KFORKosovo Force

Warum die Bundeswehr in Kosovo seit 2024 wieder mehr Präsenz zeigt

Jahrelang war die deutsche Beteiligung am KFORKosovo Force-Einsatz geprägt von schrumpfenden Kontingenten. Nachdem aber seit 2022 vermehrt Gewaltausbrüche die Stabilität der Region bedrohen, schickt die Bundeswehr 2024 eine rund 200 Männer und Frauen starke Einsatzkompanie zu KFORKosovo Force. Mit ihren Patrouillen sorgt sie ein Stück weit für mehr Sicherheit.

Soldaten trainieren den Ernstfall einer Demonstration auf einem Übungsplatz

Wer in Kosovo ankommt, der mag kaum glauben, dass es sich um ein Einsatzgebiet der Bundeswehr handelt. Ein moderner Flughafen, Autobahnen wie in Deutschland und diverse Shoppingcenter sind das erste, was ins Auge fällt. Kosovo, mit seinen rund 11.000 Quadratkilometern nur etwa halb so groß wie Hessen, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten rasant entwickelt. Doch der gestiegene Wohlstand täuscht darüber hinweg, dass dort weiterhin ein Konflikt brodelt, der die Anwesenheit einer internationalen Schutztruppe, der Kosovo Force (KFORKosovo Force), notwendig macht.

Tretboote und Sturmgewehre

Wir aus der Redaktion der Bundeswehr begleiten eine Patrouille vor Ort. Mit vier Fahrzeugen geht es vom USUnited States-Feldlager „Bondsteel“ für eine gute Stunde „aufgesessen“ durch Städte und Dörfer. Die Bedrohungslage wird vom deutschen Verteidigungsministerium zwar insgesamt als gering bewertet, dennoch ist in den Geländewagen vom Typ Wolf für alle je ein G36-Sturmgewehr und eine Pistole dabei. Wir passieren idyllische Seen, auf denen junge Menschen Tretboot fahren. Immer wieder werfen Kosovaren der Patrouille eine Kusshand zu oder grüßen freundlich. Viele von ihnen erinnern sich offenbar noch an 1999, als KFORKosovo Force-Truppen Kosovo vom Milošević -Regime befreit haben.

Ein Gefechtsfahrzug von der Bundeswehr befährt eine Straße im Kosovo

Rund um die Uhr sind KFORKosovo Force-Patrouillen in Kosovo unterwegs. Mehr als 4.500 Soldatinnen und Soldaten aus 28 Ländern helfen so, für Frieden und Stabilität zu sorgen. Gut 300 Männer und Frauen gehören zum Kontingent der Bundeswehr.

Bundeswehr/Martin Pätzold

150 Patrouillen pro Woche

Angekommen ganz im Nordosten Kosovos, sind wir auf einer ABL-Patrouille. Die Abkürzung steht für „Administrative Boundary Line“, also Verwaltungslinie im Sinne von Grenze. Von einer Grenze zu Serbien zu sprechen, wäre bei KFORKosovo Force allerdings undiplomatisch. Der Grund: Kosovos 2008 erklärte Unabhängigkeit wird zwar von einem Großteil der Staatengemeinschaft wie etwa auch von Deutschland anerkannt. Andere Länder, darunter insbesondere der Kosovo-Rivale Serbien, lehnen die Souveränität Kosovos indes ab.

In unwegsamen Gelände geht es zu Fuß weiter. Mit schusssicherer Weste, Gewehr und Pistole geht es durch hügelige Landschaften. Rund sechs Kilometer legt die Truppe so zurück. Entlang der grünen Grenze zu Serbien komme es immer wieder zu illegalen Grenzübertritten oder Waffenschmuggel, erklärt Oberleutnant Martin T.* – einer der Offiziere aus der Einsatzkompanie. Für die heutige Patrouille haben die Soldaten einen interessanten Tipp von der kosovarischen Polizei bekommen.

Entlang ihrer Route befinde sich ein verlassenes Haus, das möglicherweise als Versteck für Schmuggelware genutzt werde. „Die lokalen Sicherheitskräfte haben nicht immer genug Leute. Also schauen wir uns das mal an“, erklärt T. An den Büschen und Bäumen rund um das Haus hängen alte Getränkebüchsen. „Das könnte eine Markierung für die Schmuggler sein, dass hier das Versteck ist.“ Die Patrouillenmitglieder schauen sich das Haus an, können aber an den Gefechtsstand melden, dass sie keine Hinweise auf kriminelle Aktivitäten finden konnten.

Zwei Soldaten stehen zwischen Gestrüpp, einer der Soldaten zeigt auf etwas

Ein gutes Dutzend Männer gehört zur Patrouille. Patrouillenführer Oberfeldwebel „Rudy“ R. weist seine Männer immer wieder ein, worauf sie entlang der Route zu achten haben.

Bundeswehr/Martin Pätzold
Ein Gebäude steht zwischen Gestrüpp

Entlang der grünen Grenze zum Kosovo muss die KFORKosovo Force-Truppe genau hinschauen. Handelt es sich „nur“ um ein zerfallenes Gebäude oder um ein Versteck für Schmuggelwaren wie Waffen?

Bundeswehr/Martin Pätzold

Zwist zwischen Albanern und Serben

Auf dem Weg zurück zum Camp sehen wir zumindest Anhaltspunkte, woher die Fragilität des Friedens in Kosovo rührt: Im Großteil des Landes bildet die Gruppe der ethnischen Albaner zwar die Bevölkerungsmehrheit, dennoch gibt es zahlreiche ethnische Enklaven der serbischstämmigen Minderheit. Mit unzähligen Flaggen entlang der Straßen ihrer Dörfer zeigen sie betont ihre Sympathie und Verbundenheit zum serbischen Staat.

Viele Kosovoalbaner empfinden das als Provokation, schließlich wurden Tausende von ihnen samt Familien während des Kosovokrieges vom serbisch dominierten Vorgängerstaat Jugoslawien vertrieben oder gar ermordet. Kurzum: Auch 25 Jahre nach Ende des Krieges sind die ethnischen Spannungen in Kosovo alles andere als überwunden. Dazu kommen 300.000 illegale Schusswaffen, die im Kosovo vermutet werden. Eine explosive Mischung.

Ein Soldat von der US-Armee in einer Portraitaufnahme
Jace Walden, Bataillonskommandeur Bundeswehr/Martin Pätzold
Die KFORKosovo Force-Mission ist dafür da, zu einem sicheren Umfeld in Kosovo beizutragen, in dem sich alle Bevölkerungsgruppen frei bewegen können.“

Präsenz zeigen, beobachten, vermitteln und notfalls deeskalierend eingreifen. All das erfüllt das Mandat von KFORKosovo Force, Kosovo auf dem Weg zu einer friedlichen multi-ethnischen und demokratischen Zukunft zu unterstützen. Ein wichtiges Werkzeug bei der Erfüllung dieses Auftrages sind die KFORKosovo Force-Patrouillen.

Lieutenant Colonel (zu deutsch: Oberstleutnant) Jace Walden ist der Bataillonskommandeur für das Manöverbataillon im „Regionalkommando Ost“ von KFORKosovo Force. Die deutsche Einsatzkompanie ist hier in diesem Bereich nur eine von mehreren Einheiten aus insgesamt sechs Nationen, die im Osten Kosovos eingesetzt sind. Der KFORKosovo Force-Einsatz stärke die NATONorth Atlantic Treaty Organization über ihr Mandat im Balkanstaat hinaus, erklärt Walden. Schließlich arbeiten hier Alliierte täglich Hand in Hand – eine Fähigkeit, die auch außerhalb des KFORKosovo Force-Einsatzes, etwa bei der Bündnisverteidigung unverzichtbar ist.

Ein gänzlich neuer Einsatz für die Jäger aus Donaueschingen

Wie schnell sich die Lage ändern kann, zeigen die Ereignisse aus dem Mai 2023. Dutzende KFORKosovo Force-Soldaten aus Italien und Ungarn wurden verletzt, als sie sich gewalttätigen Demonstranten in den Weg stellten. Die Reaktion der NATONorth Atlantic Treaty Organization und der deutschen Bundesregierung folgte auf dem Fuße: KFORKosovo Force wurde verstärkt.

Oberfeldwebel Rudy R., Patrouillenführer
Ich saß mit meiner Freundin gerade im Italienurlaub in einem Café, als mich der Anruf erreichte.

Bei der Frage, welche Kräfte die Bundeswehr nach Kosovo schicken würde, fiel die Wahl schnell auf das Jägerbataillon 292 aus Donaueschingen. Oberfeldwebel „Rudy“ R.* hat nach dem Anruf im Urlaub direkt zugesagt mitzukommen. Für ihn als Gruppenführer sei das eine Selbstverständlichkeit. Wie viele seiner Kameradinnen und Kameraden war auch er schon im Einsatz. Allerdings war Mali etwas ganz anderes als Kosovo: „Dort hatte man natürlich ein anderes Bedrohungspotenzial. Hier ist die Lage zwar weniger gefährlich, aber die Auftragslast ist deutlich größer.“

„Rudy“ und seine gut 200 Kameradinnen und Kameraden gehören zur ersten Einsatzkompanie seit vielen Jahren, die nun wieder im Kosovo-Einsatz ist. Fast rund um die Uhr sind Patrouillen unterwegs. Bei Tag und Nacht – häufig über fünfzig Mal pro Woche. Dazu bringt die neue Kompanie eine Fähigkeit mit, die eigentlich eher an Polizeiarbeit erinnert.

CRCCrowd and Riot Control: Crowd and Riot Control

Gewalttätige Demonstrationen einzudämmen, protestierende Menschenmassen zu lenken – das ist zunächst Aufgabe der Polizei. Wenn jedoch die Leistungsgrenze der noch jungen Sicherheitsorgane des Kosovo erreicht ist, kommt KFORKosovo Force zur Hilfe.

An diesem Übungstag sind es fast 30 Grad, und auch wenn die Soldaten es nicht aussprechen, ist zu merken, dass es alles andere als angenehm ist, in die feuerfesten, wasserdichten Schutzanzüge zu steigen. „Aber es hilft nichts“, stellt ein Ausbilder klar. „Train as you fight!“ Und da ein CRCCrowd and Riot Control-Einsatz auch im Sommer notwendig werden kann, muss die Truppe mit allen klimatischen Bedingungen klarkommen.

Ausgewiesene Spezialisten bei CRCCrowd and Riot Control sind die Feldjäger der Bundeswehr. Sie übernehmen auch die Ausbildung der Infanteriekräfte, die in der Postenkette den Demonstrierenden gegenüberstehen. Je nach Bedrohung und Lage kann dann der Führer des Einsatzes unterschiedliche Maßnahmen ergreifen: Von der Sperrung einer Straße durch die Postenkette bis hin zum Einsatz des Schlagstocks oder des Wasserwerfers. Muss ein Rädelsführer aus dem Verkehr gezogen werden, kommt auch der Greiftrupp der Feldjägerkräfte zum Einsatz.

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KFORKosovo Force ist 2024 der längste noch laufende Einsatz der Bundeswehr. Ein Vierteljahrhundert lang ist die Schutztruppe schon vor Ort, um ein sicheres Umfeld zu schaffen. 2024 hat die Bundeswehr ihr Engagement wieder verstärkt.

Lohnt sich der KFORKosovo Force-Einsatz noch?

Seit 1999 ist die Bundeswehr in Kosovo präsent. Viele der Soldatinnen und Soldaten, mit denen wir gesprochen haben, waren da noch nicht einmal geboren. Auf der anderen Seite haben wir viele Menschen aus der Bundeswehr und anderen Streitkräften kennengelernt, die schon häufiger hier im Einsatz waren. Sie sind beeindruckt von Kosovo – wie weit es das Land in den vergangenen Jahrzehnten gebracht hat. Die Menschen leben weitgehend in Frieden und Sicherheit, wozu KFORKosovo Force einen wichtigen Beitrag leistet. Auch die staatlichen Institutionen sind auf einem guten Weg. Und Schritt für Schritt wird Kosovo die Verantwortung für seine Sicherheit hoffentlich selbst übernehmen.

*Namen zum Schutz abgekürzt.
 

von Hannes Lembke

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