Versehrtensport

Diskuswerfer Alex holt erste deutsche Goldmedaille – der Wurf zurück ins Leben

Diskuswerfer Alex holt erste deutsche Goldmedaille – der Wurf zurück ins Leben

Datum:
Ort:
Den Haag
Lesedauer:
5 MIN

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„Warum gehorcht mir mein Körper nicht mehr?“, fragte sich Alexander, Stabsfeldwebel und Feldjäger. Selbstakzeptanz war der Beginn der Genesung: 18 Jahre nach dem ersten Auslandseinsatz wurde bei Alex PTBSPosttraumatische Belastungsstörung und zuvor bereits ein Schädelbasistumor diagnostiziert. Sich die Folgen der Erkrankungen einzugestehen, war ein langer Weg.

Ein Diskuswerfer beim Wurf

„Erfolg ist kein Glück, sondern das Ergebnis von Blut, Schweiß und Tränen“ heißt es in Alex‘ Lieblingssong von Kontra K. Indem er kurz vor Wettkampfbeginn Musik hört, motiviert und fokussiert er sich.

Bundeswehr/Sebastian Wilke

„Es ist gar nicht so einfach einzusehen, dass etwas mit einem nicht stimmt. Es passt nicht ins Selbstverständnis eines Soldaten, schwach zu sein. Dass Emotionen zulassen und zeigen auch eine Stärke ist, war mir lange Zeit nicht bewusst“, reflektiert Alexander, der lieber bei seinem Spitznamen Alex genannt wird. Er ist einer jener Soldaten, die mehrfach im Auslandseinsatz waren und verwundet zurückkehrt sind – seelisch verwundet. Der Stabsfeldwebel ist langjähriger Feldjäger und ausgebildet in der Spezialisierung Zugriffsdurchsuchungen. Eine Verwendung, die darauf abzielt, Straftaten gegen die Bundeswehr zu verhindern. Im Sturmkommando musste er Straftäter festnehmen und jederzeit damit rechnen, beschossen zu werden. „Die ständige Angst um das eigene Leben geht nicht spurlos an einem vorbei“, sagt er.

Ein Lied veränderte alles

Dass Alex Stück für Stück nicht mehr er selbst war, hat er zu Hause wahrgenommen – nämlich als ein bestimmtes Lied im Radio gespielt wurde. Beim Zuhören fing er an zu weinen und zu zittern. So richtig erklären konnte er sich nicht, woher der Gefühlsausbruch rührte. Musik besitzt Macht – nachweislich verändert sie der Herzschlag und fördert eine natürliche Reaktion auf musikalische Klänge, die auf das limbische System einwirken. Eben genau dort, wo Emotionen entstehen. Alex begab sich in helfende Hände der Truppenpsychologie und bekam 2018 die Diagnose: posttraumatische Belastungsstörung mit Einsatzbezug. „Das war ein Schock. Aber auch eine Erklärung, warum es mir schon länger nicht mehr gut ging.“

Teilnahme am Sporttherapie-Programm

Doch die PTBSPosttraumatische Belastungsstörung-Erkrankung ist nicht der Grund, warum Alex ins Sporttherapie-Programm kam. Zuvor, im Jahr 2016, bekam er eine weitere, lebensveränderte Diagnose: Schädelbasistumor. Er ist operiert worden, doch konnte nicht komplett geheilt werden. Zu riskant wäre die Entfernung des Tumors gewesen, möglicherweise hätte der Soldat ein Leben lang gelähmt sein können. Seitdem lebt er mit körperlichen Einschränkungen, wie Gleichgewichtsstörungen und motorischen Ausfällen. Er musste das Aufrechtgehen komplett neu erlernen, zunächst am Rollator und dann am Gehstock. Doch Alex´ Disziplin ist größer als seine Erkrankung: „Erfolg ist kein Glück. Wenn du sagst, du kannst nicht, dann willst du nicht. Talent ist nur Übung. Und Übung macht den Meister.“

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„Mein Ehrgeiz erweckte den Leistungssportler in mir“

Nachdem er es geschafft hatte, wieder aufrecht und ohne Hilfe zu gehen, fragte er sich, was er noch alles erreichen könne. Die sportliche Anleitung und medizinische Betreuung am Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr in Warendorf motivierte ihn, Bestleistungen im Sport zu erzielen. Der Erfolg gab ihm Recht: In seiner Altersklasse wurde Alex deutscher Para-Diskus-Meister. Neben dem Diskuswerfen tritt er bei den Invictus Games in Den Haag auch bei den Disziplinen Liegerad und Indoor-Rudern an.

Der Dreh mit der Scheibe: Persönliche Herausforderung

Der Diskuswurf ist eine Leichtathletik-Disziplin, bei der eine Scheibe aus Kunststoff, Holz, Messing und Stahl, möglichst weit weggeschleudert wird. Die Krux dabei: Das richtige Kraftverhältnis anwenden und in der Bewegung zwischen Spannung und Anspannung wechseln. Die Königsklasse beim Diskuswerfen sei der Wurf aus der Drehung heraus, so Alex. „Bisher habe ich immer aus dem Stand geworfen, aber mein Ziel ist es, eines Tages aufs Ganze zu gehen.“ Das Diskuswerfen hat enorme Anforderungen an Motorik und Gleichgewicht. Trotz seines Handicaps stellt er sich der Herausforderung.

Hand in Hand - Mentale Stärke und sportliches Training

Es ist bemerkenswert, wie viele Hindernisse in einem Leben überwunden werden können. Das geht nicht nur durch sportliches Training, sondern auch durch mentale Stärke. Bevor Alex den Diskus in die Hand nimmt, lässt sich gut beobachten, wie er sich konzentriert – es wirkt, als würde er mit sich ins Innere Gespräch gehen. Alex hat während der Sporttherapie gelernt, wie er sich beruhigt und Techniken entwickelt, sich auf das Hier und Jetzt zu fokussieren. Sobald er das Wurfgerät in die Hand nimmt, ändert sich seine Mimik und er wird entschlossen. Die Bewegungen sehen so präzise und routiniert aus, als würden sich der Diskus und Alex´ Hand verbinden. Dass der Soldat das Diskuswerfen als seine Parade-Disziplin ausgewählt hat, ist auf eine metaphorische Art aussagekräftig: Mit jeder Scheibe, die er energiegeladen aus dem Wurfring schleudert, lässt er all die Zweifel und negativen Gefühle los. „Mein Sport ist für mich wie Urlaub. Wenn ich die Leichtathletikhalle betrete, bin ich glücklich“, sagt Alex und unterstreicht damit die Relevanz, die der Sport in seinem Leben einnimmt.

Diskuswerfer Alex trägt seine Goldmedaille um den Hals

Gold für Deutschland im Diskuswurf: Alex ist sichtlich vom Erfolg gerührt, sieht das Ergebnis aber als Teamleistung: „Wir machen alle einen dermaßen guten Job. Ihr seid ein tolles Team. Nur mit eurer Unterstützung habe ich das geschafft.“

Bundeswehr/Sebastian Wilke

Gold für Deutschland bei den Invictus Games

Alex ist nicht nur selber Sportler mit Leib und Seele, sondern auch ein Mentor für die anderen deutschen Diskusathleten, Vocko und Marc. Während sie ihre Würfe absolvieren, feuert er sie vom Spielfeld an, ermutigt sie und gibt Techniktipps. Er strahlt Selbstsicherheit aus – das überträgt sich auch positiv auf das gesamte deutsche Invictus-Team. Vor dem Wettkampf begrüßt er jeden seiner Konkurrenten mit Handschlag und hält kurz inne, um zu plaudern. Es wirkt nicht so, als wäre Alex aufgeregt oder wegen des Wettkampfes unter Druck: „Meine Psychologin sagt auch immer, dass ich zu entspannt bin“, sagt er mit einem Lachen. Sein persönliches Ziel für die Wettkämpfe: „Ich möchte auf Nummer sicher gehen und nicht aus der Drehung werfen. So werde ich, wenn alles stimmt, 30 Meter auf jeden Fall knacken.“ 

Und er behält Recht: Gold für den deutschen Diskuswerfer. Beim letzten Wurf platzt der Knoten – mit 31,67 Metern übertrifft Alex sein selbst gesetztes Ziel. Es ist ein enges Rennen zwischen den Teams aus Irak, Estland, Australien, Italien und Belgien – doch Alex kann sich als Sieger durchsetzen. „Alex ist eine beeindruckende und starke Persönlichkeit und ein Vorbild für alle einsatzgeschädigten und erkrankten Soldaten. Ich bin beeindruckt von ihm,“ sagt Teamkapitän Vocko. Auch, wenn es ihm persönlich nicht um das Gewinnen geht, ist Alex stolz auf seine Entwicklung. Vor einigen Jahren noch an eine Gehhilfe gebunden, steht er heute aufrecht im Wurfkreis, den Blick fest auf das Ziel gerichtet: die 35-Meter-Wurfmarke. Das ist sein nächstes Ziel. Und so wie man ihn erlebt, hat man keinen Zweifel am Erfolg seines Vorhabens.

von Lara Weyland

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