Militärisches Transportwesen

Bundeswehr erprobt unbemanntes Fahren

Die Bundeswehr will bis 2031 in der Lage sein, teilautomatisierte Fahrzeuge auf die Straße zu bringen. Militärische Konvois sollen Deutschland künftig so mit einem Minimum an Fahrpersonal durchqueren. Auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne der britischen Armee in Niedersachsen wird mit der Technik schon jetzt experimentiert.

Ein Soldat mit Warweste und Aufschrift „L–Experiment“ steht mit dem Rücken zum Betrachter vor einem LKW auf einer Teststrecke.

Das Schild am Eingang zum Testgelände im Camp Fallingbostel mahnt zur Vorsicht: „Achtung! Fahrversuch, Lebensgefahr!“ Heidschnucken grasen auf einer Wiese, zwei Militärtransporter drehen nebenan ihre Runden. Im vorderen Laster sitzen der Kommandant und sein Fahrer: alles ganz normal. Vielleicht arbeiten die beiden ein bisschen konzentrierter als üblich. Denn sie steuern nicht nur ihren Wagen, sondern auch den zweiten Laster dahinter.
 
Hier sitzt zwar auch ein Fahrer in der Kabine, aber nur zur Sicherheit. Er lässt die Hände vom Lenkrad und greift nur im Notfall ein. Den Rest erledigt die Technik. Hantiert der Fahrer in Laster eins mit dem Steuer, vollzieht Laster zwei das Fahrmanöver nach. Wird vorn auf die Bremse getreten, wird hinten das Tempo automatisch gedrosselt. Die Militärtransporter fahren in fast synchronen Bewegungen über die Testrecke.

Ein Soldat mit rotem Barett im Porträt
Major Carsten M., Planungsamt der Bundeswehr Bundeswehr/Jana Neumann
Im zivilen Bereich ist das unbemannte Fahren schon ein absoluter Megatrend. Wir wollen aufzeigen, wie es in der Bundeswehr eingesetzt werden kann.

Fahren wie am Gummiband

Möglich macht das die „elektronische Deichsel“, die die Laster über einen Abstand von aktuell bis zu 200 Metern verbindet. „Sie funktioniert wie ein unsichtbares Gummiband. Das Folgefahrzeug fährt genau auf der gleichen Spur wie das Führungsfahrzeug. Permanent werden Sensordaten und Geoinformationen ausgetauscht: Lenkwinkel, Geschwindigkeit, Position eines Fahrzeuges zu einem gegebenen Zeitpunkt“, sagt Major Carsten M.* vom Planungsamt der Bundeswehr. Der Offizier arbeitet im Referat für interne Innovationen und leitet das Projekt „Unbemanntes Fahren von Landsystemen in der Bundeswehr.“ Heute ist er beim ersten Feldversuch der Streitkräfte mit der elektronischen Deichsel dabei.

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Die Bundeswehr will bis 2031 die Fähigkeit zum unbemannten Fahren im militärischen Konvoi entwickelt haben. Als Technologie kommt die elektronische Deichsel in Frage. Mitte Juli wurde sie in Bad Fallingbostel im praktischen Versuch erprobt.

„Im zivilen Bereich ist das unbemannte Fahren schon ein absoluter Megatrend. Wir wollen aufzeigen, wie es in der Bundeswehr eingesetzt werden kann“, so M.* Im Fähigkeitsprofil der Bundeswehr ist vorgegeben, bis 2031 Fähigkeiten für das unbemannte Fahren zu entwickeln. Fahren Militärkonvois mehr oder weniger von allein, könnte ein Teil der bisher im Fahrdienst tätigen Frauen und Männer anders eingesetzt werden.

„Wir befinden uns in einer frühen Versuchsphase“, sagt M. „Zunächst soll das unbemannte Fahren außerhalb von Bedrohungsszenarien und taktischen Verfahren erprobt werden.“ Funktioniert das Ganze, kann über eine Anwendung im Auslandseinsatz oder sogar auf dem Gefechtsfeld nachgedacht werden.

Um die Vision zur Realität werden zu lassen, arbeiten mehrere Dienststellen zusammen: Neben dem Planungsamt sind das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBwBundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr) und das Zentrum Kraftfahrwesen der Bundeswehr dabei. Für den Feldversuch haben sich zudem Logistiker des Heeres und der Streitkräftebasis in Bad Fallingbostel einquartiert: Erstmals sollen Praktiker aus der Truppe die elektronische Deichsel erproben.

Mit A, B, C zum smarten Lkw

Als Testfahrzeuge dienen zwei ganz gewöhnliche ungeschützte Transportfahrzeuge: Ein Dreiachser mit einer Nutzlast von fünf Tonnen, ein Vierachser mit einer Zuladung von 15 Tonnen. Was die Militärlastwagen besonders macht, ist die digitale Technik, mit der sie vom BAAINBwBundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr umgerüstet wurden: Auf dem Dach der Fahrerkabine sitzt das Autonomy-Kit oder A-Kit voller Kameras und Sensoren, die permanent die nähere Umgebung des Fahrzeugs abtasten. Die Informationen bilden die Basis für die automatische Berechnung der notwendigen Fahrmanöver, die anschließend an das By-Wire-Kit weitergeleitet werden. 

Ein lächelnder Mann im Porträt
Technischer Oberregierungsrat Arno R. Bundeswehr/Jana Neumann
Alles ist smart: Gas, Bremse, Lenkung. Aber auch Hupe, Blinker, Scheibenwischer oder die Lichter.

Dieses B-Kit ist im Fußraum der Fahrerkabine untergebracht und steuert alle Funktionen, die sonst manuell vom Fahrer bedient werden. „Alles ist smart: Gas, Bremse, Lenkung. Aber auch Hupe, Blinker, Scheibenwischer oder die Lichter“, sagt der Technische Oberregierungsrat Arno R.* aus der Gruppe „Ausbildung, Simulation, Robotik“ der Abteilung „Land-Unterstützung“ im BAAINBwBundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr. „Mit Hilfe der beiden Kits kann sich der Laster selbstständig auf Grundlage der Fahrspur des Führungsfahrzeugs und seiner Sensordaten bewegen.“

Die Informationen landen zudem im Communication-Kit oder C-Kit, das das gewonnene Lagebild auf einem Display wiedergibt und Fahrmanöver an gekoppelte Fahrzeuge weiterleitet. Über diese Schnittstelle können auch andere Fahrzeuge des Konvois ferngesteuert werden – zum Beispiel mit dem Controller einer Videospielkonsole. Auch das wird in Bad Fallingbostel ausprobiert.

  • Eine Box mit Sensor- und Kameratechnik auf dem Dach einer Lkw-Fahrerkabine

    Das Autonomy-Kit oder A-Kit ist das Herzstück der elektronischen Deichsel. In einer Box auf dem Dach der Fahrerkabine sitzen zahlreiche Sensoren und Kameras, die permanent die nähere Umgebung des Lastwagens abtasten.

    Bundeswehr /Jana Neumann
  • Ein Mann bedient ein Gerät, das am Boden im Innenraum einer Lkw-Fahrerkabine steht

    Das By-Wire-Kit oder B-Kit ist im Innenraum der Fahrerkabine untergebracht, wie Arno R. vom BAAINBwBundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr verdeutlicht. Das B-Kit steuert sämtliche Funktionen, die sonst manuell der Fahrer bedient.

    Bundeswehr/Jana Neumann
  • Ein Display an der Armatur in einer Lkw-Fahrerkabine

    Das Communication-Kit oder C-Kit ist die Schnittstelle von Mensch und Computer. Auf einem Display werden sämtliche relevanten Informationen über die Umgebung des Lasters und der anderen Fahrzeuge im Konvoi angezeigt.

    Bundeswehr/Jana Neumann

Die aktuell genutzten Autonomie-Kits stammen aus den Vereinigten Staaten: Das USUnited States-Militär hat bereits 90 Laster mit dieser Technik ausgestattet. „Ziel ist die Entwicklung eines fahrerlosen Konvois mit einem personengeführten Führungsfahrzeug“, sagt R.* Später sollen auch Alternativen zur USUnited States-Technik ausprobiert werden: Rüstungsunternehmen aus Deutschland beschäftigen sich ebenfalls mit dem unbemannten Fahren.

Die Soldaten auf dem Testgelände arbeiten nach und nach verschiedene Vignetten ab: Möglichst kleinteilige Aufgaben, die sich jeweils mit einem Fahrmanöver oder einer anderen Herausforderung beschäftigen. Wie reagiert die Bordtechnik beispielsweise, wenn plötzlich ein umgestürzter Baum auf der Straße liegt? Was passiert, wenn ein ziviles Auto in den Militärkonvoi einschert und der Abstand zwischen den Lastern größer wird? Wie kann man mit der Fernbedienung rückwärts einparken?

Nach jeder Übungsrunde gibt es eine Nachbereitung. Die Testfahrer berichten von ihren Eindrücken, machen Verbesserungsvorschläge. Das Führungsfahrzeug wird gewechselt, dann geht es wieder von vorne los.

Interview

4 Fragen an Marcel K.

Testfahrer bei Erprobung der elektronischen Deichsel

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„Das Feedback der Soldaten ist wichtig, um die Praxistauglichkeit der Systeme zu überprüfen“, sagt Arno R.* Insbesondere die Aufgaben des Fahrzeugkommandanten im Führungsfahrzeug werden komplexer: Schließlich muss der Mann oder die Frau auf dem Beifahrersitz künftig nicht nur für ein Fahrzeug die Entscheidungen treffen, sondern für den ganzen Konvoi.

Gleiches gelte für den Fahrer: „Er musste sich bisher nur um seinen eigenen Wagen kümmern, jetzt muss er alle Fahrzeuge des Konvois im Auge behalten.“ Während der Versuche zeichnen Kabinenkameras die Reaktionen des Fahrpersonals auf. Sogar ihr Stresslevel wird gemessen. Geht etwas schief, können die Transporter mit einem Notausknopf sofort zum Halten gezwungen werden.

  • Ein Soldat sitzt mit einem Controller in der Hand auf dem Beifahrersitz in einer Lkw-Fahrerkabine.

    Hauptfeldwebel Marcel K. vom Logistikbataillon 171 steuert einen Laster vom Beifahrersitz seines Führungsfahrzeugs aus fern – mit einem gewöhnlichen Gamepad für Videospiele

    Bundeswehr/Jana Neumann
  • Drei Soldaten scheiben ein Auto vor einen Lkw auf eine Teststrecke

    Auch wenn die Lastwagen fast von allein fahren: Um die Teststrecke mit Fahrzeugattrappen zu präparieren, war nach wie vor Muskelkraft gefragt

    Bundeswehr/Jana Neumann
  • Mehrere Soldaten unscharf im Vordergrund stehen vor einem Lkw

    Nach jeder Testfahrt versammeln sich die Versuchsteilnehmer, um über ihre Erfahrungen auf der Strecke zu berichten. Im Anschluss wird das nächste Fahrmanöver ausprobiert.

    Bundeswehr/Jana Neumann

Jeder Kilometer zählt

Oberstleutnant Hartmut B.* vom Zentrum Kraftfahrwesen der Bundeswehr beobachtet die Testfahrten auf den Monitoren seines Leitstandes. „Wir erproben verschiedene Szenarien, um korrekte Entscheidungen von automatisierten Fahrsystemen in Wechselwirkung mit der Umgebung darzustellen“, sagt der Offizier.

Er ist amtlich anerkannter Sachverständiger für den Kraftfahrzeugverkehr und wird später die Verkehrssicherheit der elektronischen Deichsel bewerten. Erst wenn B. zufrieden ist, besteht die Chance auf eine Betriebserlaubnis: „Das Fahrzeug muss Dinge tun können, die sonst nur der Fahrer tut. Wir wollen das System gezielt in jede erdenkliche Fahrsituation bringen.“ Jeder gefahrene Kilometer auf der Teststrecke sei ein Nachweis für die Sicherheit des Systems.

Ein Soldat im Porträt
Oberstleutnant Hartmut M., Zentrum Kraftfahrwesen der Bundeswehr Bundeswehr/Jana Neumann
Das Fahrzeug muss Dinge tun können, die sonst nur der Fahrer tut. Wir wollen das System gezielt in jede erdenkliche Fahrsituation bringen.

Im Herbst sollen weitere Kilometer dazukommen: Für die nächste Testreihe zum unbemannten Fahren im militärischen Konvoi sollen die beiden automatisierten Militärtransporter auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr mit drei weiteren Lastern aus den USA gekoppelt werden. Später sollen in Camp Fallingbostel neue Funktionen erprobt werden, nachdem die Laster ein Softwareupdate erhalten haben. „Ich sehe die Chance, an diesem Standort technologische Zukunft zu gestalten“, sagt Oberstleutnant B.* Die ersten teilautomatisierten Militärkonvois könnten schon in wenigen Jahren in Deutschland unterwegs sein.

*Namen zum Schutz der Personen abgekürzt.


von Timo Kather