soldatinnen und Soldaten ebenfalls begleitet, um möglichen psychischen Folgen vorzubeugen. Nach Erfahrung der betreuenden Psychologinnen und Psychologen geht es auch hierbei nur sehr selten um Gewaltausübung, sondern eher um moral injuries: seelische Verletzungen, die entstehen, wenn man im Gegensatz zum Werteverständnis handeln muss, also helfen wollte, aber nicht konnte. 

von Simona Boyer

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