Virtual Reality

Kein Spiel: Einsatznahe Szenarien virtuell üben

Kein Spiel: Einsatznahe Szenarien virtuell üben

Datum:
Ort:
Meppen
Lesedauer:
4 MIN

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Ein Sprengstoffattentäter mit der Hand am Zünder, die Befreiung einer Person aus einer Gruppe bewaffneter Geiselnehmer: Manche Einsatzszenarien von spezialisierten Kräften und Spezialkräften lassen sich nur schwer trainieren. Ein neuer virtueller Handlungstrainer der WTDWehrtechnische Dienststelle 91 (Meppen) schafft Abhilfe. Derzeit findet die zweite Erprobungsphase statt.

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Training in der virtuellen Realität bietet der Bundeswehr zukünftig die Möglichkeit, realistischer zu üben. Hier erproben Soldaten und Ingenieure, wie geeignet ein virtueller Handlungstrainer etwa für die Feldjägertruppe ist.

Ein Trupp Soldaten betritt ein Gebäude. Hinter einer Tür bellt ein Hund, in einem verwinkelten Gang lauert ein Bewaffneter. Ein Raum nach dem anderen wird erkundet und gesichert: Das ist ein typisches Übungsszenario, denn die Ausbildung im Häuserkampf gehört zu den soldatischen Grundfertigkeiten.

Doch die heutige Übung fällt aus dem üblichen Rahmen. Sie findet nämlich nicht in einem Übungshaus, sondern in einer ehemaligen Fahrzeughalle auf dem Gelände der Wehrtechnischen Dienststelle 91 im Meppen im Emsland statt – und sie ist virtuell. Die vier übenden Feldjägersoldaten durchqueren dazu den 200 Quadratmeter großen, nahezu leeren Hallenabschnitt und haben die VRVirtuelle Realität-Brillen auf. Daher sehen nur sie und der Ausbilder das oben beschriebene Gebäude und dessen Einrichtung sowie die Feindkräfte.

Frank J.*, in der WTDWehrtechnische Dienststelle 91 zuständig für Zukunftstechnologien im Bereich Virtual Reality (VRVirtuelle Realität), Augmented Reality und Mixed Reality, sagt: „Wir haben einen VRVirtuelle Realität-Handlungstrainer beschafft, mit dem Spezialkräfte und spezialisierte Kräfte typische Übungsszenarien wie Zugriffsdurchsuchungen oder Personenschutz üben können.“ Die Übung ist Teil des zweiten Probandendurchlaufes, in dem Einsatznähe und Nutzbarkeit der Simulation durch die Truppe geprüft werden. Die erste Erprobung des Prototyps fand im Sommer 2021 statt, nur ein Jahr, nachdem die Idee in der WTDWehrtechnische Dienststelle erstmals aufgegriffen worden war.

Virtuell, aber mit physikalischen Effekten unterlegt

Der VRVirtuelle Realität-Handlungstrainer ist eine zehn mal zwanzig Meter große Plattform. Sieben Computer lassen virtuelle Räume und virtuelle Figuren, die sogenannten Avatare, entstehen. Heizstrahler, Windmaschine und Geruchsgeneratoren machen das Übungsszenario nicht nur sichtbar, sondern erlebbar: Die Hitze und der Geruch brennender Autoreifen in einer Gasse, das Pfeifen und der Luftzug des Windes auf dem Flachdach eines Hauses, der Geruch von Schießpulver und andere physikalische Effekte lassen die virtuelle Welt auch körperlich spürbar werden.

Die virtuelle Oberfläche des VR-Programms ist zu sehen. Abgebildet sind mehrere Soldaten, die durch ein Haus gehen.

Teamwork und individuelle Ausbildung: Die Übenden sehen sich im Handlungstrainer gegenseitig. Das Ausbildungspersonal kann sie anhand der Nummerierung von außen eindeutig zuordnen und ihr taktisches Vorgehen bewerten.

Bundeswehr/Frank Jaspers
Ein Bildschirm gibt das Bild der virtuellen Realität aus, ein animierter Außenbereich mit bewaffneten Soldaten

Perspektivwechsel: Ausbildungspersonal kann das Geschehen sowohl aus der Vogelperspektive beobachten als auch die Sicht der übenden Truppe oder die der Feindkräfte einnehmen

Bundeswehr/Kai Axel Döpke

Jeweils vier Soldatinnen und Soldaten können gleichzeitig üben. Über ein Trackingsystem mit Infrarotmarkern an Hand- und Fußgelenken, an der VRVirtuelle Realität-Brille sowie an der Weste können die Bewegungen der Übenden nachverfolgt und aufgezeichnet werden. Mittels der Marker sehen die Soldaten auch sich selbst und ihre Kameraden innerhalb der Simulation. So können sie als Team zusammenarbeiten.

Bei den Pistolen und Sturmgewehren handelt es sich um nachgebaute Waffen mit Rückstoßsystem. Die haben ebenfalls Tracker, um sie in der Simulation sichtbar zu machen. Schussverletzungen an der virtuellen Figur werden registriert und über Vibrationen angezeigt. 96 Kameras zeichnen kontinuierlich alle Bewegungen auf.

J. erläutert: „Kein Ausbilder kann seine Aufmerksamkeit überall haben. Im After Action Review des VRVirtuelle Realität-Handlungstrainers kann jede einzelne Bewegung ausgewertet werden – für eine gezielte Fehlerkorrektur und eine individualisierte Ausbildung, die in der Realität so nicht darstellbar ist.“

Mehr Ausbildungstiefe und neue Szenarien

Feldwebel Joachim M.* übt zum ersten Mal im Simulator und soll für seine Spezialisierung Personenschutz prüfen, inwieweit der VRVirtuelle Realität-Handlungstrainer als Ausbildungsmittel geeignet ist. Er ist beeindruckt von den Möglichkeiten des Systems: „Ich war sofort drin im Übungsgeschehen. Natürlich muss man sich darauf einlassen können, aber das ist bei jeder Übung so.“

Das Portrait von Leutnant Sven Petersen
Leutnant Sven P.
Mit VRVirtuelle Realität können wir Szenarien üben, die in echt zu gefährlich oder nicht darstellbar sind. Das bedeutet eine bessere Ausbildung und Einsatzvorbereitung.

Auch Leutnant Sven P.*, der an der Schule für Feldjäger in Hannover Übungen konzipiert und weiterentwickelt, betont den Mehrwert des VRVirtuelle Realität-Trainings: „Virtuell kann ich Schwierigkeit und Ausbildungstiefe schnell anpassen und Abschnitte beliebig oft wiederholen: ohne Materialverbrauch oder -verschleiß und ohne Zeitaufwand für Auf- und Umbauten.“ Das bedeute mehr Übungszeit für die Soldatinnen und Soldaten. Gerade am Ende der Feldjägerausbildung, wenn alle Grundlagen der militärpolizeilichen Arbeit erlernt sind, könne so in schnell veränderbaren Szenarien Handlungssicherheit gewonnen werden.

Zudem seien auch Übungen möglich, die vorher ausgeschlossen waren. „Aufgrund des hohen Verletzungsrisikos darf ich im scharfen Schuss bestimmte Winkel nicht unterschreiten. Das virtuell üben zu können, ist ein echtes Plus und schließt Ausbildungslücken“, sagt P.

Ein weiterer Vorteil: Der Simulator kann existierende Strukturen spiegeln, sodass an spezifische infrastrukturelle Gegebenheiten angepasste Übungen möglich sind. Benötigt werden nur Grundriss, Raumaufteilung und gegebenenfalls Einrichtung, um sie in den VRVirtuelle Realität-Trainer einzupflegen. Personenschützer M. sagt: „Mit VRVirtuelle Realität vor einem Einsatz ein Gebäude virtuell beüben zu können, dass wir noch nie zuvor betreten haben, ist einzigartig und macht unseren Auftrag sicherer.“

Realistische Einsatzszenarien statt Egoshooter

2023 soll die Untersuchungsphase abgeschlossen sein. Bis dahin haben die Soldatinnen und Soldaten noch einige Verbesserungsvorschläge. Denn auch dafür dient der Probandendurchlauf in Meppen. Auf der neuen Forderungsliste stehen interaktive Gegner, nachladbare Waffen, die Simulation von Waffenstörungen, aber auch die Sichtbarmachung von Verletzungen am Avatar.

„Wir untersuchen unsere Prototypen immer schrittweise mit regelmäßiger Nutzereinbindung. Denn der Truppe bringt es nichts, wenn wir an ihrem Bedarf vorbeiplanen“, sagt J. Zugleich seien manche konzeptionell überzeugenden Ideen technisch nicht umsetzbar. Auch der aktuelle VRVirtuelle Realität-Trainer sei vor fünf Jahren noch nicht möglich gewesen: „Viele denken, wir kaufen einen Egoshooter und damit ist alles getan. Aber die Truppe braucht einsatznahe Ausbildungsszenarien und keine Spielereien.“

Die Rückmeldung der Probanden gibt J. und seinem Team recht: Denn 97 Prozent der beteiligten Soldatinnen und Soldaten aus den spezialisierten Kräften und den Spezialkräften wollen den VRVirtuelle Realität-Trainer in ihren Übungsalltag integrieren, sobald er verfügbar ist.

*Namen zum Schutz der Protagonisten abgekürzt.

von Simona Boyer

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