Impfteam auf Tour in Rostock
Impfteam auf Tour in Rostock
- Datum:
- Ort:
- Rostock
- Lesedauer:
- 7 MIN
In Rostock impfen seit Ende Dezember mobile Teams. Dabei unterstützt die Bundeswehr. Die Erfahrungen der Soldatinnen und Soldaten aus dem Dienstalltag sind hier besonders von Nutzen. Sie koordinieren und kümmern sich um die Logistik. Wir haben ein zivil-militärisches Team auf seiner Tour begleitet.
Ein neuer Tag, ein neuer Test. Das lange Wattestäbchen versinkt tief im Nasenloch. Ein schmerzhaftes Stechen durchfährt Kapitänleutnant Arlen Singer. „Das ist das Schlimmste am Tag. Daran gewöhnt man sich nie“, sagt die Soldatin. Seit dem 27. Dezember 2020 gehört der Schnelltest zum Nachweis einer Corona-Infektion für sie zum Alltag. Immer, wenn sie ihren Dienst in der Hansemesse in Rostock antritt, um mit dem mobilen Impfteam auszuschwärmen, muss sie die Prozedur über sich ergehen lassen. Ebenso wie ihre 20 Kameraden und Kameradinnen, die ebenso lange in der Hansestadt mit großem Marinestützpunkt unterwegs sind und in Pflegeheimen und weiteren Einrichtungen die Bewohner gegen das Coronavirus impfen. Natürlich nur, wenn die Frauen und Männer sich einverstanden erklären. Ein herausfordernder Job für die Soldatinnen und Soldaten. Aber auch für ihre zivilen Mitstreiter – die Ärztinnen und Ärzte sowie die Medizinischen Fachangestellten (MFA). Als zivil-militärisches Team stellen sie sich dem Kampf gegen COVID-19Coronavirus Disease 2019.
Behutsamer Umgang wie mit Diamanten
Nach spätestens 15 Minuten liegt das Testergebnis vor. Negativ. Es kann also wie geplant losgehen. Heute ist ein Seniorenzentrum an der Reihe. Knapp 150 Impflinge sind angemeldet. Darunter auch knapp 40 Menschen vom Personal. Zwang ist die Impfung nicht, aber jeder Willige willkommen. Bevor die Teams – eins besteht aus einem Dokumentierenden, einem Arzt und einer oder einem MFA – losfahren, gibt es noch einiges zu erledigen. Dazu gehört auch das Abzählen der Impfdosen.
„Mit dem Impfstoff muss umgegangen werden wie mit Diamanten“, erläutert Singer. In einer besonders gepolsterten Transportbox wird das Vakzin dann ins Auto gebracht. Weniger empfindliche Fracht sind alle weiteren Materialien, die für die Impfungen notwendig sind: Kanülen, Wattepads, Handschuhe, Masken und so weiter.
Die Mischer sind das wichtigste Team
Singer fährt mit ihrem Mischteam voraus. „Das ist unser wichtiges Team. Sie mischen die Impfdosen und brauchen dafür einen guten Arbeitsplatz und Ruhe“, weiß Frau Kapitänleutnant. Deswegen bildet sie das Vorkommando und stellt sicher, dass die Teams schnell nach ihrer Ankunft mit dem Impfen beginnen können.
Die Heimleitung erwartet die Soldatin bereits. „Schon vor dem Termin nehmen wir mit den Einrichtungen Kontakt auf und besprechen alles Notwendige. Im Idealfall erkunden wir das Haus auch, um einen Überblick zu bekommen.“ Die genaue Anzahl der Impflinge wird abgeglichen, die Arbeitsbereiche werden zugewiesen und das Wichtigste: Vor Ort muss ein Kühlschrank stehen. Möglichst im Raum für das Mischteam – oder zumindest in unmittelbarer Nähe.
Schwenken, nicht schütteln
Ein Raum für das Mischteam, abseits von Heimalltag und Durchgangsverkehr, ist schnell gefunden. Zum Kühlschrank sind es jedoch ein paar Meter. „Die Kühlkette darf keinesfalls unterbrochen werden“, betont Sören T*. Er ist Notfallsanitäter in Rostock und einer von zwei Mischern. „Der Impfstoff kommt tiefgekühlt bei minus acht Grad Celsius bei uns an. Wir bringen ihn auf Zimmertemperatur, mischen ihn mit Kochsalzlösung und ziehen die Spritzen für die Impfungen auf“, erläutert er das Prozedere.
Der behutsame Umgang mit der wertvollen Flüssigkeit ist dabei von größter Bedeutung. „Der Impfstoff darf keinen Erschütterungen ausgesetzt werden. Wir schütteln ihn nicht, wir schwenken vorsichtig“, so T. weiter und widmet sich wieder hochkonzentriert dem Anmischen. Die Spritzen müssen vor Ort aufgebraucht werden, und zwar innerhalb von vier Stunden. Länger hält sich der Impfstoff nicht. Ein Transport des bereits fertigen Gemischs ist nicht möglich.
Während die beiden Notfallsanitäter die ersten Spritzen vorbereiten, nimmt Singer die Impfteams in Empfang. Den Einlass ins Seniorenzentrum steuert das Personal. Die großen Automatiktüren öffnen nur per Knopfdruck – natürlich von innen. Nach und nach kommen die weiteren Soldaten, Ärzte und MFAs, bepackt mit ihren Utensilienboxen und Papieren.
Soldaten als Konstante
Während das Heimpersonal noch etwas aufgeregt die Situation begutachtet, verteilt Singer die Stationen an die Teams. Die vergangenen Wochen haben das Team zusammenwachsen lassen, die Abläufe sind eingespielt, die Routine festigt sich. „Dennoch ist es in jeder Einrichtung anders. Man muss sich immer wieder neu einstellen und auf die Gegebenheiten reagieren. Wir bekommen das aber gut hin. Wir funktionieren gut als Team und hoffen, dass wir in dieser Zusammensetzung bleiben“, sagt die Offizierin. Der Amtshilfeantrag läuft noch bis zum 21. Januar, „er ist aber in der Verlängerung. Mein Team wäre auch bereit, weiterzumachen. Wir Soldaten sind die einzige Konstante, alle anderen wechseln häufig“. Schon bald steht die zweite Impfrunde in Rostocks Einrichtungen an.
Singer ist seit 2001 in der Bundeswehr. Ihre Erfahrungen aus ihrem normalen Dienstalltag kommen ihr hier besonders zugute: Sie ist im Marinestützpunkt Kommando Warnemünde Leiterin Materialsteuerung und stellvertretende Leiterin Einsatzversorgung. Als Unterstützer übernehmen die Soldatinnen und Soldaten die Logistik und Führungsaufgaben der mobilen Impfteams. „Das fehlte anfangs, da war es noch etwas chaotisch. Mittlerweile läuft es sehr gut. Auch die zivil-militärische Zusammenarbeit funktioniert bestens“, lobt Singer. Die Kooperation loben auch die Notfallsanitäter: „Sie ist sehr vorbildlich. Und es ist gut, dass so Zivilisten und Militär mal zusammengebracht werden. Das hilft, Vorurteilen entgegenzuwirken.“
Mit „stummer Schwester“ und vielen Papieren auf den Stationen
Die ersten Spritzen verlassen den Mischraum. Ein Soldat bringt immer sechs auf einmal – so viele Impfungen werden aus einer Ampulle Vakzin gewonnen – zum jeweiligen Team. Wo wie viele Dosen gebraucht werden, koordiniert in mittlerweile bewährter Manier Kapitänleutnant Singer. Mit Schutzkittel, Handschuhen und FFP2-Maske – wie sie alle Angehörigen der Impfteams tragen müssen – geht der Soldat los und bringt die Impfungen zum Team von Stabsbootsmann Ralf Kresse.
Mit einer „stummen Schwester“, einem hohen Tisch auf Rollen für die zahlreichen Unterlagen, steht er im dritten Stock des Seniorenzentrums und sortiert die Blätter vor sich. Stempeln, Kreuze setzen, den Vermerk für die Impfung aufkleben – alles geht in Windeseile, ohne den geringsten Anflug von Hektik. Jeder Griff, jede Handbewegung ist sicher und gezielt. Die Dokumentation der ganzen Aktion ist ebenso wichtig wie die Impfung selbst. Nur so haben Heim und Behörden einen Überblick darüber, wie viele Menschen schon geimpft wurden.
„Die Zusammenarbeit ist wesentlich besser als erträumt“
Auch Kresse kommt vom Standort Warnemünde. Dort ist er mit der Organisation von Großveranstaltungen und der Betreuung von Besuchergruppen betraut. Parallelen finden sich also zu seiner jetzigen Aufgabe. „Jetzt bin ich eine uniformierte Schwester“, scherzt er und reicht Dr. Ulrich Hammer die Unterlagen zum nächsten Impfling. Scherze müssten auch sein, sagt Kresse. So halten sich die Teamkameraden und -kameradinnen gegenseitig bei Laune. „Die Teams sind super. Und die Ärzte gehen toll mit den Menschen um“, betont der Soldat.
Krankengeschichte und Medikamentenplan begutachtet der Mediziner noch einmal genau. Dr. Hammer ist bereits in Rente. „Ich wurde von der Universität, wo ich vorher tätig war, aktiviert, um bei dieser Aktion zu unterstützen“, erläutert er. Und lobt das Zusammenspiel von Soldaten und zivilem Personal. „Die Zusammenarbeit ist wesentlich besser als erträumt, sie läuft perfekt. Ich bin sehr froh, dass wir die Bundeswehr hier haben, wir können so viel effektiver arbeiten.“
Gespräche über das Gesehene und Erlebte
Stunde um Stunde vergeht, die Liste der ausstehenden Impfungen wird kürzer. Von Massenabfertigung kann hier dennoch keine die Rede sein. Jeder Impfling bekommt die nötige Zeit und Aufmerksamkeit. Sind alle Willigen geimpft, geht es zurück zur Hansemesse. An Dienstschluss ist aber noch nicht zu denken. „Es muss noch viel nachbereitet werden“, sagt Singer. Fahrzeuge desinfizieren, die Daten elektronisch erfassen, für den nächsten Tag packen. Und auch damit ist noch nicht Schluss. „Wir sprechen noch über das Gesehene und Erlebte vom Tag“, so Kresse, der auch Lotse für Einsatzgeschädigte tätig ist.
Was die Frauen und Männer in den Einrichtungen erfahren und sehen, sind häufig Dinge, mit denen sie vorher noch keinen oder kaum Kontakt hatten. „Darüber muss man sprechen, das hilft“, weiß der Stabsbootsmann. In den Abendstunden treten die Soldatinnen und Soldaten dann den Heimweg an. Und bereiten sich auch schon auf den nächsten Tag vor. Ein neuer Tag, ein neuer Test. Eine neue Tour.
* Name zum Schutz des Soldaten abgekürzt.