EUEuropäische Union-Ausbildungsmission

Ausbildung ukrainischer Pioniere: Schritt für Schritt durch das Minenfeld

Ausbildung ukrainischer Pioniere: Schritt für Schritt durch das Minenfeld

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
4 MIN

Die ukrainischen Streitkräfte treffen bei ihrer Gegenoffensive auf ausgedehnte Minensperren der russischen Invasoren. Es ist Aufgabe der Pioniere, diese Sperren für den Vormarsch der eigenen Truppen zu räumen. Auf einem Übungsplatz in Deutschland werden die Soldaten bei der Mission EUMAM UAEuropean Union Military Assistance Mission Ukraine auf ihre lebensgefährliche Aufgabe vorbereitet.

Zwei Soldaten hocken auf dem Boden, ein Soldat hält eine Schnur in seinem Händen und erklärt etwas

Schritt für Schritt: Ein deutscher Ausbilder erklärt einem ukrainischen Pionier, wie dieser seine Knotentechnik verbessern kann. Mit dem richtigen Knoten kann eine Mine sicher an der Leine aus ihrer Position gezogen und anschließend geräumt werden.

Bundeswehr/Tom Twardy

Jede Kleinigkeit kann bald über Leben und Tod entscheiden. Die ukrainischen Pioniere sehen genau zu, als ihr Ausbilder ihnen zeigt, wie eine Mine aus ihrer Position entfernt wird. Eine Leine wird an der Mine verknotet. Aus sicherer Entfernung zieht der Soldat an der Leine. Wäre die Mine scharf, würde sie jetzt explodieren. Jedes Wort des Bundeswehrsoldaten wird von einem Sprachmittler in Ukrainisch und Russisch übersetzt. Manche der Soldaten machen sich eifrig Notizen. Andere scheinen jeden Handgriff ihres Ausbilders im Gedächtnis abzuspeichern.

Für die Pioniere geht es in wenigen Wochen zurück in ihr Heimatland, um die Ukraine von den Invasoren aus Russland zu befreien. Dort werden sie ihren Kameradinnen und Kameraden den Weg durch die russischen Minensperren bahnen – unter Beschuss durch den Feind, in ständiger und akuter Lebensgefahr.

Alle paar Meter eine Mine

Der Erfolg der ukrainischen Gegenoffensive hängt entscheidend von der Leistung der Männer ab, die an diesem Sommertag auf einem Truppenübungsplatz in Deutschland stehen. Russland hat die besetzten Teile der Ukraine durch ein ausgeklügeltes System von Minenfeldern, Panzersperren und Schützengräben gesichert, um den Vormarsch der ukrainischen Truppen zu verlangsamen.

Dieses Verteidigungsnetz – es erstreckt sich an manchen Stellen über Dutzende von Kilometern in die Breite und mehrere Kilometer in die Tiefe – müssen die Pioniere überwinden, um den nachrückenden Verbänden die Chance auf einen Durchbruch zu eröffnen. Scheitern ist keine Option: Nur wenn ein Weg durch die Minenfelder gebahnt werden kann, können die besetzten Landesteile im Süden und im Osten der Ukraine befreit werden.

Für die Vorbereitung der Pioniere bleiben nur wenige Wochen Zeit. Deshalb wird so praxisnah wie möglich ausgebildet. Der Schwerpunkt liegt auf der Räumung von Minen und Bausperren, also Hindernissen, die den Vormarsch von Fußtruppen und gepanzerten Verbänden verlangsamen.

Um die Soldaten sowie ihre Familien nicht zu gefährden, findet die Ausbildung unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt. Die Gesichter sind unter Sturmhauben verborgen, die ukrainischen Truppen tragen Leihuniformen der Bundeswehr. Nur die blauen Armbinden und die fehlenden Hoheitsabzeichen unterscheiden sie von ihren Ausbilderinnen und Ausbildern aus Deutschland.

Ein Ausbilder der Bundeswehr über den weiteren Weg der ukrainischen Pioniere
Diese Ausbildung ist die letzte, die die Soldatinnen und Soldaten aus der Ukraine bekommen. Nach einem kurzen Zwischenstopp bei ihren Familien geht es direkt an die Front.

Aufklären – markieren – sprengen 

Nach einer kurzen infanteristischen Grundausbildung werden die grundlegenden Abläufe erklärt, um ein Minenfeld zu finden und zu räumen. Dazu gehören die Aufklärung, die Markierung und, falls nötig, auch die fachgerechte Sprengung der Minen. Mit Metalldetektoren ausgestattet, erkunden die Soldaten Schritt für Schritt das vor ihnen liegende Terrain. Ziel ist, eine sichere Gasse zu finden und diese für die nachrückenden Truppen mit kleinen Fähnchen oder Farbe aus einer Sprühdose zu markieren. „Diese Ausbildung ist für uns eine unersetzliche Erfahrung“, sagt einer der Pioniere aus der Ukraine.

Mehrere Soldaten knien in einem Halbkreis vor einer Mine, die rot umrandet ist

Abstand halten: Ein deutscher Ausbilder erklärt den Pionierinnen und Pionieren aus der Ukraine die Funktionsweise einer Mine. Kämen sie ihr zu nahe, könnte sie detonieren.

Bundeswehr/Tom Twardy
Ein Soldat in gekrümmter Haltung entfernt sich von einem Sprengsatz

Den Kopf unten halten: Um eine Mine zu räumen, wird sie häufig kurzerhand gesprengt. Nachdem ein Pionier den Sprengsatz angebracht hat, bringt er sich in Sicherheit.

Bundeswehr/Tom Twardy

Die Pioniere werden bei ihrer Arbeit auch mit Manövermunition unter Beschuss genommen, um die Situation an der Front möglichst kriegsnah zu simulieren. Auch im feindlichen Feuer müssen die Minenräumer Ruhe bewahren und ihre Arbeit zuverlässig erledigen. Schließlich hängt von ihrer Arbeit im Ernstfall das Leben vieler Kameradinnen und Kameraden ab. Einige Teilnehmer haben bereits im Donbass gegen die russischen Truppen gekämpft. Auch sie versuchen, ihre weniger erfahrenen Kameraden auf das vorzubereiten, was sie an der Front erwartet. „Selbst wenn es nur eine kurze Ausbildung ist: Dümmer geht hier keiner vom Platz“, meint ein Ausbilder. 

Auch die Versorgung Verwundeter wird trainiert

Ergänzt wird die Pionierausbildung der ukrainischen Truppen durch eine Schulung im humanitären Völkerrecht und eine militärische Erste-Hilfe-Ausbildung. Wird ein Minensuchender bei der Arbeit in einem Minenfeld verwundet, muss er manchmal mehrere Stunden bis zu seiner Rettung durchhalten. Um in einem solchen Fall die Überlebenschancen zu erhöhen, wird den Ukrainerinnen und Ukrainern unter anderem der Umgang mit dem Tourniquet gezeigt, mit dem Blutungen von Abrissverletzungen der Arme und Beine abgebunden werden. „Der Fokus liegt vor allem auf der Selbst- und Kameradenhilfe“, sagt die für die Sanitätsausbildung verantwortliche Soldatin. 

Eine Person liegt mit entblößtem Oberkörper auf dem Boden, ein Soldat hilft ihm beim Entkleiden

Kameraden und sich selbst helfen: Pioniere begeben sich beim Minenräumen in höchste Gefahr. Deshalb müssen alle Soldatinnen und Soldaten wissen, was bei einer Verwundung zu tun ist.

Bundeswehr/Tom Twardy

Immer wieder lässt die Ausbilderin ihre ukrainischen Schützlinge die Handgriffe wiederholen, bis sie mit dem Ergebnis zufrieden ist. „Wir legen hier den Grundstein dafür, dass die Ukrainer ihr Wissen im Gefecht anwenden können“, sagt sie hinterher. Schließlich soll sich jeder ukrainische Soldat und jede ukrainische Soldatin im Kampf gegen Russland auf die Nebenfrau oder den Nebenmann verlassen können – denn die ersten zehn Minuten nach einer Verwundung können über Leben und Tod entscheiden.

von Mareike Dreier

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