Digitalisierung

Vom Problem zum Prototyp: So machen Hub-Innovationen der Truppe die Arbeit leichter

Er ist ständig auf der Suche nach neuen digitalen Lösungen für die Truppe: der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr. Seine Mitstreitenden testen Vorhaben direkt vor Ort mit der Truppe. Ziel ist es dabei, Bundeswehrangehörigen möglichst schnell innovative Ideen und Produkte zu liefern, die sie bei der Erfüllung ihres Auftrags im Dienst unterstützen.

Ein Soldat mit VR-Brille steht vor einem Monitor und einer Leinwand mit Projektion

„Militärischer Innovationsbereich – Unbefugtes Mitzeichnen verboten!“, ist auf einem Schild im Treppenaufgang zu lesen. Oberhalb des Hinweises wacht das Unicorn, Wappentier des Cyber Innovation Hubs der Bundeswehr (CIHBwCyber Innovation Hub der Bundeswehr), über jeden Schritt der Eintretenden. Taucht in der Start-up-Welt so ein Einhorn auf, heißt das: Das betreffende Unternehmen hat eine besonders innovative Idee gehabt und wird mit mehr als einer Milliarde USUnited States-Dollar bewertet – für den CIHBwCyber Innovation Hub der Bundeswehr als keinem börsennotierten Unternehmen eine hohe Messlatte.

The longer it takes to develop, the less likely it is to launch”

Das ist Sinnspruch und Antrieb zugleich, denn an diesem Ort haben Tempo und Effizienz das Sagen. „Das Schnellste, was in der Bundeswehr passiert, passiert im Cyber Innovation Hub“, bestätigt Arno Schupp, Leiter der Kommunikations- und Event-Abteilung des Hubs. Auf der zweiten Etage des CIHBwCyber Innovation Hub der Bundeswehr-Lofts in Berlin-Charlottenburg tickt die Uhr der Truppe tatsächlich schneller, und vor allem: digitaler. Hier, in einem ehemaligen Fabrikgebäude aus rotem Backstein auf rund 800 luftigen Quadratmetern Fläche, finden Veranstaltungen statt – wie zum Beispiel die sogenannten Innovation Challenges. Dieses Format hat sich bewährt, um Ideen aus der Truppe für die Truppe und mit der Truppe zu finden – und diesen Ideen auch tatsächlich Leben einzuhauchen. Dafür stellt der Hub unter anderem einen Werkzeugkasten mit Mitteln und Methoden aus der Welt des „Design Thinking“ bereit: Probleme lösen die Teilnehmenden teils spielerisch mit selbst gebauten Legostein-Kreationen – und lassen damit neuen Ideen freien Lauf.

Inspiration zwischen Cola-Kisten und Kaffee-Theke 

Im besten Fall werden Geistesblitze so zu Innovationsprojekten weiterentwickelt. Hauseigene Prämisse ist dabei: Nach nur 90 Tagen soll im Idealfall ein anwendungsbereites Projekt entstehen. Als jüngstes Beispiel für diese Herkulesaufgabe nennt Schupp die Heeresaufklärerchallenge 2024. Unter dem Motto „Explore the Unexplored“ hat der CIHBwCyber Innovation Hub der Bundeswehr im Februar 2024 gemeinsam mit den Heeresaufklärern innovative Ideen aus der Truppe gesucht. Aus mehr als 90 Ideen wurden die besten acht Vorschläge beim sogenannten Demo Day des Hubs einer Bundeswehr-Expertengruppe sowie zivilen Start-up-Unternehmen präsentiert. Im Fokus standen dabei keine technologischen Spielereien, sondern die Erlangung und Verbesserung der Kriegstüchtigkeit – so wie zum Beispiel bei einem dieser Projekte, das die Challenge hervorgebracht hat: Heroguard. Es zielt darauf ab, in eine Notsituation geratene Soldatinnen und Soldaten zu orten. Das Notfall-GPSGlobal Positioning System-System soll die Überwachung der Kräfte im Einsatz sicherstellen. Wird eine Kameradin oder ein Kamerad von der Truppe getrennt oder verunglückt, reicht ein Druck auf die SOS-Taste des kleinen Geräts, und der Gefechtsstand erhält eine elektronische Nachricht mit genauen Standortdaten.

Zwei Frauen und drei Soldaten präsentieren etwas vor Publikum

Digitale Lösungen suchen: Bei der Heeresaufklärerchallenge im Eventspace des Cyber Innovation Hub der Bundeswehr stellen Soldatinnen und Soldaten gemeinsam mit zivilen Mitarbeitenden Ideen vor

Bundeswehr/CIHBw

Digitale Transformation der Truppe

Die zivile Welt mit der Welt der Bundeswehr verbinden, um digitale Innovationen umzusetzen – das ist Ziel des CIHBwCyber Innovation Hub der Bundeswehr. Fachkräfte aus der Start-up-Szene der freien Wirtschaft bringt der CIHBwCyber Innovation Hub der Bundeswehr mit den Streitkräften zusammen, indem er Netzwerk-Veranstaltungen organisiert und Partnerschaften pflegt.
„Unser Personal ist handverlesen“, betont Schupp. ITInformationstechnik-, KIkünstliche Intelligenz-, Kommunikations- sowie Start-up-Expertinnen und -Experten zählen zum CIHBwCyber Innovation Hub der Bundeswehr-Team. „Wir gucken ganz genau, dass wir Leute reinholen, die Projekte nach vorn treiben.“

Rund die Hälfte der Mitarbeitenden im Hub sind Reservistendienstleistende, die eine zeitlich begrenzte Wehrübung ableisten. Dadurch, dass neue Kräfte kontinuierlich nachrücken würden, erneuere man sich durch die wechselnde Expertise ständig selbst, sagt Schupp. Zu den Mitarbeitenden zählen auch aktive Soldatinnen und Soldaten sowie zivile Bundeswehrangehörige. Gemeinsam entwickeln sie im CIHBwCyber Innovation Hub der Bundeswehr Projekte, die sie vor allem vor Ort bei der Truppe testen.

Der CIHBwCyber Innovation Hub der Bundeswehr hat dabei die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer in der Truppe im Blick. Allein um sie geht es bei der Projektentwicklung und -umsetzung. Sie sind es, die im Dienstalltag von den erfolgreich vollendeten Projekten und Prototypen profitieren sollen, damit ihnen die Erledigung ihrer täglichen Arbeitsaufgaben schneller und unkomplizierter von der Hand geht.

Eine Grafik zeigt den Ablauf von der Idee zum Prototyp beim Cyber Innovation Hub der Bundeswehr

Schritt für Schritt wird aus der Idee ein Prototyp

Bundeswehr | Grafik: Astrid Höffling

Aus dem Kopf in die Kaserne 

Aber wie werden aus Ideen erfolgreiche Innovationen, die dauerhaft den Weg in die Truppe finden? 
Haben die Innovationsprofis des Hubs gemeinsam mit der Truppe Ideen gesammelt, prüfen sie, ob diese tatsächlich bestehende militärische Herausforderungen in der Bundeswehr lösen oder sogar einen ganz neuen Beitrag zur Weiterentwicklung der Streitkräfte leisten könnten. Vorhaben, von denen sich der Hub einen wirklichen Mehrwert für die Soldatinnen und Soldaten verspricht, verfolgt er weiter. Die weitere Planung des Innovationsvorhabens nimmt Fahrt auf: Wie viel Zeit, Personal und Budget müssen investiert werden?

In die heiße Phase geht es, wenn die Prototypen mit den Anwenderinnen und Anwendern innerhalb der Streitkräfte getestet werden. Dafür arbeitet der Hub mit Start-ups und Dienstleistern zusammen, deren Produkte für die speziellen Bedürfnisse der Bundeswehr weiterentwickelt und modifiziert werden. Entwickelt wird zunächst ein sogenanntes Minimum Viable Product, also eine erste Testversion, die dann fortlaufend unter Feedback aus der Truppe weiterentwickelt wird.

Mit Mixed-Reality-Brille im virtuellen 3D-Sandkasten operieren

Wie zum Beispiel beim aktuellen Projekt Augmented Common Operational Picture (ACOPAugmented Common Operational Picture): Im Mai 2024 ist es unter realen Bedingungen bei der Großübung Quadriga 2024 in Litauen getestet worden: Eine Mixed-Reality-Brille macht bei ACOPAugmented Common Operational Picture die interaktive 3D-Visualisierung des Gefechtsfelds möglich. Damit wird die Lage auf dem Gefechtsfeld für die Soldatinnen und Soldaten buchstäblich greifbar. In diesem virtuellen 3D-Sandkasten lassen sich Truppenteile verschieben, Geofaktoren wie etwa Höhenunterschiede abschätzen sowie ein realistisches und aktuelles Lagebild einsehen – und das per ortsverteiltem Zugriff. Der CIHBwCyber Innovation Hub der Bundeswehr testet ACOPAugmented Common Operational Picture zusammen mit der Bundeswehr auch bei der Ausbildung am Gefechtssimulationszentrum des Heeres in Wildflecken.

Bei seinen Innovationsvorhaben greift der Hub auf ein Netzwerk im nationalen und internationalen Start-up-Ökosystem zurück: Stößt er darin auf bereits marktverfügbare Lösungen wie zivile Software oder Start-up-Produkte, kann er schnell sogenannte Dual-use-Lösungen umsetzen, also Produkte oder Anwendungen, die sowohl zivil als auch militärisch verwendet werden können. Diese passt der Hub an die speziellen Erfordernisse der Bundeswehr an.

Soldatinnen und Soldaten mutieren zu Geschäftsleuten

Der Kommunikations-Chef Schupp formuliert den Auftrag des CIHBwCyber Innovation Hub der Bundeswehr so: Erstens wolle man die Truppe digitalisieren, zweitens für einen Kulturwandel in der Bundeswehr sorgen und drittens bestehende Probleme lösen. Einen Kulturwandel in der Bundeswehr hin zu mehr Innovationsbereitschaft und unternehmerischen Denken zu fördern – dies sei der wesentliche Beitrag des Hubs, so Schupp.

Ein Anspruch, der mit der Gründung des Zentrums für Intrapreneurship der Bundeswehr im CIHBwCyber Innovation Hub der Bundeswehr Wirklichkeit geworden ist. Das Intrapreneurship-Zentrum gibt es seit April 2023. Dabei handelt es sich um eine zentrale Anlaufstelle für Soldatinnen und Soldaten, die aus eigenem Antrieb Innovationen innerhalb der Truppe vorantreiben wollen. Professionellen Anstrich bekommt das Ganze mittels eines Ausbildungsprogramms für Bundeswehr-Intrapreneurinnen und -Intrapreneure: Das Team „Innovation and Intrapreneurship“ des CIHBwCyber Innovation Hub der Bundeswehr unterstützt Soldatinnen und Soldaten, indem es Hilfestellung bei der Projektentwicklung und -umsetzung gibt. In Anlehnung an den Begriff „Entrepreneure“ befähigt der Hub die Intrapreneurinnen und Intrapeneure der Truppe, wie Unternehmerinnen und Unternehmer auf dem freien Markt zu denken und zu handeln.

Ein erfolgreich umgesetztes Projekt aus dem Intrapreneurship ist das Innovationsvorhaben Multi Sensor Data Fusion (MSDF). Dabei geht es um Datenfusion vom Weltraum bis zum Seeboden: Ziel ist es, mittels Datenfusion ein vollständiges maritimes Lagebild zu erstellen, um zum Beispiel kritische Infrastruktur in der Ostsee wie Energieversorgungs-Pipelines zu schützen. Dafür werden bisher nicht genutzte Datenquellen verwendet, die in ein großes Ganzes zusammenfließen.

Ein Soldat und ein Mann sitzen nebeneinander an einem Tisch und unterhalten sich

Vom Soldaten zum Intrapreneur: Korvettenkapitän Patrick O. hat gemeinsam mit Mitarbeitenden des CIHBwCyber Innovation Hub der Bundeswehr, die den Reserveoffizier professionell unterstützten, erfolgreich sein Projekt MSDF umgesetzt

Bundeswehr/CIHBw
Ein Soldat zeigt auf digitales maritimes Lagebild vom Projekt MSDF

Den Seeboden im Blick: Ziel des Projektes MSDF ist es, ein vollständiges Lagebild in der Nord- und Ostsee zu erstellen, um zum Beispiel Energieversorgungs-Pipelines zu schützen. Dies funktioniert mit kombinierten Unterwasser- und Weltraumaufnahmen.

Bundeswehr/CIHBw

„Einfach machen! Das Intrapreneurship lebt und atmet diesen Spirit, den man braucht, um seine Idee umzusetzen“ 

„Für mich war es eine ideale Balance zwischen beiden Welten: militärischem Dienst und Agilität in der freien Wirtschaft, wie sie in modernen mittelständischen Unternehmen heute zu finden ist“, bringt es Intrapreneur Korvettenkapitän Patrick O. auf den Punkt, der das Projekt erfolgreich mit Unterstützung des CIHBwCyber Innovation Hub der Bundeswehr entwickelt hat. Er hatte in seinem Reservistendienst die Erfahrung gemacht, dass freizugängliche Weltraumdaten bei der Marine nicht abgerufen wurden – insbesondere auch deshalb, weil gar nicht bekannt war, wie das funktioniert. Dies brachte den Offizier der Reserve auf seine Intrapreneur-Idee. Gemeinsam mit den Kameradinnen und Kameraden seiner Dienststelle, dem 1. U-Boot-Geschwader in Eckernförde, habe er sich die Frage gestellt: „Wie können wir die unterschiedlichen Daten vom Weltraum bis zum Meeresboden für verschiedene Anwendungen innerhalb der Marine nutzbar machen?“ So sei das Innovationsprojekt MSDF geschaffen worden, das Unterwasser- und Weltraumbilder für militärische Lagebilder kombiniert und visualisiert.  

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Dream-Team: Agile Innovationsprojekte und das System Bundeswehr

Es sei ein gutes Gefühl gewesen, während der Entwicklung ein Programm wie das Intrapreneurship hinter sich zu wissen, das Prozesse strukturiere und koordiniere, so der Intrapreneur. „Außerdem war es für mich wichtig, die Wechselwirkung zu erleben – also zwischen Cyber Innovation Hub und Alltag in der Truppe.“ Das Programm zeige gut, wie sich agile Innovationsprojekte mit dem System Bundeswehr vereinbaren lassen würden. Und: „Man muss auch scheitern und ausprobieren dürfen – beides gehört zu einem Innovationsvorhaben dazu“, betont der Korvettenkapitän.

Insgesamt 40 Innovationsvorhaben in unterschiedlichen Entwicklungsstufen haben bisher Eingang in die Bundeswehr gefunden. 19 dieser Innovationsvorhaben sind verstetigt: Die Bundeswehr hat also entweder die Beschaffung der Technologie beziehungsweise des spezifischen Produkts beschlossen oder aber bereits angestoßen.

Biegsamer Lichtteppich für Verwundetenversorgung

Eine der erfolgreich umgesetzten Projektideen hat es sogar bis in die Ukraine geschafft: die flexibel adaptierbare Lichtversorgung für mobile Kräfte im Einsatz (faLKEflexibel adaptierbare Lichtversorgung für mobile Kräfte im Einsatz). Dabei handelt es sich um einen LED-Lichtteppich, der eine schnelle Versorgung Verwundeter bei Dunkelheit ermöglicht. Die knick- und rollbaren Lichtteppiche lassen sich per integrierter Steuerungseinheit oder einfach per App bedienen. Sanitätskräfte sind damit in der Lage, beispielsweise arterielle Blutungen durch Schussverletzungen umgehend zu stillen. Gemeinsam mit dem Kommando Spezialkräfte der Marine hatte der CIHBwCyber Innovation Hub der Bundeswehr die LED-Lichtmatten eines Hamburger Start-ups für textile Lichtversorgung ausfindig gemacht. 2.000 faLKEflexibel adaptierbare Lichtversorgung für mobile Kräfte im Einsatz-Exemplare dieser Lichtmatten liefert die Bundesregierung im Rahmen der sogenannten Ertüchtigungsinitiative zur Unterstützung der Ukraine an die ukrainischen Streitkräfte.

Soldaten behandeln eine Simulationspuppe bei Nacht. Ein portabler Lichtteppich leuchtet rot.

Schnell Leben retten: Das macht die flexibel adaptierbare Lichtversorgung für mobile Kräfte im Einsatz möglich. Der LED-Lichtteppich sorgt auch dort für ausreichend Helligkeit, wo kein Stromnetz anliegt.

Bundeswehr/Jana Neumann

Erkenntnisgewinn statt Misserfolg

Finden Projekte nicht dauerhaft Eingang in die Truppe, so werden sie dennoch teils als Prototypen von den Streitkräften weitergenutzt; bei 14 Innovationsvorhaben ist das derzeit der Fall. Und auch das Scheitern gehört dazu, denn nicht jedes der begonnenen Projekte reift beim CIHBwCyber Innovation Hub der Bundeswehr bis zum fertigen Produkt. „Wenn wir merken, dass wir keine gute Lösung finden, brechen wir die Projekte auch ab“, sagt Sven Weizenegger, Leiter des CIHBwCyber Innovation Hub der Bundeswehr. Dies sei jedoch nicht als Misserfolg, sondern als Erkenntnisgewinn zu werten. „Auf dem Weg entdecken wir unzählige Zweige, die zur Lösung anderer Herausforderungen führen können.“