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Lesedauer:
34 MIN

Sprecher: Oberstabsfeldwebel Jan Hecht (JH), Hauptmann Janet Watson/Redakteurin (JW)

Delta to all. Radiocheck. Over.
Hier ist Bravo. Kommen.
This is Tango. Over.„
Funkkreis – Podcast der Bundeswehr

JW: Und genau den Schwur habe ich auch vor fast 14 Jahren geleistet. Den Schwur leisten wir nämlich alle, die die Bundeswehruniform länger als nur für den Freiwilligen Wehrdienst anziehen. Und heute möchte ich mit Ihnen über ein bestimmtes Wort aus diesem Schwur beziehungsweise Satz reden. Tapfer. Ich glaube, wir sind uns schnell einig, dass Soldatinnen und Soldaten auf jeden Fall tapfer sein sollten.

Und selbst Platon sagte schon: „Tapfer ist, wer nicht flieht, sondern durchhält.“ Eine Eigenschaft, die ich mir ganz unabhängig vom Szenario von jedem Soldaten und jeder Soldatin wünsche. Aber was gehört denn dazu, damit ein Mensch tapfer ist? Und damit wir als Soldatinnen und Soldaten unseren Schwur erfüllen können? Der halt sagt, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.
Diese Frage habe ich mir mitgenommen und habe sie Oberstabsfeldwebel Jan H. gestellt. Und mit ihm habe ich deshalb geredet, weil er im selben Jahr, wo ich auf meinen Dienst geschworen habe, das Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit verliehen bekommen hat. Ich bin Hauptmann Janet Watson, und ich rede mit Oberst Stabsfeldwebel Jan H. heute über seine Geschichte.

Ich freue mich schon ganz doll darauf, dass wir heute zum Thema Tapferkeit uns einmal unterhalten.

JH: Ja, freue mich auch, Frau Hauptmann.

JW: Sie waren vor Jahren in Afghanistan und da sind Sachen passiert, die Sie am Ende des Tages haben rausgehen lassen als Träger des Ehrenkreuz ist der Bundeswehr für Tapferkeit. Mögen Sie einmal kurz erzählen, was da passiert?

JH: Also was jetzt ganz konkret dabei geehrt worden ist, ist der 4. Juni 2009. Da hatte mein Zug den Auftrag, eine Straße nach Sprengfallen zu untersuchen, auf- und abgesessen, sicherzustellen, dass keine Sprengfallen verlegt sind. Und am frühen Nachmittag dieses Tages wurde ein deutscher Spähtrupp angestrengt von ein Selbstmordattentäter mit Motorrad. Und nach dieser Ansprengung wurde ein Hinterhalt durchgeführt auf den Spähtrupp mit dem Ziel, den Spähtrupp zu vernichten.

Das Ganze war zirka acht Kilometer von unserer Stellung entfernt. Ich habe dann die Kampfweise wechseln lassen und wir sind nach Absprache mit dem Spähtrupp in die Ortschaft verlegt, um dort den Spähtrupp im Kampf zu unterstützen. In der Annäherung sind wir dann selber in einen Hinterhalt geraten. Kurz vor der Ortschaft (?) hatte mein Zug auf der gesamten Länge im Feindfeuer gestanden und wir sind aber durchgestoßen, weil der Spähtrupp zu dem Zeitpunkt auch schon kaum noch über Munition verfügt hat und drohte, vernichtet zu werden oder schlimmer noch, vielleicht gefangen genommen zu werden.

JW: Da muss ich jetzt ganz kurz mal… durchgestoßen?. Das heißt in dem Moment für Menschen, die sich nicht mit Militär auskennen?

JH: Das heißt, den Feuerkampf zu erwidern, aber eben nicht zu stoppen. Das heißt, wir sind einfach in der Bewegung geblieben, was natürlich immer die Gefahr birgt, dass man dann noch auf irgendwelche Sprengfallen auffährt. Weil mir schon klar war, dass wenn wir uns jetzt binden, wir es auf keinen Fall noch zeitgerecht zu einem Spähtrupp schaffen. Ich hatte dann schon die Befehle gegeben zum Absitzen.

Sobald wir Fühlung zum Spähtrupp haben, wir die Kampfweise wechseln, das heißt, abgesessen den Spähtrupp freikämpfen und dann auch den Kampf mit den Aufständischen aufnehmen. So eine Gefechtssituation ist sehr komplex und schwierig in einer Erzählung zu erzählen. Es sind so viele kleine Nebenschauplätze, die dann eben erzählt werden müssen. Ja, wir haben also abgesessen den Kampf aufgenommen, hatten dann über mehrere Stunden ein abgesessenes Gefecht mit den Aufständischen, bis wir letztlich den Spähtrupp in unseren Reihen hatten.

Eine Verstärkung noch aufnehmen konnten und uns dann am frühen Abend, kurz nach Einbruch der Dunkelheit letztlich lösen konnten. Gott sei Dank, ohne Verluste. Die Sache, die letztlich dazu geführt hat, dass ich die Auszeichnung erhalten habe, denke ich, ist vor allen Dingen ein Verdienst auch meiner Männer. Das darf man dabei nie vergessen. Es ist zwar eine Auszeichnung, die eine Einzelperson erhält, aber ich glaube wirklich, dass nur eine Teamleistung tatsächlich eine tapfere Tat vollführen kann.

JW: Wie lange hat das jetzt insgesamt gedauert?

JH: Ungefähr fünf Stunden. Fünf Stunden Von dem ersten Schuss, der gefallen war, bis zum Erreichen der Polizeistation.

JW: Haben Sie fünf Stunden gemerkt zwischendurch?

JH: Nein, das ist auch ganz kurios, dass wenn man sich danach auch darüber unterhält, als Zug mit allen Beteiligten hat jeder eine ganz andere Vorstellung von den zeitlichen Abläufen. Und das ist einfach nur noch ein großer Brei an Zeit und Raum, Entfernungen ändern sich. Zeitempfinden ändert sich. Mir persönlich kommt die erste Phase sehr langgezogen vor, während danach gewisse Phasen quasi sehr schnell vergingen.

JH: Es ist wirklich eine ganz unterschiedliche Wahrnehmung, auch je nach Intensität. Und was eben gerade um einen herum passiert.

JW: Wie haben Sie sich innerhalb dieser fünf Stunden gefühlt? So grundsätzlich, wenn Sie sich jetzt entscheiden müssen, was wo vorgeherrscht hat.

JH: Konzentration das ist, das ist also wirklich das, was ich schon in Gefechten davor im Prinzip auch erlebt habe, dass in so einer Situation man bereits vorhandene Bilder abarbeitet, Dinge, die man gelernt hat, tut. Vieles mehr instinktiv, instinktiv als wirklich gezielt. Also es ist nicht so, dass ich über komplexe Zusammenhänge nachdenken kann. Ich reagiere mehr auf das was, was ich vor mir sehe. Vergleiche ich das mit vorhandenen Bildern und arbeite die ab, so würde ich das beschreiben.

JW: Und trotzdem ist es ja eine Situation. Ich meine, wir reden hier tatsächlich von: Auf Sie ist geschossen worden und der Spähtrupp. Wenn wir das jetzt mal wirklich relativ krass übersetzen, wenn wir sagen, sollte vernichtet werden, heißt es, da sollten Menschen umgebracht werden, und zwar von den Aufständischen, die da vor Ort waren und das waren Kameraden von uns, um die es dafür leben, also für die es um Leben und Tod ging.

So, und das betraf Sie ja am Ende genauso. Auch für Sie ging es also sicherlich zu Zeiten immer mal wieder mehr, mal wieder weniger um Leben und Tod. Treffe ich den nicht, trifft der mich. Oder gleichzeitig halte ich mich nicht an meine soldatischen Grundsätze und so… ist am Ende vielleicht auch vorbei. Und vorbei heißt in dem Moment wirklich: Scharfes Ende vorbei.
Haben Sie Angst gehabt zu irgendeinem Zeitpunkt?

JH: Da ist eine interessante Frage, weil mich das auch immer wieder umtreibt. Man hört ja auch so in der Retrospektive so ein bisschen in sich rein und fragt sich, was einen da umgetrieben hat. Bei mir ist es tatsächlich so. Das, was ich als Angst bezeichne, habe ich eher im Vorfeld, also das heißt in der Annäherung, während ich dem höre ich mich damit beschäftige, was kommt als Nächstes?

Dann hat man schon so ein Gefühl, das ich am ehesten als Angst bezeichnen würde, ohne dass es lähmend ist. Aber schon Sorge vor dem was, was auf uns zukommt. Das ändert sich wirklich mit dem ersten Schuss. Und wenn man ins Handeln kommt, dann kann ich wirklich auch im Nachhinein sagen, da war nicht ein Moment, wo ich Angst gespürt habe.

Da war ich einfach zu beschäftigt auch letztlich. Es gab verschiedene Momente, wenn ich sehe, dass Fahrzeuge getroffen werden, wenn Funkverbindung zu Teilen meines Zuges abreißt, wo mich eine große Sorge überfallen hat darum, ob irgendetwas passiert ist. Also mich hat eher und ich glaube auch das ist so ein Prozess, der allen anderen genauso geht, mich eher die Sorge umgetrieben, jemand anders könnte was passieren als mir selbst.

Also um sich, um mich selbst hatte ich nie Angst. Und ich habe auch wirklich keinen in meinem engeren Umfeld gehabt, der um sich selbst Angst hatte in der Situation. Und jetzt gibt es wirklich, das glaube ich, drei Phasen, in denen man Angst bekommt und die können einen Unterschied machen. Es gibt Leute, die haben vor der Situation Angst. Da gehöre ich vielleicht am ehesten dazu.
Es gibt Leute, die haben nach der Situation Angst, wenn ihnen bewusster Das hätte ja auch in die Hose gehen können. Und es gibt Leute, die haben in der Situation Angst. Das halte ich am ehesten, da besteht am ehesten die Gefahr, dass man vielleicht gelähmt wird von der Angst. Das war aber bei mir, wie gesagt, nicht der Fall.

JW: Jetzt haben Sie für genau diese fünf Stunden am Ende des Tages irgendwann das Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit bekommen und sind ausgezeichnet worden, weil Sie über das Normalmaß der Tapferkeit, die wir als Soldaten und Soldaten an den Tag legen sollten, gehandelt haben, agiert haben. Und der Tenor, also das, was am Ende ausgesprochen worden ist, wofür Sie die Medaille bekommen haben, sagt aus, dass es vor allem Ihnen zu verdanken ist durch das selbstlose Handeln, durch das überlegte Führen, dass die Männer an dem Tag überlebt haben und dass das genauso ausgegangen ist, wie es ist, nämlich dass wir keine personellen Verluste hatten, also niemand gestorben ist. Von den deutschen Soldaten. Wenn ich Sie jetzt frage, gerade hatl als Träger des Kreuzes, was ist für Sie Tapferkeit.

JH: Tapferkeit ist für mich das Durchhalten von schwierigen und gefährlichen Situationen. Also, es ist nicht, das Sich in eine Situation zu begeben, sondern das In dieser Situation standhaft zu bleiben.

JW: Jetzt haben Sie aber gegoogelt. 

JH: Nein, das ist tatsächlich so, weil ich versuche, schon auch Mut und Tapferkeit irgendwie abzugrenzen. Weil, wenn Sie mich jetzt fragen würde, ob ich mutig bin, würde ich es vielleicht nicht immer sagen, ja, über die Maßen mutig oder so was nicht. Aber ich kann trotzdem mich in eine gefährliche Situation begeben oder in eine Situation begeben, die für mich unangenehm ist.
Und das empfinde ich eher als Tapferkeit. Wenn mein Sohn zum Zahnarzt geht, ist er tapfer. Und das empfinde ich eben genauso. Ich weiß, es könnte wehtun, es könnte was passieren, aber ich zaubere deswegen nicht und begebe mich trotzdem in diese Situation und handele. So würde ich am ehesten dann Tapferkeit vom Mut abgrenzen.

JW: Aber gehören Tapferkeit und Mut nicht untrennbar zusammen? Also gerade wenn wir mal bei der Definition bleiben, die Sie übrigens perfekt zusammengefasst haben, ist ja Mut eher dieses „Ich gehe auch los und setze mich dieser gefährlichen oder traumatischen Situation aus“. Und Tapferkeit wird tatsächlich beschrieben als „Ich halte sie durch, ich erleide sie und höre trotzdem nicht auf und gebe nicht auf“.
Und für mich ist das so ein bisschen, ja untrennbar im Kopf, irgendwie auch so ein bisschen verknüpft.

JH: Ja, aber wenn die Definition wahr ist, dann kann ja auch der Ängstliche tapfer sein. Dann ist ja gerade Tapferkeit, wenn jemand, der Angst spürt, trotzdem bereit ist, sich der Situation zu stellen. Und ich würde ja Angst als das Gegenteil von Mut bezeichnen. Und insofern kann auch jemand, der von Natur aus eher ängstlich ist, tapfer sein.

JW: Wir haben über die lähmende Angst währenddessen gesprochen, wobei ich mir nicht sicher bin, ob es grundsätzlich die Abwesenheit von Angst sein muss, die uns mutig macht. Also wir haben jetzt ja hier gerade zwei verschiedene Möglichkeiten, wie wir halt Tapferkeit definieren. Also von wegen ob es trotz der Angst irgendwie das Durchhalten ist, was uns tapfer macht, oder ob die Abwesenheit von Angst bei Mut oder so, ob die uns tapfer macht.

JH: Ja. Es ist, wie gesagt schwer abzugrenzen. Und ich habe wirklich, auch wenn ich jetzt auf meine Männer schaue und ich, ich sage Männer, weil es tatsächlich nur Männer waren. Wenn ich jetzt auf meine Männer schaue, dann war da eben alles, das hatte ich alles dabei. Da hatte ich welche, die besonders beherzt waren, besonders mutig alles angegangen sind, die überall die Ersten waren.

Ich hatte aber auch wirklich Leute, die immer erst mal geschaut haben, ein bisschen sich im Hintergrund gehalten haben und lieber erst andere haben erst mal machen lassen. Ich habe aber niemanden gesehen, der in der Situation, wo wir gebraucht haben, wo ich gebraucht habe, zurückgezogen hat. Und ich bezeichnet das schon als tapfer. Und die wie gesagt, die Angst kann man auch abbauen im Training, in der Vorbereitung auf den Einsatz, indem ich mich ihr immer wieder stelle.

Also ich glaube schon, dass Tapferkeit der wichtigste Aspekt ist, weil man eben die Situationen trotz alledem angeht. Auch wenn man weiß, es tut weh, es kann was passieren, ich könnte gegebenenfalls auch fallen oder der Auftrag könnte scheitern oder was auch immer. Dass das die größte Sorge sein mag.

JW: Was ich gerade sehr schön fand, ist, dass Sie ein Beispiel gefunden haben nämlich mit Ihrem Sohn. Nämlich, wenn der zum Zahnarzt geht, ist ja auch tapfer. Können Sie sich vorstellen, dass es verschiedene Formen von Tapferkeit gibt?

JH: Verschiedenen Situationen in dem man tapfer sein kann. Ich denke, Tapferkeit ist am Ende das Gleiche. Sich der Situation zu stellen. Es muss ja nicht immer körperlicher Schmerz sein, es muss ja nicht immer die Gefahr von Tod sein. Manchmal ist es auch wirklich nur das Ertragen von Entbehrungen, auch das muss man, da muss man ja tapfer sein. Manchmal ist es auch das Wort wichtig. Manchmal ist auch das Richtige, das Richtige zum richtigen Zeitpunkt zu sagen, dazu gehört auch ein Stück weit Tapferkeit. Also ich denke schon, Tapferkeit ist am Ende des Tages das Gleiche. Die Situation ist anders.

JW: Und vielleicht das Ausmaß der Tapferkeit. Wie viel brauche ich davon.

JH: Ja. Manchmal ist halt einfach nur ein bisschen Courage. Manchmal geht es wirklich um Leben und Tod.

JW: Jetzt haben wir den Paragraf sieben des Soldatengesetz, wo unsere Pflicht quasi niedergelegt ist. Und das ist am Ende genau das, was ich zum Beispiel auch in dem Eid wiederfindet, was wir schwören, und zwar, dass wir die Pflicht haben, der Bundesrepublik Deutschland, also ihr zu dienen, treu zu dienen, und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.

Tapfer steckt da am Ende drin. Was mich so ein bisschen dazu bringt, mich zu fragen, und das ist eine Frage, die ich gerade in Bezug auf den Podcast mir im Vorhinein schon so relativ häufig gestellt habe. Wie verzichtbar ist denn Tapferkeit in unserem Beruf?

JH: Unverzichtbar? Unverzichtbar, würde ich sagen, wenn es darum geht, das zu tun, wofür wir eigentlich uns ausbilden. Ich sage mal, 99 Prozent unseres Berufes dienen dafür, um in den einen Prozent gut zu funktionieren. Es ist also unser Beruf, beschränkt sich ja oftmals nur auf ganz wenig hochintensive Phasen. Es gibt ja Soldatengenerationen, die haben diese 1 Prozent gar nicht. Also die werden wirklich, von denen wird ein Leben-und-Tod-Tat niemals abverlangt.

Es ist auch Teil unseres Berufes und insofern würde ich schon sagen, wenn es auf diese ein Prozent hinausläuft, die auch manchmal zehn Prozent sagen können, ist ohne Tapferkeit nicht denkbar. Also tatsächlich brauchen wir das, um unseren Auftrag gut auszuführen.

JW: Auf die Situation in Afghanistan bezogen: Wären Sie weitergekommen, wenn Sie nicht tapfer gewesen wären?

JH: Ja, das weiß ich nicht. Ja, es ist ja nicht so, dass wenn man sich das ganz konkret sagt: Ich muss jetzt tapfer sein oder so was. Es ist ja mehr. Es ist wirklich mehr. Der Gipfelpunkt von der ganzen Vorbereitung, auch der persönlichen Vorbereitung. Und dass man in dem Moment tapfer handelt, ist im Prinzip nur ein Resultat der gesamten Vorbereitungszeit. Das ist jetzt nichts, wo ich sage, das muss jetzt, jetzt muss ich aber Zähne zusammenbeißen und durch. So, so denke ich, funktioniert das nicht.

JW: Jetzt frage ich mich aber schon so ein bisschen, wie Sie da jetzt halt auch, und das meine ich jetzt gar nicht despektierlich, wie Sie da im Kopf ticken. Ich habe schon Menschen kennengelernt, die selber Menschenleben gerettet haben und das auf so eine selbstlose, tapfere, mutige Art und Weise getan haben, dass für mich völlig klar war: Held. So, das ist ein Wort, das habe ich da irgendwie im Kopf.

So, und jedes Mal, wenn man sich mit den Leuten unterhält, dann kriegt man zurückgespielt: Nee, selbstverständlich nicht Held. Und ich sehe sie schon nicken. Ich vermute, ich kriege jetzt wahrscheinlich genau die gleiche Antwort. Ist es tapfer oder ist es normal für Sie, dass Sie genau in solchen Situationen so handeln?

JH: Normal. Und ganz ehrlich: Hätte mich das vorher jemand gefragt, hätte ich vielleicht sogar gesagt, weiß ich nicht, ob ich das machen würde, und weiß nicht, wie sich das dann anfühlt. Und tatsächlich ist das. Ich bin fest davon überzeugt, dass, ob man in so einer Situation bestehen kann, nur noch das macht, was man in dem Moment als selbstverständlich empfindet, ob man dazu in der Lage ist, zeigt erst die Situation. Ich glaube wirklich nicht, dass man das vorhersagen kann: Ich würde das auf jeden Fall tun oder ich könnte das gar nicht. Dieses eine, die zwei Möglichkeiten. Für mich stand das vollkommen außer Frage und da hat mich aber eher die Sorge um die, um mein Zug, um die Männer, um dieses und dieses Team umgetrieben.

Und das ist eben genau der Punkt. Ich habe ganz viele kleine Situationen, in der Zeit in Afghanistan beobachtet, wenn der MG-Schütze im Feindfeuer eine Störung behebt auf unserem Fahrzeug...

JW: …also eine Störung an seiner Waffe.

JH: …an seiner Waffe, weil die Waffe nicht funktioniert hat. Und dann taucht er auf über die über Luke, Geschosse schlagen in die Waffe ein und er behebt die Störung trotzdem. Das macht er nicht für sich. Für sich persönlich wäre das Beste, wenn er unter Luke bleibt. Er macht das, damit die Gruppe weiter kommt, damit das Team besteht. Und ich glaube, das sind wirklich solche Situationen, vielleicht nachher abends auch manchmal da liegt und sagt: Ganz schön dumm, aber man macht es in dem Moment, weil man für das Selbstverständlichste hält, was man, was man tun kann. Und dieser Begriff „Held“, der, glaube ich, fällt niemandem im Zusammenhang mit sich selbst ein. Also das halte ich für ausgeschlossen. Ich schaue oft auf andere und sage: Mensch, das ist heldenhaft. Ich glaube, mit sich selbst würde man das nie verbinden.

JH: Das sagt der Typ Mensch tatsächlich irgendwie. Ja, das ist, das macht es ja auch aus, dass es Heldentypen sind. Ja, meistens genau die, für die das halt einfach selbstverständlich sind. Das Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit sagt ja aus: Es muss ein Normalmaß an Tapferkeit halt irgendwie übersteigen. Ich habe jetzt hier tatsächlich auch mal einen Auszug aus der Vorschrift mitgebracht.

Was so die Verleihungsgrundlagen sind, wird das einmal eben gern kurz vorlesen: „Zur Verleihung des Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit als höchste Form des Ehrenzeichen der Bundeswehr muss das normale Maß der Grundpflicht gemäß Paragraph sieben Soldatengesetz, das ist das, worüber wir ja vorhin gesprochen haben und wo es darum ging, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, deutlich überschritten werden. Dies setzt bei außergewöhnlicher Gefährdung von Leib und Leben ein mutiges, standfestes und geduldiges Verhalten voraus, mit dem der militärische Auftrag erfüllt wird.

Es bringt mir natürlich so ein bisschen zwei Fragen in den Kopf. Erst mal so von wegen so: Was ist denn jetzt ein normales Maß an Tapferkeit und was geht darüber hinaus? Das bringt mich nämlich zum Beispiel so ein bisschen an dem Punkt von eben zurück: Brauche ich nicht doch eben die Situation, wo der Tod irgendwie die Möglichkeit ist oder die mögliche Gefahr ist?

Ich würde es gar nicht irgendwie positiver formulieren, als es ist, um dieses Maß zu überschreiten. Weil ich habe schon das Gefühl, dass es von einem Soldaten und von einer Soldatin grundsätzlich erwartet wird, dass ich eben einfach anders bin als draußen. Vielleicht der Bankangestellte, ohne die Bankangestellten jetzt irgendwie in Verruf bringen zu wollen, sondern es ist jetzt nur das erste Beispiel, das mir einfällt. Aber der Dienst an der Gesellschaft allein schon, der es irgendwie ein bisschen anders macht und mir Tapferkeit so als Grundeinstellung abverlangt.

JH: Ja, ich würde das jetzt gar nicht so hoch aufhängen. Am Ende des Tages ist der Kampf, den wir da führen, ein Kampf für die Gruppe, das muss man halt ganz klar sagen. Die das Große und Ganze hat man in dem Moment nicht im Blick. In dem Moment geht es darum, dass die Gruppe aus dieser Situation rauskommt, dass man als Team besteht.

Und das ist auch oftmals die Gewissheit, dass es ohne einen nicht funktioniert. Und jetzt kommt als Führer noch dazu, dass, so eine Gefechtssituation ist unglaublich chaotisch, laut, es ist unüberschaubar. Es ist wirklich also ganz, ganz schwer zu greifen. Und es ist immer so ein Kampf um die Initiative letztlich auch. Und als Führer kommt es eben in so einer chaotischen Situation darauf an, Struktur auch reinzubringen.

Das klingt jetzt relativ einfach, aber je chaotischer es wird, desto mehr fokussieren sich Geführte auf den Führer. Die schauen einen an und alles, was man selber tut: Es gibt den entweder Hoffnung, gibt denen Zuversicht, gibt denen das Gefühl, der Alte weiß, was er tut. Oder man kann auch ganz schnell das Gegenteil erzeugen. Man kann ganz schnell Panik erzeugen, man kann ganz schnell Hektik reinbringen und dessen muss man sich schon auch bewusst sein.

Dieses und das ist auch etwas, was man trainieren muss, dass man gegen den Instinkt, hektisch zu sein, wegzulaufen, Deckung zu nehmen, manchmal auch ankämpfen muss und gezielt ruhig sein muss. Gezielt Zuversicht ausstrahlen muss, auch wenn es jetzt nicht das vorherrschende Gefühl ist, auch mal einen dummen Spruch macht. Mal in einer Situation lächelt und sagt: Komm, geht weiter. Das ist letztlich ja das, was dieses Team am Laufen hält. Da kann man als Führer sehr viel falsch machen. Und dieses Unterdrücken des natürlichen Instinktes ist eben auch ein wichtiger Punkt dabei.

JW: Ist es nicht irre schwer, so völlig gegen den Instinkt zu handeln?

JH: Ja, ist es, weil man das weiß ja jeder, wenn das Herz rast und der Puls hoch ist und Adrenalin im Körper ist, dann ruhig zu funken, ruhig Befehle zu sagen. Oftmals aber auch jetzt zu jemandem persönlich hinzugehen. Das ist ja auch ganz wichtig, dass dann der, der Zug ist ja zu einem großen Teil über Fläche verteilt, dann aber für jeden sichtbar zu sein, zu jedem mal hinzugehen, mal zu sagen, hier: Läuft. Mal eine Meldung abzufragen, persönlich und mal persönlich auch einen Auftrag ins Ohr zu brüllen, das ist ja jetzt nicht… so ganz ruhig ist es ja eben nicht. Aber trotzdem, das alles in einer Art und Weise, dass man Kontrolle ausstrahlt.

JW: Jetzt für unsere Zuhörerinnen und Zuhörer mal ein bisschen erklärt: Von was für einer Fläche… also auf wie viele Meter verteilen sich denn die Menschen ungefähr?

JH:  Ja, wenn ich also mein Zug…also, es gab ja verschiedene Varianten, das geht dann so weit, wie mein Zug zusammengestellt worden ist. Wir hatten eine Kettenvariante als Panzergrenadiere oder eine Radvariante. Bei der Radvariante waren wir mit vier Fahrzeugen unterwegs plus Kampfunterstützung, Sanität. Dann ist das, dann können wir schon mal vier, fünfhundert Meter sein.

JW: Bei wie vielen Menschen ungefähr?

JH: Bei 36. 36 Soldaten, von denen eine Absitzstärke 28 letztlich auch abgesessen im Kampf ist. Und ja, dann ist man vor, zurück, und dann muss man eben immer wieder Verbindung aufnehmen, was meine Nahsicherer ordentlich zur Weißglut gebracht hat, weil ich natürlich auch nicht jetzt den unbedingten Blick ins Gelände habe und nicht unbedingt darauf achte, in der Deckung zu sein, die aber schon immer versuchen, mir entsprechend den Rücken freizuhalten.

JW: Nahsicherer ist am Ende der Mensch, der dazu da ist, Sie zu beschützen, damit Sie selber sich aufs Führen konzentrieren können.

JH: Genau. Und dass ich nicht ständig. Ich kann nicht ständig an der Waffe sein, ich kann nicht ständig überall hinschauen, bin am Funk. Versuch mir, einen Überblick über die Situation zu schaffen. Ich habe oftmals nicht den Blick fürs Detail, so dass ich zwei Mann immer bei mir hatte. Bei einer allein sich auf Feuerkampf konzentriert hat und einer Funkgerät für mich hatte. Und aber auch in dem Moment, wo ich am Funk war, den Feuerkampf aufgenommen hat.

JW: Merke gerade, die ganzen Sachen, die man uns damals in der Grundausbildung so beigebracht haben, die werden tatsächlich auch angewandt.

JH: Ja, und es ist ein verdammt gutes Gefühl, wenn man das erst mal feststellt. Das macht alles Sinn. Das war ja auch so eine Ungewissheit, die Angst verstärkt. Wenn man dann das erste Mal so eine Situation bestanden hat, dann baut man auf die Angst ein Stück ganz kommt ein bisschen Zuversicht dazu, wenn man sich klar ist: Ich habe das Richtige gemacht, wir sind auf die Situation vorbereitet. Ist ja auch ein tolles Gefühl.

JW: Wie muss man denn sein, wenn man tapfer sein möchte? Am Ende. Was muss ein Mensch grundsätzlich so an Eigenschaften mitnehmen?

JH: Ausdauer? Also, ich weiß es nicht. Ich kann es wirklich nicht sagen. Ich kann nur sagen, was ich für mich als Eigenschaften, welche Eigenschaft, die mir geben würde, ist am ehesten ausdauernd, kontrolliert, immer auch ein bisschen ruhiger, aber eben auch schon zielstrebig und auch hartnäckig, wenn es darum geht, sich richtig vorzubereiten. Ich habe also meinen Zug, das können Sie mir glauben, das kann Ihnen jeder aus meinem Zug bestätigen, auch viel abverlangt, im Vorfeld viel abverlangt. Wir bei uns ging es oftmals ein bisschen länger, wir haben uns oftmals nicht damit zufrieden gegeben. Wenn irgendwas mal nicht so gut lief, dann haben wir erst den Tag beendet. Wenn es funktioniert hat. Und das fanden vielleicht nicht immer alle toll, aber ich glaube im Nachhinein dann doch schon. Also, dass ich glaube, dass war am ehesten so, dass ich da schon sehr, sehr hartnäckig und zielstrebig war. Und so was ging.

JW: Es glaube ich, am Ende auch ein stückweit ruhiger, wenn ich mich in solchen Situationen eben auf fachliche Dinge zurückfallen lassen kann und dadurch gleichmäßig, also so gleichermaßen durchhaltefähiger und leidensfähiger, weil ich das in dem Moment als gar nicht mehr so schlimm empfinde, weil mich zumindest das Fachliche nicht überfordert, das Schießen mich nicht überfordert, irgendwie das taktische Denken mich nicht überfordert, sondern das habe ich gelernt.

Dafür haben wir genug Überstunden gemacht, um jetzt mal bei dem Beispiel zu bleiben in der Vorausbildung. Und dann kann ich mich auf diesen, wir nennen ihn dann ganz gerne den fachlichen Tunnel, zurückfallen lassen. Und das ist dann vielleicht auch einfach mal ein Stück weit in mir drin, wo die Angst gar nicht einziehen kann und dadurch die Tapferkeit vielleicht irgendwie auch ein Stück weit mehr Raum gewinnt.

JH: Dass, das kann man schon so sagen, und das ist auch die Bedeutung von Drillausbildung wirklich mal, weil ein rationaler Gedanke in dieser Situation ist ja nicht möglich ist fast vollkommen ausgeschlossen, dass jemand rational also wenn mich jemand gefragt hätte, irgendeine komplizierte mathematische Formel, hätte ich gesagt okay, ich komme morgen wieder und frag mich mal. Also ist es wirklich nur noch ein Arbeiten in Bildern.

Es ist, das habe ich ja am Anfang schon mal gesagt, wirklich ein Abarbeiten von Bildern. Dass man Dinge, die ich schon kenne, bearbeitet. Man vergleicht Situationen, das ist ganz wichtiger Punkt dabei. Und das schafft dann schon auch die Ruhe zu sagen, okay, das habe ich schon mal im Griff. Man hat dann ein bisschen mehr Kapazität, sich auf andere Sachen zu konzentrieren. Es ist aber wirklich eine ganzheitliche Geschichte.
Dazu kommt, das darf man ja auch nicht vergessen, auch die Führung aus dem PAT heraus, also aus der Operationszentrale heraus. Auch das ist ja wichtig, dass die einen in dem Moment in Ruhe lassen, dass die wissen, okay, da draußen ist gerade eine Situation, wo ich jetzt nicht ständig nachfrage, wo ich die Leute da ihren Job machen lasse, dass also wirklich, da muss jedes Rädchen ineinandergreifen und das tut's nur nach ordentlicher Ausbildung und Kohäsion spielt eine Rolle.

Und dann kann man, glaube ich, schon verdammt viele Situationen bestehen. Und mit jeder bestandenen Situation kommt auch wieder ein anderes Selbstbewusstsein und wieder ein bisschen mehr Sicherheit, Selbstsicherheit, Selbstbewusstsein. Es spielt ja alles eine Rolle. Und wir hatten am Ende des Tages, also am Ende dieser des Einsatzes, wussten wir schon egal, wer sich mit uns in welcher Form auch behängt wird, den Kürzeren ziehen. Das war so uns schon unser Mindset auch. Und das haben wir uns auch erarbeitet.

JW:  Ich würde es gerne einmal noch… Mir hat neulich ein Kamerad eine relativ witzige Anekdote erzählt von seinem Sohn. Der Kleine ist mittlerweile, glaube ich, zehn, wenn ich das richtig verstanden habe. Und die haben sich zu Hause irgendwann mal über Tapferkeit unterhalten, weil das Kind kam irgendwann nach Hause und sagte: Pap, der Jan Ole in meiner Klasse ist der Tapferste von uns allen.

Dann fragte mein Kamerad: Okay, warum? Und der Kleine stand da so: Ja, der kann fünf Mal gegen den Baum rennen und der weint nicht. Und das war für ihn die Definition von Tapferkeit. Und dann sagte mein Kamerad: Mensch, lass mal kurz noch mal zwei Minuten drüber reden. Ist Jan Ole dann wirklich tapfer oder ist das vielleicht auch ein bisschen dumm, dass der da so oft gegen den Baum rennt?

Und auch das hat so, so witzig wie die Situation irgendwie ist, hat das bei mir im Kopf auch noch mal ein bisschen was freigesetzt, gerade wenn es darum ging, irgendwie über Tapferkeit nachzudenken, weil, brauchen wir uns ja nicht zu unterhalten. Ist es ja eben nicht: Fünf mal gegen den Baum rennen und nicht weinen. Und das hat mich zu der Frage, ob es ein höheres Ziel braucht, ob ich nur tapfer sein kann, wenn ich eigentlich ein höheres Ziel habe am Ende des Tages, wofür ich die Tapferkeit brauche.

JH: Hm. Berechtigte Frage. Wobei ich natürlich auch oftmals denke…ich habe neulich hier Feldwebelnachwuchs bei uns erzählt, dass manchmal die Abgrenzung zwischen Mut und Dummheit schwer ist.

JW: Das stimmt, ja.

JH: Aber natürlich, ein höheres Ziel. Ich kann da zwei Beispiele geben, nach dem 4. Juni, also am 5. Juni, hatte mir einer meiner Soldaten gesagt, dass ein Mannschaftsdienstgrader aus unserem Zug Schwierigkeiten hat, mit der Situation umzugehen. Und dann habe ich ihn darauf angesprochen und er hat gesagt: Ja, es ist tatsächlich so, dass er nachts nicht schlafen konnte.

Was erstaunlich ist, wenn nach so einem Tag voller Adrenalin ist, schläft da jeder und wenn es nur eine Stunde ist, aber total intensiv. Und dass ihn das so umtreibt. Und da habe ich gesagt: Also er soll mir sagen, wenn es für ihn nicht mehr weitergeht. Und dann hat er aber gesagt, er würde niemals uns jetzt im Stich lassen.

Also er sagte: Für den Zug macht er weiter. So, und jetzt ist eben nicht, und das muss man eben auch ganz klar sagen und ich glaube, das kann auch jeder nachvollziehen, ist nicht die Sicherheit, die am Hindukusch verteidigt wird, so wie das unser Verteidigungsminister ja formuliert hat. Im Großen und Ganzen ja, aber im Kleinen, für den Kämpfer am Boden geht es letztlich um den Erfolg der Gruppe. Und das ist dann das höhere Ziel. Es geht nur um uns selbst. Man weiß ich, wenn ich jetzt die anderen in Stich lasse, haben die eine schwere Last zu tragen. Und wenn das das höhere Ziel ist, dann gebe ich, dann gebe ich Ihnen recht, dann ist das die Motivation für Tapferkeit. Und das zweite Beispiel, dass diese These, denke ich mal, unterstützt, ist mein Stellvertreter: Für den ging es irgendwann nicht mehr weiter.
Der hat also nach mehreren Einsätzen und mehreren Gefechten war bei ihm das Fass voll. Und das ist halt nun auch so, ich mein, jeder kann nur so viel nehmen und er ist einfach psychisch zusammengebrochen unter der Last. Und als ich ihn im Feldlazarett besucht habe, war für ihn die größte Last letztlich, uns im Stich zu lassen. Das war, das war das, was ihn wirklich so, so wahnsinnig geschmerzt hat, dass er geheult hat, dass er aufgelöst war.

Und das war, hat sich tausendmal entschuldigt, dass er, dass er nicht mehr kann, dass er uns im Stich lässt. Und erst, als wir ihm das Gefühl gegeben haben später: Du bist trotzdem einer von uns, und wir brauchen dich, wenn wir zurückkommen, und du musst uns unterstützen. Das hat ihn aufgefangen und er hat gesagt: Okay, dann ist es gut, das Gefühl zu haben, ich gehöre trotzdem noch dazu. Für ihn war das das Kopfweh, allermeistens das höhere Ziel. Diese Gemeinschaft.

JW: Jetzt komme ich noch mal... ich muss zum ersten Beispiel noch mal zurück. Jemandem, den es halt schon belastet, so der das vielleicht nicht ganz weggesteckt hat, dann zu sagen: Auf gar keinen Fall lasse ich euch im Stich: Ist das nicht auch ein Stück weit falsch verstandene Tapferkeit? Ich muss unbedingt durchhalten und ignorieren dabei meine Grenze? Ist ja eigentlich auch nicht Sinn und Zweck der Sache.

Ja, wenn Sie das jetzt sagen, könnte man das so sehen. Aber das war das letzte Mal, dass er gezweifelt hat, es tatsächlich so, und es ist auch jemand, wo ich auch im Nachhinein beurteilen würde, der das gut verkraftet hat. Das haben nicht alle. Ich meine, das ist ja auch unumstritten, dass jeder eine gewisse Veränderung erfährt im Einsatz und für manche eben auch so eine Veränderung, dass das normale Leben nicht weitergeht.
Das war bei demjenigen jetzt aber nicht der Fall. Wenn Sie jetzt so sagen, da hätte ich eingreifen müssen und das vielleicht auch wirklich da sagen müssen, okay, dann nehm ich dich raus. Der Gedanke kam ja auch nicht, weil ich glaube, man kann da jemanden auch und das mag nicht jeder verstehen, der nicht in so einer kämpfenden Einheit ist. Man kann da jemanden auch richtig wehtun, wenn man sagt du darfst hier nicht mehr mitmachen.

JW: Hm.

JH: Ich glaube, das könnte den auch das Leben kaputt machen. Dieser Gedanke: Ich habe nicht mehr dazugehört, weil ich habe nicht funktioniert. So hat er es ja gesehen. Ich funktioniere und ich kann mit dieser Angst umgehen. Manchmal muss man sich eben auch diesen Dingen stellen und zwei, drei Mal durch eine Situation gehen. Und dann, dann hat man das Gefühl: Okay, ich kann das kontrollieren.

JW: Um Gottes Willen, das war jetzt auch nicht böse. Nee, nee, das ist nur der erste Gedanke, der mir da gekommen ist. Und es ist ja auch nicht schlimm, so, ich weiß, dass es in der kämpfenden Einheit das ist was anderes dann auch zu sagen: So, du darfst nicht mitkommen, so, das höre ich tatsächlich nicht zum ersten Mal. Aber am Ende des Tages, das ist ja nicht schlimm ruhig zu sagen: Hier ist jetzt eine Grenze erreicht. Das geht vielleicht dann einfach auch nicht mehr, weil ich dann im Hinterkopf auch so ein bisschen habe, wenn ich mir die Grenze halt immer wieder und immer wieder verschiebe, obwohl sie eigentlich schon längst erreicht ist. Gerade was Angst angeht. Gerade wa Tapferkeit angeht, kann mir auch gut vorstellen, dass ich dann halt auch schnell mal zu einem Risiko für die Gruppe werde, weil eben eigentlich ein Punkt erreicht ist, wo ich nicht mehr weiterkomme. Dessen jetzt mal ungeachtet, dass ich das auf diesen Kameraden schieben, so beziehen möchte.

JH: Ja, manchmal finde ich die Leute gefährlicher, die ohne nachzudenken in jede Situation rein rennen. Sie wissen, was ich Meine. Also wenn dann Mut zu Übermut wird. Und das finde ich dann gefährlicher als jemand, der durchaus auch mal eine Situation reflektiert und sagt: Ja, ich weiß nicht, zögere hier ein kleines bisschen oder so nicht.

JW: Unbedingt. Da haben Sie völlig recht. Klar, aus der Perspektive habe ich gerade gar nicht gesehen. Einen letzten Aspekt würde ich ganz gerne noch aufmachen und das ist, was halt nicht zu Tapferkeit dazugehört. Wir hatten es vorhin schon ein bisschen angeschnitten, von wegen okay, der Mut kann sich mal gleichermaßen irgendwie mit Dummheit paaren. Das heißt, Dummheit kann man schon mal ausschließen, es gehört auf jeden Fall nicht dazu. Übermut haben wir gerade ein bisschen angeschnitten. Was würden Sie denn auf jeden Fall weglassen, wenn es darum geht, Tapferkeit, also das eben nicht mit zu Tapferkeit zu ziehen?

JH: Schwer zu sagen, weil ich wirklich denke, dass man in ganz verschiedenen Situationen tapfer sein kann. Ich glaube, was  einem manchmal im Weg stehen kann, aber das ist jetzt aber eine ganz persönliche Empfindung… Wenn ich darüber nachdenke, ist, wenn man zu sehr über eine Situation nachdenkt. Ich sage ja immer, das ist so mein Credo, dass der beste Entschluss manchmal das so ein 70 Prozent Entschluss ist, dass ich irgendwann mit der Planung gut sein lasse und sage: So machen wir das jetzt so, und dann geht man das an, und dann begibt man sich in die Situation.

Ich glaube, wenn man versucht, immer Dinge zu Ende zu denken, dann kann man sich auch selbst blockieren. Dann kommt man immer wieder zu dem Punkt, wo man sagt Ja, aber. Und wenn ich das jetzt nicht bedacht habe, wenn das passiert und dann das und das. Und ich glaube, das ist am ehesten was, was Tapferkeit einschränkt, wenn man Dinge kaputt denkt und sagt: Ich kann jetzt einfach noch nicht los, weil ich habe noch nicht die 100-Prozent-Lösung bei der Hand.

Ja, würde ich vielleicht am ehesten sagen. Das kann hinderlich sein, nicht nur in Tapferkeit allgemein um zu kämpfen, weil eben Zeit auch ein kritischer Faktor ist und es oftmals besser ist. Man packt jetzt etwas an, als dass man sagt: Ja, ich zaudere noch ein bisschen und versuche noch die Goldrandlösung mit Sternchen zu finden.

JW: Was ist so Ihr Vorbild an Tapferkeit haben Sie da irgendwie im Kopf, wo Sie richtig sagen: richtig krasser Typ, krasse Typin. Der tapferste Mensch, den ich mal erlebt habe. Klingt jetzt wahrscheinlich platt, aber alle meine Leute, ehrlich gesagt. Schon, weil ich sie in der Situation gesehen hab, bei denen keiner was gedacht hat, außer wir selbst, die es trotzdem selbstverständlich getan haben, weil die eigentlich noch viel zu jung waren, um das zu tun. Also mein Jüngster war 19 Jahre alt, das sind so meine Vorbilder.

JW: Jetzt sagen viele natürlich und dann wissen wir ja, jetzt sind alle Soldaten geworden, das habt ihr euch ja so ausgesucht, und damit hätten wir rechnen müssen. Aber ich finde diese Diskrepanz zwischen: Ich kann mir vorstellen, welche Situationen auf mich vorkommen und ich erlebe, welche Situationen wirklich vorkommen können. Da ist ein himmelweiter Unterschied zwischen.

JH: Absolut. Aber es ist eben auch ganz wichtig. Und ich glaube, das muss man auch als Führer sicherstellen, dass man schon verlangt, dass sich jeder mit dieser Situation befasst. Ich glaube, das Schlimmste, was einem passieren kann, ist, dass man in eine Situation, die man sich nicht vorstellen konnte. 

JW: Unbedingt, unbedingt. 

JH: Das und deswegen ja und trotzdem bleibt eine Ablage von: Wir müssen kämpfen und wir werden Tote haben und wir werden das erleben. Und dann tatsächlich das zu erleben, da ist noch mal eine Ablage, weil natürlich im Kopf, das bei jedem anders stattfindet.

JW: Ich wollte vor allem irgendwie auch so ein bisschen darauf: Das macht ja keiner weiß, weil es Spaß macht.

JH: Eine absolut nicht. Ich glaube, solche Extremen hätte ich auch nicht gerne dabei gehabt, der das gerne macht. Ich möchte schon jemanden haben, der sagt, das muss man nicht haben. Und das sage ich auch heute. Ich meine, es gibt ja Leute, die beneiden einen um die Erfahrung. Da würde ich sagen, also ganz ehrlich, das muss ich nicht gehabt haben. Ich wäre auch gerne bei meinen Kindern gewesen und hätte gesehen, wie die laufen lernen. Das muss man nicht gerne machen, das sowieso nicht.

JW: Ich danke Ihnen total, dass Sie sich die Zeit für das offene Gespräch genommen haben, und ich finde es super cool, dass Sie mit uns hier über das Thema Tapferkeit im Funkkreis gesprochen haben.

JH:  Gerne.

JW: Vielen, vielen Dank. Was ich jetzt heute aus der Geschichte mit Oberstabsfeldwebel gelernt habe, ist, dass tapfer sein mehr heißt als einem Gesetz oder einem Eid folgen zu müssen. Es spielen einfach so viele Faktoren rein, so viele Eigenschaften. Ob man in brenzligen, gefährlichen oder einfach total schweren Situationen tapfer sein kann. Ein Kind zum Beispiel ist ja tapfer, hatten wir drüber gesprochen, wenn es beim Zahnarzt durchhält, ein Soldat vielleicht, wenn er in einem Gefecht bestehen kann so wie Oberstabsfeldwebel H. damals.
Ich freue mich auf jeden Fall, dass er heute seine Erfahrungen weitergegeben hat und auch an der Unteroffizierschule des Heeres in Delitzsch weiterhin den jungen Kameradinnen und Kameraden weitergibt. Denn auch Tapferkeit ist eine Eigenschaft, die wir Soldatinnen und Soldaten brauchen. Vielleicht nicht immer für den alltäglichen Dienst, aber am Ende eben doch, wenn es drauf ankommt. Danke fürs Zuhören. Für heute melde ich mich ab aus dem Funkkreis.