Einsatzvorbereitung mit dem Ausbildungsverband: „Die Übungstruppe ist unser Feind“
Einsatzvorbereitung mit dem Ausbildungsverband: „Die Übungstruppe ist unser Feind“
- Datum:
- Ort:
- Gardelegen
- Lesedauer:
- 5 MIN
Das Gefechtsübungszentrum Heer ist eines der modernsten Ausbildungszentren für Streitkräfte in Europa. Wer für die Bundeswehr in den Auslandseinsatz geht, für die NATONorth Atlantic Treaty Organization Response Force oder Enhanced Forward Presence in Litauen geplant ist, wird hier ausgebildet – und trifft dabei auf einen besonderen Gegner: den Ausbildungsverband des Zentrums.
In einem staubigen Feld steht ein Panzerbataillon den gegnerischen Truppen gegenüber. Der Auftrag: für mindestens 16 Stunden die Verteidigungslinie halten, um die Evakuierung der nahe gelegenen Stadt zu sichern. Gleichzeitig durchsucht eine Gruppe Soldatinnen und Soldaten ein Elendsquartier am Stadtrand.
Die Lage ist unübersichtlich. Menschen strömen aus engen Behausungen: schutzsuchende Familien oder verkleidete Kämpfer? In der Vorstadt wiederum durchkämmen Infanteristen einen Straßenzug – Haus für Haus, Stockwerk für Stockwerk, immer auf der Hut vor einem Hinterhalt.
Konfliktregion: Gardelegen, nicht Gao
Der Ort des Geschehens liegt nicht in Afrika oder Nahost, sondern auf dem Truppenübungsplatz Altmark in Sachsen-Anhalt. Die Gegner der übenden Soldaten und Soldatinnen sind Angehörige des Ausbildungsverbandes am Gefechtsübungszentrum Heer (GefÜbZH). „Die Übungstruppe ist unser Feind“, erklärt Hauptfeldwebel Alexander Remter, der seit rund sieben Jahren als Panzergrenadierfeldwebel im Ausbildungsverband dient.
Doch Remter und seine Kameradinnen und Kameraden sind mehr als nur die Kräfte „Rot“. Je nach Lage sind sie auch Warlords oder Bürgermeister, verwundete Zivilisten oder verkleidete Attentäter. Gegenüber der Übungstruppe stellen sie alle Akteure dar, mit denen die Einsatzkräfte im Ernstfall konfrontiert sein können.
Eine Herausforderung, so Oberfeldwebel Florian Goldbaum, auch Panzergrenadier: „Wenn man das erste Mal mit Turban und Kaftan im Hinterhalt lauert und gegen alle Regeln verstoßen soll, die man gelernt hat – das ist ganz schön schwierig. Aber der Feind kämpft nicht fair und deswegen tun wir es auch nicht.“
Kampfstark: Keiner übt mehr
Der Ausbildungsverband ist einzigartig in der Bundeswehr. Vier verstärkte Kampfkompanien bereiten Gefechtsverbände und Unterstützungskräfte auf ihren Einsatz im Ausland vor, auftrags- und einsatzlandbezogen. Rund 560 Soldatinnen und Soldaten in zwei Panzergrenadierkompanien, einer Jägerkompanie und einer Panzerkompanie mit zusätzlicher Pioniertruppe sind dauerhaft in Gardelegen stationiert. Sie üben bis zu 240 Tage im Jahr in 21 Übungsdurchgängen.
Wir sind immer in Übung. Und wir sind keine Schauspieler. Wir können kämpfen.
„Mancher Kamerad, der vor einer Übung sagt, dass wir ihm nichts beibringen können, ändert bis zum Ende seinen Standpunkt. Und zwar gründlich“, sagt Remter. Diese Erfahrung hat auch Panzerfeldwebel Stefan Kobe gemacht, der sich hier vom Grundwehrdienstleistenden zum Oberfeldwebel hochgearbeitet hat: „Hier kämpft die Übungstruppe nicht auf dem heimischen Übungsplatz gegen die Kameraden aus dem Nachbarbataillon. Hier gibt es das komplette Paket rund um die Uhr in fremder Umgebung. Das sorgt für Aha-Erlebnisse.“
Einsatzbereit: Fahren, Funken, Schießen
Die Materiallage ist hervorragend: 18 Kampfpanzer Leopard, 29 Schützenpanzer Marder, 30 Transportpanzer Fuchs und vier Waffenträger Wiesel stehen zur Verfügung. Die Einsatzbereitschaft liegt bei über 90 Prozent. „Ob als Kraftfahrer, Ladeschütze oder Kommandant – hier habe ich Panzer kennen- und lieben gelernt. Und nirgendwo sonst kann man so viele Stunden auf Großgerät verbringen“, freut sich Kobe.
Gläsernes Gefechtsfeld: Alles, überall, in Echtzeit
Nicht nur die Zahl der Übungstage und die Materiallage machen den Ausbildungsverband besonders. Auch das Gefechtsübungszentrum selbst ist in seiner Komplexität und Ausstattung europaweit einzigartig. Auf dem Übungsgelände von rund 24.000 Hektar lässt sich jedes erdenkliche Szenario im Gefecht verbundener Waffen darstellen. Für die gezielte Vorbereitung auf urbane Operationen steht zudem die Übungsstadt Schnöggersburg mit rund 520 Gebäuden in verschiedenen Stadtteilen, Industriegebiet, Bahnhof und Flughafen, begehbarer Kanalisation und U-Bahn zur Verfügung.
Die Besonderheit: In der Leitungszentrale wird das komplette Übungsgeschehen in Echtzeit eingespielt. Position und Status jedes einzelnen Soldaten und jeder Soldatin und Gefechtsfahrzeuges werden laufend digital abgebildet und sind für Ausbilderinnen und Ausbilder und Brigadeführung auf dem Bildschirm nachverfolgbar.
Möglich macht dieses gläserne Gefechtsfeld eine hochmoderne Systemtechnik, die die Wirkung der eingesetzten Waffen und Waffensysteme auf die am Gefecht beteiligten Menschen, Fahrzeuge und neuerdings auch auf Gebäude verknüpft und für die Einsatzkräfte sichtbar und hörbar darstellt.
AGDUS: Volumenlaser statt scharfer Schuss
Kern der Systemtechnik ist AGDUS (Ausbildungsgerät Duellsimulator), das mit einem Volumenlaser den scharfen Schuss simuliert. So werden nicht nur die Treffer an sich vermerkt, sondern auch deren Lage und Intensität – zentimetergenau. Sensormodule teilen die Trefferwirkung mit, optisch und akustisch.
Rund 1.500 Soldatinnen und Soldaten und bis zu 600 Fahrzeuge können am Gefechtsübungszentrum mit AGDUS eingerüstet werden, zusätzlich zum vollausgestatteten Ausbildungsverband. Die Bedienung der Waffensysteme bleibt mit AGDUS identisch, auch die Ladezeiten entsprechen denen beim scharfen Schuss. So wird ein Fehllernen vermieden.
„AGDUS registriert sogar die Weitergabe von Handgranaten oder Panzerfäusten. So kann im Gefechtsstand jederzeit verfolgt werden, wer wann auf wen schießt“, sagt Hauptfeldwebel Stefan Müller, der in der Gruppe Grundlagen neue Entwicklungen in die Ausbildung überträgt.
MASIE: Digital durch Häuserwände wirken
Neu ist die Fähigkeit, über MASIE (Mobiles Auswertesystem Infanteristischer Einsatz) durch Häuserwände hindurch zu wirken. Gebäudesensormodule registrieren jeden direkten oder indirekten Treffer einschließlich der Intensität. Je nach Übungsszenario können derzeit zwei Hochhäuser oder 12 bis 18 kleinere Häuser ausgerüstet werden.
Technisch sind dabei verschiedene Bauarten darstellbar – von der Lehmhütte bis zum Stahlbetonbau. Deren fiktive Gebäudestabilität ist im System auf einer Punkteskala mit Werten zwischen 20 und 100 hinterlegt. Müller erläutert: „Wenn ein Gebäude durch Beschuss mindestens 80 Prozent seiner – fiktiven – Stabilität eingebüßt hat, wird das den Einsatzkräften im Innern durch Nebel, Lärm- und Stroboskop-Effekte deutlich gemacht.“
Zusätzlich kommuniziert das MASIE mit AGDUS: Je nach Wirkung der gegnerischen Waffe wird diese den Soldatinnen und Soldaten im Gebäude beispielsweise als Verwundung angezeigt. Die Übermittlung des Geschehens in die Leitungszentrale erfolgt dabei nicht nur über 3D-fähige Hard- und Software. Bis zu 37 Livestreams im Innern und im Umfeld des Gebäudes eröffnen zusätzliche Auswertungs- und Ausbildungsmöglichkeiten.
Nah an der Einsatzrealität
Der professionelle Ausbildungsverband und die hochmoderne Systemtechnik ermöglichen eine realitätsnahe Ausbildung, die das Gefechtsübungszentrum zum festen Bestandteil der Einsatzvorbereitung in der Bundeswehr macht.
Die Bilder, die wir hier stellen: Sie helfen den Kameraden im Einsatz. Das ist die beste Rückmeldung für unseren Dienst, die wir bekommen.
Oberst Michael Knoke, der Leiter des Gefechtsübungszentrum Heer, ist überzeugt: „Auch ohne den Ausbildungsverband würde die Truppe Wege finden, um sich auf den Einsatz vorzubereiten. Doch das wäre weniger effizient und effektiv, als wenn wir das leisten. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.“