„Hauptaufgabe ist es, die Truppe mit belastbaren Gefährdungsanalysen zu versorgen“
„Hauptaufgabe ist es, die Truppe mit belastbaren Gefährdungsanalysen zu versorgen“
- Datum:
- Ort:
- München
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Ein belastbares Lagebild über potenzielle Gesundheitsgefährdungen der Truppe in Einsatzgebieten ist wichtig für die Planung. Beim Referat „Medical Intelligence and Information, MI2Medical Intelligence and Information“ des Sanitätsdienstes der Bundeswehr arbeiten Experten aus verschiedensten Disziplinen an so einem Datenfundus. Ihre Ergebnisse sind innerhalb der gesamten NATONorth Atlantic Treaty Organization gefragt.
Das Dienstgebäude des Referates „Medical Intelligence and Information, MI2Medical Intelligence and Information“ des Sanitätsdienstes der Bundeswehr ist ein unscheinbarer Flachbau am ehemaligen Olympiagelände Münchens. Eingebettet im Grünen und recht zentral in der bayerischen Landeshauptstadt gelegen.
An diesem Morgen tut die Dienststellenleiterin nicht unbedingt das, was man typischerweise von ihr erwarten würde. Oberstveterinärin Katalyn Rossmann hält gerade eine Vorlesung für vielleicht ein Dutzend junger Bundeswehrärztinnen und -ärzte. Die sitzen ihr im Unterrichtsraum an einer u-förmigen Tafel gegenüber. Die Lehrveranstaltung läuft schon ein Weilchen und die promovierte Tiermedizinerin referiert gerade über eines der relevantesten Themen für die aktuelle Militärmedizin: Infektionskrankheiten und deren Anteil an der Hospitalisierung von Militärangehörigen.
Informationen aus den mörderischsten Konflikten
Rossmann kann sich in ihrem Vortrag auf Zahlen beziehen, die von 1850 bis 2000 erhoben wurden und damit Material aus einigen der mörderischsten bewaffneten Konflikte der Menschheitsgeschichte beinhalten. „Infektionskrankheiten sind in Kriegszeiten historisch gesichert für mehr als zwei Drittel aller Hospitalisierungen verantwortlich“, erläutert sie. „Mitunter sogar für vier Fünftel der Fälle. Und das unterstreicht auch in der Gegenwart die Bedeutung einer vorausschauenden, sachorientierten Sanitätsversorgung“, so Rossmann weiter. Die jungen Kameradinnen und Kameraden machen eifrig Notizen. Wenn sie von den Zahlen überrascht sind, lassen sie es sich zumindest nicht anmerken.
Die energische Veterinärin ist Teil des Teams von MI2Medical Intelligence and Information seit 2006. Inzwischen arbeiten hier rund 20 Soldatinnen und Soldaten, die Hierarchien sind flach. „Alles Spezialisten, zumeist mit mehreren Subspezialisierungen“, sagt Rossmann und zählt neben Tropenmedizinern und Mikrobiologinnen auch Zahnärzte und Radiologie- oder Notfallassistenten sowie Insektenkundler und Ethnologen auf. Hinzu kämen Fachleute für Geoinformationswesen oder Hygiene und Umweltmedizin. Die Aufzählung ist nicht abschließend.
Spezialisten liefern belastbare Gefährdungsanalysen
„Unsere Hauptaufgabe ist es, die Truppe mit belastbaren Gefährdungsanalysen zu versorgen. Zu letztlich ganz verschiedenen Themen oder Infektionsereignissen irgendwo auf der Welt. Häufig aber in aktuellen oder künftigen Einsatz- wie Übungsgebieten.“ Im Vorfeld der dauerhaften Stationierung der Panzerbrigade 45 in Litauen etwa habe ein Team die Lage vor Ort erkundet und verschiedene Gesundheitsrisiken analysiert. „Das reicht von Fragen der Trinkwassersicherheit über endemische Krankheiten bis zu bestimmten Gifttieren.“
Im klimatisch vertrauten Litauen mögen die Ergebnisse einer solchen Untersuchung nicht sonderlich spektakulär wirken. Trivial ist die Datenerhebung dennoch nicht. Denn die auf verschiedenen Ebenen gewonnenen Daten fließen in ein Lagebild ein, das es der militärischen Führung ermöglichen soll, gesundheitliche Risiken für die eigene Truppe abzuschätzen und die entsprechenden Vorsorgemaßnahmen zu treffen. Und die potenzielle Vielgestaltigkeit der Risikofaktoren erfordere die vielen verschiedenen Spezialisierungen unter den Mitarbeitenden, so Rossmann weiter.
Kleine Truppe – großer Aufgabenbereich
Erkundungen würden regelmäßig vor Ort von den Angehörigen des MI2Medical Intelligence and Information vorgenommen. „Immer ist das aber nicht möglich. Dazu ist unser Team einfach zu klein“, sagt Rossmann. Deshalb sei die Zusammenarbeit mit anderen Dienststellen eng – und das auch auf internationaler Ebene. Im gleichen Gebäude ist seit vielen Jahren die Force Health Protection Branch des NATONorth Atlantic Treaty Organization Military Medical Centre of Excellence untergebracht. Die medizinische Informations- und Wissensbasis produzieren diese ganzen Münchener Experten nicht nur für die Bundeswehr, sondern auch für NATONorth Atlantic Treaty Organization-, EUEuropäische Union- sowie weitere Partner.
„Der multinationale Bereich ist in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden. Besonders, weil es in den wenigsten Bündnisstaaten eine Institution wie unser MI2Medical Intelligence and Information und schon gar nicht in Verbindung mit einer Einheit wie der FHPForce Health Protection Branch gibt“, so Rossmann. Weil sich die Krisen häuften, gebe es immer häufiger externe Anfragen. „Beim Thema Force Health Protection sind wir in der NATONorth Atlantic Treaty Organization ganz vorn“, sagt die Oberstveterinärin selbstbewusst.
Auf mittlere Sicht müsse aber ein bündnisweit standardisiertes Verfahren her. „Am besten ein Datenfundus mit Zugriff für alle, in den unsere multinationalen Partner standardisiert Daten gemeinsam mit einspeisen und wo diese dann zu einem für alle verfügbaren gemeinsamen Lagebild verarbeitet werden“, sagt Rossmann.
Zielsetzung für MI2Medical Intelligence and Information: Detailliertes Lagebild
Mit so einem multinationalen Force Health Protection Nexus könne die Allianz besser arbeiten als bislang. „Dann wären wir dicht dran am detaillierten Lagebild mit verschiedenen Infoschichten zu allen relevanten Fragen.“
Auch bei MI2Medical Intelligence and Information spielt seit dem russischen Überfall auf die Ukraine die Landes- und Bündnisverteidigung eine besondere Rolle. Neben den erheblichen Verwundetenzahlen stellten Infektionskrankheiten im Ukraine-Konflikt eine außerordentliche Belastung der Truppe dar.
„Die katastrophalen hygienischen Bedingungen an der Front bieten ideale Voraussetzungen für Infektionen.“ Atemwegs- oder Durchfallerkrankungen, Parasitenbefall sowie Grabenfuß und Wundinfektionen seien dokumentiert. „Das sind alles Dinge, mit denen wir unter normalen Bedingungen gut umgehen können. Aber nicht unter solchen Frontverhältnissen.“
Hier zeige sich auch die Bedeutung einer umfassenden Vorbeugung, ergänzt Rossmann. Zum Beispiel durch Impfungen. Keine Überraschung also, dass deren Empfehlung und Evaluierung ebenfalls Aufgaben von MI2Medical Intelligence and Information sind.