Herr Oberstleutnant, am 8. August 2024 haben Sie das 5. deutsche Einsatzkontingent EUFOREuropean Union Force Althea übernommen. Die Bundeswehr war bereits von 2004 bis 2012 in Bosnien und Herzegowina an dieser EUEuropäische Union-Mission beteiligt. Warum sind seit 2022 wieder deutsche Soldatinnen und Soldaten vor Ort?
Der Westbalkan ist für Zentraleuropa wieder mehr in den Fokus gerückt. Eine Destabilisierung auf dem Westbalkan hätte potenziell unmittelbare Auswirkungen auf die Sicherheit und Stabilität der gesamten Region und zum Beispiel auch Auswirkungen auf Flüchtlingsströme aus dem Balkan in Richtung Österreich, Italien, der Schweiz und natürlich auch Deutschland. Die Präsenz der EUEuropäische Union-Mission gilt als zentraler Beitrag zur Gewährleistung von Sicherheit im Land. Die Beteiligung der Bundeswehr an EUFOREuropean Union Force Althea trägt dazu bei, Sicherheit und Stabilität auf dem Westbalkan zu fördern und unterstützt die Einhaltung des Friedensabkommens.
Wie lautet konkret der Auftrag des deutschen Kontingents bei EUFOREuropean Union Force Althea?
Der Kernauftrag zum Erfolg lautet: Wir sind hier. Wir sorgen durch unsere Präsenz für Stabilität und Sicherheit in Bosnien und Herzegowina. Als sogenannter Second Responder stehen wir in der zweiten Reihe. Wir werden also nicht von allein tätig, sollte sich an der derzeitigen Lage etwas ändern. Wir unterstützen, wenn die bosnischen Behörden uns darum bitten. Sollte die Lage vor Ort eskalieren und der Kommandeur der Mission EUFOREuropean Union Force feststellen, dass die bosnischen Behörden Unterstützung benötigen, um für Ruhe, Ordnung und Sicherheit zu sorgen, könnte er EUFOREuropean Union Force-Kräfte einsetzen – insbesondere für den Schutz von EUEuropäische Union-Bürgern.
An wie vielen Standorten im Einsatzgebiet ist EUFOREuropean Union Force präsent?
Die EUFOREuropean Union Force-Mission umfasst derzeit rund 1.500 Soldatinnen und Soldaten aus 18 europäischen und sechs nicht europäischen Ländern. Das deutsche Engagement besteht dabei aus bis zu 50 Dienstposten im Multinational Headquarters (MNHQ) in Camp Butmir in Sarajevo, einem National Support Element (NSENational Support Element) und der Einsatzwehrverwaltungsstelle sowie zwei LOTLiaison and Observation Teams Häusern (Liaison and Observation Teams) in Vlasenica und Čapljina.
Welche Bedeutung hat die Arbeit der Verbindungs- und Beobachtungsteams in den LOTLiaison and Observation Teams-Häusern im Einsatzgebiet?
Die LOTLiaison and Observation Teams-Häuser sind der eigentliche Kern der Mission. Es gibt insgesamt 20 LOTLiaison and Observation Teams-Häuser in ganz Bosnien und Herzegowina. Deutschland stellt derzeit zwei LOTLiaison and Observation Teams-Häuser in Vlasenica und Čapljina. In einem LOTLiaison and Observation Teams-Haus wohnen acht Soldatinnen und Soldaten: Die LOTLiaison and Observation Teams-Häuser sind das wesentliche Instrument der Informationsgewinnung und der Lagebeurteilung vor Ort. Sie sind am Puls der Bevölkerung und damit Frühwarnsystem und Sensor für EUFOREuropean Union Force zugleich.
Wie ist die Zivilbevölkerung der Mission EUFOREuropean Union Force gegenüber eingestellt – ist die Bundeswehr in der Region gern gesehen?
Die Bevölkerung reagiert je nach Region unterschiedlich auf EUFOREuropean Union Force: Die bosnischen Kroaten und Bosniaken freuen sich, dass wir da sind. Die Serben akzeptieren es.
Haben die ethnischen Spaltungen zwischen Bosniaken und bosnischen Kroaten auf der einen und bosnischen Serben auf der anderen Seite spürbaren Einfluss auf das Kontingent?
Nein, denn es gibt derzeit keine Spannungen – zumindest nicht über einen längeren Zeitraum hinweg. Denn wir haben hier fast rein-ethnische Bezirke. Eine ethnische Durchmischung wie früher gibt es nicht mehr. Die Herausforderung ist, dass die nationalistischen Parteien immer zu bestimmten Anlässen zündeln, um den Konflikt in den Köpfen der Leute aufrechtzuerhalten.
Inwieweit unterstützen Bundeswehrsoldaten bei der Ausbildung der bosnischen Streitkräfte?
Deutschland beteiligt sich derzeit nicht an der Ausbildung der bosnischen Streitkräfte im Rahmen der Mission. Deutschland stellt aber zeitweise Ausbilder an das UNUnited Nations-Ausbildungszentrum hier im Camp Butmir ab.
Bei EUFOREuropean Union Force Althea handelt es sich um eine EUEuropäische Union-geführte Mission. Inwieweit ist die NATONorth Atlantic Treaty Organization involviert?
Aufgrund der sogenannten „Berlin-Plus“-Vereinbarung, der Basis für die Zusammenarbeit von EUEuropäische Union und NATONorth Atlantic Treaty Organization im Bereich Krisenmanagement, kann EUFOREuropean Union Force im Notfall auf Kräfte der NATONorth Atlantic Treaty Organization zurückgreifen, da die EUEuropäische Union über keine eigenen Streitkräfte verfügt. In einem Worst-Case-Szenario würde das multinationale EUFOREuropean Union Force Bataillon hier im Camp Butmir durch Kräfte der NATONorth Atlantic Treaty Organization verstärkt werden, um alle anstehenden Aufträge erfüllen zu können.
Das Mandat des Deutschen Bundestages sieht den Einsatz von bis zu 50 Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten vor: Warum schickt Deutschland nicht noch mehr Kräfte?
Die Präsenz ist ausgerichtet an der aktuellen Sicherheitslage und der daraus folgenden militärpolitischen Bewertung. Der deutsche Footprint mit den LOTLiaison and Observation Teams-Häusern und die damit verbundene direkte Nähe zur Bevölkerung sind genau das, was wir für die Informationsgewinnung und die Lagebeurteilung vor Ort brauchen: ein kleiner, aber äußerst effektiver und effizienter Footprint.
Mit Blick auf den Ukrainekrieg befürchten Experten, dass Russland über die Destabilisierung des Balkans weiter Druck auf die EUEuropäische Union ausüben könnte. Wie schätzen Sie dies ein?
Russland nutzt den Balkan für unterschiedliche Destabilisierungsaktionen und versucht, seinen Einfluss auf die Region kontinuierlich auszubauen.
Warum ist der Einsatz der Bundeswehr in Bosnien und Herzegowina auch mit einem kleinen Kontingent ein wichtiges Signal für Deutschlands Engagement in der Region?
Weil wir damit für Stabilität sorgen. EUFOREuropean Union Force ist hier in Bosnien und Herzegowina ein wichtiges Zeichen. Derzeit besteht keine Gefährdung für ein sicheres Umfeld. Wenn sich jedoch etwas zusammenbrauen würde, dann erkennen wir dies frühzeitig dank unserer Präsenz vor Ort. Mit Unterstützung der NATONorth Atlantic Treaty Organization sind wir in der Lage, erstens abschreckend zu wirken und zweitens auch Maßnahmen zu ergreifen, die wieder für ein sicheres Umfeld und Stabilität sorgen.
Was sind aus Ihrer Sicht als Kontingentführer die Herausforderungen dieser Mission?
Es gibt vier Dienststellen mit vier verschiedenen Aufträgen an drei Standorten: das deutsche NSENational Support Element, das deutsche Personal im MNHQ und die zwei LOTLiaison and Observation Teams-Häuser, die sich bis zu dreieinhalb Stunden entfernt von Sarajevo befinden. Man muss sich schon etwas einfallen lassen, um trotzdem ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln. Wir versuchen es mit gemeinsamen Veranstaltungen – zum Beispiel haben wir den Tag der Deutschen Einheit mit anschließendem Oktoberfest gefeiert. Auch aufgrund der Umweltbelastungen ist dieses Kontingent heraufordernd: Wir haben im Sommer mit extrem hohen Temperaturen bis zu 40 Grad Celsius angefangen und hören im Winter mit extrem niedrigen Temperaturen auf. Insbesondere die enorme Luftverschmutzung in Sarajevo, einer Stadt, die zu den am stärksten verschmutzten Städten weltweit zählt, macht meinen Leuten zu schaffen.
Die dienstpostengerechte Ausbildung stellt ebenfalls eine Herausforderung dar: Jede Fachlichkeit, jedes Führungsgrundgebiet ist nur einmal abgebildet, was zu Vakanzen und Mehrbelastung führen kann, zum Beispiel bei Krankheit oder in den Rotationsphasen. Unter all diesen Umständen und den „Zwangswohngemeinschaften“ von acht Menschen in den LOTLiaison and Observation Teams-Häusern heißt das am Ende, dass es für die Soldatinnen und Soldaten nicht immer leicht ist. Und dennoch bin ich am Ende meiner 42-jährigen Dienstzeit meinem Dienstherrn dankbar dafür, dass er mir noch einmal die Möglichkeit gegeben hat, als Kontingentführer in den Einsatz zu gehen. Vor allem mit diesen tollen Soldatinnen und Soldaten hier vor Ort, die diese Herausforderungen meistern.