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Delta to all. Radiocheck. Over.
Hier ist Bravo. Kommen.
This is Tango. Over.
Funkkreis – Podcast der Bundeswehr

Oberleutnant Patrick Enssle: Sintflutartige Regenfälle überschwemmen Mitte Juli des letzten Jahres große Teile von Westdeutschland. Teilweise regnet es gigantische 150 Liter pro Quadratmeter. Allein in Deutschland fallen den Wassermassen 184 Menschen zum Opfer, Tausende verlieren ihr Zuhause. Heute spreche ich mit Julia Hiedels, sie ist Munitionstruppführerin. Julias Haus, ihr Garten und ihre hauseigene Fischzucht wurden durch die Flutmassen weitgehend zerstört. Und ich spreche mit Oberfeldwebel Patrick Tolliver. Er ist Lotse für Einsatzgeschädigte und dazu noch Betreuer für die Betroffenen der Flutkatastrophe. Beide sind im Zentrum Operative Kommunikation der Bundeswehr in Mayen stationiert. Ich bin Oberleutnant Patrick Enssle von der Redaktion der Bundeswehr. Julia und Patrick: Bei den Recherchen zu eurer Geschichte bin ich wirklich sprachlos geworden. Schön, dass ihr beide hier seid.

Oberfeldwebel Patrick Tolliver: Schönen guten Morgen!

Frau Stabsunteroffizier Julia Hiedels: Hallo, guten Morgen.

Patrick Enssle: Julia, du wohnst mit deinem Freund in einem kleinen Dorf, rund 80 Kilometer von dem bekannten Ahrtal entfernt, das ebenfalls stark von den Regenmassen betroffen war. Wie hast du denn den 14. Juli erlebt?

Julia Hiedels: Ja, bei uns gab es im Laufe des Tages kaum Regenfälle direkt vor Ort und wir haben einen ganz normalen Tag verbracht. Am späten Nachmittag gab es leichte Regenfälle, ich saß dann noch mit meinen Eltern im Wohnzimmer und im Wintergarten und hatten uns darüber unterhalten, dass es wirklich heute noch etwas mehr Regenfälle gibt. Wir wohnen auch direkt an der Kyll und haben im Laufe des Tages auch gesehen, dass der Pegel etwas höher ging. Da war für uns klar, dass wir wahrscheinlich nicht verschont bleiben.

Patrick Enssle: Ganz kurz, die Kyll ist ein kleiner Fluss, ein Bach bei dir?

Julia Hiedels: Ja , der ist normalerweise 40 bis 50 Zentimeter hoch. Man kann schön zu Fuß durchgehen. Im Sommer sitzen wir dann auch manchmal mit den Stühlen drin, der ist vielleicht zwei Meter breit.

Patrick Enssle: Okay, du hast gesehen, die Wassermassen sind gestiegen. Wie ging es dann weiter?

Julia Hiedels: Wir hatten uns kaum vorbereiten können für irgendwelche Maßnahmen, für Absicherung vom Grundstück vor dem Hochwasser. Wir haben dann auch geholt, was wir da hatten. Ich habe dann noch Blumensäcke vor die Haustür gelegt. Wir hatten eigentlich gehofft, dass es nicht so hoch kommen sollte, aber im Laufe des Abends stieg es dann doch rapide an. Also so zehn bis fünfzehn Zentimeter innerhalb von einer Viertelstunde bis 20 Minuten. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Patrick Enssle: Teile des Dorfes waren ja auch ebenfalls betroffen, was es um dich herum passiert?

Julia Hiedels: Es war prinzipiell sehr ruhig bis 8 Uhr, 8:20 Uhr etwa, die Zeit hat man ja einfach aus dem Auge verloren. Außenrum waren die Leute ein bisschen nervöser. Man hat gesehen, es wird irgendwas kommen und es wird irgendwas an den Nachbarhäuser vorbereitet. Dann hat man sich auch noch kurz unterhalten mit dem Nachbarn. Wir waren einfach nicht auf diese Massen vorbereitet.

Patrick Enssle: Das ganze hat sich dann ziemlich dramatisiert. Ihr musstet dann ja auch irgendwann um euer Leben bangen.

Julia Hiedels: Ja, wir hatten von einem Nachbarn, der Schafe und Pferde hat, zwei Schafe auf dem Grundstück stehen und da ging es halt erst mal ums Tierwohl und dann haben wir versucht, die Tiere vom Grundstück zu holen. Und innerhalb von diesen 20 Minuten, die wir damit verbracht haben, die Schafe vom Grundstück und von der Kylll entfernt wegzunehmen, haben wir einfach noch gar nicht realisiert, was passiert. Und als wir dann ins Haus kamen und die erste Wassermenge schon mal ins Haus eingeströmt war, da wurde ich erst mal ein bisschen panisch, mein Freund war noch ein bisschen ruhiger. Natürlich muss einer von uns muss dann eben ein bisschen ruhiger bleiben, wenn alle panisch ausrasten, dann ist natürlich schlecht. Dann habe ich angefangen, in den ersten Minuten erst einmal Fotos zu machen.

Patrick Enssle: Und warum hast du die Fotos gemacht?

Julia Hiedels: Ich war zu dem Zeitpunkt noch in der Hoffnung und auch in dem Gedanken, dass die Versicherung dafür einspringt und habe einfach Fotos von Regalen, von Schränken, vom Fernseher, alles was man halt so auf dem Boden stehen hat und schon nass war, um da vielleicht nachher später was von der Versicherung zu bekommen, aber das hat sich dann später auch ganz schnell...

Patrick Enssle: Das ist ein unheimlich selbstloser Einsatz, den du da gemacht hast. Anstelle irgendwo, sag ich mal, die heimischen Möbel, die man hat, die Playstation in Sicherheit zu bringen, hast du erst mal dem Nachbarn seine Schafe in Sicherheit gebracht. Finde ich sehr, sehr schön. Ihr musstet dann ja irgendwann später das Haus räumen. Um wie viel Uhr war das dann? Wann hat sich die Lage dann so dramatisiert?

Julia Hiedels: Konkret war es so um 10 Uhr, 10:15 Uhr, da hatten wir dann halt auch wirklich realisiert, hier lässt sich nix mehr retten. Und ich habe zwei Hunde, die haben wir dann zum Fenster rausgegeben, um die in Sicherheit zu bringen, damit die schon mal raus waren. Dass war dann mein erster Gedanke, diese erst mal in Sicherheit zu bringen. Wir hatten einen Bus vor der Tür stehen, also unseren eigenen, wo wir die reingetan haben, und dann wollten wir damit dann später wegfahren. Und dann bin ich auch zu dem Fenster rausgeklettert und sind dann in den Bus eingestiegen. Das war das letzte, was ich abends gesehen habe vom Haus.

Patrick Enssle: Wie habt ihr denn die Nacht verbracht? Wie kann ich mir das vorstellen?

Julia Hiedels: Wir sind gegen 12 Uhr beim Bruder von meinem Freund untergekommen. Also nachdem wir dann pitschnass waren und es hatte ja auch weiter geregnet, waren wir dann auch extrem durchforstet. Und dann sind wir vom Nachbarn, der halt ein bisschen höher liegt – sein Auto war noch in Ordnung –, der hat uns dann zum Alex, seinem Bruder, gebracht.

Patrick Enssle: Ich vermute, ihr seid dann am nächsten Tag wieder zurück zum Grundstück gegangen, wo sich die Flut etwas gelegt hat. Welches Bild hat sich dir denn da geboten?

Julia Hiedels: Morgens, als wir dann zum Grundstück zurückkamen, war es so ungefähr 10 Uhr. Wir haben morgens noch einen Kaffee getrunken und der Bruder von meinem Freund ist dann erst mal runtergefahren und wollte schon mal aufs Gröbste schauen und kam dann auch relativ schnell wieder hoch und sagte: ,,Ihr müsst jetzt ganz stark sein.„ Also das war so die erste Aussage von dem ersten Morgen, wo ich dann wusste jetzt ist es wirklich so weit, jetzt kommt die Realität, dass wird schlimm. Und dann sind wir auch direkt runtergefahren: Die ganzen angespülten Bäume, Äste, umgekippten Mauern am Grundstück, aufgerissene Straßen. Dass war so der erste Augenblick, wo ich dann merkte, dass hier wird eine lange Zeit. Und dann habe ich die Schäden gesehen, die am Haus waren. Es war auch eine Scheibe eingeschlagen, da ist wohl irgendwas rein geschwommen. Das Grundstück, die Verwüstung haben mir eigentlich schon erst mal gereicht.

Patrick Enssle: Jetzt hast du auch eine hauseigene Fischzucht, du hast Kois gezüchtet. Das war auch eines deiner ganz großen Hobbys und auch so ein kleines Lebenswerk. Was ist denn damit passiert?

Julia Hiedels: Da existiert leider jetzt gar nichts mehr von. Also mein Teich, der ist noch da. Und es waren insgesamt so um die 350 bis 400 Kois. Das tut einem dann schon weh. Also nicht nur, weil es halt materielle Sachen sind, die da kaputtgegangen sind, sondern auch Lebewesen. Und das waren zwar Fische, das kann man so sagen, aber für mich ist es halt viel Arbeit und viel Herzblut gewesen.

Patrick Enssle: Absolut. Das steckt ganz, ganz viel Liebe dahinter. Das kann ich mehr als nachvollziehen. Wie hat denn jetzt hier deine Dienststelle, das Zentrum Operative Kommunikation, reagiert?

Julia Hiedels: In der Nacht habe ich tatsächlich nur einen Kameraden erreicht, dem die grobe Lage kurz geschildert, damit er morgens hier in der Kaserne Bescheid sagen konnte, weil ich wusste nicht, wie ich dann noch telefonisch erreichbar bin. Ohne Strom, ohne alles. Es war ja alles im Dorf ausgefallen und er hatte dann auch am nächsten Tag morgens direkt Bescheid gesagt. Und hier in der Dienststelle haben alle Kameraden und auch Vorgesetzte so super reagiert. Ich konnte mich auf die ganze Zerstörung und wirklich gerade in dem Moment auf uns konzentrieren. Die Hilfsbereitschaft, die gestellt wurde, es konnte mir nicht besser gehen.

Patrick Enssle: Du hast ja noch einen weiteren Helfer zu deiner Seite bekommen und zwar der Patrick, der mit uns hier sitzt. Patrick, du bist Lotse für Einsatzgeschädigte. Wie kam es dazu, dass du zum Helfer für die Betroffenen der Flutkatastrophe wurdest?

Patrick Tolliver: Zu dem Zeitpunkt, als das passiert ist, war ich noch nicht ganz 100 Prozent der Lotse für Einsatzgeschädigte. Ich war da gerade bei meiner Übergabe. Und mein Vorgänger ist mit mir und noch ein paar Einsatzgeschädigten und unserem evangelischen Pfarrer auf einer Rüstzeit gewesen, bis das Telefon irgendwann bimmelte. Und da hat unser Chef des Stabes angerufen, hat gesagt: ,,Oh, hier brennt die Hütte. Ich möchte gerne, dass sobald ihr zurück seid, dass ihr euch unserer betroffenen Kameraden annehmt. Ich würde gerne wissen, wer aus unserer Liegenschaft ist alles betroffen? Welche Schäden haben die und wie können wir dort am besten unterstützen?'' So hat das angefangen und wir sind da nach dieser Rüstzeit zurück in die Kaserne gekommen, haben uns bei dem Chef des Stabes gemeldet. Der hat uns ein kurzes Lage-Update gegeben und dann ging es bei uns quasi schon los. Wir haben erst mal eine Lagefeststellung gemacht, sind quasi noch mal aus Sicherheitsgründen von Gebäude zu Gebäude gelaufen, um überall einen Ansprechpartner zu finden. Okay, wer von euch ist betroffen und wie groß das Schadensausmaß? Und als wir das Lagebild dann für uns verdichten konnten, haben wir dann angefangen, Kontakt aufzunehmen.

Patrick Enssle: Ganz grob, wie viele Betroffene hat denn allein hier das Zentrum?

Patrick Tolliver: Also insgesamt Betroffene waren wir bei etwas über 30. Der Großteil davon hatte, ich sage mal in Anführungsstrichen, nur Schäden wie: KfzKraftfahrzeug-Schäden oder kleinere Sachschäden oder der Keller ist vollgelaufen. Und wir sind bei etwa sieben bis acht Kameraden, die es voll erwischt hat, also bei denen Haus und Hausrat total im Eimer sind.

Patrick Enssle: Wie jetzt hier zum Beispiel Julia auch. Und wir müssen dazu noch bedenken, ihr seid ja nicht die einzige Liegenschaft, sondern hier allein im Rhein-Main-Gebiet gab es ja doch mehrere betroffene Liegenschaften. Eigentlich kümmerst du dich ja um Einsatzgeschädigte in deiner Funktion als Lotse. Wie hast du dich eigentlich in das neue Tätigkeitsfeld eingearbeitet?

Patrick Tolliver: Das ist eine sehr gute Frage. Vor allem, weil ich ja gerade noch in der Übergangsphase war zu diesem Augenblick, dass ich sowieso noch nicht alle Stellen des Netzwerkes der Hilfe beziehungsweise des psychosozialen Netzwerkes kannte beziehungsweise so fest darin involviert war. Das bedeutete für uns, dass wir erst mal schauen mussten, welche Ansprechpartner gibt es noch für uns, und wir mussten noch zusätzlich, ich sage mal, herausfinden – diese Flutgeschichte, das ist ja was ganz Besonderes, also das ist ja etwas, das ist hier in diesem Bereich ja noch gar nicht passiert –, wie können wir Stellen finden, die uns noch mal zusätzlich unterstützen können? Glücklicherweise gab es da viele Institutionen, die dann proaktiv schon viele Mails und Verteiler verschickt haben, in dem die Hilfe angeboten haben, wie zum Beispiel die Härtefall Stiftung, die mit dem Bundeswehr-Sozialwerk zusammengearbeitet hat und die einen Spendenfonds eröffnet haben, um dann, so gut es geht, finanziell zu unterstützen. Dann, was wir hier am Standort auf jeden Fall gemacht haben, ist, wir haben uns mit den Ärzten zusammengesetzt und haben gesagt, okay, welche Möglichkeiten haben wir hier, um den Kameraden dann irgendwie doch unter die Arme zu greifen. Und da ist ein Stichwort: Urlaub, also Genesungsurlaub. Natürlich gab es eine Weisung oder es ist ein Schreiben rumgegangen. Da hieß das, okay, jeder Betroffene kann dann irgendwann bis zu 20 Tage Sonderurlaub nehmen. Aber teilweise hat das gar nicht gereicht.

Patrick Enssle: Ja, das ist verständlich.

Patrick Tolliver: Wir reden bei 20 Tagen von vier Wochen und wenn dir, ich sage mal, dein kompletter Lebensmittelpunkt absäuft, dann brauchst du schon mal mehr als vier Wochen, um das wieder hinzubiegen.

Patrick Enssle: Ich meine, wir schauen zu Julia herüber. Wie lange? Wie lange hat es gedauert, um bei dir wieder einen einigermaßen wohnfähigen oder lebensfähigen Zustand herzustellen?

Julia Hiedels: Also, Wohlfühlen ist es immer noch nicht, es ist zwar schon wieder sehr sehr gut geworden, aber ich sage jetzt mal, also drei Monate waren es auf jeden Fall, nur harte Arbeit. Und ich bin auch froh, dass mir sehr, sehr viel Zeit eingeräumt worden ist von der Liegenschaft und auch von meinen Vorgesetzten.

Patrick Enssle: Wie war denn euer erstes Treffen? Was konntest du, Patrick, ihr denn für Hilfe, also als Sofortmaßnahme anbieten?

Patrick Tolliver: Also zugegebenermaßen muss ich sagen, dass Julia jetzt nicht die erste Anlaufstelle war, nicht die erste Betroffene, die wir angelaufen haben. Das bedeutet, wir konnten vorher schon ein bisschen Erfahrungen sammeln, aber wir haben uns einen Ordner quasi fertiggemacht, mit dem wir dann zu Julia sind. Die Julia hat uns gezeigt, was alles kaputtgegangen ist beziehungsweise wie groß dieses Ausmaß an Schäden ist. Und wir konnten dann, um auf deine Frage zurückzukommen, quasi mit einigen Hilfsangeboten schon kommen. Wir haben ihr gesagt, okay, dein Sonderurlaub wird voraussichtlich nicht reichen. Wir haben bei uns im Standort jetzt eine Möglichkeit gefunden, dich noch länger vom Dienst zu befreien, dass du noch mehr Möglichkeiten und Zeit hast, alles zu Hause, so gut es geht, in die richtigen Wege zu leiten. Und genauso haben wir Antragsformulare mitgebracht für die Härtefallstiftung, von der ich gerade gesprochen habe, dass sie dort noch mal zusätzliche Soforthilfe und Unterstützungsleistungen beantragen kann. Unser Pfarrer beispielsweise hat, als er das mitbekommen hat, direkt angefangen, mit seinem Dekanat zu telefonieren und irgendwelche finanziellen Pötte anzugreifen, um zu sagen: ,,Okay, ich brauche Geld, ich muss hier Geld in die Hand nehmen und möchte das gerne verteilen, um die Betroffenen, so gut es geht, zu unterstützen.''

Patrick Enssle: Großartig.

Patrick Tolliver: Und da kommen regelmäßig immer wieder Gelder rein, womit wir den Kameraden dann unter die Arme greifen können.

Patrick Enssle: Julia, um das mal einzuordnen: Von der Politik wurden relativ schnell Soforthilfen zur Verfügung gestellt. Kannst du uns verraten, wie viel Geld ist da vom Staat gab?

Julia Hiedels: Vom Staat gab es natürlich auch Unterstützungsleistungen. Die ersten Soforthilfen waren im Rahmen der Landeshilfe, das waren 2.500 Euro. Und im Rahmen der Bürgerstiftung waren es dann noch mal 2.500 Euro für zwei Personen. Das muss man dabei sagen. Also das ist ein Tropfen auf den heißen Stein.

Patrick Enssle: Was ist denn da bei dir für ein Gesamtschaden in etwa entstanden? Grob geschätzt?

Julia Hiedels: Also grob vom Gebäude her und vom Inventar: Bei mir ist es ja so, das sind 4.000 Quadratmeter und da betrifft es ja dann zwei Gebäude. Und an Gebäudeschäden haben wir so ungefähr um die 100.000 Euro Schaden, mit Inventar inbegriffen. Und dann kommt natürlich die Koizucht dazu, da sind wir so noch mal bei 40.000 bis 50.000 Euro Schaden. Dann das Grundstück an und für sich: Jeder weiß, der ein Haus hat, es ist nicht nur das Haus, sondern auch außenrum und die Hofeinfahrt war völlig zerstört. Ja, da liegen wir bei ungefähr 150.000 bis 170.000 Euro Schaden.

Patrick Enssle: Wenn man dann sich vorstellt, mit 5.000 Euro kommt man da nicht weit. Und dann ist es ja umso schöner, dass dich da eine Welle der Solidarität und Unterstützung seitens der Bundeswehr erreicht hat, die dir dann doch deutlich erweiterter unter die Arme greifen konnte. Patrick, du hast alle Flutopfer persönlich besucht. Was war denn dein erster Eindruck vor Ort, als du in dem Katastrophengebiet warst?

Patrick Tolliver: Ich musste schlucken. Ich musste schlucken, denn ja, man hat in den Medien schon viel mitbekommen, man hat Bilder gesehen, von den verschiedenen Berichterstattungen. Aber wenn man das dann live sieht, dann ist das eine ganz andere Hausnummer, im wahrsten Sinne des Wortes. Also was ich auf jeden Fall sagen kann, ein Satz, der mir im Kopf geblieben ist, den mir ein Helfer mal gesagt hat: ,,Das war wie Krieg ohne Bomben.'' Und auch als wir dann die Betroffenen besucht haben und in diese Ausmaße gesehen haben, dann ist das genau so zu beschreiben. Ich war tatsächlich schockiert und ich muss auch ehrlich sagen, vor allem, als ich die erste Person besucht habe, habe ich das Ausmaß gesehen und habe mir gedacht: Oh, okay, also ich weiß jetzt gerade noch nicht, wo fangen wir jetzt an? Und das hat sich dann so im Laufe der Zeit ein bisschen geschüttelt. Und dann ging es. Aber am Anfang, erster Gedanke: Oh, mein Gott!

Patrick Enssle: Dass kann man sich kaum vorstellen. Ich meine, wir haben, viele von uns nur die Bilder im Fernsehen gesehen, aber denke ich mal, vor Ort ist es noch deutlich deutlich erschütternder. Julia, wie verliefen denn die nächsten Tage und Wochen für dich? Du hast ja gehofft, dass du eigentlich noch Geld von der Versicherung bekommst?

Julia Hiedels: Genau, bei mir war es so: Die ersten zwei, drei Tage war natürlich der gesamte Ort lahmgelegt und die Versicherungen konnte man nur direkt ansprechen. Ich bin dann auch hingefahren und hab halt gesagt: ,,Hey, ich bin betroffen.'' Die hatten mir aber dann auch ganz klar direkt gesagt: ,,Wir können nichts machen, unsere Server sind lahm„, und sie würden sich dann in den nächsten Tagen melden. Ja, und ich glaube, es war der fünfte Tag, dann kam der Versicherungsvertreter und hat mich dann angeschaut und gesagt: ,,Frau Hiedels, tut mir leid, in der Elementarversicherung ist kein Hochwasser und kein Starkregen inbegriffen.“ Und das hat mir erst mal dann die Füße unter den Beinen weggeholt.

Patrick Enssle: Da ist dann für dich irgendwo auch eine Welt zusammengebrochen, dass dich quasi die Versicherung sprichwörtlich im Regen stehen lassen hat?

Julia Hiedels: Ja, also das war ganz, ganz schlimm und es hat auch ein paar Tage gedauert, dann noch mal weiterzumachen und loszulegen. Man muss das so sehen: Man hat das Haus, man hat alle Zerstörungen, die da drin sind und zusätzlich kommt der Schlamm, der Geruch, der Dreck, der einfach überall ist. Wir haben das Haus einmal komplett ausgeräumt, alles zum Fenster rausgeworfen. Und wir hatten zum Glück sehr viele Helfer vom Ort und unsere Freunde, die waren sofort da und selbst Unbekannte aus dem Dorf, die ich gar nicht kannte, die kamen einfach und haben mit angepackt. Und ich war auch völlig überfordert mit der ganzen Situation, wie viele Leute da helfen wollten. Und ich habe auch gesagt: ,,Ich weiß gar nicht, was ihr jetzt gerade macht?'' Also das ist zwar ein Riesengrundstück und dann ist es auch ein Riesenschaden, aber man ist einfach völlig überfordert, alles erst mal zu strukturieren und zu sortieren. Und dann kommt dann so eine Versicherung dazu und sagt dann: ,,Sie stehen jetzt alleine da.''

Patrick Enssle: Das kann ich mir vorstellen. Das muss ein unheimlicher, frustrierender und auch irgendwie schrecklicher Moment gewesen sein. Patrick, du hast ja jetzt noch mehr getan. Es kam noch eine weitere sehr belastende Aufgabe auf dich zu. Kannst du mir davon erzählen?

Patrick Tolliver: Ja. Ich habe mit meinem Vorgänger und mit vielen anderen Kameraden Nachbereitungsseminare durchgeführt. Also im Rahmen der Fluthilfe wurde im Laufe der Zeit dann das Eloka-Bataillon 931 aus Daun beauftragt, unsere Fluthelfer und auch die Betroffenen nachzubereiten. Das kann man sich vorstellen, ähnlich wie ein Einsatznachbereitungsseminar, nur dass das in einer abgespeckten kürzeren Form ist, während ein normales ENBS knapp eine Woche ist, befinden wir uns hier dann bei einem Tag, der dann Gruppe für Gruppe nachbereitet wird.

Patrick Enssle: Okay, kurz zur Erklärung: Einsatznachbereitungsseminar müssen Soldatinnen und Soldaten belegen, wenn sie aus dem Einsatz kommen, um einfach Erlebnisse verarbeiten zu können.

Patrick Tolliver: Ja, und die Idee ist es dahinter auch, dass man mit einem Einsatz quasi abschließen kann. Das heißt, der Dienstherr versucht, zumindest nach meinem Kenntnisstand, einen abschließenden Aufbereitungstag zu machen, zumindest einen ein abschließendes Event, an dem man dann teilnimmt, um dann zu sagen, okay, hiermit möchte ich gerne das letzte Mal alles von mir lassen.

Patrick Enssle: Kannst du mir mal von ein paar Geschichten erzählen, die dir dort erzählt wurden?

Patrick Tolliver: Ja, das kann ich. Ich habe einen Kameraden nachbereitet. Er selbst ist recht jung, sowohl dienstjung als auch von seinem Alter her jung. Und er hatte den Auftrag gehabt, dann im Ahrtal Fahrzeuge zu kontrollieren, ob dort noch Leichen drin sind.

Patrick Enssle: Unglaublich!

Patrick Tolliver: Und das war eine Aufgabe. Er fühlte sich am Anfang nicht so gut gewachsen, um diese Aufgabe wirklich wahrzunehmen. Er sagt aber selbst, er wurde von seinen Vorgesetzten, die mit ihm draußen waren, er wurde gut herangeführt an diese Aufgabe, dass er das so Stück für Stück gut durchführen konnte. Nichtsdestotrotz kam irgendwann dieser Moment, da hat er ein zerstörtes Auto gesehen und er hat sich gerade auf dieses Fahrzeug zubewegt und hat dann neben diesem Auto eine Kinderpuppe gesehen.

Patrick Enssle: Gänsehaut!

Patrick Tolliver: Dieses Bild hat sich so bei ihm eingebrannt und festgefahren, weil er sich einfach gedacht hat, okay, was ist, wenn in diesem Auto jetzt ein totes Kind ist? Glücklicherweise hat sich später dann rausgestellt, dass da nichts im Auto war, aber nichtsdestotrotz, das ist ein Bild und ein Erlebnis gewesen, das sich so fest bei ihm eingebrannt hat, dass ihn das bis heute noch beschäftigt.

Patrick Enssle: Dass ist mehr als nachvollziehbar. Julia, du hast auch an diesem Nachbereitungseminar teilgenommen. Wie hast du das empfunden?

Julia Hiedels: Es war für mich tatsächlich nach der langen Zeit des Wiederaufbaus und der ganzen Anstrengung wirklich mal schön und für mich persönlich auch eine sehr gute Erfahrung, darüber mal ganz offen zu sprechen. Es ist ja so, man kann einfach mal alles erzählen, man kann einfach mal von vornherein einfach mal alles ablassen. Und das hat mir persönlich sehr, sehr gutgetan. Vorher waren zwar auch schon mal Momente, wo man mit allen gesprochen hatte, es war auch eine ständige Kommunikation nach den Tagen mit der Bundeswehr. Mein Chef, die Vorgesetzten, Spieß, hatten alle immer angerufen und gefragt und Unterstützung angeboten, die mir auch gestellt worden ist. Aber an diesem Tag der Nachbereitung war es für mich einfach noch mal alles abwerfen. Einfach mal raus damit. Und es war ja so, dass auch andere Betroffene da waren und Helfer und man merkte, man war dann nicht allein. Man hat vorher zwar gehört, dass andere betroffen waren, weil man war ja so ein bisschen abgeschieden von allem. Kein Fernsehen, kein Radio und nichts. Man war halt einfach in seinem Film.

Patrick Enssle: Du warst ja auch bei den Wiederaufbauarbeiten beschäftigt und das ist ja, ich sage mal eine Herkulesaufgabe, wenn das eigene Leben dann in Trümmern liegt und man mehr oder weniger sprichwörtlich von Null wieder beginnen muss. Julia, ich schau mir deine Hände an, die Arbeit hat Spuren hinterlassen, da sind Schwielen, da sind Blasen. Du bist einfach eine richtige, wie soll ich mal sagen, Selfmadefrau, die sich auch ihr Grundstück, ihr Haus alles selbst aufgebaut hat. Wie ist die Situation heute?

Julia Hiedels: Wir haben nach der langen Zeit jetzt auch wieder ein Wohnzimmer und eine Küche.

Patrick Enssle: Das ist schön!

Julia Hiedels: Man kann sich auch wieder auf die normalen Sachen konzentrieren und abends mal fröhlich was kochen. Ja natürlich, die Arbeiten sind noch da. Also grundstücksmäßig ist noch sehr viel Arbeit da und im zweiten Gebäude ist natürlich auch noch viel Arbeit. Aber man kann so langsam ein bisschen die Geschwindigkeit rausnehmen und man hat jetzt nicht mehr den Druck dahinter, dass man einfach noch mal ein normales Leben führen kann.

Patrick Enssle: Das freut mich sehr zu hören. Patrick und Julia, ich bin euch unglaublich dankbar, dass ihr den Mut und auch die Offenheit hattet, hier eure Geschichte zu erzählen. Das ist alles andere als selbstverständlich. Ich wünsche euch beiden viel, viel Kraft für die Zukunft und auch für eure weiteren Aufgaben.

Julia Hiedels: Danke schön!

Patrick Tolliver: Vielen lieben Dank und danke dir!

Patrick Enssle: Die nächste Folge des Podcast gibt's wie gewohnt in zwei Wochen. Ich bin Oberleutnant Patrick Enssle und melde mich aus dem Funkkreis ab.
 




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