Scharfe ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Kampfstoffe: „Jeder hängt an seinem Leben“
Die Übung Precise Response in Kanada ermöglicht es der ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehr verschiedener Armeen, mit echten Kampfstoffen zu arbeiten – wie im Ernstfall. Viele Soldatinnen und Soldaten waren schon mehrfach dabei. Für Mirko H. vom ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehrbataillon 7 in Höxter ist es das erste Mal. „Man darf sich keine Fehler erlauben“, betont der Stabsunteroffizier.
Mentor und Protegé
Mirko H.* ist Spürer 1 im deutschen Team SIBCRASampling and Identification of Biological, Chemical and Radioactive Agents (Sampling and Identification of Biological, Chemical and Radioactive Agents). Das sind Spezialisten für die Aufklärung atomarer, biologischer oder chemischer Kampfstoffe. Sein Kamerad Marcel F.* würde eigentlich auch als Spürer 1 fungieren, doch er nimmt bereits zum sechsten Mal an Precise Response teil und betont: „Es ist wichtig, dass auch die Kameraden diese Erfahrungen sammeln.“ Folgerichtig bleibt der Stabsunteroffizier dieses Mal im Hintergrund bei den Szenaren, wenn beispielsweise ein Anschlag auf einen Bus gestellt wird und der ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Aufklärungstrupp eingesetzt wird. F. ist nun Mentor für die Soldatinnen und Soldaten, die noch frisch dabei sind – wie Mirko H.
Dieser beherrscht sein Fach, ist Experte auf seinem Gebiet. „Ich fühle mich aber trotzdem sicherer, wenn Marcel mit dabei ist. Das beruhigt einfach“, so Mirko H., der seit 2016 bei der ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehr ist. Allen sei bewusst, dass es im Live Agent Training, dem Training mit echten Kampfstoffen, um absolute Präzision gehe. „Mit scharfen Kampfstoffen geht man noch einmal ganz anders um als bei anderen Übungen. Man geht viel ruhiger und konzentrierter an die Sache, nimmt sich mehr Zeit.“ Zudem geht es in diesem Jahr für die deutschen Kräfte um die Zertifizierung für die NATONorth Atlantic Treaty Organization Response Force (NRFNATO Response Force) 23, die schnelle Eingreiftruppe der Allianz. „Da gibt man sich nochmal mehr Mühe. Wir wollen die Übung bestmöglich bewältigen, wir geben 110 Prozent.“
Sorge, dass etwas schieflaufen könnte, hat H. nicht. Das Team sei sehr gut eingespielt. „Natürlich mussten wir uns erstmal einfinden, die Lagen werden zudem immer fordernder. Aber wir können uns alle aufeinander verlassen.“ Der Zusammenhalt sei ausschlaggebend dafür, dass die Arbeit gut bewältigt werde. Die Verbundenheit sei stärker als in einigen anderen Bereichen der Bundeswehr, findet Marcel F. „Es geht hier nicht um Hierarchie. Wir sind alle Kameraden und alle miteinander befreundet. Das schafft ein angenehmes Arbeitsklima.“
„Die kleinste Dosis kann tödlich sein“
Die Frauen und Männer sind eingespielt, kennen ihre Aufgaben genau und jeder Handgriff sitzt. Aber ganz wichtig sei, nicht in eine Routine zu verfallen, ergänzt Mirko H. „Man darf nichts übersehen. Wird man nachlässig, hat schon der kleinste Fehler gravierende Auswirkungen.“ Auch wenn man nach einigen Übungen bereits viel gemacht und erlebt habe, müsse man bei jeder Lage ebenso konzentriert und aufmerksam sein wie beim ersten Mal, betont der erfahrene Marcel F. „Schon die kleinste Dosis eines Kampfstoffes kann tödlich sein. Jeder hängt an seinem Leben.“
Besonders einprägsam war für H. die Situation mit dem atomaren Kampfstoff. „Die Strahler sind hier sehr stark. Da war ich ein bisschen nervös.“ Sonst habe er sich im Vorfeld aber keine Gedanken darüber gemacht, wie es mit den scharfen Kampfstoffen ablaufen oder dass etwas schiefgehen könnte. Das habe auch viel mit dem Vertrauen in die Ausrüstung zu tun. „Wir überprüfen unsere Masken jeden Tag, nach jeder Dekontamination.“ Zudem verlasse sich das Team auf die Messgeräte. Diese würden natürlich ebenso regelmäßig auf ihre Funktionen überprüft. Zusätzlich sei bei jeder Lage noch ein Sicherheitsoffizier dabei, so Marcel F. „Er würde sofort eingreifen, sollte etwas passieren, und Antitoxine verabreichen beispielsweise.“
Und mit der Übung wachse auch das Vertrauen in die Kameradinnen und Kameraden der anderen Nationen. „Wir haben alle unsere festen Abläufe, jede Nation macht es anders. Auch die Dekontamination. Da muss man sich einfach darauf verlassen, dass sie es ebenso gut machen“, so F. Bisher sei er noch nie enttäuscht worden. Alle seien Profis. Und die Übung in Kanada biete die Möglichkeit, unter realen Bedingungen zu üben. „Das gibt es so sonst nicht. Hier sehen wir, wie es im Ernstfall wäre. Und wenn der Fall mal auftreten sollte, sind wir vorbereitet. Darauf arbeiten wir unsere ganze Dienstzeit hin“, führt Marcel F. aus.
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Hitze im Schutzanzug
Herausforderungen seien nicht nur die echten Kampfstoffe, sondern vor allem auch die Temperaturen. Bis zu 35 Grad und wärmer ist es tagsüber. Eine Belastung für Körper und Geist, wenn die Soldatinnen und Soldaten stundenlang in den Schutzanzügen stecken. „Man schwitzt stark, kann aber nichts trinken. Nach drei, vier Stunden merkt man, dass man ausgelaugt ist“, so Marcel F. Ist die Aufgabe aber noch nicht bewältigt, heißt es weitermachen.
Wichtig sei, auf die Signale des eigenen Körpers zu achten und auch die Kameradinnen und Kameraden im Blick zu haben. „Wenn es zu viel wird, wird man unkonzentriert. Das können wir uns nicht leisten.“ Im Notfall müsse nicht nur eine Pause gemacht werden, sondern er oder sie auch rausgeschickt werden. Dazu müssen die Soldaten aber erst einmal dekontaminiert werden. Einfach Anzug ausziehen und Maske absetzen geht nicht. Bis zu 30 Minuten dauert das dann noch einmal. „Im schlimmsten Fall wird man aus dem Anzug geschnitten, das geht schneller.“
So weit ist es in Kanada in diesem Jahr aber noch nicht gekommen. Nur bei den USUnited States-amerikanischen Kräften, die allerdings generell ihre Leute aus den Anzügen schneiden, statt diese auszuziehen und zu dekontaminieren. „Ich habe es auch schon acht Stunden in dem Anzug ausgehalten, allerdings im Winter.''
Unter der Maske vergeht die Zeit sehr schnell.
So weit ist es in Kanada in diesem Jahr aber noch nicht gekommen. Nur bei den USUnited States-amerikanischen Kräften, die allerdings generell ihre Leute aus den Anzügen schneiden, statt diese auszuziehen und zu dekontaminieren. „Ich habe es auch schon acht Stunden in dem Anzug ausgehalten, allerdings im Winter.''
Ein Jahr Bereitschaft
Am 1. Januar 2023 beginnt für einen Teil der ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Abwehrkräfte der Bundeswehr dann die Bereitschaft für die NRFNATO Response Force 23. Damit sind auch Entbehrungen für die Frauen und Männer verbunden. Denn jederzeit können sie alarmiert werden. „Wir müssen immer bereit und vorbereitet sein. Das gilt auch für das Material“, so Mirko H.
Reden mit der Familie sei besonders wichtig in so einem Fall. Denn der Einsatz könnte auch länger dauern – und viel Vorbereitungszeit bleibe dann auch für die privaten Angelegenheiten nicht. Als Belastung sehen Mirko und Marcel das Ganze aber nicht an. „Wir sind alle passioniert. Und ich mache das einfach gerne, weil es mir sehr großen Spaß macht“, betont Marcel F.
*Name zum Schutz des Soldaten abgekürzt.