Jobporträt

„Wir wirken nicht mit Artilleriegranaten, sondern mit Informationen.“

„Wir wirken nicht mit Artilleriegranaten, sondern mit Informationen.“

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
5 MIN

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Oberleutnant Karsten S.* ist Redakteur-Offizier beim Zentrum Operative Kommunikation der Bundeswehr in Mayen. Dort ist der 28-Jährige nach seinem absolvierten Psychologiestudium im Bereich Digitale Medien als Redakteur im Dienst. Seit Juli 2016 ist er bei der Truppe.

Zwei Soldaten in einem Büro, einer steht und zeigt auf einem Bildschirm, ein weiterer sitzt davor

Oberleutnant Karsten S. vom Zentrum Operative Kommunikation der Bundeswehr in Mayen (links im Bild) gefällt als Redakteur Digitale Medien die Abwechslung in seinem Job

Bundeswehr/Julia Röhm

„Einen typischen Tag, der immer gleich abläuft – den gibt es nicht. Jeder Tag ist anders und bietet neue Herausforderungen und auch neue Tätigkeiten“, sagt Oberleutnant Karsten S., fragt man ihn nach seinem Arbeitsalltag am Zentrum Operative Kommunikation der Bundeswehr (ZOpKomBw Zentrum Operative Kommunikation der Bundeswehr) in Mayen. Die Kommunikationsprofis des Zentrums unterstützen die Operationsführung der eigenen und multinationalen Streitkräfte in den Einsatzgebieten der Bundeswehr. 

Zielgruppen per Print-, Audio- und Videobotschaft beeinflussen

Die Einsatzstaffeln des Zentrums verwenden Print-, Audio- und Videoprodukte, um Einfluss auf Zielgruppen zu nehmen. „Die Zielgruppen können gegnerische Gruppen, aber eben auch die Bevölkerung sein“, erklärt der Redakteur-Offizier. Auf Übung bestehe seine inhaltliche Tätigkeit als Redakteur hauptsächlich darin, die Bedürfnisse dieser Zielgruppe zu verstehen, um genau darauf eingehen zu können. In anderen Wochen stehe die militärische Ausbildung im Vordergrund. Dann gehe es mit Tarnschminke und Fahrzeugen in den Wald und man übe das militärische Handwerkszeug. „Denn in erster Linie ist man Soldat und in zweiter Funktion erst Redakteur“, betont der Oberleutnant.

Das ZOpKomBw Zentrum Operative Kommunikation der Bundeswehr in Mayen bildet als einziger Standort der Truppengattung den Führungsnachwuchs selbst aus. Somit gebe es auch Wochen, in denen man für die Ausbildung verantwortlich sei und die neuen Offiziere mit den eigenen Erfahrungen unterstütze, so der Oberleutnant.

Der Kommunikationsexperte gehört zum Einsatzbereich von ZOpKomBw Zentrum Operative Kommunikation der Bundeswehr: „Wir sind in Einsatzstaffeln aufgeteilt, die mindestens an einer Brigade hängen und für die Brigade mit Medienprodukten die Zielgruppen beeinflussen sollen.“ Die Analyseeinheit nehme zunächst die Lebenssituation der Bevölkerung oder auch deren Einstellung zur Regierung im jeweiligen Einsatzland unter die Lupe. Anhand der Analyseergebnisse könne das Team einschätzen, mit welchen Botschaften es die Menschen zielgerichtet und glaubwürdig erreiche. Im nächsten Schritt lege die Planungseinheit fest, welche Wirkmittel – also Print-, Audio, Video- oder Social-Media-Botschaften – eingesetzt werden sollen.

Verlangsamung des Gegners: Aufruf zur Sabotage

Diese Einheit erteile den Einsatzstaffeln den konkreten Auftrag wie zum Beispiel: „Wir brauchen folgenden Effekt: Die Leute sollen ihre Fahrzeuge sabotieren, was die Bewegung des Gegners hemmt.“ Wirkmittel zwecks Verlangsamung des Gegners gebe es verschiedene – Artilleriegranaten zählten natürlich auch dazu. „Wir wirken aber nicht mit Artilleriegranaten, sondern wir wirken mit Informationen.“

Klassisches Arbeitsinstrument seien Flugblätter, die von Helikoptern oder Flugzeugen aus abgeworfen werden würden – oder aber durch Ballons dorthin gelangten, wo sie die erwünschte Wirkung erzielen sollen. „Printprodukte können wir in kleinen Chargen selbst produzieren, weil wir Druckerkabinen dabeihaben“, so der Kommunikationsprofi. Darüber hinaus gebe es für die Videoeinheit Schnittkabinen zur Produktion ihrer Bewegtbild-Botschaften. Auch ein Audioteam zähle zu den Einsatzstaffeln. Die Soldatinnen und Soldaten dieses Teams schicken aus Studiokabinen vor Ort von ihnen produzierte Podcasts und Radiosendungen raus in den Äther.

Kleine Taschenradios im Schützengraben

Am Beispiel des Ukrainekriegs erklärt der Oberleutnant, wie Audiobotschaften die Zielgruppe erreichen können: Es sei vorstellbar, über Ballons kleine Taschenradios abzuwerfen, damit die Soldaten ein von der Ukraine abgestrahltes Unterhaltungsprogramm, „vielleicht mit russischer Volksmusik“, empfangen könnten. „Und dann wirkt die Botschaft: Deine Familie wartet zu Hause. Deine Kinder sind allein“, erläutert der Oberleutnant die psychologische Wirkungsweise, die auf die Gedanken an die Daheimgebliebenen abziele.

Die Ausbildung zum Redakteur für digitale Medien in der Bundeswehr

LehrgangInhaltDauerOrt
Grundausbildungmilitärische Ausbildung, Waffentraining, Bewegen im Gelände, Verhalten bei Beschuss, Gefechtsdienst aller Truppen zu Lande3 Monateverschieden
SpezialgrundausbildungFühren lernen, Gruppen führen, Vorgesetztenfunktionen einnehmen3 Monateverschieden
Fahnenjunkerlehrgangmilitärisches Führen, Verhalten als Vorgesetzter lernen; danach Erlangung Offizierbrief (Offizierpatent) 12 Wochen

verschieden

EnglischlehrgangBasisenglisch mit militärischem und sicherheitspolitischem Fokus8 Wochen

Dresden

Truppenpraktikum im StammtruppenteilKennenlernen aller Aspekte und Dezernate vom ZOpKomBw Zentrum Operative Kommunikation der Bundeswehr; militärische Ausbildungsinhalte12 WochenMayen
Studiumvorzugsweise Geistes- und Sozialwissenschaften4 JahreHamburg oder München
Modul Heeresprägung Offiziersschule des Heeres in DresdenFührung eines Bataillons als Kommandeur beziehungsweise als Chef des Stabes 4,5 MonateDresden
Bei der Truppengattung der Operativen Kommunikation den Offizierlehrgang 3 durchlaufenMedienlehrgänge, IHKIndustrie- und Handelskammer Lehrgang Social-Media-Manager, WordPress-Lehrgang, Zugführer ATN, Schießausbilder, Vorbereitung Einzelkämpfercirca 1 JahrMayen

„Natürlich immer ein Thema ist: Angst. Angst, im Krieg zu sterben“ 

Nach Auftragserteilung überlegen sich die Redakteure, wie man die gegnerische Gruppe am besten beeinflussen kann, um das Ziel zu erreichen. Das könne über den „Angstweg“ geschehen, also der Angst davor, im Gefecht zu fallen: „Wenn du deine Familie wiedersehen willst, dann kannst du zum Beispiel deine Ausrüstung sabotieren“, könnte die Botschaft lauten. Oder aber man wähle eben den „empathischen Weg“: „Wenn du zurückwillst zu deiner Familie, dann verlangsame deine Fahrzeuge, und dann kommst du möglicherweise zurück nach Hause.“

Der Oberleutnant hebt die Wirkung der Masse beispielsweise beim Abwurf von Flugblättern hervor: „Wir werden auch als Massenmedien bezeichnet. Alle werde ich nicht erreichen, aber wenn ich wenigstens hundert Leute von einem ganzen Bataillon erreiche, die dann eine Sekunde länger brauchen, um den Abzug zu drücken, dann ist der Auftrag schon erfüllt.“

Du kannst Prisoner of War werden“

Man lerne für die eigene Arbeit unheimlich viel aus dem Ukrainekrieg. Denkbar sei vor diesem Hintergrund, dass man über Social-Media-Kanäle Videos von russischen Kriegsgefangenen in der Ukraine zeige, die dort gut behandelt werden. Soldaten auf Fronturlaub würden beim Anblick dieser Videos möglicherweise nicht zurück in den Schützengraben, ins Gefecht, wollen und im besten Falle desertieren. Viele von ihnen, so der Kommunikationsprofi, seien ja in Russland zwangsrekrutiert worden. Es wäre ein Weg, der Front zu entgehen, indem sie es irgendwie „auf die andere Seite“ schafften und Kriegsgefangener werden würden. Damit wäre – zumindest in der Theorie – die auftragsgerechte Beeinflussung der gegnerischen Zielgruppe, also die für Russland kämpfenden Soldaten, erfüllt.

Üben im simulierten Internet

Zwecks Wirkungskontrolle prüft beim ZOpKomBw Zentrum Operative Kommunikation der Bundeswehr eine eigene Abteilung: Ist das Ziel erreicht worden? Oder müssen wir drastischere Mittel anwenden, wenn die ganze Medienkampagne nicht funktioniert hat, wie zum Beispiel „Bilder von ganz viel Tod, Verstümmelung und toten Soldaten“ zeigen? Der Oberleutnant nennt dies „eine weitere Eskalationsstufe, die wir mit unseren Mitteln erreichen können“.

Die digitalen Medien könnten dabei leider nicht in einem eigenen Übungsraum stattfinden. Auf Facebook oder Instagram etwas rein aus Übungszwecken zu posten, könne nicht eingefangen werden. „Das Internet vergisst niemals.“ Daher übt man nicht im echten Internet, sondern schafft Übungsszenarien anhand verschiedener Programme, die ein Internet simulierten. „Allerdings fehlen uns dann die echten Reaktionen“, bedauert der Redakteur für digitale Medien. 

Interview mit Oberleutnant Karsten S.

Was ist das Beste an Ihrem Job?

Das Beste ist die Abwechslung! Kein Tag gleicht dem anderen. In einer Woche bin ich zusammen mit den Männern und Frauen draußen im Gelände, in der nächsten Woche bin ich dabei, das Material und die Fahrzeuge zu bewirtschaften, instand zu halten und Übungen vor- oder nachzubereiten. Und dann gibt es auch Wochen, in denen man sich weiterbilden kann, auch außerhalb des eigenen Tätigkeitsfeldes. So habe ich die Möglichkeit, an einer Weiterbildung zum Thema Verhaltensanalyse teilzunehmen, was meinem Interesse aus dem Psychologiestudium entgegenkommt. Sehr spannend finde ich auch die Möglichkeit, konzeptionell zu arbeiten, was viele Gespräche und ein gutes Netzwerk mit sich bringt.

Welche drei Eigenschaften muss man für Ihren Job mitbringen?

Das Wichtigste ist eine hohe geistige Flexibilität. Jederzeit kann alles passieren. Die Aufträge verändern sich regelmäßig und man muss flexibel reagieren können. Als Zweites braucht man einen langen Atem und eine gewisse Hartnäckigkeit. Manchmal muss man für seine eigenen Ideen einstehen und einer Diskussion nicht aus dem Weg gehen. Die dritte wichtige Sache ist Empathie: Bei der Erstellung von Produkten muss man auf die Zielgruppen eingehen können und verstehen, was die Grundbedürfnisse sind. Aber auch im Dienstalltag ist Empathie ein wichtiger Charakterzug, der einem im Umgang mit Menschen vieles leichter macht.

Welchen Beruf hätten Sie im zivilen Leben?

Public Affairs Manager oder Projektmanager in einer Marketingagentur. Nur dass wir keine Werbung machen oder das Image der Bundeswehr aufpolieren wollen, sondern eine gewisse Art von Lobbyarbeit machen. Die Zielgruppe ist dabei immer streng festgesetzt und wird von oberster Stelle freigegeben.

Warum haben Sie sich für eine militärische Laufbahn entschieden?

Es war eine Mischung aus Überzeugung für die Demokratie und die Gesellschaft und aus den Chancen, die mir die Bundeswehr geboten hat. Mir war es wichtig, dass die Demokratie und die Gesellschaft, in der wir leben, nicht selbstverständlich sind, und ich wollte der Gesellschaft und der Demokratie etwas zurückgeben. Daneben war es so, dass ich nach dem Abitur Psychologie studieren wollte. Und als ich gehört habe, dass es eine Truppengattung gibt, die genau das macht, was ich ohnehin studieren wollte, da war die Entscheidung schnell gefallen.

Was würden Sie einem Menschen raten, der Ihre Tätigkeit ausüben möchte?

Man muss immer die Augen offenhalten für alle Gelegenheiten, die sich bieten. Aus jeder Begegnung kann man spannende Inhalte mitnehmen und interessante Netzwerke knüpfen, die man später in die inhaltliche Arbeit mit einfließen lassen kann.

*Namen zum Schutz des Soldaten abgekürzt.

von Evelyn Schönsee

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