Lügner enttarnen: So geht es.

Lügner enttarnen: So geht es.

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Lesedauer:
24 MIN

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Funkkreis – Podcast der Bundeswehr

Weyland: Haben Sie sich eigentlich auch schon immer gefragt, ob man Ihnen ansehen kann, dass Sie lügen? Wenn ja, dann sind Sie genau richtig bei dieser Folge Funkkreis. Mein Name ist Oberleutnant Lara Weyland und heute behandeln wir alles rund um das Thema Aussagen und Befragungspsychologie. Dazu begrüße ich einen Mitarbeiter des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst, Major Tom, sowie zwei Vertreter der Wissenschaft: Frau Doktor Michaela Pfundmair, Psychologin, sowie Herrn Juniorprofessor Doktor Stephan Lau, Psychologe. Dann würde ich Sie einmal bitten, sich vorzustellen für die Zuhörerinnen und Zuhörer.

Lau: Ladies first.

Pfundmaier: Mein Name ist Frau Doktor Michaela Pfundmaier. Ich komme gerade aus der Vorlesung vom MISS Master in Intelligence and Security Studies-Masterstudiengang Kommunikation und Führung. Da geht es darum, wie man lernt, gut zu kommunizieren und welche psychologischen Vorgänge im Führungskontext relevant sein könnten. Man hat es wahrscheinlich schon rausgehört: Ich bin Psychologin und besitze die Professur für nachrichtendienstliche Psychologie an der Hochschule des Bundes und mein Forschungsschwerpunkt ist die Psychologie der Radikalisierung. Ich bin daneben aber auch Rechtspsychologin. Das heißt: Meine Aufgabe neben der Arbeit an der Hochschule ist es, für Gerichte und Staatsanwaltschaften herauszufinden, ob irgendetwas an der Zeugenaussage dran ist, also die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen zu prüfen.

Weyland: Sehr interessant. Danke. Also nochmal kurz: MISS Master in Intelligence and Security Studies bedeutet Master in Intelligence and Security Studies. Also ein neuer Studiengang in Kooperation mit der Hochschule Bund und der Universität der Bundeswehr in München.

Lau: Mein Name ist Stephan Lau und ähnlich wie meine liebe Kollegin Michaela bin ich Psychologe von Haus aus. Ich komme aus dem schönen Mecklenburg-Vorpommern, genauer aus Stralsund, und habe da an der Universität Greifswald studiert, meinen Doktortitel gemacht und ein bisschen gearbeitet. Ich war dann eine Zeitlang in den USA, wie es bei uns üblich ist. Psychologie ist ja eine internationale Forschungsdisziplin und von daher muss man auch ins Ausland, um sich da auch seine Meriten in der Forschung zu verdienen. Da habe ich auch sehr viel gelernt, war dann an der Rogers State University bei Roy Baumeister. Und dann bin ich wieder zurück nach Deutschland und habe mich da auf eine ausgeschriebene, sehr interessant klingende Juniorprofessur beworben. Das ist die Juniorprofessur für die Psychologie nachrichtendienstlicher Praxis an der Hochschule des Bundes, Fachbereich Nachrichtendienste. Die habe ich jetzt seit Juni 2019 inne, wodurch ich unter anderem auch an der Lehre an der MISS Master in Intelligence and Security Studies teilnehmen darf. Aber auch an einer normalen HSB-Lehre in D-Psychologie und Ähnlichem.

Weyland: Okay, das war also die wissenschaftliche Seite. Jetzt haben wir noch einen Praktiker vom Militärischen Abschirmdienst. Hallo.

Tom: Ich bin Major Tom, Angehöriger der Abteilung Einsatzabschirmung im MADMilitärischer Abschirmdienst und ich hatte darüber hinaus das Glück, dort von meinen Tätigkeiten für etwa eineinhalb Jahre freigestellt zu werden, um in der Zeit dann an dem Studiengang MISS Master in Intelligence and Security Studies 19, unter anderem auch bei der Frau Professor Pfundmair und dem Herr Juniorprofessor Lau, teilzunehmen.

Weyland: Sie haben ja jetzt Ihren Namen genannt, aber ich vermute mal, das ist nicht Ihr Klarname, richtig?

Tom: Ist ja auch ein guter Song.

Weyland: Major Tom?

Lau: Ne, kannst du tatsächlich so stehen lassen.

Weyland: So, jetzt haben sich ja alle vorgestellt. Herr Major, die Bundeswehr nimmt zum Schutz der deutschen Einsatzkontingente an Auslandseinsätzen teil. Wo waren Sie bereits im Einsatz?

Tom: Ich war mehrfach im Nahen und Mittleren Osten im Einsatz.

Weyland: Näher präzisieren dürfen Sie es wahrscheinlich nicht, oder?

Tom: Ich war unter anderem auch an drei Standorten in Afghanistan.

Weyland: Verstehe. Haben Sie da schon Vernehmungen beziehungsweise Befragungen durchgeführt oder können Sie uns da Beispiele mitteilen? 

Tom: Ja, das kann ich. Zu dem Umfeld, aus dem der MADMilitärischer Abschirmdienst seine Informationen generiert, den Einsatzländern. Im Wesentlichen kann man das zusammenfassen auf die Gespräche mit den Ortskräften, die wir überprüfen, damit sie dann bei den deutschen Einsatzkontingenten eingestellt werden können. Dazu kommen dann noch die öffentlichen Stellen. Das wären dann also staatliche Dienststellen im Einsatzland, beispielsweise die Polizei, Staatsanwaltschaft, Sicherheitskräfte. Und der dritte Topf, aus dem wir Informationen schöpfen, wären die sogenannten Informanten. Das können Personen sein, die sich selbst im Feldlager vorstellen mit der Bitte, da was vorzubringen, aber auch Personen und Informanten, die wir gezielt ansprechen und dementsprechend als Quelle führen.

Weyland: Was hat der MADMilitärischer Abschirmdienst eigentlich genau für eine Aufgabe im Auslandseinsatz?

Tom: Grundsätzlich ist es so, dass der MADMilitärischer Abschirmdienst immer dann deutsche Einsatzkontingente begleitet, wenn das durch das Einsatzführungskommando so gefordert wird. Das bedeutet, dass unsere Soldatinnen und Soldaten zum einen für die Überprüfung der Ortskräfte verantwortlich zeichnen, um dort eben eine Gefährdung des sogenannten Innentäters auszuschließen. Dass sie dann weiterhin in ganzer enger Kooperation der entsprechenden S2/J2-Zelle für die militärische Sicherheit mitverantwortlich zeichnen. Dass sie zum Beispiel mit der sogenannten Beratergruppe ASAAbsicherung und Schutz im Auslandseinsatz an den baulichen Schutzmaßnahmen der Feldlager mitwirken und sich in all ihrem Handeln auf die Sicherheit des Kontingentes gegen Bedrohung von außen fokussieren. Diese Bedrohung von außen muss nicht nur terroristisch sein, es könnten beispielsweise auch Akte der Sabotage sein, es könnten Subversion sein oder Desinformationskampagnen, wie wir sie beispielsweise in Litauen gesehen haben. Insofern ist es da eine relativ große Angriffsfläche auf die Kontingente, der wir dann mit unseren Kräften versuchen zu entgegnen. Was wir entgegen der weitläufigen Meinung tatsächlich nur in absoluten Ausnahmefällen bis nahezu gar nicht abdecken, ist das Kontingent selber. Das bedeutet, dass die Kräfte, die wir in die Einsätze bringen, nicht per se für die Sicherheitsüberprüfung der eingesetzten Soldatinnen und Soldaten zuständig sind. Sie sind weiterhin nicht zuständig für deren Verhalten oder für mögliche Aktivitäten auf sozialen Netzwerken. Natürlich begleiten wir diese Kontingente von Anfang bis Ende. Wir sensibilisieren alle Angehörigen, wir geben ihnen unsere Ratschläge, unsere Meinung und unsere Erfahrung. Insbesondere auch im Umgang mit den sozialen Netzwerken, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass der unbedachte Umgang mit Facebook, mit Mailverkehr, mit Handyverkehr eben in ganz vielen Fällen auch in Spionagesachverhalten enden konnte und kompromittierende Situationen für die Soldaten nach sich gezogen hat. Das ist im Wesentlichen zusammengefasst das Portfolio, was unsere Kräfte mit den Einsätzen abdecken.

Weyland: Wenn ich Sie fragen darf, wie sind Sie eigentlich zum MADMilitärischer Abschirmdienst gekommen? Man kennt es ja so klassisch: Das Gerücht in der Truppe geht herum, dass man abgeworben beziehungsweise angesprochen wird, wenn man als besonders geeignet und fähig erachtet wird. Oder haben Sie sich tatsächlich auf Eigeninitiative beworben, weil Sie sagten, oh, ich finde das so interessant, was die machen?

Tom: Ich habe mich seinerzeit tatsächlich mit einer Initiativbewerbung an den MADMilitärischer Abschirmdienst gewandt, die zu meinem Glück dann schlussendlich zur Einstellung führen konnte.

Weyland: Okay. Verstehe. Jetzt eine bisschen private Frage: Wie kriegen Sie den Spagat eigentlich hin? Also dürfen Sie familiär wirklich gar nichts teilen? Ist das dann alles, sage ich mal, topsecret, wie man das ja aus den einschlägigen Serien kennt? Oder ist es schon ein bisschen offener? Dass man auch mal auf die Ehefrau oder den Ehemann zugehen darf und sagen darf, Schatz, ich bin jetzt mal nicht da und da, weil ich da und da bin?

Tom: Das ist insofern schwierig zu beantworten, als dass ich glaube, dass jeder da für sich die Mitte finden muss. Unstrittig ist, dass bei uns der Grundsatz herrscht, Kenntnis nur, wenn nötig. Das heißt, dienstliche Inhalte, insbesondere eingestufte und vertrauliche, geheime Inhalte bleiben natürlich da, wo sie bleiben sollen, nämlich im Büro. Meine Politik seit meinem Diensteinstieg ist, dass ich Dienstliches auch beim Dienstlichen lasse. Dass ich nicht der Meinung bin, dass ich meine Familie belasten oder langweilen muss mit Sachen, die mir heute irgendwie gut oder schlecht gefallen haben im Arbeitsalltag, sodass für mich im Grunde kein Spagat entsteht, weil ich gar keine Notwendigkeit sehe, dann Dritte auch mit meinen dienstlichen Belangen da irgendwo zu belasten, egal, ob es jetzt ins Gute oder ins Schlechte ginge.

Weyland: Dann eine anschließende Frage: Wie eng ist denn die Zusammenarbeit mit anderen deutschen Nachrichtendiensten im Einsatz?

Tom: Das möchte ich jetzt dann zuständigkeitshalber möglichst einschränken auf den Bereich Naher und Mittlerer Osten, weil ich ja schlicht und ergreifend nicht für alle Einsatzszenarien stellvertretend sprechen kann. Dort habe ich den Eindruck, dass die Zusammenarbeit, zumindest in den Jahren, in denen ich in diesem Tätigkeitsfeld unterwegs war, durchwegs als sehr gut zu bewerten ist. Zwischen den Stellen, die sich in den Einsatzländern miteinander kurzschließen, aber auch in dem nationalen Austausch hier zwischen den Mutterhäusern, zwischen den Partnerbehörden, habe ich den Eindruck, dass da ein sehr, sehr enger Austausch und fachlicher Austausch besteht, weil wir schlussendlich ja auch alle das gemeinsame Interesse folgen, unsere deutschen Uniformträgerinnen und Uniformträger da auch wieder sicher nach Hause zu bringen.

Weyland: Ich bedanke mich ganz herzlich. Jetzt würde mich mal eine ganz brennende Frage interessieren, und zwar was sagen Sie dazu: Gibt es ein optimales Persönlichkeitsprofil für Nachrichtendienstler? Da würde ich gerne einmal mit der wissenschaftlichen Seite anfangen. Herr Lau, was sagen Sie dazu?

Lau: Das ist eine Frage, die ich häufiger antreffe, auch in den Diensten, wenn ich meine Hospitation mit Praktikanten mache. Auch mit Studierenden gibt es immer diese Idee, dass es Persönlichkeitsprofile gibt, die einen besonders geeignet machen für eine Tätigkeit im Auswertungsbereich, „intelligence analysis“, oder im Beschaffungsbereich, also „Intelligence Collection“.  Was ich dazu sage: Ich bin da eher kritisch, weil die Evidenzlage sehr dünn ist. Also es gab in 2008 eine Publikation von zwei Politologen. Die haben direkt Profile oder Kombinationen von sogenannten Big-Five-Persönlichkeitsmerkmalen vorgeschlagen. Big Five, das ist ein ziemlich angesagtes Persönlichkeitsmodell, auch ein ziemlich vorherrschendes Persönlichkeitsmodell. Da wird die Persönlichkeit in fünf Faktoren eingeteilt, wie es auch schon der Name sagt: Offenheit, Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus. So, und diese beiden Autoren haben dann gesagt, es gibt tolle Kombinationen, wo zum Beispiel Auswerter von profitieren. Da haben sie dann auch konkrete Beispiele vorgeschlagen wie zum Beispiel den optimalen Auswerter oder die optimale Auswerterin. Die haben eine hohe Offenheit und eine moderate Gewissenhaftigkeit. Und das macht sie dann – so haben die Moderatoren dann argumentiert – unempfänglicher gegenüber kognitiver Biases, also kognitiven Fehlern, die dazu führen, dass sich in Prognosen Fehler einschleichen. Dass man so etwas wie einen Zusammenbruch der Sowjetunion nicht kommen sieht oder einen Angriff auf Pearl Harbor oder was die Autoren auch für Beispiele in den Papers genannt haben. Wir sind verliebt in unsere eigenen Annahmen, unsere eigenen Hypothesen. Wenn wir uns eine Meinung über etwas gebildet haben, wie beispielsweise „die Sowjetunion wird im nächsten Jahr nicht zusammenbrechen“, dann verarbeiten wir Informationen eher parteiisch. Wir verarbeiten Informationen dann eher so, dass sie für unsere Hypothese sprechen, dass die Sowjetunion im nächsten Jahr nicht zusammenbrechen wird. Und wir sind dann zu wenig offen und nicht unparteiisch genug, weswegen ich das Ganze jetzt wieder in ein Fazit packen würde: Der Einfluss von Persönlichkeitsmerkmalen auf nachrichtendienstliches Handeln wird in der Tendenz meistens eher überschätzt. Und er lässt sich auch nur schwer untersuchen. Weil man Persönlichkeitsmerkmale experimentell schlecht variieren kann. Müssen wir jetzt nicht so tief reingehen, aber es sind halt wirklich alles immer nur Korrelationsstudien. Kleine, stabile Effekte gibt es bei Persönlichkeitsmerkmalen. Aber diese Suche – meines Erachtens, das ist meine persönliche, wissenschaftliche Meinung – nach den Top-Persönlichkeitsprofilen für den besten Auswerter, die beste Beschafferin bringt nicht viel. Weil auch, selbst wenn ich jetzt ein Persönlichkeitsmerkmal wie hohe Extraversion habe, das heißt, ich gehe schnell aus mir raus, ich bin sehr eloquent, ich lerne auf einer Party alle Leute kennen und bin grundsätzlich sowieso der Partylöwe mit einer hohen Extraversion, dann ist das ein Persönlichkeitsmerkmal, was mir aber auch nicht in allen Situationen hilft. Es kann genauso gut auch ein Hindernis sein. Wenn ich zum Beispiel eine Quelle habe, die aber total introvertiert ist, die überfordere ich dann mit meinen Extraversionen, während ich mich aber durch eine Grenzkontrolle gut durchquatsche.

Weyland: Verständlich.

Lau: Das nur nochmal zum Beispiel, dass Persönlichkeitsmerkmale kein Allheilmittel sind und dass es häufig eher ein bisschen überschätzt wird in seiner Wirksamkeit.

Weyland: Herr Major, jetzt mal anknüpfend daran. Was halten Sie denn davon? Der MISS Master in Intelligence and Security Studies-Studiengang wurde ja breit in den Medien dargestellt, also, dass man angehende Spione ausbilden möchte. Was sagen Sie denn dazu? Sie sind ja Praktiker, stehen Sie dem kritisch gegenüber oder würden Sie sagen, das kann man schon so stehen lassen?

Tom: Im Allgemeinen habe ich den Eindruck, dass der Studiengang durchaus dazu beitragen kann, dass die Führungspersönlichkeiten von morgen, angefangen auf der mittleren Ebene, in den Nachrichtendiensten möglicherweise sogar noch besser aufgestellt sein könnten, als sie es heute ohnehin schon sind. Der Grund dafür ist im Wesentlichen, was der Herr Lau gerade angeführt hat, dass ich die Frauen und Männer zwinge, auch abseits ihrer fachlichen täglichen Arbeit Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten, mit denen sie sonst möglicherweise nicht konfrontiert werden, indem ich sie auch dazu auffordere und ansporne, wissenschaftliche Modelle für ihre Analysen zugrunde zu legen. Und das macht in der Summe, das ist ja die Erfahrung, die wir in diesem Studiengang gemacht haben, die nachrichtendienstliche Arbeit transparenter, natürlich auch gegenüber dem Abnehmer. Es sorgt verstärkt dafür, dass persönliche Eindrücke, persönliche Vorlieben eben in den Hintergrund rücken und wirklich das Fachliche das zentrale Bewertungselement darstellt, und ich glaube, dass es dann in der Summe wirklich zu einer Professionalisierung beitragen kann, die die Persönlichkeitsmerkmale von einzelnen Bearbeitenden hinter die fachlichen Bedürfnisse anstellt.

Weyland: Okay, verstehe. Dann kommen wir zum nächsten Thema und zwar zum Thema Lügen. Frau Pfundmair, können Sie uns was sagen über Glaubhaftigkeit?

Pfundmaier: Ja. Vielleicht ganz allgemein: Ich wurde ja auch eben schon angesprochen beim Kommen, ob ich denn die Serie „Lie to Me“ kenne. Ich kenne sie tatsächlich nicht, aber ich wurde schon öfters gefragt, ob ich vielleicht sowas mache. Ich glaube, da geht es um Lügenerkennung, indem man guckt, ob jemand mit dem linken Auge zuckt. Das kann man tatsächlich nicht. Also vielleicht erstmal ganz grob gesagt: Beim Thema Lügenerkennung geht ganz vieles nicht, von dem man durch das Fernsehen den Eindruck hat, man sollte es können. Das wurde eigentlich gar nicht durch das Fernsehen geprägt, sondern wahrscheinlich ganz früh durch Freud. Der sagte, dass man im Prinzip Lügner immer erkennen kann, denn die können sich gar nicht zurückhalten, weil ihr schlechtes Gewissen sozusagen immer ausdringt. Und die ganz frühe Forschung von Ekman, die hat auch gesagt, den Lügner muss man eigentlich auch am nonverbalen Verhalten erkennen können. Inzwischen weiß man: Das kann man eigentlich nicht. Also die Forschung zeigt: Nonverbale Hinweisreize für die Lügenerkennung sind eher schwach und heterogen. Davon gibt schon ein paar, zum Beispiel, dass man sich tendenziell weniger bewegt, wahrscheinlich, weil man so kognitiv beansprucht ist, eine Lüge zu erzählen.

Weyland: Interessant.

Pfundmaier: Aber nonverbale Hinweisreize alleine für die Lügenerkennung zu nutzen, davon ist abzuraten.

Weyland: Können Sie das ein bisschen ausführen? Sie haben ja auch in der Praxis damit Erfahrung vor Gericht. Wenn Sie gerne mögen, können Sie dazu ein paar Beispiele nennen.

Pfundmaier: Ja, also im Prinzip ist die Hauptannahme von so einer Glaubhaftigkeitsbeurteilung, ob die Aussage, mit der man konfrontiert ist, auch auf irgendeine Art und Weise zustande gekommen sein könnte, ohne dass sie stimmt. Also das heißt, man kann prüfen: Könnte die Aussage erlogen sein oder könnte die Aussage subjektiv wahr sein, aber objektiv falsch, also eine Scheinerinnerung. Und diese zwei Facetten kann man prüfen. Da gibt es Methoden, die alle wissenschaftlich unterlegt sind und ganz gute Effekte zeigen, mit denen man das ganz gut zeigen kann. Das ist auch anerkannt vor Gericht und wurde auch bei ganz vielen berühmten Fällen angewandt. Wenn ich zum Beispiel aus dem Nähkästchen plaudere: Ich hatte mal zum Beispiel einen Fall von einer Person. Die war sehr, sehr intelligent, hatte zwei Studiengänge mit sehr guten Noten abgeschlossen. Sie war sehr eloquent und auch einfach eine normale Frau, die ein normales Wissen hatte. Sie hatte wahnsinnig hohe Lügenkompetenzen. Also sie hätte eine wahnsinnig gute Lüge einfach so produzieren können. Und dann hat sich eben die Frage gestellt, war diese Aussage qualitätsreicher, hätte sie die einfach so produzieren können. Und das war dann auch tatsächlich so. Also sie hatte wahnsinnig viele Realkennzeichen in ihrer Aussage, sodass ich das am Ende auch als erlebnisfundiert begutachtet habe. Ein Realkennzeichen ist zum Beispiel sowas wie: Gibt es raumzeitliche Verknüpfungen? Denn Lügnern fällt es ein wenig schwerer, es in ihren Lebenskontext einzubetten. Oder ein, wie ich finde, ganz spannendes Realkennzeichen ist phänomengemäße Darstellung unverstandener Handlungselemente. Das bedeutet, man schildert irgendwas, was man gar nicht so richtig verstanden hat. Das können lügende Zeugen kaum, weil sie ja eine Naivität vorgaukeln müssen. Und das passiert tendenziell weniger. Also das alles sind Realkennzeichen, je nachdem, nach welcher Klassifizierung man geht. Nach der ältesten, die es gibt, gibt es 19 Stück insgesamt.

Weyland: Können Sie davon vielleicht, sage ich mal, fünf aufzählen?

Pfundmaier: Also diese raumzeitliche Verknüpfung war eins, die phänomengemäße Schilderung ist eins, Komplikationen ist zum Beispiel auch eins. Dass man irgendwelche Aspekte in die Geschichte einbaut, die man eigentlich gar nicht braucht. Also die Geschichte würde auch ohne die funktionieren. Würden lügende Zeugen eher weniger machen, weil es ja eher die Geschichte belastet, und trotzdem wird es gemacht. Dann gibt es aber auch eher so motivationsbezogene Realkennzeichen, dass man einen vermeidlichen Täter entlastet oder auf mehr Belastung verzichtet. Oder zu sagen: „Und das hört sich jetzt zwar komisch an, ist aber trotzdem passiert.“ Also sozusagen ein bisschen prestigeabträgliche Aussagen sprechen tendenziell auch eher für Wahrheit, weil es lügende Zeugen eher nicht machen würden.

Weyland: Würden Sie sagen, dass die Intelligenz dabei eine große Rolle spielt? Also wie glaubhaft ich etwas rüberbringen kann oder bin ich automatisch ein besserer Lügner, desto höher mein IQ ist? Kann man das so sagen oder ist das aus wissenschaftlicher Sicht falsch?

Pfundmaier: So ganz falsch ist es nicht. Also jemand, der hohe kognitive Fähigkeiten hat, kann wahrscheinlich schon besser eine Lüge erzählen. Das wird auch mit einberechnet in diese psychologische Aussage. Also stellen Sie sich vor, eine Person erzählt was über einen Vorfall und der ist total detailreich. Da kommen Inhalte vor, die man eigentlich gar nicht bräuchte für die Geschichte, aber die Person erzählt sie trotzdem. Das ist zum Beispiel ein Realkennzeichen: nebensächliche Details. Dann ist die Qualität sehr hoch. Aber diese Qualität muss umso höher sein, je höher die Kompetenzen dieser Person sind. Das heißt, wenn Sie jetzt eine sehr intelligente Person haben, die vielleicht sogar eloquent ist und sich vielleicht sogar in der Methode auskennt und noch in dem Themenbereich, wo sie jetzt diese Aussage vorgebracht hat, dann muss die Qualität umso besser sein.

Weyland: Sehr, sehr interessant. Herr Lau, haben Sie dem noch was hinzuzufügen?

Lau: Ich fasse es immer so zusammen: Wir lügen alle, ständig, jederzeit, jeden Tag. Aber das meiste Lügen, was wir machen, hat immer soziale, moralische, zwischenmenschliche Gründe. Also die sogenannten „white lies“ verfolgen im Vergleich zu den „black lies“, die Farbe deutet es ja schon bisschen an, einen guten Zweck. Den Mitbewohner, der zum ersten Mal einen Kuchen gebacken hat, den will man bestärken, weiterzumachen, weil er sonst nicht viel macht. Der Kuchen ist vielleicht nicht so toll geraten, aber man lobt ihn dann trotzdem, um ihn weiter in diesem Hobby zu bestärken, um ihm was Gutes zu tun. Zumindest denkt man selbst, dass man ihm was Gutes tut. Kann man ja auch kontrovers diskutieren. Aber das sind so die ganzen kleinen Lügen, diese sozialen Schmiermittel. Konfliktvermeidung und Ähnliches steht da ganz viel im Vordergrund. Ohne das würde auch unser soziales Zusammenleben nicht besonders gut funktionieren oder völlig anders.

Weyland: Verstehe. So, um jetzt mal den Praktiker wieder in die Runde zu bringen: Herr Major, wir haben ja jetzt viel theoretisches Wissen gehört. Können Sie davon in der Praxis etwas berichten, dass Sie das auch anwenden bei sich?

Tom: Die Schwierigkeit in der nachrichtendienstlichen Arbeit ist es natürlich, dass wir in den Gesprächen, gerade wenn es um die Frage von Wahrheit oder Lüge geht, auch immer betrachten müssen, in was für einem Verhältnis wir uns zu der Person befinden. Das können ganz oft ja wirklich flüchtige Verhältnisse sein, bei denen man einmal einen meldenden Informanten trifft. Es kann teilweise über Jahre, Jahrzehnte gewachsene, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Quellen sein, sodass es für uns ganz unterschiedliche Ansatzpunkte gibt, zu bewerten, für wie wahrscheinlich wir das halten, was diejenige oder derjenige uns dann halt mitzuteilen hat. Grundsätzlich glaube ich aber, dass wir uns insofern da auch der wissenschaftlichen Meinung annähern, dass wir vor allem die Modelle, die wir hier genannt bekommen haben, um Lügen vielleicht zu erkennen oder um vielleicht eins, zwei, drei Schritte weiter zu prüfen, ob es sich hier um die Wahrheit handeln kann. Dass die bei uns zunehmend Anwendung finden und dass wir uns da diesem akademischen Bereich in der Praxis auch wirklich annähern. Gerade das kognitive Interview ist eine Methode, über die wir uns jetzt schon lange Gedanken machen, der wir uns dann fachlich annähern. Und bei den anderen Indikatoren, die dann wirklich Lügen aufdecken, denke ich, sind wir wirklich auf einem ganz guten Weg, in Richtung der Wissenschaft zu gehen und dann die dementsprechende Facharbeit auch anzugleichen.

Weyland: Jetzt ist schon das kognitive Interview mehrfach gefallen. Können Sie kurz und knapp zusammenfassen, was Sie bei Ihrer Arbeit darunter verstehen?

Pfundmaier: Das kognitive Interview ist im Prinzip eine Methode, um es den Personen so leicht wie möglich zu machen, Inhalte abzurufen. Also da geht es nicht darum, dass man irgendjemanden zwingt, Informationen rauszurücken, sondern im Prinzip gedächtnispsychologisch gute Bedingungen herstellt, um Informationen abzurufen. Beim kognitiven Interview beginnt man oft auch mit Rapport – ein ganz wichtiger Ansatz, über den wir später nochmal sprechen werden – und macht auch der Person deutlich, du bist jetzt der Experte für dieses Gespräch. Ich weiß gar nicht so viel. So in Klammern, wenn man die Person 70 Prozent sprechen lässt, man selbst nur 30 Prozent spricht, dann hat man sein Ziel erreicht, weil die andere Person ja das Wissen hat. Das ist so eine Art trichterförmige Befragung. Man beginnt ganz offen und sagt: „Erzähl mir alles, was du weißt. Ich stelle gar keine Fragen.“ Vielleicht kann man den Kontext wiederherstellen und sagen: „Wann war denn das? Schien da die Sonne? War noch jemand anders da? Erzähl mir mal alles.“ Diese Person soll dann erstmal wirklich ihr biografisches Gedächtnis bemühen und alles erzählen, was sie weiß. Man möchte die Person nicht beeinflussen in dem, was sie sagt. Denn es passiert ganz schnell, dass man versehentlich etwas vorgibt und die Person nimmt es bewusst oder unbewusst an und verfälscht dadurch vielleicht ihre Erinnerung mit Absicht oder ohne Absicht. Und sie versucht, dann auch wirklich immer wieder in diese offene Befragung reinzugehen, um möglichst gute Bedingungen für einen Erinnerungsabruf herzustellen. Man stellt dann am Ende auch spezifische Fragen, weil man auch spezifische Dinge wissen muss. Aber auch da ist es ganz wichtig, dass man so wenig wie möglich suggestiv fragt. Da kann ich vielleicht auch bisschen was erzählen.

Weyland: Sehr gern.

Pfundmaier: Aus meiner aktuellen Praxis. Ich habe zum Beispiel gerade einen Fall von einer Person. Also ich habe ihre Akte auf den Tisch bekommen und ich habe gesehen, dass die Befragung der Person, die da drin war, ganz schlecht war, nämlich total vorgebend. Also im Prinzip waren die relevantesten Dinge alle vorgegeben. Die Person hat nichts selbst erzählt und ich dachte mir, ich schaue mir die Zeugin nochmal an und gucke. Vielleicht kommt ja von selbst nochmal irgendwas. Vielleicht war es ja ein Versehen und es hat sich gezeigt, die Person hat nichts davon wiederholt. Das heißt, durch diese Fragen, die da gestellt wurden, diese suggestiven Fragen, wurde der gesamte Bericht verfälscht.

Weyland: Also sie praktisch beeinflusst in ihren Aussagen.

Pfundmaier: Genau. Beeinflusst in den Aussagen.

Weyland: Herr Major Tom hat ganz wehmütig den Kopf geschüttelt. Da würden wir dann ganz gerne anknüpfen. Was sagen Sie dazu?

Tom: Bis vor einigen Jahren war es auch in der Ausbildung so, dass man ihnen im Prinzip die Möglichkeit geboten hat, den ganzen Sachverhalt einmal darzubringen, ohne dass sie dabei unterbrochen werden. Im nächsten Schritt ist man in der Regel nochmal alles mit ihnen in verkürzter Form durchgegangen. Und erst, wenn diese zwei Prozesse abgelaufen sind, ist man in den Prozess übergegangen, in dem man dann Fragen stellt. Also global oder ins Detail. Und das wäre dann auch der erste Zeitpunkt, sie eigene Eindrücke gegenläufiger Informationen, vielleicht ähnliche Informationen, zu den einzelnen Sachverhalten in Betracht ziehen zu lassen, was ja auch in den Folgeschritten – und da sind wir ja wieder beim Thema Lügenerkennung und Lügenmerkmale – Tür und Tor öffnet für den Befrager, dann da im Kleinen Fragen zu stellen, über die zu hoher Wahrscheinlichkeit zumindest derjenige stolpern wird, der eben punktuell gelogen hat.

Pfundmaier: Aufmerksamkeit spielt da sicherlich auch eine ganz große Rolle, weil da ein Part von aktivem Zuhören auch mit reinspielt. Was ich aber noch ergänzen wollte, war: Rapport ist zwar eine relativ frische Forschung, aber man weiß schon lange, dass man das irgendwie braucht bei guten Befragungen, es gibt auch schon etliche Untersuchungen. Die Polizei verwendet es. Ich glaube, es ist sogar, wenn mich nicht alles täuscht, auf Platz drei der wichtigsten Techniken der Befragungen beim FBI. Und man weiß auch, dass Rapport ein ganz wichtiger Part ist vom kognitiven Interview. Und auch aus der Praxis kann ich sagen: Wenn man kein Rapport mit einer Person aufstellt und sie dann befragt, dann bekommt man einfach nicht mehr so viele Informationen, wie man auch braucht, was dann auch wieder die Möglichkeiten begrenzt, dass man eine Glaubhaftigkeitsanalyse machen kann. Also wenn eine Person gar keine Lust hat, sich mit jemanden zu unterhalten, dann kann man von der auch gar nicht so viele Details bekommen, dass man valide sagen könnte: Okay, die Person hat jetzt alle Möglichkeiten, hat aber so wenig gesagt, dass es so wenig qualitätsreich war, dass es auf eine Lüge hindeuten würde. Das kann man gar nicht sagen, denn die Person war vielleicht einfach nur nicht motiviert und aussagebereit.

Weyland: Verstehe. Also bedeutet Rapport im Prinzip, dass ich eine Person so von innen heraus motiviere, dass ein möglichst guter Draht zwischen uns, also mir als Befragerin und meiner zu befragenden Person, besteht und so das Gesprächsklima so gut ist, dass die Person sich mir auch öffnen möchte.

Tom: Es kommt darauf an. Denn die grundlegende Frage ist, welche Beziehung ich zu dem Meldenden habe. Wir können jetzt hier unterscheiden, ob der Meldende nur etwas vorträgt aus finanziellem Interesse, ein klassischer Nachrichtenhändler. Zum klassischen Nachrichtenhändler brauche ich per se keine emotionale, zwischenmenschliche Bindung. Weiterer Typ wäre, um jetzt auch mal im Thema Einsatzabschirmung zu bleiben, jemand, der vielleicht in unmittelbarer Näher von einem deutschen Feldlager wohnt. Dem ist zu unterstellen, dass er ein ähnlich vitales Interesse an der Sicherheit dieses Areals hat, wie ich es auch habe. Das heißt, er wird aus intrinsischer Motivation sehr wahrscheinlich mitteilen, was er weiß, in der Annahme, dass wir gemeinsam dann irgendwo zur Schadensabwehr beitragen können. Schwierig wird es bei denjenigen Personen, mit denen ich auf eine langfristige Arbeit abziele. Und da ist es – und da sind wir ja beim Thema Rapport –  im Wesentlichen unsere Aufgabe, da eine menschliche Bindung herzustellen. Das ist, so haben wir das zumindest im Studium besprochen, einigermaßen vergleichbar dann jetzt auch mit der Beziehung, die zwei Menschen miteinander eingehen. Ich muss dann natürlich irgendwann klein anfangen. Ich muss kennenlernen, ich muss Vertrauen schöpfen, ich muss Vertrauen pflegen und dann wächst das eben so als Beziehung zusammen. Diese Entwicklung und diese Zusammenarbeit sind aus meiner Sicht aber auch insofern das Schwierigste, als so eine Beziehung ja auch immer Implikationen mit sich trägt. Und wo ich mir auch immer die Frage stellen muss: Was passiert denn, wenn der Arbeiter vor Ort wechselt? Gerade in der Einsatzabschirmung kann ich mein Personal ja nicht über Jahre an dem gleichen Einsatzort lassen, sondern ich muss sie ja auch durchrotieren. Kann ich diesen Ansprechpartner einfach übergeben? Vom einem zum anderen? Was ist, wenn die neue Person, die kommt, ihm schlicht und ergreifend unsympathisch ist und die nicht miteinander reden und arbeiten können? Was ist, wenn möglicherweise ein Einsatz endet? Sodass es dann in der Summe ganz, ganz viele Fragen sind, die wir uns im Vorfeld zur potenziellen Zusammenarbeit mit Gesprächspartnern stellen müssen, die es da zu klären gilt. Und je langfristiger wir mit einer Person planen, desto früher würden wir, möchte ich jetzt behaupten, tendenziell wahrscheinlich dann wirklich in den Aufbau dieser Beziehung investieren, weil es einfach Konstellationen in der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit gibt, in der das schlicht und ergreifend nicht notwendig ist.

Weyland: Ja, das war jetzt ganz schön viel Inhalt. Ich hoffe Sie konnten was für sich aus diesem Podcast mit rausnehmen und wissen, wie Sie jetzt beim Lügen während der nächsten Pokerabend-Runde garantiert nicht auffliegen. Außerdem war die Folge, die Sie gerade gehört haben, ein Ausschnitt aus einem längeren Gespräch. Wir werden in der nächsten Folge auch behandeln, was Rapport eigentlich bedeutet und wie man diese gegenseitige empathische Aufmerksamkeit eigentlich herstellt. Die nächste Folge hören Sie dann am Donnerstag in zwei Wochen. Mein Name ist Oberleutnant Lara Weyland und ich melde mich aus dem Funkkreis ab.