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Datum:
Lesedauer:
19 MIN

Sprecher: Scharfschütze/Salem & Rios, Redakteurin Barbara Gantenbein (BG)


Delta to all. Radiocheck. Over.
Hier ist Bravo. Kommen.
This is Tango. Over.
Funkkreis – Podcast der Bundeswehr.

 

BG:
Herzlich willkommen zum Funkkreis. Hier ist Barbara Gantenbein aus der Redaktion der Bundeswehr, heute aus Seedorf. Ich bin beim Fallschirmjägerregiment 31 und unser Thema sind Scharfschützen. Und zwei der Scharfschützen sind bei mir. Ich werde jetzt, weil die ja wieder in den Einsatz gehen, nur die Nicknames verraten, also die Spitznamen: Das eine ist Rios und das andere ist Salem. Herzlich willkommen und danke, dass ihr bei mir seid.

Salem:
Schönen guten Tag.

Rios:
Guten Tag.

BG:
Ja, Scharfschützen. Wir alle kennen den Film American Sniper. Und das ist ja so das, was man, wenn man Hollywood mag, damit verbindet, mit dem Scharfschützentum. Hat wahrscheinlich mit der Realität nur sehr bedingt was zu tun. Wie ist es denn wirklich?

Salem:
Prinzipiell kann man ja dazu sagen, dass in solchen Filmen natürlich auch gezeigt wird: Wie arbeitet der Scharfschütze in der Stellung, wie liegt er dort, wie ist er getarnt oder wie sind natürlich die Truppgespräche untereinander? Das ist jetzt nicht fernab der Realität, aber es werden halt viele Sachen ausgelassen. Wie ist der Trupp in die Stellung gekommen? Wie war das Tarnverhalten?

Rios:
Im Grunde lassen sie das, das Anstrengende lassen sie weg. Wie der Kamerad schon sagte: Wie komme ich da hin? Wie schwer ist der Rucksack in Wirklichkeit, dass man nicht mit so einem kleinen, lockeren Rucksack losgeht, sondern der wirklich vollgepackt ist.

BG:
Und wahrscheinlich weicht es ja auch insofern ganz stark von der Realität ab, weil das ja ganz, ganz selten zu so einer Situation kommt. Also im echten Leben, oder?

Salem:
Ja. Die Filme sind natürlich immer auf Action getrimmt und es gibt natürlich viele Aufträge oder Einsätze, wo das halt nicht der Fall ist.

BG:
Noch mal Klischee gegen Realität: Im Film sieht man immer den einsamen Wolf. Der Scharfschütze, der ist alleine unterwegs, der macht sein Ding komplett alleine. In Wirklichkeit ist es aber ganz anders. Ihr seid immer zu zweit. Ihr seid immer ein Spotter, ein Schütze. Wie verteilt sich das? Wer macht was? Ich habe gelernt, ihr könnt beide beides. Was muss man für welche Funktion können? Und warum ist es wichtig, dass man zu zweit arbeitet?

Salem:
Es gibt die Regelung zu zweit, es gibt aber auch die Regelung zu dritt, wo man dann sagen kann, der dritte Mann übernimmt zum Beispiel komplett den Funk. Wichtig ist, dass man sich die Ausrüstung dann beim Packen für den Auftrag oder für die Mission natürlich so aufteilt, dass es Sinn ergibt, dass der Spotter zum Beispiel die kompletten Optroniken dabei hat, damit er auch beobachten kann und ...

BG:
Entschuldigung: Optronik bedeutet quasi für uns Fernrohr, für uns Laien, oder?

Salem:
Sagen wir Fernglas für die Laien, und die ganzen Optroniken, damit der halt den Schützen natürlich beim Schuss unterstützen kann. Und der Schütze hat dann seine Waffe, das, was er dafür braucht, und gegebenenfalls dann halt für den Spotter zum Beispiel das Wasser oder die Verpflegung, weil der Rucksack vom Spotter halt mit den ganzen Optroniken sehr schnell voll ist.

BG:
Okay, wer von euch macht was?

Rios:
Also es kristallisierte sich schon relativ schnell in der Ausbildung: In den Schießtests war der Kamerad einfach besser und dann muss man auch einfach zurückstecken, auch wenn man mehr Lust hat auf Schütze. Einfach zu sagen, er ist einfach besser, ich würde ihm Spotten. Das macht mir auch Spaß. Von daher ist es schon...

BG:
... eine gute Aufteilung. Ich kann mir aber gut vorstellen, es gibt wahrscheinlich auch das Gleiche wie „er ist jetzt der bessere Schütze„, da gibt es auch sicher, „er ist der bessere Spotter“ oder sieht schneller. Worauf achtet man als Spotter?

Salem:
Auf die komplette Umgebung. Also man hat ja immer einen Bereich, den man abdeckt oder den man überwacht. Wenn im Auftrag der Spotter überwacht, genauso. Er hat ja, der Schütze hat ja ein engeres Sehfeld als der Spotter durch die Optroniken, hat ja ein viel breiteres Sehfeld, kann mehr abdecken und wenn der Schuss abgegeben ist, achtet der Spotter natürlich darauf, wo der Schuss gelandet ist, um gegebenenfalls eine Korrektur zu geben oder zu sagen Treffer, Ziel, Mitte.

Rios:
Also der Spruch, den man da sagt zum Spotten ist eigentlich: Der Schütze schießt, der Spotter trifft, weil der Spotter alle Korrekturen eingibt, gibt dem Schützen die Werte, die er braucht, die Entfernung. Eigentlich arbeitet er dem Schützen zu. Der Schütze schießt dann, und der Spotter kriegt, wenn er getroffen hat, halt die Belobigung, sag ich mal. Man fühlt sich als Spotter sehr, sehr gut, wenn man weiß, man hat getroffen und ich habe alles richtig gemacht.

BG:
Inwiefern muss der Schütze sich darauf verlassen können, dass alles stimmt? Also überprüft man als Schütze noch mal irgendwas oder weiß man einfach, wenn mein Spotter sagt, so und so ist das, dann ist das so.

Salem:
Da weicht man wieder von Hollywood ab. In Hollywood in den Filmen sieht man ja oftmals, dass das Ziel, was man bekämpfen soll, lange an einer Position steht. Das weicht ab von der Realität. Oftmals hat man nicht viel Zeit oder kein großes Zeitfenster. Dementsprechend muss man sich da auf die Werte natürlich auch verlassen können, weil man oftmals gar nicht die Zeit hat, das zu überprüfen, sondern man muss sich auf seinen Buddy verlassen. Muss wissen, das stimmt.

BG:
Ihr seid jetzt schon länger ein Team, seid ihr so ein bisschen wie ein altes Ehepaar?

Salem:
Ja, ja, ja, definitiv. Also, ich vertraue ihm blind.

BG:
Wie äußert sich das noch? Also, wisst ihr voneinander, wann ihr was essen wollt oder was ihr gerade braucht, so an, ich weiß nicht, Wärmeschutz, Nässeschutz und weiß der Geier was.

Rios:
Also ich merke, wenn er zickig wird, dass er langsam müde wird. Also so weit ist das schon. Nee, also wir sind schon so eng zusammengerückt. Man kennt die Familie. Also, das ist schon nicht nur dienstlich, sondern man rückt auch so weit zusammen, dass man die Familie kennt, Probleme auch bespricht, auch private Sachen dementsprechend, ja, wie ein Ehepaar.

Salem:
Zu 100 Prozent. Also, ich würde auch definitiv dazusagen, bei uns beiden ist aus Beruf und Kameradschaft Freundschaft entstanden.

BG:
Das ist eigentlich genau das, was man sich wünscht. Das ist echt schön. Gehen wir jetzt mal noch mal in eine Gefechtssituation: Wo ist normalerweise euer Platz? Also wo können Scharfschützen eingesetzt werden? Was für Aufgaben könnt ihr übernehmen im Gefecht?

Salem:
Eine Aufgabe ist zum Teil, dass wir lange, bevor der Angriff eingeleitet ist, oder man sagt auch, der Angriff rollt, schon Tage vorher draußen waren und aufgeklärt haben. Wo befindet sich der Feind? Wo ist der Feind in Stellung gegangen? Gangbarkeit von Wegen: Sind die vermint etc. pp. Um da natürlich Aufklärungsergebnisse zu liefern für die obere Führung, die dann natürlich den Befehl erteilt: Wo rollt der Angriff lang?

Rios:
Jetzt gibt es viele Szenarien, wo wir eingesetzt werden können. Wir können abriegeln, wir können Bereiche überwachen, wir können aber auch direkt im Schwerpunkt sein. Das liegt immer natürlich auch an dem, der das Gefecht leitet oder der die Idee hat, wenn der sagt, ich brauche die Scharfschützen direkt mit an der Front, um einfach zu sagen, die Schwerpunktwaffen rausnehmen oder einfach da auch nochmal ein bisschen verdichten, was ist die Idee des Feindes, um kurzfristig handeln zu können. Also wir sind da sehr flexibel. Man kann eigentlich nicht sagen, so wie es zum Beispiel wieder in Hollywood ist, der Scharfschütze ist immer im Kirchturm. Das ist auch so ein, ja, ich sage mal ein Mythos. Wir sind sehr flexibel einsetzbar, wir können so gut wie alles. Dadurch, dass wir auch normale Soldaten sind, könnten wir auch einfach sagen, okay, wir nehmen jetzt gar keinen Scharfschützenauftrag und gehen einfach als normale Shooter mit, da sind wir sehr, sehr flexibel.

BG:
Ihr seid ja nun auch Fallschirmjäger, ausgebildete, das heißt, ihr könnt auch durch die Luft verbracht werden. Ist das auch ein Szenario, das stattfinden könnte?

Rios:
Ja. Dadurch, dass die spezialisierten Kräfte auch befähigt sind, Freifaller zu machen, können wir natürlich auch mit dem Freifall in den Einsatz oder mit dem Automatiksprung natürlich mit den Hauptkräften dann auch abspringen. Dann können wir auch alles mitnehmen. Ist manchmal ein bisschen schwierig, weil natürlich dann mehrere Waffen dabei sind. Aber auch das ist möglich.

BG:
Waffen ist ein interessantes Thema ja auch. Ihr habt ja eine ganze Menge unterschiedlichster Waffen zur Auswahl. Es gibt ja unterschiedliche Scharfschützengewehre. Ihr seid an allen Waffen ausgebildet. Entscheidet ihr, was ihr für eine Waffe einsetzt? Und was für Waffen benutzt ihr in der Regel für eure Aufträge?

Salem:
Also was für Waffen wir einsetzen, können wir in dem selbst entscheiden, natürlich auftrags- und lageangepasst, und was uns halt zur Verfügung steht. Aber dieser Mythos, der immer entsteht, der deutsche Scharfschütze kann sich seine Waffe selbst aussuchen – wir suchen uns die aus dem Katalog aus und die wird beschafft. Das ist natürlich nicht der Fall. Also wir sind da schon an das gebunden, was uns die Bundeswehr zur Verfügung stellt. Und da entscheiden wir je nach Auftrag und Lage.

BG:
Und haben Sie jetzt eine Lieblingswaffe, ein Gewehr, mit dem Sie sich ganz besonders wohlfühlen? Und wenn ja, welches?

Salem:
Zu 100 Prozent. Und das ist mein Scharfschützengewehr, mein G22A2.

BG:
Wie ist das bei Sportlern? Gibt es da auch irgendeine Optik, wo man sagt, das Ding, das ist genau meins?

Rios:
Ja, auch Auftrag angepasst. Ich kann das G28 mitnehmen, um einen besseren Zoom zu haben. Das hat eine größere Vergrößerung. Ich kann aber auch sagen, ich kann G27 mitnehmen, aber ich kann auch ein ganz normales G36 mitnehmen. Das ist halt immer angepasst auch an den Auftrag. Bin ich im urbanen Segment unterwegs, dann muss ich natürlich auch wieder dementsprechend die Waffe wechseln und genau mir überlegen, macht das Sinn? Macht das keinen Sinn? Also, das ist halt: Als Scharfschütze kann man nie sagen, nur das kann ich machen. Ich muss sehr, sehr flexibel sein und dementsprechend auch den Auftrag genau auswerten. Also, so ein bisschen, ich sage mal, nur Larifari zuhören, das geht als Scharfschütze nicht, weil ich halt, wie gesagt, ich muss mir genau Gedanken machen, welche Waffe nehme ich mit? Was ist das Einsatzszenario? Bin ich urban, bin ich im Wald, bin ich in der Wüste? Dementsprechend kann ich nicht einfach sagen: Das ist meine Waffe, ich nehme nur diese mit. Ich muss da sehr flexibel bleiben.

BG:
Ja, das verstehe ich. Ich habe ja auch gelernt, dass es, bevor man überhaupt schießt, etliche Werte zu ermitteln gilt, also speziell auf lange Distanzen, von der Lufttemperatur bis hin zur Krümmung der Erde. Was müsst ihr alles wissen an Werten?

Rios:
Also extrem wichtig ist natürlich die Entfernung. Ich muss sehr genau wissen, wie weit ist das Ziel weg, weil das sehr, sehr ausschlaggebend ist. Der Wind ist auch ein Faktor, der sehr wichtig ist. Das ist glaube ich auch, also für mich als Spotter, mit eines der wichtigsten Werte, weil das unheimlich abweichend ist und dementsprechend ich auch mehrere Windrichtungen haben kann. Das ist eines der schwierigsten Sachen als Scharfschütze, denn ich muss den genau lesen können. Da hängt sehr, sehr viel Erfahrung von ab.

Salem:
Die Höhe spielt tatsächlich eine Rolle. Wie hoch befinde ich mich über Normalnull oder über Meeresspiegel? Da gibt es tatsächlich Tabellen, die dann besagen, ab der Höhe muss man das mit einberechnen. Dann gibt es noch, um das einmal vorwegzunehmen, mit der Erdkrümmung spielt bei uns auf die Entfernung, in der wir Ziele bekämpfen, keine Rolle. Siehst du das anders?

Rios:
Nein, wenig, eigentlich wenig. Da muss ich schon auf sehr, sehr weite Distanzen schießen. Und das gibt das Gewehr auch schwer her. Da ist auch gar nicht unbedingt jetzt das Problem der Schuss an sich und der ist schon schwierig. Aber ich muss das Ziel auch genau sehen können. Und das größte Problem daran ist, ich muss auch genau sagen, das ist mein Ziel, weil da bewegen wir uns dann auch im rechtlichen Bereich natürlich, wo wir als Scharfschützen auch unheimlich aufpassen müssen, dass ich auch wirklich das richtige Ziel bekämpfe und nicht einfach jemand anders.

BG:
Man will ja auch keinen Unschuldigen treffen. Das ist ja ganz, ganz ausschlaggebend.

Salem:
Das ist auch ein Punkt, der in der Ausbildung definitiv auch immer wieder gefordert wird, gerade in Annäherungsübungen, dass man wirklich das Ziel klar aufklärt, erkennt und identifiziert.

BG:
Es ist ja aber nun nicht nur das Schießen eure Aufgabe, ihr macht ja eine ganze Menge anderer Sachen auch. Und vieles davon beinhaltet ja auch, dass ihr manchmal tagelang nicht sichtbar für den Rest der Welt verharrt. Wie bereitet man sich auf so was vor? Was macht ihr da genau? Also damit ihr eben nicht gefunden werdet.

Salem:
Wenn man da jetzt einfach mal so, sagen wir mal, auf die Tarnung darauf eingehen, was wir so für uns haben, gibt es bei uns Scharfschützen, man nennt das bei uns immer Gilli, das ist unser Tarnanzug. Da gibt es einmal die nicht natürliche Tarnung oder die künstliche Tarnung. Das ist meist zum Beispiel gezupfte Jute oder wird's, würde ich jetzt behaupten, in 90 Prozent der Fälle sein. Damit möchte man einfach bezwecken, dass man die Konturen verwischt, sodass man nicht mehr sieht, wo hört die Kopfpartie auf, wo beginnt die Schulterpartie? Und dann gibt es noch die natürliche Tarnung, die obendrüber kommt, und die ist dann wirklich dazu da, sich dem Gelände anzupassen beziehungsweise sich im Gelände so zu tarnen, dass man darin verschwindet.

BG:
Hat ja bestimmt auch was mit dem Standort zu tun. Also wir stehen jetzt hier mitten auf einer Wiese. Ihr würdet ja nicht freiwillig euch auf der Wiese verstecken, sondern dann unter die Bäume gehen, in den Wald zurückziehen, oder?

Rios:
Ja, aus der Tiefe zu schießen macht natürlich immer mehr Sinn, als jetzt direkt an die Waldkante zu gehen. Die sollte ich immer vermeiden. Aber das ist nicht nur ein Scharfschützengrundsatz, sondern das sollte jeder Soldat wissen, dass ich mich einfach von den Waldkanten fernhalte. Zu der Tarnung noch mal: Ich kann natürlich auch im urbanen Bereich sagen, da ist natürlich nicht immer Wald und ich kann da natürlich auch dann Müll nehmen oder bestimmte Mülltonnen zum Beispiel. Ich muss da auch sehr kreativ wieder bleiben wie mit den Waffen. Ich kann nicht einfach sagen, das, nur das kann ich oder das mache ich, sondern ich muss da sehr flexibel bleiben. Ja.

BG:
Müll ist so ein Stichwort, das mich auf jeden anderen Mythos bringt, und das ist der Mythos: Ihr dürft euch nicht bewegen, auch wenn ihr mal müsst. Stimmt das?

Salem:
Auch da muss man wieder sagen, es ist jetzt natürlich lage- und auftragsabhängig. Aber grundsätzlich kann man dazu sagen, wenn der Scharfschütze in der Stellung ist und auftragsbereit ist, sollte da natürlich keine Bewegung mehr in der Stellung sein. Also man sollte sich wirklich nach allen Mitteln oder mit allen Mitteln bemühen, jetzt nicht mehr aufgeklärt zu werden. Vollkommen richtig, ob man auf Toilette muss oder nicht.

BG:
Das ist dann einfach Pech. Also man muss wirklich auch sehr belastbar sein, was Gerüche, Umweltbedingungen, aber auch die physische Anforderung angeht. Das ist jetzt ja noch so ein anderes Kernthema, die Fitness. Wie wichtig ist Fitness für euren Beruf?

Salem:
Die Fitness ist sehr wichtig für unseren Beruf, aber natürlich auch die richtige Fitness. Also, mit 200 Kilo auf der Hantelbank drücken, aber ich kann nicht laufen, kommt man bei uns nicht weit. Wir haben schwere Rucksäcke, wir haben weite Anmarschwege stellenweise. Wir haben Höhenmeter, die wir überwinden müssen. Und das alles muss natürlich in dem Sportprogramm, was wir im Dienst oder nach Dienst ableisten, ja, mit enthalten sein, dass wir da stärker und besser werden.

BG:
Ich habe heute Morgen erfahren, dass ihr ja auch teilweise mit anderen befreundeten Einheiten zusammen trainiert, also zum Beispiel mit den Gebirgsjägern. Bereitet ihr euch darauf dann gezielt vor oder kommt die Fitness dann in der Übung im Training?

Rios:
Also, das ist schon alles mit in dem Fitnessprogramm bei uns mit integriert. Also wir versuchen schon, immer auch High-End-Sachen zu trainieren, also wirklich den Puls sehr, sehr schnell hochzutreiben. Sprints zum Beispiel auf der Tartanbahn, sehr, sehr viele Zirkeltrainingseinheiten, die wir machen, um einfach wirklich auf viele Gegebenheiten klar zu kommen. Aber man muss sich auch mal überlegen, gerade im Urbanen: Ich muss mal vielleicht hochklettern, da kann ich nicht einfach selber schon 130, 140 Kilo wiegen. Dann komme da nicht mehr hoch. Großes Thema sind Klimmzüge zum Beispiel. Also alles, was ich selber mit meinem Körper auch machen kann, ist sehr, sehr wichtig. Also nicht nur immer die Hantelbank, ist auch wichtig, ich brauche auch Kraft, aber ich muss halt auch einen gewissen ... ich darf auch nicht zu breit werden. Vielleicht muss ich mal durch ein enges Loch graben oder klettern, dann wird es auch schwierig.

BG:
Das stimmt. Ja, du wolltest auch noch was sagen?

Salem:
Nichtsdestotrotz muss man natürlich auch ehrlich sein. Es kann natürlich auch eine Situation entstehen, auf die man sich jetzt nicht explizit vorbereitet hat. Da geht es halt einfach mal darum, selber zu sich hart zu sein und zu sagen: Diese Situation muss ich jetzt leben. Ich nehme meinen Auftrag trotzdem wahr, aber auch das gehört bei uns dazu.

BG
Das Thema Puls. Wenn ihr direkt danach Schießen müsst, geht euer Puls schneller runter als bei anderen Leuten? Könnt ihr das irgendwie trainieren?

Rios:
Ja, auch da gibt es in der Ausbildung dann schon direkt Techniken, die man anwenden kann. Dadurch, dass wir auch sehr viel mit anderen Einheiten trainieren, gerade mit den Gebirgsjägern, holen wir uns da sehr, sehr gute Tipps auch. Auch aus anderen Nationen. Da arbeiten wir schon sehr, sehr gut zusammen.

BG:
Wie ist denn das, wenn ihr den ersten Schuss abgegeben habt? Da ist ja auch der Glaube, der erste Schuss gibt eure Position preis. Wie geht ihr dann vor? Also, müsst ihr dann sofort den Ort wechseln oder gibt es da andere Optionen?

Salem:
Wenn wir jetzt mal auf die beschriebene Situation eingehen, dass wir wirklich aufgeklärt wurden, dann müssen wir auf jeden Fall in eine Ausweichstellung oder komplett ausweichen, uns eine neue Stellung suchen, weil der Scharfschütze ist halt ein Hochwertziel für feindliche Kräfte. Das sind Kräfte, die möchte er nicht vor Ort haben. Hat Afghanistan auch gezeigt. Da wurden immer Kopfgelder auf die Scharfschützen ausgesetzt. Ja, da müssen wir dann natürlich weg und uns neu orientieren, neu tarnen, neue Stellungen finden etc.

Rios:
Wo man auch sagen muss, das hängt auch sehr von der Entfernung ab. Wenn wir einen Schuss abgeben auf sieben- bis achthundert Meter, dass wir dann aufgeklärt werden nur anhand dieses Schusses, ist schon sehr unrealistisch. Aber natürlich, gerade in Zeiten von Drohnen hat man immer ein schlechtes Gefühl. Haben die uns gesehen? Haben die uns nicht gesehen?

BG:
Wie ist es überhaupt, wenn ihr jetzt lange in einer Stellung verharrt habt und dann eben euren Schuss abgegeben habt oder eure Beobachtung gemacht habt und schnell da weg wollt? Kann man das lernen, aus einer langen Unbeweglichkeit sofort wieder voll mobil zu sein? Also ich, wenn ich lange irgendwie unbeweglich war, dann schläft mir der Fuß ein und dann bin ich erst mal komplett gehandicapt. Wie ist es bei euch?

Rios:
Also sehr extrem muss man auf die Stellungswahl achten. Ich sollte schon versuchen, so gemütlich, wie ich es mir machen kann, auch auszunutzen. Liegen ist nicht immer die beste Position. Vielleicht ist es auch einfach mal sitzen, dann geht es auch manchmal. Wenn ich es natürlich nicht machen kann, das ist, nur diese Möglichkeit haben wir jetzt gerade, dann kann ich es ein bisschen durch Anspannen der Muskulatur trainieren. Aber man muss auch ganz klar sagen, manchmal muss man einfach da durch. Dann muss man einfach sagen, es geht jetzt nicht anders. Okay, da ist der Fuß jetzt eingeschlafen, aber wir müssen jetzt weiter. Das ist eine Sache, die wir ja, wir müssen halt auch mal manchmal beißen. So ist es einfach. Man kann nicht alles trainieren, man kann nicht auf alles vorbereitet sein.

BG:
Also generell klingt das für mich nach einem sehr anspruchsvollen und sehr fordernden Job. Was ist denn das Reizvolle, Salem, am Scharfschützenberuf?

Salem:
Für mich persönlich war das Reizvolle, erst mal in kleinen Trupps zu arbeiten, in kleinen Teams, dass man sehr selbstständig arbeiten muss und das auch lernen muss, einfach selbstständig zu sein. Wenn man durch das Auswahlverfahren durch ist und durch die Dienstpostenausbildung und dann auf dem Lehrgang war und den Lehrgang bestanden hat – also man merkt, das ist schon ein Weg, den man da bestreiten muss –, natürlich auch die weiterführende Ausbildung, die einen selber besser macht und natürlich den Blick über den Tellerrand in der Bundeswehr enorm erweitert. Das sind halt alles Punkte, wo ich sage, das macht diese Verwendungen in der Bundeswehr besonders reizvoll und besonders attraktiv.

BG:
Und wie ist das mit den Spottern?

Rios:
Ja, wie gesagt, das kristallisiert sich schon in der Ausbildung raus manchmal, dass man dafür einfach berufen ist und zu sagen, ja, der Mann kann gut spotten. Mir hat es einfach Spaß gemacht zu sagen, ich versuche das alles zu leiten. Man ist auch so ein bisschen so der Gruppenführer, so ein bisschen. Man ist auch ein bisschen verantwortlich für den Trupp. Das lag mir einfach. So, und da habe ich gesagt, ja, komm, ich mach das, ich fuchs mich da rein, ich gucke mir das genau an, es ist auch sehr viel Selbststudium, aber im Grunde ist es, ich glaube für mich selber, der beste Job in der Bundeswehr. Man hat alle Freiheiten, man kann genau sagen, so und so machen wir das. Und die Erfahrung, die man sammelt, ist einfach enorm.

BG:
Stellt ihr euch manchmal die Frage: Wie ist das im Ernstfall, wenn ich diesen Menschen sehe und jetzt den töten muss, den ausschalten muss?

Salem:
Dadurch, dass wir ja beide schon im Einsatz waren, ist man damit ja oder mit der Frage natürlich auch konfrontiert.

Rios:
Und es kann natürlich jederzeit dazu kommen, genau wie selbst getötet zu werden oder verwundet.

Salem:
Ich würde jetzt mal grundsätzlich dazu sagen, dass es für jeden Soldaten ein Problem ist, einem Menschen gezielt das Leben zu nehmen. Also das fällt keinem leicht.

BG:
Ja. Ich bedanke mich bei euch beiden für das Gespräch. Fand ich ganz toll. Ich habe eine Menge dazugelernt und ich denke, das geht unseren Zuhörerinnen und Zuhörern auch so, schon allein, wie breit die Palette ist, die ihr abdeckt, und auch, wie anspruchsvoll der Weg dorthin ist. Ganz herzlichen Dank.

Salem
Bitte, bitte, bitte, bitte.

BG
Ich melde mich für heute ab aus dem Funkkreis. Tschüss aus Seedorf. Das war Barbara Gantenbein aus der Redaktion der Bundeswehr. Tschüss!