Funkkreis #88: Soldaten berichten aus Kabul

Funkkreis #88: Soldaten berichten aus Kabul

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12 MIN

Delta to all. Radio check. Over.
Hier ist Bravo. Kommen.
This is Tango. Over.
Funkkreis – Podcast der Bundeswehr

BG: Herzlich willkommen zum Funkkreis, in dieser Woche natürlich mit dem Thema Afghanistan. Hier ist Barbara Gantenbein von der Redaktion der Bundeswehr in Berlin und ich habe am Telefon jetzt zwei Männer, die unmittelbar an der Evakuierungsoperation beteiligt sind. Beide sind eben aus der afghanischen Hauptstadt Kabul zurückgekommen und in der usbekischen Hauptstadt Taschkent gelandet. Von dort aus werden die Evakuierten ja mit anderen Flugzeugen dann weitergeflogen nach Deutschland. Im A400M aus Kabul waren eben gerade Hauptmann Markus, der Chef des Air Mobile Protection Teams, und Hauptfeldwebel Adam von den Feldjägern. Hauptmann Markus vom Air Mobile Protection Team hat gestern schon auf Twitter berichtet, von einem Flug mit 230 Schutzbedürftigen an Bord, darunter 80 Kinder, und seinen Tweet dazu haben aktuell schon über 40.000 Menschen gesehen. Gemeinsam mit seinen Kameradinnen und Kameraden ist er weiterhin im Einsatz. Einen wunderschönen guten Tag, Hauptmann Markus.

HM: Schönen guten Tag. Hallo.

BG: Hallo. Sie sind eben aus Kabul gelandet. Wie haben Sie denn die Situation dort erlebt?

HM: Mittlerweile, jetzt hier am achten Tag, kontrollierter als die ersten Tage. In den letzten Tagen gab es noch sehr viel Bewegung. Ich glaube, die Lage vor Ort ist kontrollierter. Man merkt, dass vermutlich die Situation und die Pax-Anzahl hier dahingehend so sich vorfindet, dass man hier davon sprechen kann, dass die Passagiere weitestgehend Richtung Taschkent und weiter in ihre Bestimmungsländer evakuiert wurden.

BG: Das klingt sehr gut. Für all die Zuhörerinnen und Zuhörer, die gar nicht genau wissen, was ein Air Mobile Protection Team eigentlich macht, können Sie bitte mal beschreiben, was genau Ihre Aufgabe im Einsatz ist?

HM: Wir als Air Mobile Protection Team stellen den Schutz des Luftfahrzeugs und der Crew sicher. Am Boden und in der Luft. Durch unseren Einsatz ist für die Luftwaffe immer sichergestellt, dass bei einer möglichen Gefahrenlage Kräfte des Objektschutzregiments Friesland an die Maschine so gebunden sind, dass 24/7 durchgehend in der Gefahrenlage sichergestellt ist, dass der Schutz durch den Einsatz von Personal und Material garantiert wird.

BG: Also, Sie sind die Ersten, die rausgehen aus der Maschine, wenn die gelandet ist, und dann auch die Letzten, die wieder reingehen. Und ich weiß ja, dass Sie für solche Einsätze ausgebildet sind. Aber trotzdem: Wie viel Adrenalin ist denn bei Ihnen im Spiel in Kabul – vielleicht auch gerade beim allerersten Mal. Sie sagen, Sie machen das ja schon ein paar Tage, aber wie ging es Ihnen nach der ersten Landung?

HM: Na ja, grundsätzlich war ich mit auf der ersten Maschine zusätzlich mit dem Team. Ich möchte da aber nicht von Adrenalin sprechen, sondern von gesundem Respekt vor dem Auftrag. Alle Angehörigen des AMPT haben mehrfach Auslandserfahrung in Afghanistan oder Afrika. Auch AMPT-Einsätze bis hin zu Evakuierungseinsätzen, die vorher gelaufen sind. Und daher ist uns die Gefahrenlage vor Ort, auch wenn wir die hier in Kabul nicht einschätzen konnten, bewusst. Und dahingehend haben wir mit einem gesunden Respekt vor dem Auftrag reagiert.

BG: Okay. Das heißt, da geht dann nicht die Pumpe wie verrückt, sondern man ist einfach hellwach und unheimlich fokussiert auf den Job. Und Sie sind ja auch – wie Sie eben selbst sagten, schon sehr oft im Einsatz gewesen. Aber trotzdem ist das ja jetzt ein ganz besonderer Einsatz. Was hatten Sie denn für einen Eindruck von den Passagieren, die Sie dann mitgenommen haben? Wie emotional war die Situation und wie erleichtert oder auch ängstlich haben Sie die Menschen dort erlebt?

HM: Grundsätzlich muss man da noch mal differenzieren, weil wir als AMPT nehmen die Kräfte ja an dem Luftfahrzeug auf, was grundsätzlich eine kontrolliertere Umgebung und Situation ist als zum Beispiel für die Kameraden, die am North Gate ihren Dienst geleistet haben. Und von daher, würde ich sagen, war für uns die Situation der Passagiere, wie wir sie erkannt haben, grundsätzlich kontrolliert. Aber man muss schon feststellen, dass diejenigen, die sich dort auf den Weg gemacht haben, um über das North Gate an die Maschine zu kommen, zum Teil über 30 Stunden nicht geschlafen haben und kaum etwas an Verpflegung mithatten, und so würde ich sagen, waren das schon schwierige Umstände. Mir fällt das grundsätzlich schwer, das zu beschreiben. Darüber sollte sich jeder in den Medien – ist ja aktuell präsent – selbst ein Bild machen. Für uns ist das eine emotionale Situation, aber grundsätzlich würde ich es auch schon als Hoffnung beschreiben. Da gerade mit dem Abflug die Passagiere wussten, dass sie über Taschkent in ihr Bestimmungsland Deutschland fliegen. Und man muss auch sagen, man hat auch viele deutsche Staatsbürger getroffen, die noch mal ihre Familie in Kabul besuchen wollten und von dem Vormarsch der Taliban selbst überrascht waren. So konnte man auch mit dem einen oder anderen Passagier ins Gespräch kommen und selbst erfahren, wie die Lage vor Ort sich für die Passagiere dargestellt hat.

BG: Ja, das waren bestimmt bewegende Schicksale. Und ich kann mir auch gut vorstellen, vielleicht auch sehr verwirrend für die Kinder. Sie haben ja in ihrem Tweet auch beschrieben, dass unter den 230 Schutzbedürftigen in dem Flug, über den Sie da sprachen, 80 Kinder waren. Wie haben die Kinder das denn alles verkraftet? Haben Sie das gesehen?

HM: Ja, grundsätzlich glaube ich, dass der Mensch an sich in solchen Situationen nur noch funktioniert und die Familien bestrebt waren, zusammenzubleiben und als Familie versucht haben, zusammen auf diesen Flieger zu kommen. Für alle war es eine Grenzerfahrung. Besonders für die Kinder. Es ist schwierig, jetzt aktuell noch in dem Geschehen hier die Situation wirklich beschreiben zu können.

BG: Kann ich gut verstehen. Wie geht es denn für Sie jetzt weiter?

HM: Ja, grundsätzlich sind wir als AMPT hier vor Ort und stellen den Schutz der Lfz solange sicher, wie es der Auftrag hier erfordert und wir hier gemäß Maßgabe der Führung eingesetzt werden.

BG: Lfz steht für Luftfahrzeug. Für alle, die es nicht wissen. Und das heißt, Sie bewachen die Flugzeuge natürlich auch, wenn die am Boden stehen. Das heißt, Sie müssen da jetzt auch direkt wieder hin, richtig?

HM: Genau. Wir als AMPT stellen hier weiterhin den Schutz und die Sicherheit in Kabul, solange dort Maschinen am Boden stehen. Grundsätzlich möchte ich noch mal ansprechen, dass wir das im Wirkverbund mit allen anderen Truppenteilen vor Ort machen. Also wir sind ja selbst in der Sicherung der Fallschirmjäger, die dort wahrscheinlich denn Kernauftrag sicherstellen, und zusätzlich ist durch uns sichergestellt, dass auch bei einem möglichen Eindringversuch, den es so noch nicht gab, es niemand schafft, an das Lfz zu gelangen.

BG: Ja. Ganz vielen Dank für Ihre Zeit. Danke für Ihren Dienst und ich drücke Ihnen die Daumen, dass alles weiter so reibungslos läuft wie bisher. Vielen Dank, Herr Hauptmann.

HM: Ja, vielen Dank. Tschüss.

BG: Soweit Hauptmann Markus vom Air Mobile Protection Team. Hauptfeldwebel Adam ist ebenfalls mit an Bord gewesen. Er ist Feldjäger. Er arbeitet sowohl in Kabul als auch unterwegs als Air Marshall im Flugzeug und daneben auch in Taschkent. Er ist eben gemeinsam mit seinem Kameraden und 218 Schutzbedürftigen aus Kabul in Taschkent gelandet. Guten Tag, Herr Hauptfeldwebel.

HFwA: Ja, hallo.

BG: Auch Ihnen danke, dass Sie sich die Zeit nehmen. Sie sind Feldjäger, also Militärpolizist. Können Sie bitte beschreiben, was genau Ihre Aufgabe ist, in Kabul und auch unterwegs und jetzt nach der Landung in Taschkent.

HFwA: Ja, kann ich. Die Kameraden in Kabul machen die sogenannte Registrierung. Das heißt, die Leute, die am North Gate reinkommen, werden vorregistriert, ob die auch ausreisefähig sind und das dementsprechend auch dürfen. Dann werden die dem sogenannten KUTKrisenunterstützungsteam übergeben, die uns das dann in unseren Aufgabenbereich überbringen - das sogenannte Air Marshalling. Sobald die Hilfesuchenden dementsprechend an Bord kommen, sind wir dann für die Flugsicherheit zuständig. Wir nehmen die in Kabul auf, fliegen die rüber nach Taschkent, Usbekistan, und übergeben die da dann weiter an das KUTKrisenunterstützungsteam.

BG: Und KUTKrisenunterstützungsteam steht für Krisenunterstützungsteam, und da sind nicht nur Soldatinnen und Soldaten, sondern auch Diplomaten und Mitarbeiter anderer Ministerien mit dabei.

HFwA: Ganz korrekt. Ja.

BG: Genau. Und Sie sind also als Air Marshall quasi die ganze Zeit bei den Passagieren, den „Echos“, und kriegen auch mit, wie es denen so geht. Was für Gefühle werden Ihnen denn da so entgegengebracht, wenn Sie die aufnehmen?

HFwA: Also, beim Aufnehmen selbst sehen wir immer wieder, dass die Leute Angst haben, nicht in das Flugzeug zu kommen. Wir versuchen Sie natürlich dahingehend zu beruhigen. An Bord selbst ist es natürlich ein bisschen gruselig, damit auch jeder einen Sitzplatz bekommt. Aber sobald das Flugzeug abhebt, merkt man auch direkt, dass das Flugzeug zehn Tonnen leichter wird, sage ich immer, weil auch die Last von den Hilfesuchenden abfällt.

BG: Das ist schön zu hören. Fließen denn auch Tränen?

HFwA: Ja, es fließen sowohl Tränen als auch, dass die Leute lachen, und dementsprechend sind die Emotionen dort wirklich gemischt. In den Gesprächen mit den Leuten, die Deutsch sprechen, merkt man auch, dass es zweiseitig ist. Auf die eine Art müssen Sie ihr Land verlassen, weil sie dort nicht mehr sicher sind, und auf eine andere Art sind sie heilfroh, dass sie in eine sichere Umgebung kommen.

BG: Ja, klar, natürlich. Und Sie haben ja auch jede Menge Frauen und Kinder an Bord mittlerweile. Am Anfang, glaube ich, waren es mehr Männer. Inzwischen haben wir, glaube ich, beides. Wir erleben Sie da die Unterschiede? Also ich habe persönlich mal etwas erlebt – das war keine Evakuierung, sondern eine ganz normale Ausreise von einer Ortskräftefamilie. Da der Mann mehrsprachig war, war er relativ entspannt, aber die Frau, die keine Fremdsprache sprach, war versteinert und richtig ängstlich. Erleben Sie so was auch?

HFwA: Also das kann ich so nicht bestätigen. Wir haben gerade was Kabul angeht, auch ein modernes Klientel, sage ich mal. Die Hauptrolle spielt natürlich der Mann. Und der hat der Bundeswehr wahrscheinlich dann auch geholfen. Allerdings haben wir da auch junge Damen, die alleine reisen, die auch Deutsch oder Englisch sprechen können. Das ist also durch die Bank hinweg gemischt.

BG: Verstehe. Worauf muss man denn als Feldjäger, als Air Marshall gefasst sein? Was müssen Sie beachten? Gerade auch in der Luft?

HFwA: Also wie gesagt. Wir sind für die Flugsicherheit zuständig. Dementsprechend achten wir auf auffälliges Verhalten. Vorher ist das Gepäck durchleuchtet worden, die Leute sind durchsucht worden und entsprechend verlassen wir uns auf die Kameraden, die in Kabul ihren Dienst getan haben. Nichtsdestotrotz: Emotionen sind da. Vielleicht hat der eine oder andere der Hilfesuchenden Familie zurückgelassen. Den Bruder, die Schwester oder sonst irgendwas. Das kann natürlich auch das Fass zum Überlaufen bringen, in dem Moment, wo man abhebt. Das halte ich für eine der riskantesten Sachen. Ansonsten gehen wir darauf ein und beruhigen die. Im Fall, dass diese Person dann wirklich kollabiert, haben wir Gott sei Dank immer einen Sanitäter mit an Bord, der dann dementsprechend direkt Hilfe leisten kann.

BG: Was empfinden Sie als die größte Herausforderung? Ist es der Zeitdruck, sind es Sprachprobleme oder die Angst und der Stress bei den Passagieren?

HFwA: Die größte Barriere ist das Einlassen, das unter Kontrolle zu haben. Der Druck zur Maschine zu kommen ist recht groß, aber wir wollen das natürlich auch kontrolliert machen. Und natürlich auch die Leute zu zählen, dass nur die reinkommen, die reindürfen. Das sind so die Aufgaben, die uns entgegenwirken.

BG: Was passiert eigentlich nach der Landung in Taschkent? Wie genau läuft das dann ab?

HFwA: Nach der Landung in Taschkent arbeiten wieder mehrere Gruppen zusammen. Das Luftfahrzeug wird abgestellt. Sobald die Rotoren aus sind, kommt der Ansprechpartner vom KUTKrisenunterstützungsteam zu uns. Aber auch die Usbeken sind dort vor Ort. Mittlerweile, in der Woche zwei, ist das ein sehr schönes Netzwerk geworden. Vertrauen hat sich aufgebaut zwischen den Usbeken und den Deutschen, würde ich behaupten.  Das ist jetzt ein Miteinander. Am Anfang war das etwas schwieriger. Das heißt, wir zählen die Leute noch mal beim Rausgehen. Das ist den Usbeken auch sehr wichtig. Die werden dann immer in 50er Paketen in die Busse verladen und dann zum Transitterminal rübergebracht, wo dann die Registrierung und die weiteren Durchsuchungen stattfinden, sodass sie schnellstmöglich mit einem Flieger Richtung Deutschland, Frankfurt fliegen können.

BG: Sie arbeiten ja als Team mit allen anderen Einheiten zusammen. Das hat eben schon der Hauptmann Markus so ein bisschen erklärt. Wie ist es denn? Sind Sie im Verlauf der Mission so zusammengewachsen, dass man sich blind aufeinander verlässt, oder ist da noch viel Absprache notwendig?

HFwA: Also jetzt, in Woche zwei, brauchen wir fast keine Absprache mehr. Man kennt die Teams. Sowohl die Flugzeugbesatzung als auch die AMPTler. Die wechseln natürlich durch. Aber man hat die im Laufe der Zeit kennengelernt und weiß, wie der andere tickt. Da, wo Sachen fließend ineinander übergehen, haben wir keine Absprache mehr nötig. Um die Professionalität aufrechtzuerhalten, wird vor jedem Flug ein Briefing gemacht, sodass die einzelnen Sachen noch mal abgesprochen werden können.

BG: Letzte Frage ein bisschen persönlich. Müssen Sie auch nicht beantworten. Aber mich interessiert es. Wie sind Sie den eigentlich untergebracht? Sie sind jetzt in der zweiten Woche da. Sie und Ihre Kameradinnen und Kameraden. Wo können Sie schlafen, duschen und was essen? Wie funktioniert das für unsere deutschen Soldaten vor Ort?

HFwA: Ja, wir sind mit den Crews untergebracht. Nahe des Flughafens. Dort haben wir alles, was wir benötigen. Wir sind jetzt nicht die Kameraden, die in Kabul leider ihren Dienst leisten müssen. Nichtsdestotrotz haben wir bei uns die zeitliche Komponente, die eine große Rolle spielt.

BG: Ja, das kann ich mir sehr gut vorstellen. Auch Ihnen, Herr Hauptfeldwebel, danke für Ihren Dienst. Wir finden das ganz großartig, was Sie und die Kameradinnen und Kameraden vor Ort leisten. Und vielen Dank auch, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Weiterhin: Toi toi toi.

HFwA: Vielen Dank. Immer gerne.

BG: Wir alle wissen, wie gefährlich die Lage in Afghanistan ist, und wir wünschen uns, dass so viele Menschen wie möglich in Sicherheit gebracht werden können. Und natürlich wünschen wir uns, dass unsere Soldatinnen und Soldaten gesund nach Hause kommen. Ich melde mich ab aus dem Funkkreis. Machen Sie es gut. Tschüss.