LOTLiaison and Observation Teams-Häuser der Bundeswehr: Sensoren am Puls der Bevölkerung
LOTLiaison and Observation Teams-Häuser der Bundeswehr: Sensoren am Puls der Bevölkerung
- Datum:
- Ort:
- Bosnien und Herzegowina
- Lesedauer:
- 7 MIN
Sie halten Kontakt zur Bevölkerung, zu Behörden sowie zu lokalen Autoritäten und nehmen Stimmungslagen wahr: die Liaison and Observation (Verbindung und Beobachtung)-Teams - kurz: LOTLiaison and Observation Teams. Sie bilden den Kern der EUEuropäische Union-Mission EUFOREuropean Union Force Althea. Mit ihrer Präsenz zeigen sie: Die deutschen Streitkräfte sind Ansprechpartner für alle, die sich um ihre Sicherheit sorgen.
Die Soldatinnen und Soldaten des 5. deutschen Einsatzkontingentes EUFOREuropean Union Force Operation Althea sind nicht nur in Sarajevo im Einsatz, sondern auch in LOTLiaison and Observation Teams-Häusern. Die Bundeswehr unterhält insgesamt zwei LOTLiaison and Observation Teams-Häuser: in Čapljina im Süden der Föderation Bosnien und Herzegowina sowie in Vlasenica im Osten von Bosnien und Herzegowina in der Republika Srpska.
Bevor der Dienst in den LOTLiaison and Observation Teams-Häusern der Bundeswehr beginnt, sitzt das Team am Morgen zusammen und bespricht den Tagesablauf: Patrouillen, vorgeplante Termine (Meetings) und auch anstehende Veranstaltungen werden noch einmal im Detail durchgesprochen. Zudem gibt der LOTLiaison and Observation Teams-Kommandant ein letztes Lage-Update, um alle „mitzunehmen“. In den jeweiligen LOTLiaison and Observation Teams-Häusern dienen insgesamt acht Soldatinnen und Soldaten. Diese leben und arbeiten über sechs Monate in einer Art „militärischer Wohngemeinschaft“ unter einem Dach inmitten der Bevölkerung.
Sicheres und geschütztes Umfeld
Aufgabe der LOTs ist es, sogenannte Situationsdaten in Echtzeit aus dem jeweiligen Einsatzgebiet zu liefern. Damit ist es dem EUFOREuropean Union Force-Kommandeur möglich, die Situation in ganz Bosnien und Herzegowina zu überwachen, zu bewerten und zu reagieren, bevor Bedrohungen auftreten. Die LOTs sind Sensor und unparteilicher Beobachter, sie sind die „Augen und Ohren“ am Puls der Bevölkerung.
Unterstützt werden die Soldatinnen und Soldaten bei ihrem Auftrag von einheimischen Übersetzerinnen und Übersetzern, die Gespräche und Texte aus dem Bosnischen ins Englische und umgekehrt übersetzen. In das Morgenbriefing fließen die Ergebnisse des täglichen Medienmonitorings ein. Dafür durchforsten die Übersetzerinnen und Übersetzer einschlägige Internetseiten und die sozialen Netzwerke, um sich ein Bild über Stimmungslagen oder gar mögliche Hetzkampagnen politischer Lager zu machen. Auch abends endet der Dienst mit einem kurzen Briefing, in dem das Team den Tag Revue passieren lässt. Täglich sendet jedes LOTLiaison and Observation Teams-Haus Berichte über die Tagesergebnisse ans EUFOREuropean Union Force-Headquarter in Sarajevo.
20 LOTLiaison and Observation Teams-Häuser unterschiedlicher Nationen
Die insgesamt 20 LOTLiaison and Observation Teams-Häuser von EUFOREuropean Union Force in Bosnien und Herzegowina sind auf fünf Gebiete verteilt. Unterhalten werden sie von unterschiedlichen Nationen: Es gibt außer deutschen auch slowakische, österreichische, rumänische, türkische und italienische LOTLiaison and Observation Teams-Häuser. Auch die Schweizer sind zugegen. Die Lage in Bosnien und Herzegowina gilt als ruhig und stabil. In der im südlichen Teil der Föderation Bosnien und Herzegowina gelegenen Stadt Čapljina mit rund 28.000 Einwohnern leben mehrheitlich bosnische Kroaten katholischen Glaubens, die der EUEuropäische Union zugetan sind: Nachbarstaat ist das EUEuropäische Union-Mitglied und Urlaubsland Kroatien. Im Garten des etwas abgelegenen LOTLiaison and Observation Teams-Hauses in Čapljina, am Ufer des Flusses Trebižat, wachsen Zitronen- und Granatapfelbäume. Das Klima ist mediterran und begünstigt Ackerbau sowie Tourismus.
Gut 350 Kilometer von Čapljina entfernt liegt Vlasenica: Hier im Osten von Bosnien und Herzegowina in der Republika Srpska ist die Landschaft schroff und gebirgig, und auch der Dienstalltag bringt mehr Herausforderungen mit sich als im malerischen Süden. Statt Palmen sieht man Truthähne, Schafe und Schweine in den kleinen Gärten und Höfen der Nachbarn des LOTLiaison and Observation Teams-Hauses. Die Menschen leben vom Tauschhandel und sind größtenteils Selbstversorger. Alles ist eng bebaut, aus den verrußten Schornsteinen qualmt es blauschwarz; Brennstoffe sind Holz und Kohle. Mehrmals in der Woche gibt es keinen Strom und manchmal auch kein Wasser. „Wir leben hier von Tag zu Tag und lassen uns überraschen“, sagt LOTLiaison and Observation Teams-Hausführer Major Ronald H.* gelassen. Vier Tage müssten seine Leute und er durchhaltefähig sein, erklärt er und zeigt auf die Notfallrationen in dem kleinen Aufenthaltsraum.
Viel Platz und Komfort für acht Soldaten plus drei zivile Mitarbeitende gibt es nicht. Wenige Meter weiter steht in einem engen Büro der Waffenschrank mit Handfeuerwaffen vom Typ Gewehr G36 und Pistole P8 – ausschließlich zur Selbstverteidigung. Einen Wachhund vom Vermieter gibt es auch. Der Hundezwinger ist direkt neben dem Eingang zur Soldatenunterkunft. Die LOTLiaison and Observation Teams-Soldaten sollen mit ihrer Präsenz in einem Wohngebiet ein Gefühl der Sicherheit vermitteln. Manchmal stünde ein Anwohner mit einem Anliegen vor der Tür, sagt der Major. Auch bei sogenannten Ad-hoc-Gesprächen treten die Bundeswehrangehörigen in direkten Kontakt zur Zivilbevölkerung: zum Beispiel auf Fußpatrouillen oder im Café.
Minengürtel quer durchs Land
Zum Bereich des deutschen LOTLiaison and Observation Teams-Hauses zählen insgesamt fünf Gemeinden: Olovo und Kladanj sind von Bosniaken muslimischer Religionszugehörigkeit besiedelt und gehören zur Föderation. Die anderen drei Gemeinden Sekovici, Vlasenica und Han Pjiesak sind Teil der Republika Srpska. Die Menschen dort sind serbisch-orthodox. Während in der Föderation Bosnien und Herzegowina überwiegend Bosniaken sowie bosnische Kroaten leben, wird die Republika Srpska zu mehr als 80 Prozent von Serben bevölkert. Um in die muslimisch geprägten Gemeinden zu gelangen, müssen die LOTLiaison and Observation Teams-Haus-Soldaten den breiten Minengürtel durchqueren, der sich entlang der ehemaligen Hauptkampflinie eines blutigen Bürgerkrieges quer durch das ganze Land zieht. Durchschnittlich zwei Minenfunde jährlich gibt es abseits des Gürtels. Die Bundeswehrsoldaten gehen regelmäßig an Grundschulen, um den Kindern zu erklären, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie eine Mine finden: Beim Auffinden einer Mine sollten die Kinder sich nicht mehr bewegen und auch nichts mehr anfassen. Je nach Untergrund könnten sie ihre Fußspuren zurückverfolgen, „aber dies ist die schlechteste aller Entscheidungen“, so der LOTLiaison and Observation Teams-Kommandant Major H. „Am besten einfach stehen bleiben, nichts berühren und um Hilfe rufen“, lautet sein Rat.
Kriegsmüdigkeit statt Konflikte
11.000 Einwohner zählt Vlasenica, davon sind 9.000 bosnische Serben. Vor dem Krieg lebten hier 33.000 Menschen, davon 22.000 Bosniaken. 20.000 Bosniaken sind geflohen oder getötet worden. Zum Leben hätten die Menschen hier nicht viel; Haupteinkunftsquelle sei die Holzwirtschaft. Wer nicht in der serbisch-nationalistischen SNSD-Partei sei, habe schlechte Aussichten, einen Job oder Auftrag zu bekommen, so der LOTLiaison and Observation Teams-Haus-Chef. Der jüngst wiedergewählte Bürgermeister von Vlasenica, Miroslav Kraljevic, wird seit 2018 vom Internationalen Strafgerichtshof wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Bosnienkrieg angeklagt. Mangels Beweisen und Zeugen, die „verschwinden“, ist er bislang nicht ausgeliefert worden. Man habe nicht oft Gelegenheit, das Stadtoberhaupt zu sprechen. Komme es jedoch zu einem Gesprächstermin, unterhalte man sich beispielsweise über geplante infrastrukturelle Maßnahmen seitens der Stadt oder frage, ob dem Bürgermeister interethnische Konflikte bekannt seien.
Auch stünde man regelmäßig mit den örtlichen Priestern, Schuldirektoren und Krankenhäusern im Austausch – also praktisch mit allen Akteuren, die für ein sicheres und geschütztes Umfeld verantwortlich seien. „Wir sind akzeptiert und werden freundlich empfangen“, sagt der Major. Interethnische Konflikte gebe es in der Regel nicht.
Es sei ein „freundliches Desinteresse“ – so beschreibt der LOTLiaison and Observation Teams-Haus-Chef das Verhältnis von Bosniaken und bosnischen Serben zueinander. Denn die Menschen seien kriegsmüde und nicht an Konflikten interessiert.
Trotzdem ist es wichtig, dass die EUEuropäische Union noch mit Soldatinnen und Soldaten vor Ort präsent ist. 23 Nationen sind an der EUEuropäische Union-Mission beteiligt. Insgesamt umfasst EUFOREuropean Union Force 1.500 Männer und Frauen, rund 35 davon gehören zur Bundeswehr. Die Bundeswehr hat in Bosnien und Herzegowina den Auftrag, bei der Aufrechterhaltung eines sicheren Umfelds und der Einhaltung des Dayton-Abkommens zu unterstützen.
*Name zum Schutz der Person abgekürzt