„In allen Belangen und mit all seinen Facetten mein intensivster Auslandseinsatz.“
„In allen Belangen und mit all seinen Facetten mein intensivster Auslandseinsatz.“
- Datum:
- Ort:
- Berlin
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- 4 MIN
Oberfeldarzt Christoph Czwielung ist Sprecher des Sanitätsdienstes im Verteidigungsminsterium. Als sich Mitte August abzeichnet, dass die Bundeswehr in Afghanistan eine Evakuierungsoperation startet, wird der Allgemein- und Notfallmediziner für ein Krisenunterstützungsteam (KUTKrisenunterstützungsteam) aktiviert. In Taschkent hilft er, die medizinische Versorgung der Evakuierten zu gewährleisten.
Wie sind Sie als Arzt mit dem Krisenunterstützungsteam nach Taschkent gelangt?
Ich bin seit 2017 in einem Personalpool für die nationale Krisenvorsorge gelistet und wurde für den Einsatz aktiviert, als klar wurde, dass wir dort Landsleute rausholen werden. Ich wurde in der Nacht zum 15. August alarmiert. Wenige Stunden später traf ich zum Briefing beim Einsatzführungskommando in Schwielowsee ein und am Mittag des Folgetages saß unser fünfköpfiges Team schon mit Teilen des Einsatzkontingentes im Flugzeug nach Usbekistan. Wir sind dann gegen 22 Uhr Ortszeit in Taschkent angekommen.
Wie ging es dort weiter?
In Taschkent haben wir zunächst mit den Vertretern der deutschen Botschaft Verbindung aufgenommen. Die Rahmenbedingungen für unseren Einsatz dort mussten abgesteckt werden. Anders als das Gros des Kontingentes durften wir uns immerhin außerhalb des Flughafens bewegen. Die Voraussetzungen für die Durchführung unserer Evakuierungsoperation und die notwendige medizinische Versorgung der Evakuierten waren aber von Anfang an nicht ideal.
Was heißt das konkret?
Die usbekischen Behörden haben uns für die Evakuierung zunächst unterschiedliche Teile des internationalen Flughafenterminals zugewiesen. Erst am dritten Tag bezogen wir nach mehrmaligem Umzug ein separates Terminal zusammen mit Teilen des Einsatzkontingentes. Außerdem wurden uns sehr enge Zeitlinien gesetzt. Alle aus Afghanistan Evakuierten mussten binnen sechs Stunden ausgeflogen werden. Mit der zweiten Maschine aus Kabul trafen am Dienstag bereits über 120 Menschen ein, um die wir uns kümmern mussten. Diese Zahlen stiegen dann schnell auf teils über 200 zu Evakuierende pro Maschine an. Da einige der Menschen medizinische Unterstützung und neben der Registrierung und Administration allesamt einen Corona-Schnelltest mit Zertifikat benötigten, haben wir von Anfang an am Anschlag gearbeitet.
Was fehlte den Menschen, die Sie behandelt haben?
Mit zunehmender Dauer der Evakuierungsoperation nahm auch die Zahl der Behandlungsbedürftigen zu. Die meisten waren sehr erschöpft und in reduziertem Allgemeinzustand. Einige hatten chronische Erkrankungen und es fehlten die notwendigen Medikamente. Viele der Geretteten, namentlich die Kinder, litten an Dehydration und fieberhaften Infekten. Außerdem hatten wir verschiedene Formen von Verletzungen zu versorgen. Prellungen, Schnittwunden durch fehlendes Schuhwerk und derlei mehr. Nicht unerheblich schien jedoch die Zahl der seelischen Verwundungen. Wegen der knappen Zeitlinien haben wir in der Regel nur eine notfallmäßige Behandlung durchgeführt und, wo erforderlich, Medikamente mitgegeben. Details zur weiteren Betreuung wurden dann telefonisch ans Medical Center am Frankfurter Flughafen vorgemeldet, wo alle Evakuierten ankamen. Das hat gut geklappt.
Sind Ihnen besonders anspruchsvolle Fälle in Erinnerung?
Gleich auf dem zweiten Evakuierungsflug hatte ein Kleinkind einen Fieberkrampf erlitten. Zum Glück hatten Notfallsanitäter an Bord sofort die erforderlichen Maßnahmen eingeleitet. Das Kind war bei der Landung in Taschkent stabil. Für einen deutschen Staatsbürger, der in Kabul angeschossen worden war, haben wir im Terminal zwei Tage lang eine provisorische 24-Stunden-Versorgung sichergestellt. Erst dann konnte er mittels zivilem AirMedEvac ausgeflogen werden. Das war heikel. Und eine Schwangere hat in Taschkent ihr Kind zur Welt gebracht. Zur Entbindung durfte sie nach längeren Verhandlungen mit der usbekischen Seite den Terminal verlassen und in ein Krankenhaus. Anschließend wurde sie mit ihrem neugeborenen Sohn ausgeflogen.
Was waren die besonderen Herausforderungen bei dieser Mission?
Die Begleitumstände haben unserem Team einiges abverlangt. Es galt, eine nicht unbeträchtliche Zahl bürokratischer Hindernisse zu bewältigen. Die Räumlichkeiten vor Ort waren beengt und genügten unseren hygienischen Standards nur bedingt. Zunächst herrschte auch Mangel an geeigneten Medikamenten, gerade für die vielen Kinder. Schlafmangel und akute Zeitnot kamen dazu. Außerdem blieben unter den verängstigten und häufig traumatisierten Geretteten Konflikte nicht aus. Auch damit mussten wir uns auseinandersetzen. In der Summe ging das nach einiger Zeit bei allen an die Substanz.
Wer hat Sie medizinisch unterstützt?
Vor allem zwei Sanitätsfeldwebel vom Kommando Schnelle Einsatzkräfte des Sanitätsdienstes und die Crew des MedEvacMedical Evacuation-Airbusses haben geholfen, wo sie konnten. Aber auch die Angehörigen der luftbeweglichen Arzttrupps der 5. und 6. Kompanie vom Fallschirmjägerregiment 31. Die beiden Kompanien wurden ja nacheinander in Kabul eingesetzt. In Taschkent haben sie zwischenzeitlich unser KUTKrisenunterstützungsteam medizinisch unterstützt. Ohne diese Unterstützung hätten wir das nicht geschafft. Am 19. und 20. August wurden dann weitere Kräfte zur Unterstützung unseres KUTKrisenunterstützungsteam aus Deutschland eingeflogen. Der Zusammenhalt und die Kameradschaft im Kontingent waren herausragend und beispielhaft.
Sie waren viermal im Auslandseinsatz in Afghanistan, allein dreimal als Notarzt eines beweglichen Arzttrupps. War dies jetzt Ihr härtester Einsatz?
Dies war in allen Belangen und mit all seinen Facetten mein intensivster Auslandseinsatz. Wir haben früher auch im Rahmen von ISAFInternational Security Assistance Force und RS (Resolute Support) Zivilisten behandelt. Aber nicht so viele in so kurzer Zeit. Durch meine Einsätze bin ich mit der Mentalität der Afghanen gut vertraut. Das hat bei der Arbeit enorm geholfen. Und es hat sich gezeigt, dass wir allesamt durch unsere Ausbildung befähigt sind, auch unter widrigsten Bedingungen unseren Auftrag zu erfüllen. In einem großartigen Team haben wir in Taschkent auch mit der Unterstützung von weiteren Beteiligten, zum Beispiel der deutschen, österreichischen und schweizerischen Botschaften, der Bundespolizei und dem Auswärtigen Amt, dazu beigetragen, binnen kurzer Zeit über 5.300 Menschen zu evakuieren. Das war außerordentlich beeindruckend.