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Bis ans Limit – und darüber hinaus

Bis ans Limit – und darüber hinaus

Datum:
Ort:
Düsseldorf
Lesedauer:
4 MIN

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Gleich geht ihr Mann an den Start, die Zeit drängt. Bea R.* eilt mit den vier Kindern durch die Gänge der Düsseldorfer Merkur-Spiel-Arena. Die beiden Kleinen sitzen in einem Doppelbuggy, die zwei Größeren halten mit ihrer Mutter Schritt. Endlich kommt der Eingang zu ihrem Block in Sicht. Ein Teambetreuer hält ihr lächelnd die Tür auf: Punktladung!

Mehrere Sportler auf Indoorrudergeräten in einer großen Halle. Vorn ein Sportler mit Beinprothese.

Kraft und Technik: Stabsfeldwebel Jens R. und 20 weitere Athleten traten beim Wettbewerb im Indoorrudern an. Die Männer legten sich an den Rudermaschinen mächtig in die Riemen.

Bundeswehr/Helmut von Scheven

Schnurstracks zieht es die Familie in die erste Reihe. Hier hat sich das Team Deutschland, dessen Familien und Freunde versammelt, um einen der ihren anzufeuern. Alle tragen Schwarz-Rot-Gold. In der Mitte der Halle stehen mehr als zwei Dutzend Ruderbänke. Der DJ spielt seinen letzten Track, dann brandet Jubel auf: 21 Männer kommen in die Halle. Viele tragen Prothesen. Jeder Einzelne wird vom Publikum euphorisch begrüßt. Als einer der Letzten betritt Stabsfeldwebel Jens R.* die Halle – Bea R.s Mann, Vater ihrer vier Kinder.

Ruderbank 27 ist seine. Er setzt sich hin, schließt die Augen und atmet noch einmal tief durch. Jetzt gilt es. Volle Konzentration. Das linke Bein steckt in einem Kompressionsstrumpf, den fehlenden Unterschenkel ersetzt eine Spezialprothese. Jens R. hat ihn 1999 im Kosovo an eine Mine verloren. Dann ergreift der Unteroffizier sein Handstück, prüft den Zug des Seils. Er ist bereit für das Rennen.

Vier Minuten Vollgas

In der Halle wird es für einen kurzen Moment still. „Set. Ready. Attention!“ tönt es aus den Boxen. Dann erklingt das Startsignal. Die Männer reißen an ihren Seilen, als gebe es kein Morgen. Vier Minuten haben sie Zeit, um mit den Rudermaschinen möglichst viel Strecke zu machen. Auf dem großen Bildschirm, wo die Namen der Athleten, ihre Platzierung und die von ihnen zurückgelegte Strecke angezeigt werden, beginnen die Zahlen zu tanzen.

Eine Frau mit ihren Kindern im Publikum. Ein Kind winkt in die Kamera.

Bedingungslose Unterstützung: Familie R. steht in der ersten Reihe, als Jens R. den Wettbewerb im Indoorrudern bei den Invictus Games 2023 bestreitet

Bundeswehr/Helmut von Scheven

Der deutsche Block schreit, als wollten sie Jens R. mit ihren Stimmen zum Sieg tragen. Bea R. drückt ihre Kinder an sich, die immer wieder auf den Vater zeigen. Sie nimmt die Augen nicht von ihrem Mann. Der neunjährige John, das älteste der vier Kinder, hat ein Tablet in der Hand und filmt seinen Vater während des Rennens.

Jeder Athlet hat seine eigene Technik. Stabsfeldwebel Jens R. zieht ruhig und in gleichmäßigem Tempo an seinem Seil. Die Invictus-Games-Tätowierungen auf seinen Unterarmen sind jedes Mal zu sehen, wenn er sich nach hinten lehnt. Andere Athleten gehen die Sache aggressiver an, setzen sich an die Spitze des Feldes. Jens R. scheint davon nichts mitzubekommen. Auch nicht von den Anfeuerungsrufen aus dem deutschen Block. Er ist im Tunnel. Er hat seinen Rhythmus gefunden und arbeitet sich nach vorne. Als er in Führung geht, bricht unter den deutschen Fans Jubel aus. Er hört auch nicht auf, als der Stabsfeldwebel Platz eins wenig später wieder verliert.

Als eine Sirene das Rennen beendet, hat der Gewinner eine Strecke von 1.139 Metern zurückgelegt. Jens R. kommt 70 Meter hinter ihm ins Ziel. Das reicht für Platz sechs. Völlig ausgepumpt lässt er das Handstück los und sackt er auf seiner Rudermaschine zusammen. Sofort ist sein Trainer bei ihm, flüstert ihm einige Worte ins Ohr. Es ist nicht zu hören, was er sagt.

Ein erschöpfter Sportler sitzt auf einem Indoorrudergerät. Ein Mann kniet neben ihm.

Total verausgabt: Stabsfeldwebel R. nach dem Vier-Minuten-Rennen im Indoorrudern. Sein Trainer ist bei ihm, um ihn zu unterstützen.

Bundeswehr/Helmut von Scheven

Das nächste Rennen wartet schon

„Ich wollte mir meine Kraft einteilen und bin sehr zufrieden“, sagt Jens R. später am Tag. „Unser Trainer hat uns sauber technisch ausgebildet. Kleine Nuancen machen den Unterschied.“ Er steht vor der Arena, drückt abwechselnd seine Frau und seine Kinder an sich. In den vergangenen Tagen konnte er nicht viel Zeit mit seiner Familie verbringen. Jede freie Minute mit seiner Frau und den Kindern wird genossen. „Zwischendurch bin ich leicht eingeknickt, aber zum Schluss habe ich noch einmal richtig was gerissen“, sagt er.

„Jens hat die Erwartungen vorher tief gehalten“, sagt Bea R., die seit 20 Jahren mit ihm zusammen ist. „Ich bin stolz auf meinen Mann – aber das war ich auch schon vorher.“ Seit Anfang des Jahres habe er intensiv auf die Spiele hintrainiert, viel Zeit in Trainingslagern und zuhause in seinem Fitnessraum verbracht. „Er nennt es zwar sein Büro, tatsächlich ist es aber ein Sportstudio“, scherzt sie.

Jens R. muss sich schon wieder verabschieden. Der nächste Wettkampf steht an. In einer guten Stunde wird der Stabsfeldwebel erneut auf die Rudermaschine steigen – diesmal für ein Ein-Minuten-Sprintrennen. Zudem ist er Teil der deutschen Sitzvolleyballmannschaft und wird am vorletzten Tag der Invictus Games 2023 zwei Radrennen bestreiten: das Zeitrennen und das Straßenrennen, seine Lieblingsdisziplinen.

Der Abschied von Sohn Bruno fällt dem Stabsfeldwebel ganz besonders schwer: Bruno hat Geburtstag. Er ist jetzt fünf Jahre alt, ist aber schon zum zweiten Mal mit seinen Eltern bei den Invictus Games dabei. „Beim ersten Mal war Bruno noch ein Baby. Das war 2018 in Sydney“, erinnert sich Bea R. „Ich weiß ja, dass du dir keinen Druck machen willst, aber Brunos Lieblingsfarbe ist Gold. Vielleicht machst du ihm ja ein kleines Geburtstagsgeschenk?“, fragt sie ihren Mann. Beide müssen lachen.

*Namen zum Schutz der Personen abgekürzt.

von Timo Kather

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