Im Interview: Die Bundeswehr-Ärztin, die dem Afghanistan-Einsatz ein Gesicht gab
Im Interview: Die Bundeswehr-Ärztin, die dem Afghanistan-Einsatz ein Gesicht gab
- Datum:
- Ort:
- Berlin
- Lesedauer:
- 5 MIN
93.000 deutsche Soldaten und Soldatinnen dienten in Afghanistan. Stellvertretend für alle wurde Frau Oberfeldarzt Katharina Siegl bei den Feierlichkeiten zum Abschluss des Einsatzes geehrt. Im Interview spricht die Ärztin und junge Mutter über ihre Nominierung, über ihre Arbeit am Hindukusch und den Anschlag auf ihre Patrouille.
Sie wurden gemeinsam mit einem Kameraden auserwählt, alle Angehörigen der Bundeswehr, die in Afghanistan dienten, bei den Abschlussfeierlichkeiten zu repräsentieren. Wie empfinden Sie die Nominierung?
Oberfeldarzt Siegl: Es ist eine wirkliche große Ehre und ich war zugegeben sehr überrascht über die Nominierung. Entsprechend aufgeregt bin ich heute und so allmählich nehme ich die Dimension des Tages wahr, wie wichtig er für die Bundeswehr ist. Es ist einfach toll, daran teilnehmen zu dürfen.
Sie waren zwischen 2010 und 2012 dreimal als Ärztin am Hindukusch im Einsatz. Was bedeutet Ihnen der heutige Tag?
Mir ist es besonders wichtig, die Kameraden und Kameradinnen, für die ich stehe, würdig zu vertreten. Über die Jahre lernt man sehr viele Menschen im Einsatz kennen. Den Kontakt zu halten, ist bei der großen Anzahl unheimlich schwer. Ich möchte daher die Zeit für Gespräche nutzen und mich an all das erinnern, was wir geleistet haben, und mit positiven Gedanken zurückblicken.
In Ihrem zweiten Einsatz, im Mai 2011, wurden in den ersten Tagen zwei Kameraden bei Sprengstoffanschlägen getötet. Hatten Sie das Gefühl, dass dieser Einsatz besonders gefährlich für Sie wird?
Kurz vor meinem ersten Einsatz 2010 fiel Oberstabsarzt Dr. Thomas Broer. Er war Teil eines BATBeweglicher Arzttrupp, eines Beweglichen Arzttrupps, genau wie ich. Sein Tod hat uns schmerzhaft bewusst gemacht, dass medizinisches Personal, das helfen möchte, getötet oder verwundet werden kann. Das hat uns alle sehr bewegt. In Afghanistan passierten ständig Anschläge, die in den Schlagzeilen nicht erwähnt worden. Ich hatte daher nicht das Gefühl, dass der Konflikt eine neue Qualität bekam.
Am 2. Juni 2011 wurde Ihre Patrouille selbst Ziel eines Sprengstoffanschlages. Können Sie den Tag schildern?
Der Tag hatte für uns ganz normal begonnen. Wir sind um 04:00 Uhr früh Ortszeit gestartet und hatten den Auftrag, eine Straße nach Sprengsätzen abzusuchen, um dann das Einsatzgebiet zu beziehen. Wir waren bereits sechs Stunden unterwegs, als der gewaltige Sprengsatz ein paar Fahrzeuge vor uns explodierte. Die Erde bebte, ich habe die Druckwelle in unserem gepanzerten Fahrzeuginneren hinten gespürt. Die Bordkamera, der einzige Sichtkontakt nach außen, flimmerte und es war nur noch eine Staubwolke zu sehen. Es war sofort klar, dass unsere Patrouille betroffen war. Dann kam schon über Funk die Meldung: Sprengsatz, Sprengsatz!
Wie haben Sie dann reagiert?
Das erste Bild des völlig zerstörten Panzers, umgeben von einem riesigen Krater, war wirklich dramatisch. Nach dem ersten Moment des Schocks habe ich allerdings schnell zur Routine zurückfinden können. An der Anschlagsstelle brannte es zunächst. Wir konnten das Feuer allerdings schnell löschen und die teils eingeklemmten und verschütteten Verwundeten unmittelbar retten und behandeln. Für den 23-jährigen Alexej Kobelew kam jedoch jede Hilfe zu spät. Die Sicherungskräfte schützen uns vor weiteren Angriffen und unterstützten bei der Rettung. Ich konnte mich daher weiter voll auf die Behandlung konzentrieren, Notfallmeldungen absetzen.
Ich vermute, der Tag war dann für Sie aber noch nicht zu Ende?
Ich haben den Schwerstverletzten im amerikanischen Rettungshubschrauber nach Kundus begleitet und bin dann zwei Stunden später zurück an die Anschlagstelle. Immer mehr Einsatzkräfte sind über den Tag eingetroffen, die Lage war weiterhin hochbrisant. Wir mussten jederzeit mit weiteren Anschlägen rechnen. Für die Bergung des Panzerwracks war ein spezieller Bergepanzer notwendig, der erst an unsere Position gelangen musste. Kurz vor Mitternacht, nach 20 Stunden, war ich zurück im Feldlager. Wir haben dann zunächst die Fahrzeuge wieder einsatzbereit gemacht. Erst dann war Zeit, meinen Mann anzurufen.
Wann haben Sie die Ereignisse des Tages realisiert?
Das Bewusstsein, dass wir Opfer eines Anschlages wurden und wir einen Gefallenen zu beklagen haben, kam bereits vor Ort. Nach der Behandlung der Patienten muss man sich als Arzt ganz pragmatischen Fragen widmen. Wie gehe ich würdevoll mit dem gefallenen Kameraden um, was passiert mit seiner Erkennungsmarke, wie stellen wir seinen Transport zurück in die Heimat sicher?
Kann man noch einem solchen Erlebnis in den „Alltag“ zurückkehren?
Nach der extrem emotionalen Trauerfeier haben wir in den Tagen nach dem Anschlag Gespräche mit den Truppenpsychologen geführt. Ein solchen Anschlag nimmt jeder anders war. Wir haben daher gemeinsam versucht, die Erlebnisse einzuordnen und zu verarbeiten. Danach ging der Auftrag unverändert weiter.
Hätten Sie den Einsatz gerne abgebrochen?
Mein Vorgesetzter hat mir diese Option eingeräumt. Das hat mir große Sicherheit gegeben und mir gezeigt, dass ich nicht gezwungen bin, hierzubleiben. Allerdings hat sich die Frage für mich nicht gestellt. Ich habe diese außergewöhnlichen Erfahrungen mit den Kameraden gemeinsam erlebt. Damit wollte ich sie nicht allein zurücklassen.
In Ihren Einsätzen wurden Sie mit schrecklichen Bildern und Leid konfrontiert. Dennoch haben Sie sich Ihre Lebensfreunde bewahrt und sind heute glückliche Mutter eines zweijährigen Sohnes. Wie schaffen Sie das?
Bei meinem Beruf als Sanitätsoffizierin und Ärztin hat man das Gefühl, etwas Gutes zu tun, für die Menschen da zu sein, Hoffnung in Momenten der Not zu geben. Das ist ein großartiges Gefühl und man lernt das Leben sehr zu schätzen. Es ist dieses Bewusstsein, was mir die Lebensfreude bewahrte.
In der Bevölkerung wird hitzig über den Sinn des Einsatzes diskutiert. Sie selbst haben mehrfach Ihr Leben riskiert. War es das wert?
Ich bin mir sicher, dass ohne meinen Einsatz viele Kameraden in deutlich schlechterem gesundheitlichen Zustand oder gar tot nach Deutschland zurückgekehrt wären. Daher kann ich nur positiv auf die Zeit zurückblicken.