Erdmagnetfeldsimulator: Wie Minenjagdboote nahezu unsichtbar für Seeminen werden
Erdmagnetfeldsimulator: Wie Minenjagdboote nahezu unsichtbar für Seeminen werden
- Datum:
- Ort:
- Rendsburg
- Lesedauer:
- 5 MIN
Minenjagdboote sind magnetisch – so wie alle Schiffe aus Stahl. Und sie haben einen gefährlichen Auftrag. Denn Seeminen zünden bei magnetischen Veränderungen in ihrem Umfeld. Doch die Sprengkörper lassen sich täuschen. Dazu erhält ein Schiff im Erdmagnetfeldsimulator ein anderes Magnetfeld als das eigene: eine einzigartige Fähigkeit der Bundeswehr.
Es sieht aus wie eine unfertige Lagerhalle. Doch tatsächlich handelt es sich um eine hochkomplexe technische Anlage: der Erdmagnetfeldsimulator der Wehrtechnischen Dienststelle (WTDWehrtechnische Dienststelle) 71, der nahe Rendsburg an einem Seitenarm des Nord-Ostsee-Kanals liegt. Er ist in Europa einmalig. Er kann das Magnetfeld an jedem Ort der Welt simulieren – mitten in Schleswig-Holstein. Vom Boden des Kanals gemessen, ist der Erdmagnetfeldsimulator so hoch wie ein 13-stöckiges Hochhaus, zudem 112 Meter lang und 24 Meter breit: genau angepasst auf die so genannten hochgeschützten Einheiten – Minenjagdboote und U-Boote – der Marine, die für ihren Auftrag möglichst „unsichtbar“ sein sollen. Sie werden hier vermessen und entmagnetisiert.
Jedes Stahlschiff ist magnetisch
Der Hintergrund: Jedes Schiff hat eine magnetische Signatur. Thomas Krämer, Physiker und Prüfleiter in der WTDWehrtechnische Dienststelle 71, erläutert: „Die magnetische Signatur eines Schiffs ist im Prinzip die Störung des Magnetfelds der Erde an der Stelle, an der sich das Schiff gerade befindet.“ Größe und Bauart, der verwendete Stahl und sogar der Ort, an dem das Schiff gebaut wurde, nehmen darauf Einfluss.
Fregatten und Korvetten sind aus magnetischem Stahl. Sie haben also eine ausgeprägte magnetische Signatur. Minenjagdboote und U-Boote werden dagegen überwiegend aus amagnetischem Stahl gefertigt. Nur Bauteile wie Antriebsdiesel und Generatoren sind bei ihnen aus magnetischem Stahl. Ihre Signatur ist bauartbedingt also niedriger – jedoch nicht niedrig genug, um zum Beispiel im Tauchgang unsichtbar für die magnetischen Sensoren von Überwachungsflugzeugen zu sein oder gefahrlos ein Minenfeld zu durchfahren.
Entmagnetisierung: Nicht unsichtbar, aber fast
Besonders für die Minenjagdboote und deren Besatzungen ist die Entmagnetisierung ihres Schiffs überlebenswichtig. Krämer erläutert: „Die meisten Seeminen reagieren entweder auf akustische oder magnetische Signale. Geräusche kann die Besatzung reduzieren, nicht aber das Magnetfeld eines Schiffes. Ist dessen magnetische Signatur groß genug, um den Zünder der Seemine zu aktivieren, explodiert sie.“
Ziel der Entmagnetisierung sei daher, Gefährdungsbereich und Gefährdungstiefe – also das minenauslösende Magnetfeld eines Schiffes – so stark zu verkleinern, dass eine Mine am Meeresgrund das Schiff nicht mehr als solches wahrnehme und der Zünder nicht auslöse.
Wir machen Schiffe nicht unsichtbar, aber wir können die Gefährdung um 85 Prozent reduzieren.
Simuliert ins Einsatzgebiet, sichtbar auf dem Kompass
Der Erdmagnetfeldsimulator besteht aus hunderten elektrischer Spulen und Sensoren, die vertikal, horizontal und longitudinal wirken und messen, da jedes Magnetfeld immer dreiachsig ist. Damit eine Vermessung überhaupt möglich ist, muss das zu vermessende Schiff zudem über eine Magnetische Eigenschutzanlage (MESMagnetische Eigenschutzanlage) verfügen. Diese besteht bei einem Minenjagdboot der Bundeswehr aus 33 elektrischen Spulen auf drei Achsen.
Während der Vermessung wird die Anlage so eingestellt, dass die Spulen des Simulators dem magnetischen Feld des Schiffs genau entgegenwirken. Im ersten Schritt wird der Simulator daher immer leer vermessen, also die Bauwerkssignatur ohne Schiff aufgezeichnet. Sobald das Boot in der Anlage liegt, wird eine zweite Messung durchgeführt. „Aus der Subtraktion der Messung mit und ohne Schiff ergibt sich die magnetische Signatur des Schiffs“, sagt Krämer. Er erklärt: „Bei der Anmeldung seines Schiffs teilt uns der Kommandant seine Zielregion mit. Mit Hilfe des Simulators kann das Schiff dann in das Erdmagnetfeld des Einsatzgebietes gebracht werden, zum Beispiel ins Mittelmeer oder ans Horn von Afrika.“ Die magnetische Eigenschutzanlage des Schiffs misst das jeweils neu umgebende Magnetfeld und passt die eigene magnetische Strahlung darauf an. Ebenso läuft die Vermessung auf den verschiedenen Kursen ab: „Dann dreht sich die Kompassnadel auf der Brücke während der Simulation beispielsweise nach Süden – ohne dass das Schiff physisch seine Position ändert“, sagt Krämer.
Im dritten Schritt folgt die Feinjustierung. Während die Ingenieure im Messraum des Erdmagnetfeldsimulators permanent die magnetische Signatur überwachen, passen die Techniker an Bord händisch einzelne Spulen an, bis das Magnetfeld so weit wie möglich der des Einsatzgebietes entspricht.
Der magnetische Eigenschutz wirkt dabei nicht nur in der Zielregion, sondern auch auf Weg dahin. Über eine Sonde im Mast misst die MESMagnetische Eigenschutzanlage auf See laufend das umgebende Erdmagnetfeld. Je nach Kurs und Position leitet sie Strom in einzelne oder mehrere der Spulen an Bord und passt so die eigene magnetische Strahlung der Umgebung an – zum dauerhaften Schutz von Schiff und Besatzung.
Beiboot oder Bürostuhl: Feinjustierung der Einzelteile
Aufgrund der großen Bedeutung des magnetischen Schiffsschutzes insbesondere für hochgeschützte Einheiten werden diese zweimal im Jahr beziehungsweise vor jedem Einsatz und nach jedem Werftaufenthalt vermessen. Ändern sich eine Komponente oder ein Bauteil und wird beispielsweise ein Generator getauscht, werden auch diese vor Einbau separat magnetisch behandelt, um das Magnetfeld zu reduzieren.
Und: Ein Schiff verlegt grundsätzlich im Einsatzzustand mit kompletter Einsatzausrüstung in den Simulator. Jeder Bürostuhl, jeder Liter Maschinenöl, jede Hantelbank müssen genau dort hingestellt oder gelagert werden, wo sie auch auf See verbleiben. „Ob Kühlschrank oder Kühlschrankmagnet: Wir sehen jede Unregelmäßigkeit im Magnetfeld eines Schiffs bei der Vermessung“, sagt Krämer. Das bedeute nicht, dass die Besatzung keine neue Waschmaschine an Bord nehmen dürfe. Sie müsse nur separat entmagnetisiert werden, bevor das gesamte Schiff vermessen wird. Eine nachträgliches Vermessen von Einzelteilen sei nicht möglich.
In Kombination könnten die amagnetische Bauweise, die magnetische Behandlung von Einzelteilen vom Motor bis zum Beiboot sowie die Feinjustierung der Magnetischen Eigenschutzanlage eines Minenjagdbootes die Gefährdung durch Magnetminen auf nur 15 Prozent des Ausgangswerts reduzieren, fasst Krämer zusammen: „Doch das, was wir magnetische Disziplin an Bord nennen, ist ebenso entscheidend für die Sicherheit im Einsatz. Magnetische Briefbeschwerer und private Hanteln können auf einem Minenjagdboot genau das magnetische Störfeld generieren, das letztlich eine Seemine zündet – mit möglicherweise lebensbedrohlichen Konsequenzen.“
Die Nadel im Neopren: eine Gefahr für Minentaucher
Bei Tauchereinsatzbooten wie der „Bad Rappenau“, deren Minentaucher Seeminen erkunden, entschärfen oder gezielt detonieren lassen, wird dabei nicht nur das Schiff, sondern auch die gesamte Taucherausrüstung in der Wehrtechnischen Dienststelle 71 vermessen. Jeder Anzug, jeder Stiefel, jede Flosse werden auf magnetische Störungen kontrolliert, zu einhundert Prozent und nicht nur stichprobenartig.
„Eine abgebrochene Nähnadel im Neopren mag nicht spürbar sein, kann aber in unmittelbare Nähe einer Magnetmine den Zünder auslösen und den Taucher gefährden“, erklärt Krämer. Dieses Risiko gehe die Bundeswehr nicht ein: „Schlecht verarbeitete Ausrüstung wird entsorgt, und zwar ohne Kompromisse.“