Ohne sie schießt niemand: die Range Control in Altengrabow
Ohne sie schießt niemand: die Range Control in Altengrabow
- Datum:
- Ort:
- Altengrabow
- Lesedauer:
- 7 MIN
Jeder in der Truppe kennt die Frauen und Männer mit den roten Armbinden. Auf den Truppenübungsplätzen der Bundeswehr geht ohne die Range Control nichts. In erster Linie müssen ihre Angehörigen die Schießsicherheit bei Übungen der Truppe gewährleisten. Aber ihr Auftrag ist insgesamt viel umfassender und facettenreicher, als man glaubt.
Oberstabsfeldwebel Jan W.* ist Anfang 50 und sportlich. Ein Soldat mit ergrautem Bürstenschnitt und kurz getrimmtem Vollbart. Nach 27 Dienstjahren strahlt der Feuerwerker und Schießsicherheitsfeldwebel die Gelassenheit eines Mannes aus, der seinen Job beherrscht. Auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow ist W. als Führer des Meldekopfes eingesetzt. Aber seine Kameraden hier nennen ihn nur den „Einplaner“. Was das bedeutet? „Kommen Sie einfach mit“, sagt W. und weist auf eine Tür im ersten Stock des Stabsgebäudes.
Ein Büro wie viele andere in Bundeswehrliegenschaften. Der Blick schweift von sorgfältig gestapelten Papieren zu gerahmten Urkunden an der Wand und wieder zurück zu den Papierstapeln. Oberstabsfeldwebel W. fängt diesen Blick auf und grinst. „Wir haben hier feste Unterkünfte für etwa 550 Personen. Und wir sind im Grunde ständig belegt.“
Ihm gegenüber befindet sich der Platz eines Mitarbeiters des Bundeswehrdienstleistungszentrums. „Es ist ein bisschen wie im Hotel“, sagt W. lächelnd. „Der zivile Part, das Objektmanagement, kümmert sich um die Unterbringung und wir von der Kommandantur des Übungsplatzes sind für die Schieß- und Übungsvorhaben der Truppe zuständig.“ Da kommt jede Menge Arbeit zusammen, auch abseits des Papierkrams.
25 Soldaten und sechs Zivilisten für 10.000 Hektar
Das militärische Stammpersonal des Platzes zählt gerade mal 25 Soldatinnen und Soldaten sowie sechs zivile Angestellte. Neben dem Kommandanten, einem Oberstleutnant, dienen hier zwei Fachdienstoffiziere sowie eine Reihe Portepeeunteroffiziere und Mannschaften. Hinzu kommen die Truppenübungsplatzfeuerwehr mit mehr als 50 Brandschützern sowie zivile Beschäftigte für verschiedene Aufgaben, die aber nicht der Kommandantur unterstehen.
Knapp 10.000 Hektar umfasst der Platz, die Fläche wächst derzeit durch Zukäufe. Auch die Unterbringungskapazität für die übende Truppe soll in den kommenden Jahren durch Neubauten auf etwa 900 Personen aufgestockt werden. Schon jetzt üben jährlich Tausende Soldatinnen und Soldaten hier. Es dürften bald noch mehr werden.
Einzigartiger urbaner Stellungsraum für die Artillerie
Der Platz Altengrabow, teils in Brandenburg und teils in Sachsen-Anhalt gelegen, hat einige Besonderheiten zu bieten. So kann hier die Artillerie mit ihrer Panzerhaubitze 2000 aus einem urbanen Stellungsraum feuern – ein Alleinstellungsmerkmal in Deutschland. Insgesamt gibt es 19 Schießbahnen, sieben Mörserfeuerstellungen und 14 Artilleriefeuerstellungen. Die Organisatoren im Stab müssen deshalb regelmäßig eine spezielle Software zum Lärmschutz zu Rate ziehen.
Welche Munition nämlich von wo wohin und zu welcher Uhrzeit verschossen werden darf, ist eine kleine Wissenschaft für sich, erklärt W. Dann führt er in die Leit- und Kontrollstelle, die „LuKLeit- und Kontrollstelle“. Sie ist während der Dienstzeiten durchgängig besetzt, in der Regel mit einem Feldwebel und einem Mannschaftsdienstgrad.
„Hier in der LuKLeit- und Kontrollstelle haben wir jederzeit den Überblick über unser Personal“, erklärt der Einplaner. Eine große Karte des Platzes hängt an der Wand. Magnete mit Symbolen und codierten Zahlen zeigen dem Eingeweihten auf den ersten Blick, wer sich gerade wo aufhält. Bei Vorkommnissen werden die am nächsten befindlichen Kameraden losgeschickt. Normalerweise passiert aber nichts Gravierendes und dann schnarrt das Funkgerät nur friedlich vor sich hin.
Gefechtsschießen für Feldjäger mit Überraschungen
Oberfeldwebel Thomas S.* gehört seit drei Jahren zum Stammpersonal und ist einer der jüngsten Kameraden. Als Schießsicherheitsfeldwebel und Feuerwerker steht er geradezu prototypisch für das Ausbildungsprofil des Teams Range Control. „Unser Hauptauftrag umfasst die Sicherstellung des Schießbetriebes auf dem Platz sowie die Aufrechterhaltung der äußeren Sicherheit“, sagt er. Mit seinem zivilen Fahrer ist er heute im Toyota unterwegs zu einer Feldjäger-Einheit aus Berlin. „Die Kameraden haben ein Gefechtsschießen geplant. Inklusive einiger lautstarker Überraschungen für die Schützen.“
Schon Wochen zuvor hatte die Einheit die geplanten Waffen und das Vorhaben im Detail angemeldet. Bei der sogenannten Feinerkundung im Gelände hat der Leitende der Feldjäger im Vorfeld der Übung alle Einzelheiten mit dem Feuerwerker abgesprochen. „Die Feinerkundung ist ein wichtiger Teil des Service. Die Truppe sagt uns, was sie vorhat und wir prüfen, ob das Vorhaben mit der Schießsicherheit vereinbar ist. Dann können wir die Gefahrenbereiche ermitteln und festlegen“, sagt S. Die guten Geländekenntnisse der Range Control kommen so der übenden Truppe zugute. Denn gerade an unübersichtlichen Stellen können ein Posten den entscheidenden Unterschied ausmachen.
Heute vor Ort lässt sich S. die Schießkiste vorzeigen. Die passenden Vorschriften zu den verwendeten Waffen und Munitionstypen sind darin von der Übungstruppe mitzuführen. „Das ist Vorschrift“, erklärt der Oberfeldwebel. „Aber seit einiger Zeit kann das auch mit einem Laptop digital erledigt werden.“ Bei den Berlinern ist alles vorschriftsmäßig. Alles andere wäre bei Feldjägern auch eine herbe Enttäuschung gewesen. Anschließend wird die Bahn freigegeben. Den ersten Durchgang – erstes Rennen genannt - läuft Oberfeldwebel S. mit, um die abgesprochenen sicherheitsrelevanten Abläufe zu überwachen.
Unübersichtliches Geflecht aus Straßen und Wegen
Ein paar Kilometer weiter lässt sich kurz darauf beobachten, was noch zum Kernauftrag der Range Control gehört. Routiniert hatte der zivile Fahrer den Geländewagen über den Platz gesteuert. Allein die Ringstraße umspannt 43 Kilometer. Hinzu kommt ein unübersehbares Geflecht aus Nebenstraßen und Wegen. „Wer sich nicht auskennt, kann sich da leicht verfahren“, sagt S.
An einem Wäldchen lässt er halten. Vor ihm liegt dehnt sich ein Stück Heidefläche oder eher, was davon übrig ist. Alles verkohlt und verbrannt. „Auch das ist Teil des Jobs“, sagt Schades Kamerad Stabsfeldwebel Robert S. „Vorher mit dem Ökologen abgestimmte Gebiete im Zielgebiet werden kontrolliert abgeflämmt. Das nützt der Truppe, weil auf diese Weise verholzte Sichtstrecken wieder freiwerden.“
Und außerdem profitiert die Natur, weil Brandlasten entfernt werden und die schützenswerte Heidelandschaft so wieder frei von wucherndem Unterholz ist. Zum Schutz von Vögeln und anderem Getier findet das Flämmen nur außerhalb der Brut- und Setzzeiten statt.
Range Control – Suchen und Räumen von Blindgängern
Was sich auf den geflämmten Flächen indes noch so findet, kann schnell zur kniffligen Aufgabe für die Feuerwerker werden. Altengrabows Geschichte als Truppenübungsplatz reicht bis 1894 zurück. Hier finden sich Hinterlassenschaften aus Kaisers Zeiten, von Reichswehr und Wehrmacht und nicht zuletzt von der Sowjetarmee, die das Gelände bis zum Abzug 1994 nutzte.
„Wenn ein Geschoss bei einer Übung nicht umsetzt, kümmern wir uns darum. In der Regel wird direkt am Fundort gesprengt.“ Allerdings werden nach dem Flämmen eben mitunter auch ältere Blindgänger gefunden, die teils Jahre oder gar Jahrzehnte von der Fauna überwuchert wurden und dann erst zum Vorschein kommen“, sagt Stabsfeldwebel S. Das Prozedere heißt „Suchen und Räumen“.
Sicheres Vernichten eines gefährlichen Fundstückes
Heute haben er und der Oberfeldwebel den Auftrag, eine nicht explodierte 155-Millimeter-Granate der Panzerhaubitze 2000 zu vernichten. Der Fundort wurde mit einer Stange markiert und gesperrt. Bei der Vorbereitung der Sprengung dürfen nur die beiden Portepeeunteroffiziere als Vernichtungstrupp vor Ort sein. Aus sicherer Entfernung bringen sie das gefährliche Fundstück mit einem Funkauslösesystem zur Detonation. Stabsfeldwebel S. gebührt als Führer des Vernichtungstrupps die Ehre. „Ich zünde in drei, zwoo, eins, ….“ Rummms! In rund 1.300 Meter Entfernung wächst ein großer grauer Rauchpilz empor und zerfasert langsam im Wind. „Das dürfte geklappt haben “, sagt S. zufrieden und packt seine Geräte zusammen. Sicherheit gibt aber erst die Erfolgskontrolle an der Sprengstelle.
Bei der Nachsuche finden sich denn auch nur ein Trichter und viele messerscharfe Splitter im Boden. Eine junge Birke in 20 Meter Entfernung wurde direkt geköpft. Der Anblick vermittelt eine gewisse Vorstellung vom Vernichtungspotenzial einer solchen Granate. „Auftrag erfüllt“, sagen die Feuerwerker unisono. Aber ihre Schicht ist noch nicht vorbei. Gegen Abend wird nämlich eine funkelnagelneue C-130J der Luftwaffe in Altengrabow erwartet. Das viermotorige Transportflugzeug soll auf dem hiesigen Feldflugplatz landen und so für vergleichbare Pisten zertifiziert werden.
Die Besatzung des Übungsplatzes hatte in Absprache mit den Fliegern die Piste vorbereitet. Gras mähen, Löcher stopfen, hier und da den Boden etwas verdichten. Auch so ein Nebenauftrag für die Männer und Frauen in Altengrabow. Andere mögen mehr im Mittelpunkt stehen, aber ohne die Range Control käme der Ausbildungsbetrieb der Bundeswehr binnen kürzester Zeit zum Erliegen.
*Namen zum Schutz der Soldaten abgekürzt.